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Montauk

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Montauk

Eine Erzählung

Suhrkamp,

15 Minuten Lesezeit
12 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Unverblümte Lebensbeichte oder geschickte Fiktion? Max Frischs schonungslose Sicht auf Mannsein, Altern und Tod.


Literatur­klassiker


Worum es geht

Ein Leben als Mann

Bei einer Promotionstour in den USA verliebt sich der alternde Max Frisch in eine junge Verlagsangestellte und verbringt einige Tage mit ihr. Diese Zeit wird für ihn zum Anlass, eine schonungslose Bestandsaufnahme seines Lebens zu machen. Er denkt an seine Fehler, vor allem an seine gescheiterten Beziehungen zu den Frauen, die er liebte, auch an mehrere Abtreibungen, die er mitzuverantworten hatte. Er erinnert sich an eine prägende Freundschaft aus seiner Jugend- und Studienzeit, die für ihn und seinen Freund letztlich eher negative Auswirkungen hatte. Er denkt aber auch daran zurück, wie er als Schriftsteller endlich Erfolg hatte und sein Architekturbüro aufgeben konnte, um sich ganz dem Schreiben zu widmen. Und schließlich bringt ihn die kurze Zeit der Liebe mit der Verlagsangestellten dazu, schonungslos sein „Leben als Mann“ zu analysieren. Das Buch ist die offene Lebensbilanz eines beruflich sehr erfolgreichen, aber in Liebesdingen oft versagenden Schriftstellers. Ein spätes Meisterwerk, verfasst in einem unerhört vielschichtigen Stil, der allein es lesenswert macht.

Take-aways

  • Montauk ist Max Frischs Abrechnung mit sich selbst. Es ist sein persönlichstes Buch.
  • Frischs Reflexionen über das eigene Leben wurden durch die kurze Liebesgeschichte mit der amerikanischen Verlagsangestellten Alice (im Buch Lynn genannt) ausgelöst.
  • Lynn und der bald 63-jährige Max verbringen ein Wochenende in Montauk, einem kleinen Ort am Ende von Long Island.
  • Die kurze Liebschaft mit Lynn regt ihn dazu an, über sein Verhältnis zu den Frauen nachzudenken. Er kommt zu dem Schluss, dass sein „Leben als Mann“ vor allem von einem „häuslichen Versagen“ geprägt ist.
  • Seine erste Geliebte, die Jüdin Käte, wollte ihn nicht heiraten, weil sie merkte, dass er sie nicht liebte und ihr nur ermöglichen wollte, während der Nazizeit in der Schweiz zu leben.
  • Seine erste Ehe mit der großbürgerlichen Gertrud Constanze von Meyenburg wurde geschieden.
  • Die Beziehung zur Dichterin Ingeborg Bachmann litt unter deren Affären und seiner Eifersucht.
  • Seine fast 30 Jahre jüngere zweite Frau Marianne betrog ihn lange mit einem guten Freund.
  • Am Ende nimmt sich Max vor, Lynn nicht auch noch zu verletzen. Sie wollen keine Beziehung eingehen – und halten sich daran.
  • Frischs Erzählung folgt keiner Chronologie. Es ist eine durchkomponierte Collage von Erinnerungen und Gedankenfetzen.
  • Frisch wechselt virtuos zwischen der Ich- und der Er-Perspektive – oft innerhalb eines Satzes.
  • Kein anderes Buch der deutschen Belletristik steht so exakt auf der Schwelle zwischen Autobiografie und Fiktion.

Zusammenfassung

Der alternde Schriftsteller und die junge Verlagsangestellte

Kurz vor seinem 63. Geburtstag, im Mai 1974, trifft der bekannte Schriftsteller Max bei einer US-Promotionstour für seine Werke die junge, geschiedene Verlagsangestellte Lynn, die ihm als Begleiterin für die diversen Veranstaltungen zugeteilt wurde. Die beiden kommen sich auch menschlich näher, und nach einer gemeinsamen Liebesnacht beschließen sie, am Wochenende vor Max’ Rückflug nach Europa einen Ausflug nach Montauk zu machen, der nördlichen Spitze von Long Island. Dort gehen sie am Strand spazieren, spielen Pingpong, und Lynn befragt Max ausführlich zu seiner Vergangenheit.

Der Fluch der Rachegöttinnen

Max’ Streifzüge durch New York erinnern ihn an die Zeit, die er früher hier verbracht hat. Der Rückblick führt ihm seine Angst vor der Eintönigkeit vor Augen, die Angst vor einem Leben, das von Wiederholungen geprägt ist – vor allem aber wird ihm das bewusst, was er mittlerweile als sein „häusliches Versagen“ empfindet. Er beginnt über sein Leben nachzudenken, insbesondere über sein „Leben als Mann“.

„Ein Schild, das Aussicht über die Insel verspricht: OVERLOOK. Es ist sein Vorschlag gewesen, hier zu stoppen.“ (S. 7)

Manchmal fühlte er sich wie von den Erinnyen, den griechischen Rachegöttinnen, getrieben und ließ diese Raserei dann an seiner jeweiligen Partnerin aus. Nicht mit körperlicher Gewalt, diese Gefahr bestand nie, aber mit vernichtenden Worten. Diese wurden weniger von Hass hervorgetrieben als dadurch, dass er seiner Rede freien Lauf ließ – ohne Angst vor Konsequenzen.

Die Freundschaft mit W.

Vor nicht allzu langer Zeit hat Max seinen Freund W. in Zürich auf der Straße gesehen, ohne ihn anzusprechen – und das, obwohl er sich ihm gegenüber lebenslänglich zu Dank verpflichtet fühlt. Die beiden hatten gemeinsam ein Zürcher Gymnasium besucht. W. stammt aus wohlhabendem Haus und war schon als Schüler außerordentlich gebildet und geistreich. Max kann im Nachhinein nicht wirklich verstehen, warum W. ausgerechnet ihn unter seine Fittiche genommen hat.

„Ich sage der amerikanischen Öffentlichkeit: Leben ist langweilig, ich mache Erfahrungen nur noch, wenn ich schreibe. Eigentlich kein Witz; er lacht trotzdem. Sie nicht.“ (S. 12)

Sie philosophierten während jener Zeit, gingen wandern, Ski fahren, spielten Tennis. Immer blieb W. dabei der Überlegene, und Max bemühte sich, vor seinem strengen Urteil zu bestehen. Als er kleine Artikel für Zeitungen zu schreiben begann, zeigte W. sich von dem dahinterstehenden Geltungsdrang enttäuscht, obwohl er wusste, dass Max seinen Lebensunterhalt irgendwie verdienen musste. Immerhin hatte er Max, der kaum über finanzielle Mittel verfügte, das gesamte Architekturstudium finanziert.

„Ich meine, dass die Freundschaft mit W. für mich ein fundamentales Unheil gewesen ist und dass W. nichts dafür kann. Hätte ich mich ihm weniger unterworfen, es wäre ergiebiger gewesen, auch für ihn.“ (S. 50)

Als Max erste Erfolge als Schriftsteller verzeichnen konnte, war ihm klar, dass W. seine Werke nicht lesen würde, weil sie seinen Ansprüchen nicht genügten. Sein Verlangen nach Anerkennung durch den Freund blieb freilich ungebrochen: Er freute sich etwa, wenn dieser ihn für ein Feuer lobte, das er in einer Berghütte angezündet hatte, oder für ein erfolgreich repariertes Fahrrad. Irgendwann erkannte Max, dass er sich an seinen literarischen Errungenschaften nur dann würde freuen können, wenn er W. dabei vergaß. All seine Probleme waren in den Augen W.s nur persönlich, dessen eigene dagegen exemplarisch. Selbst Max’ Scheidung hatte nicht das gleiche Gewicht wie die von W.

„Ich möchte erzählen können, ohne irgendetwas dabei zu erfinden. Eine einfältige Erzähler-Position.“ (S. 82)

Max fragt sich, was wohl ohne diesen Freund aus ihm geworden wäre. Er denkt, dass er sich dann womöglich zu viel zugetraut hätte. Am Ende aber kommt er zum Schluss, dass es für beide besser gewesen wäre, wenn er sich dem Freund gegenüber weniger unterwürfig verhalten hätte.

Das Leben als Familienvater

Es war während seiner Zeit als Architekt, als Max aus Liebe eine Kollegin heiratete: Gertrud Constanze von Meyenburg. Mit Gertrud, die aus reichem Elternhaus stammt, hat er drei Kinder. Bei deren Geburt war er auf Wunsch seiner Frau immer zugegen. Später verließ er die Familie. Seine Tochter, etwa im selben Alter wie Lynn, hat er vor Kurzem besucht. Sie hat sich geweigert, von ihm Geld anzunehmen. Er fühlt sich schuldig.

Die Dichterin

Aus Begeisterung über eines ihrer Hörspiele schrieb Max einen Lobesbrief an die ihm damals noch unbekannte Schriftstellerin Ingeborg Bachmann. Anschließend kam sie nach Paris, um sich die Aufführung eines seiner Stücke anzusehen. Sie gingen allerdings nicht ins Theater, sondern stattdessen zu ihrem ersten gemeinsamen Abendessen.

„Lynn wird sein Laster nicht kennen lernen. Dazu fehlt die Zeit. Es braucht eine Ehe, eine lange, damit es zum Vorschein kommt ...“ (S. 94)

Nachdem sie sieben Monate zusammengelebt hatten, erkrankte Max an Hepatitis und lag im Krankenhaus. Das Leiden zog sich hin, und er schickte Ingeborg weg, um kurz darauf wieder gesund zu werden. Sie lebten erst in zwei Wohnungen in Zürich, dann zogen sie gemeinsam nach Rom. Ingeborg aber wollte ihre Eigenständigkeit nicht aufgeben und bewegte sich in ihren eigenen Kreisen. Sie sträubte sich beispielsweise dagegen, dass Max sie zu den Tagungen der Gruppe 47 begleitete, und einmal weigerte sie sich, ihn Peter Huchel vorzustellen. Anscheinend hatte sie auch immer wieder Affären. Max wurde von Eifersucht zerfressen.

„Ich habe nie einen ernsthaften Versuch unternommen, meinem Leben ein Ende zu machen; auch keinen unernsthaften. Ich habe nur oft, in jedem Lebensalter, daran gedacht.“ (S. 113)

Zu dem Zeitpunkt, als man ihn nach Amerika einlud, war Max in Rom und Ingeborg in Zürich. Wie er zu seiner Überraschung erfuhr, hatte sie sich selbst in eine Klinik einliefern lassen und schenkte sich Blumen, um ihn eifersüchtig zu machen. Damit wollte sie ihn dazu provozieren, sie in die USA mitzunehmen. Max fuhr dennoch allein.

Untreue

Max’ nächste Liebe war die junge Studentin Marianne. Sie heirateten, nachdem sie einige Zeit zusammengelebt hatten. Während Max mit Lynn am Strand in Montauk sitzt, denkt er an seine Eifersucht, als er erfuhr, dass Marianne ein Jahr lang ein Verhältnis mit einem guten Freund von ihm hatte. Sie verheimlichte es ihm, weil sie nicht wusste, wie er darauf reagieren würde, fürchtete vielleicht sogar, er könnte sich das Leben nehmen. Max war über sich selbst entsetzt. Offenbar schenkte er seiner Frau so wenig Aufmerksamkeit, dass er es nicht einmal bemerkte, wenn sie aus dem Bett eines anderen Mannes zurückkam. Er stürzte sich in seine Arbeit, um die Affäre zu vergessen.

„Übrigens ist es bereits vereinbart, dass sie sich keine Briefe schreiben werden; nur eine Ansichtskarte am 11.5.1975, sofern sie’s nicht beide vergessen.“ (S. 121)

Er denkt nun erneut an seine erste Ehefrau, die als Jungfrau in die Ehe kam und sich die Finger am Verputz der Toilette wund kratzte, als sie erfuhr, dass er sie betrogen hatte.

Architektur

Zwölf Jahre verbrachte Max als Architekt. Es war eine Arbeit, die ihm den Lebensunterhalt sicherte, sodass er mit 30 Jahren heiraten konnte. Seltsamerweise fühlte er sich immer den Handwerkern unterlegen: Sie verwirklichten das, was er zeichnete, aber selbst nicht Realität werden lassen konnte. Er plante u. a. das erste Haus seines Bruders, 20 Jahre später auch das zweite. Weil ihn seine Arbeit zeitweise nicht voll auslastete, fing er wieder mit dem Schreiben an.

Die jüdische Braut

Noch früher, während der Nazizeit, hatte Max eine jüdische Braut aus Berlin. Käte war seine erste Geliebte. Sie wohnten zwar nicht zusammen, trafen sich aber fünf Jahre lang jeden Tag. Am Ende bot er ihr an, sie zu heiraten, damit sie in der Schweiz bleiben konnte. Sie waren schon auf dem Standesamt, aber Käte erkannte, dass er sie nicht wirklich liebte und keine Familie mit ihr gründen wollte – vielleicht sogar, weil sie Jüdin war. Sie lehnte die Ehe im letzten Moment ab.

„Ingeborg ist tot. Zuletzt gesprochen haben wir uns 1963 in einem römischen Café vormittags; ich höre, dass sie in jener Wohnung, HAUS ZUM LANGENBAUM, mein Tagebuch gefunden hat in einer verschlossenen Schublade; sie hat es gelesen und verbrannt. Das Ende haben wir nicht gut bestanden, beide nicht.“ (S. 151)

Ihr Onkel ermöglichte ihr allerdings ein Studium in Basel. Kätes Eltern konnten 1938 gerade noch aus Deutschland fliehen. Max blieb in Zürich.

Das Verhältnis zum Geld

Max ist mit der Devise aufgewachsen: „Was wir uns nicht leisten können, das kommt uns nicht zu.“ Zum ersten Mal fiel ihm die Geldknappheit seiner Eltern bei einem Gasautomaten in der Diele ihrer damaligen Wohnung auf: Bei längerem Kochen mussten dort immer wieder Münzen eingeworfen werden, und manchmal gingen der Mutter die Geldstücke aus. Der Vater starb verschuldet, und umso mehr bemühte sich Max später, schuldenfrei zu leben. Als er 1942 seine wohlhabende erste Frau heiratete, stellte er sicher, dass sein Lohn als Architekt allein ausreichte, um die Familie zu ernähren. Bis zu seinem 30. Lebensjahr kannte er – abgesehen von seinem Freund W. – nicht einmal irgendwelche reichen Leute. Erst mit 48 kaufte er sich sein erstes Auto, einen VW. Mittlerweile ist er als Schriftsteller erfolgreich, kennt keine finanziellen Sorgen mehr und ist weitgehend desinteressiert an Geldangelegenheiten.

„Ich habe mir mein Leben verschwiegen. Ich habe irgendeine Öffentlichkeit bedient mit Geschichten. Ich habe mich in diesen Geschichten entblößt, ich weiß, bis zur Unkenntlichkeit.“ (S. 156)

Einmal, auf einer Durchreise, fiel ihm die Zürcher Volksbank ins Auge. Irgendwoher kannte er diese Fassade und diese Eingangshalle. Als er seinen Pass in der Bank vorzeigte, erfuhr er, dass er dort schon lange ein Konto hatte, mit mittlerweile 23 000 Franken Guthaben. Obwohl Max durch seinen Erfolg inzwischen ziemlich reich geworden ist, fällt es ihm schwer, sich Luxus zu gönnen. Er ist mit Sparsamkeit aufgewachsen, und er sieht sich nicht als reichen Menschen, sondern vielmehr als Neureichen. Geld ist für ihn nur ein Tauschmittel. Ganz anders Ingeborg: Sie sah Geld als Glücksache, die kommt und geht, und gab es so frei aus, wie es hereinkam. Sie meisterte Zeiten des Verzichts mit ebenso wenig Schwierigkeiten wie Zeiten des Luxus.

„Es stimmt nicht einmal, dass ich immer nur mich selbst beschrieben habe. Ich habe mich selbst nie beschrieben. Ich habe mich nur verraten.“ (S. 156)

1964 kaufte sich Max mit seiner späteren, zweiten Frau Marianne ein Bauernhaus in Berzona, das sie in monatelanger Arbeit aufwändig renovieren ließen. Es war Max’ erstes Haus, zuvor hat er immer zur Miete gewohnt.

Letzte Stunden in New York

Mittlerweile läuft der Countdown für Max’ Abreise aus New York. Am Sonntagabend fährt er mit Lynn von Montauk zurück nach Manhattan. Einen Teil der letzten Nacht verbringt er in Lynns kleiner Wohnung. Er versagt beim Sex, und Lynn will irgendwann einmal schlafen, schließlich muss sie am nächsten Tag zur Arbeit. Um vier Uhr morgens verlässt Max ihre Wohnung und zieht die Tür hinter sich zu. Auf der Taxifahrt zurück in sein Hotel macht er sich Sorgen darüber, ob die Tür auch richtig ins Schloss gefallen ist.

„Es wird Zeit, nicht bloß an den Tod zu denken, sondern davon zu reden. Weder feierlich noch witzig. Nicht von Tod allgemein, sondern vom eigenen Tod.“ (S. 202)

Im Hotel denkt er an den Tod. Er wird bald 63, ist eigentlich noch recht gesund, trotz seiner nicht immer vorsichtigen Lebensweise. Er will aber keine viel jüngere Frau wie Lynn an das, was er seine „Zukunftslosigkeit“ nennt, binden.

Am nächsten Tag schickt er seiner New Yorker Verlegerin Helen Wolff Blumen; sie ist mit den Presseberichten zur Promotionstour ganz zufrieden. Während der Mittagspause trifft er Lynn noch einmal. Zusammen gehen sie in eine Bar und dann in den Park. Lynn hat ihm einen neuen Tabakbeutel gekauft. Er hinterlässt ihr seine alte Olivetti-Schreibmaschine. Sie küssen sich auf einer Freitreppe am East River, dann folgt ein kussloser Abschied an einer Straßenecke. Die beiden verabreden, sich höchstens zum Jahrestag des Treffens eine Postkarte zu schicken.

„Ich bin jetzt 61, 62, 63. Wie wenn man auf die Uhr blickt und sieht: So spät ist es schon!“ (S. 203).“

Bei einem weiteren New-York-Besuch, versucht Max trotzdem, Lynn zu finden – vergeblich. Später schreibt sie ihm einen Brief von einer Schiffsreise: Sie sei gerade arbeitslos und versuche sich beruflich neu zu orientieren.

Zum Text

Aufbau und Stil

Die Rahmenhandlung von Montauk spielt im gleichnamigen Ort an der Südspitze von Long Island. Dorthin macht Max mit Lynn kurz vor seiner Abreise nach Europa einen Ausflug. Am Ende steht der Abschied der beiden in New York. Dazwischen weicht die Erzählung weitgehend vom Prinzip der Chronologie ab. Max überlässt sich, oft angespornt von Lynns Fragen, seinen Gedankenströmen, Erinnerungsfetzen und Reflexionen über seine Vergangenheit. Daneben kommen ihm auch Literaturzitate in den Sinn (etwa aus Gedichten seiner ehemaligen Geliebten Ingeborg Bachmann) oder einfach nur die Namen von Straßen und Plätzen, die ihm bei einem Bummel durch New York aufgefallen sind. Seine Erlebnisse mit Lynn berichtet er als distanzierter Er-Erzähler, Erinnerungen an seine Vergangenheit dagegen aus der ersten Person. Manchmal wechselt er die Erzählperspektive innerhalb ein und desselben Satzes. Wenn er an seine damalige Frau Marianne denkt, verwendet er sogar die direkte Du-Anrede, als wären die Leser nur Zaungäste. Das Ganze ist geschickt durchkomponiert – ein eigentliches Kaleidoskop an Eindrücken und Erinnerungen, das den Leser zunehmend in seinen Bann zieht.

Interpretationsansätze

  • Montauk ist einerseits ein ungeschminkter Lebensbericht – Frisch nennt reale Namen, Daten und Orte aus seinem Leben –, andererseits doch auch ein fiktionales, poetisch gestaltetes Werk – das Vorbild der Lynn z. B. hieß im wahren Leben anders. Die Kritiker sind sich bis heute nicht einig, inwieweit das Authentische oder das Fiktionale an einzelnen Stellen überwiegt. Die Erinnerung an den Jugendfreund W. jedenfalls gilt als eines der besten Porträts in der deutschsprachigen Belletristik.
  • Frischs „life as a man“ (ein Zwischentitel) hat zwei unterschiedliche Seiten: hier der erfolgreiche Schriftsteller, der etwas aus sich gemacht hat und hohe Anerkennung für seine Leistungen genießt, dort der schwache und fehlbare Ehemann und Liebhaber, der im Rückblick vor allem sich selbst die Schuld am Scheitern so mancher Beziehung gibt. Der Zwischentitel stammt vom damals aufstrebenden Schriftsteller Philip Roth, der 1973 sein Manuskript „My Life as a Man“ dem etablierten Frisch vorlegte.
  • Als Rahmenhandlung bietet Montauk eine wenig leidenschaftliche Liebesgeschichte, die aber gerade wegen der bescheidenen Ansprüche der beiden ungleichen Partner durchaus sympathisch wirkt. Die nüchterne Affäre steht jedenfalls in starkem Kontrast zu den teils gefühlsintensiven, oft dramatischen Liebesbeziehungen aus Frischs Vergangenheit.
  • Zu Beginn der Handlung hält das Paar an einem „overlook“, einem Aussichtspunkt, an. Frisch benutzt bewusst dieses englische Wort, das außer dem Aspekt des Überblicks auch ein Übersehen oder ein Vorgeben, etwas nicht zu sehen, bedeuten kann – alle drei Übersetzungen sind für die nachfolgenden Reflexionen gewichtig.
  • Die Erinnerung an seinen Jugendfreund W. gilt als eines der besten Porträts in der deutschsprachigen Belletristik.
  • Die vielen chronologischen Brüche und die Wechsel der Erzählperspektiven machen deutlich, dass Frisch in Montauk voller Zerrissenheit und Selbstzweifel auf sein Leben zurückblickt.
  • Das Buch durchzieht ein Geist des Abschiednehmens: von vergangenen Beziehungen, von Lynn, von seiner Potenz als Mann und auch, nicht mehr in allzu großer Ferne, vom Leben selbst.

Historischer Hintergrund

Der Erfolg der deutschen Nachkriegsliteratur

In den ersten Nachkriegsjahren drehte sich ein Großteil der deutschsprachigen Literatur – auch Trümmerliteratur genannt – um kriegsnahe Themen wie das Schicksal der Heimkehrer. Später wandte man sich vermehrt der Frage zu, wie es zu Antisemitismus und Judenverfolgung bis hin zum Holocaust kommen konnte. Auch die Sinn- und Identitätssuche des modernen Menschen, der durch die Gräuel des Krieges desillusioniert und seiner traditionellen Werte beraubt wurde, gewann zunehmend an Aufmerksamkeit. Nicht zuletzt war es der wirtschaftliche Aufschwung, der einen zur Selbstdefinition zwang. Vorgegeben war nichts mehr; die geografische und soziale Herkunft war kaum noch von Bedeutung. Alles löste sich auf: die Rollenteilung zwischen Mann und Frau, der religiöse Kitt, die gutbürgerlichen Ideologien. Hinzu kam, dass die Lebenserwartung immer größer wurde. Die Planung des Lebens entlang einer geraden Linie war undenkbar geworden. Aus der Perspektive der Menschen, die den Krieg miterlebt hatten, waren das reine Luxusprobleme. Stattdessen wurde die Sinn- und Identitätssuche zum Hauptproblem des modernen Menschen. Nicht mehr die Frage „Wie überlebe ich?“ stand im Zentrum, sondern die Frage „Wer bin ich?“. Dass Frisch in der deutschsprachigen Literatur eine Vorreiterrolle einnahm, hatte damit zu tun, dass er aus der vom Krieg weitgehend verschonten Schweiz stammte. Die Sinn- und Identitätsproblematik drängte sich ihm früher auf als seinen deutschen Kollegen.

Mit Themen wie der Identitätsproblematik fand eine Reihe deutschsprachiger Autoren überraschende internationale Resonanz. Im angelsächsischen Raum war es ganz wesentlich das Ehepaar Kurt und Helen Wolff, das zum Erfolg der europäischen, insbesondere der deutschen Literatur beitrug. Nach ihrer Flucht in die USA gründeten die Wolffs dort 1942 den Pantheon-Verlag, der sich auf die Veröffentlichung von Übersetzungen deutschsprachiger Schriftsteller spezialisierte. Nach dem Unfalltod ihres Mannes im Jahr 1963 führte Helen die gemeinsame Arbeit allein fort und entdeckte viele weitere Namen für den US-Markt, darunter auch Max Frisch.

Entstehung

Als sich Max Frisch im Mai 1974 auf Promotionstour in den USA befand, lernte er die Verlagsmitarbeiterin Alice Locke-Carey kennen. Er fand Gefallen an der jungen Frau, und in kurzer Zeit entwickelte sich zwischen den beiden ein Liebesverhältnis. Nach Frischs Rückkehr fasste er den Entschluss, eine Erzählung über seine Zeit mit Alice und die dadurch ausgelösten Erinnerungen und Reflexionen zu verfassen. Schon im November 1974 schrieb er an seinen Freund und Schriftstellerkollegen Uwe Johnson, er habe sein Buch Montauk fertig. Er bat diesen, sich bei Frischs damaliger Frau Marianne Oellers dafür einzusetzen, dass diese der Buchveröffentlichung zustimmte. Obwohl Marianne (im Gegensatz zu Alice Locke-Carey) im Buch unverschlüsselt mit Namen genannt wird und ihr längeres Verhältnis mit einem jungen Schriftsteller zur Sprache kommt, konnte Uwe Johnson sie dazu überreden, die Publikation zu erlauben. Eine ausgeweitete und von Frisch überarbeitete Fassung des Werks erschien im Herbst 1975 bei Suhrkamp.

Neben Marianne Oellers und Alice Locke-Carey behandelt Frisch in Montauk auch seine erste Ehe mit der Studienkollegin Gertrud Constanze von Meyenburg, die aus wohlhabendem, großbürgerlichem Hause stammte, seine Beziehung zur Dichterin Ingeborg Bachmann und seine Freundschaft zum vermögenden Verlegersohn Werner Coninx (im Buch „W.“ genannt).

Wirkungsgeschichte

Durch die Art und Weise, wie Max Frisch in Montauk Zitate aus seinen anderen Werken einflicht oder auf diese verweist, lassen sich neue Einsichten in jene früheren Werke, vor allem in seine Romane Stiller, Homo Faber und Mein Name sei Gantenbein, gewinnen. In erster Linie aber wurde Montauk als stark autobiografisch gefärbtes Alterswerk des berühmten Schriftstellers wahrgenommen und von der Kritik sehr wohlwollend beurteilt. Marcel Reich-Ranicki bezeichnete es als Frischs „intimstes und zartestes, sein bescheidenstes und gleichwohl kühnstes, sein einfachstes und vielleicht eben deshalb sein originellstes Buch“. Der Versuch, „Autobiografie als Poesie zur Geltung zu bringen“ (Frisch-Biograf Jürgen H. Petersen), war Mitte der 70er Jahre ein Novum.

Wie Max Frisch einmal gestand, sollte Montauk eigentlich den Abschluss seines Schaffens als Schriftsteller bilden. Das hinderte ihn aber nicht daran, einige weitere Werke zu veröffentlichen, darunter Der Mensch erscheint im Holozän (1979).

Über den Autor

Max Frisch wird am 15. Mai 1911 als Sohn eines Architekten in Zürich geboren. Nach dem Gymnasium beginnt er ein Germanistikstudium, bricht es 1934 ab, arbeitet als freier Journalist, u. a. als Sportreporter in Prag, und verfasst Reiseberichte. Er ist vier Jahre mit einer jüdischen Kommilitonin liiert, die er heiraten will, um sie vor Verfolgung zu schützen, sie lehnt jedoch ab. Ab 1936 studiert er in Zürich Architektur, 1940 macht er sein Diplom. Ein Jahr später gründet er ein Architekturbüro und arbeitet gleichzeitig als Schriftsteller. Er heiratet 1942 seine ehemalige Studienkollegin Gertrud (Trudy) Constance von Meyenburg, mit der er drei Kinder hat. 1951 hält sich Frisch für ein Jahr in den USA und in Mexiko auf. 1954 erscheint sein erster Roman: Stiller. Das Buch ist so erfolgreich, dass Frisch sich nun ganz der Schriftstellerei widmen kann. 1955 löst er sein Architekturbüro auf und bereist die USA, Mexiko, Kuba und Arabien. 1958 erhält er den Georg-Büchner-Preis und den Literaturpreis der Stadt Zürich, ein Jahr später wird seine erste Ehe geschieden. 1960 zieht Frisch nach Rom, wo er fünf Jahre lang mit der Schriftstellerin Ingeborg Bachmann zusammenlebt – und die 23-jährige Studentin Marianne Oellers kennen lernt. 1961 wird das Theaterstück Andorra uraufgeführt, ein Gleichnis über die fatale Wirkung von Vorurteilen. 1964 erscheint der Roman Mein Name sei Gantenbein. Im Folgejahr übersiedelt Frisch zurück ins Tessin in die Schweiz. 1966 und 1968 unternimmt er größere Reisen in die UdSSR, 1970 folgt wieder ein längerer USA-Aufenthalt. Inzwischen hat er Marianne Oellers, mit der er jahrelang zusammengelebt hat, geheiratet. 1975 veröffentlicht Frisch die autobiografisch gefärbte Erzählung Montauk. Schweizkritische Schriften wie Wilhelm Tell für die Schule (1971) führen in seiner Heimat zu Widerspruch, in Deutschland findet er mehr Anerkennung. 1976 erhält er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Max Frisch stirbt am 4. April 1991 in Zürich an Krebs.

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