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Mythen des Alltags
Buch

Mythen des Alltags

Paris, 1957
Diese Ausgabe: Suhrkamp, 2016 Mehr

Literatur­klassiker

  • Philosophie
  • Moderne

Worum es geht

Anleitung zur Mythenjagd

Einer der berühmtesten Mythen in Roland Barthesʼ Klassiker handelt vom Wrestling: „Dem Publikum ist völlig egal, ob beim Kampf getrickst wird oder nicht, und es hat Recht“, schrieb er 1957. „Wichtig ist ihm nicht, was es glaubt, sondern was es sieht.“ Ein französischer Semiologe als Prophet des postfaktischen Zeitalters? Sicher ist: Die Mythen haben sich seit den Anfängen der Massenkultur verändert. Doch sie bleiben ein Stützpfeiler unserer Gesellschaft: Was wäre die Finanzindustrie ohne den Glauben an die wundersame Geldvermehrung? Was die Fifa ohne die Idee vom Völker verbindenden Fußball? Und was Amerika ohne den amerikanischen Traum? Nicht der Mythos an sich, sondern sein Hang zur Erstarrung, Besitzstandswahrung und Alternativlosigkeit ist das Problem. Als „spezifisches Symptom aller Faschismen“ bezeichnet Barthes die Tendenz, eine mythologische Wahrheit ganz für sich zu beanspruchen und Kultur als Krankheit darzustellen. Mit scharfem Witz wappnet er seine Leser gegen die Nebelkerzen der Postfaktiker und ermuntert sie, jeden Tag von Neuem auf Mythenjagd zu gehen.

Take-aways

  • Roland Barthesʼ Mythen des Alltags gilt als Pionierwerk der Kultur- und Medienkritik.
  • Inhalt: In 53 Streifzügen durch die französische Alltagskultur nimmt Barthes Phänomene aufs Korn, hinter denen sich mystifizierte Botschaften verstecken – ob Racine, Reiseführer oder Radsport. Anschließend erklärt er Funktion und Wirkung des modernen Mythos: Dieser verwandelt menschengemachte Tatsachen in unveränderliche Natur, mit dem Ziel, den kleinbürgerlichen Status quo zu bewahren.
  • Barthes wandte 1957 als Erster die strukturalistische Zeichenlehre auf die noch junge Massenkultur an.

Über den Autor

Roland Barthes wird am 12. November 1915 in Cherbourg in der Normandie geboren. Er ist noch kein Jahr alt, als sein Vater, ein Marineoffizier, bei einer Schlacht in der Nordsee stirbt. Mutter Henriette, Tochter des berühmten Afrikaforschers und Kolonialbeamten Louis-Gustave Binger, zieht mit ihm zunächst zur Familie ihres Mannes in den Südwesten Frankreichs und später nach Paris. Die Familie lebt in ärmlichen Verhältnissen. Henriettes Eltern sind wohlhabend, doch nach der unehelichen Geburt von Rolands Halbbruder Michel 1927 verweigern sie jegliche finanzielle Unterstützung. Henriette arbeitet als Buchbinderin, um ihre Söhne zu ernähren. Zwischen 1935 und 1943 studiert Roland Barthes an der Sorbonne Literatur, Grammatik und Philologie. Aufgrund einer Tuberkuloseerkrankung verbringt er mehrere Jahre in Sanatorien und wird vom Militärdienst befreit. Die Krankheit steht einer traditionellen akademischen Karriere im Weg: Mehrmals versucht er zu promovieren – ohne Erfolg. 1947 geht er als Bibliothekar nach Bukarest und 1949 als Dozent an die ägyptische Universität von Alexandria, wo er den Linguisten Algirdas Greimas kennenlernt und eine Beziehung mit ihm beginnt. Barthesʼ Debüt Am Nullpunkt der Literatur (Le Degré zéro de lʼécriture, 1953) gilt bald als Manifest einer radikal neuen Textkritik. Sie richtet sich auch gegen den etablierten Wissenschaftsbetrieb, von dem Barthes sich ausgeschlossen fühlt. In den Mythen des Alltags (Mythologies) baut er 1957 die angewandte Zeichentheorie weiter aus. Ab 1960 unterrichtet er an der École pratique des hautes études. Erst 1976 wird er auf Betreiben Michel Foucaults an den eigens für ihn geschaffenen Lehrstuhl für Semiologie der Literatur am renommierten Collège de France berufen. 1977 erscheint mit Fragmente einer Sprache der Liebe (Fragments dʼun discours amoureux) sein erfolgreichstes Buch. Im selben Jahr stürzt ihn der Tod der Mutter in tiefe Depressionen. Sein Vorhaben, einen Roman zu schreiben, verwirklicht er nicht mehr. Roland Barthes stirbt am 26. März 1980 im Alter von 64 Jahren an den Folgen eines Verkehrsunfalls.


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