Aristoteles
Rhetorik
Reclam, 2012
Was ist drin?
Wie man mit Worten überzeugt – von einem, dessen Schriften sich Jahrtausende gehalten haben.
- Philosophie
- Griechische Antike
Worum es geht
Mit Reden überzeugen
Ein guter Redner muss dreierlei im Griff haben, sagt Aristoteles: seine Rede, sein eigenes Auftreten und das Publikum. Fachliche Kompetenz allein reicht also nicht aus, es kommt auch auf das Wie des Vortrags an. Ob im Rahmen von Festen, bei politischen Beratungen oder vor Gericht: Reden können große Wirkung entfalten und sind ein wichtiges politisches Werkzeug. Auftreten, Stil, Aufbau und Inhalt müssen genau auf das Publikum und das Thema abgestimmt sein, um die gewünschte Wirkung zu erreichen. Sprachliche Figuren, Auszüge aus der Argumentationslehre und Tricks zum Umgang mit gegnerischen Rednern sind nur einige der Hinweise, die der antike Denker auch heutigen Rednern mit auf den Weg geben kann. Doch sein Regelwerk geht darüber hinaus: Es vermittelt grundlegende psychologische Kenntnisse, liefert juristische Definitionen und betont immer wieder die moralische Verantwortung, sein Können niemals dazu einzusetzen, die Wahrheit zu verschleiern, sich selbst einen Vorteil zu verschaffen oder das Publikum zu verwirren. Diese Aspekte sind es vor allem, die den ungebrochenen Reiz des wohl bekanntesten Fachbuchs über die Redekunst ausmachen.
Take-aways
- Aristoteles’ Rhetorik gilt als das bedeutendste antike Fachbuch über die Redekunst.
- Inhalt: Die Rhetorik bietet zahlreiche Möglichkeiten, bei Fest-, Beratungs- oder Gerichtsreden stilistisch sicher und mit größtmöglicher Wirkung aufzutreten. Wichtig ist, dass der Redner glaubwürdig und integer ist und dass er es schafft, Emotionen in den Zuhörern hervorzurufen und überzeugende Argumente zu finden.
- Aristoteles analysiert die psychologische Wirkung von Sprache und stellt an jeden, der rhetorische Mittel einsetzt, den Anspruch moralischer Integrität.
- Vor und nach Aristoteles wurden andere Rhetorikhandbücher verfasst, die sich jedoch hauptsächlich auf die stilistischen Aspekte guter Reden konzentrierten.
- Die Rhetorik war eine Vorlesungsschrift, die Aristoteles nach und nach ergänzte.
- Aufgrund seiner Entstehung ist der Text voller Sprünge in der Argumentation.
- Aristoteles’ Lehrer Platon sah in der sophistischen Rhetorik eine „Scheinkunst“, die nur auf die Manipulation des Publikums aus sei.
- Dieses Urteil wollte Aristoteles mit seiner Rhetorik entkräften: Richtig eingesetzt, könne die Rhetorik helfen, die Wahrheit zu finden und für Gerechtigkeit zu sorgen.
- Lange Zeit führte die Schrift im Vergleich zu anderen aristotelischen Werken ein Schattendasein.
- Zitat: „Die Rhetorik sei also als die Fähigkeit definiert, das Überzeugende, das jeder Sache innewohnt, zu erkennen.“
Zusammenfassung
Was ist Rhetorik?
Die Rhetorik kann für jede Wissenschaft und jedes Themengebiet eingesetzt werden, vor allem aber dann, wenn es um einen Streitfall vor Gericht geht. Viele Theorien zur Redekunst setzen sich allerdings nur damit auseinander, wie man die Richter verwirrt. Hier soll es vielmehr darum gehen, mit welchen Mitteln man sein Gegenüber überzeugt, dass ein bestimmter Sachverhalt vorliegt oder nicht. Im Idealfall wären die Gesetze eines Staates so gut, dass Richter möglichst wenig abzuwägen hätten. Das ist jedoch utopisch, da die allgemeinen Gesetze nicht jedem Einzelfall gerecht werden können. Das Gerichtsverfahren ist also die zweitbeste Lösung.
„Die Rhetorik ist ein Gegenstück zur Dialektik. Denn beide behandeln solche Themen, deren Erkenntnis gewissermaßen allen Wissenschaftsgebieten zuzuordnen ist und keinem bestimmten.“ (S. 7)
In dieser Abhandlung geht es um Argumente und Beweise, also um Schlussverfahren, die zu Wahrheit und Gerechtigkeit führen. Ein Redner überzeugt durch seinen Charakter, seine Wirkung auf die Zuhörer und durch seine Rede selbst. Er muss also glaubwürdig und integer wirken und es schaffen, Emotionen in den Zuhörern hervorzurufen und überzeugende Argumente finden. Als solche Kunst steht die Rhetorik der Dialektik und der Ethik nahe.
Beratungs-, Fest- und Gerichtsreden
Es gibt drei Arten von Reden: Beratungs-, Fest- und Gerichtsreden. Bei der Beratungsrede, zum Beispiel in einem politischen Gremium, geht es darum, zu einem Vorhaben zu raten oder von diesem abzuraten. In der Festrede darum, jemanden zu loben oder zu tadeln. Die Gerichtsrede schließlich hat das Ziel, eine Tat in der Vergangenheit anzuklagen oder zu verteidigen.
„Die Rhetorik sei also als Fähigkeit definiert, das Überzeugende, das jeder Sache innewohnt, zu erkennen.“ (S. 11)
In der Beratungsrede werden Vor- und Nachteile abgewogen, in der Festrede wird über Ehrenhaftigkeit und Schande geurteilt und in der Gerichtsrede Recht und Unrecht einander gegenübergestellt. Die Beratungsrede dreht sich immer um Güter und Übel, die tatsächlich eintreten könnten, aber nicht eintreten müssen, deren Eintreten oder Ausbleiben wir folglich beeinflussen können. Alle Menschen streben bestimmte Ziele an. Das höchste Ziel ist die Glückseligkeit, die natürlich für jeden Menschen anders definiert sein kann. Übliche Teile der Glückseligkeit sind zum Beispiel: Reichtum, viele Freunde, Gesundheit, Ansehen, Tugend oder Ruhm. Damit ist auch das Ziel der Beratungsrede klar: Es geht darum, aufzuzeigen, wie Güter erlangt und Übel vermieden werden, und darum, wie man das eine und das andere richtig abwägt.
„Daraus ergibt sich, dass die Rhetorik gewissermaßen ein Schössling der Dialektik und der Beschäftigung mit Ethik ist, die die Bezeichnung ,Staatskunst‘ verdient.“ (S. 13)
Themen der Festrede sind Tugend und Laster. Wer eine solche Rede hält, muss wissen, welche Taten und Eigenschaften lobenswert sind. Zentral sind hier natürlich die Tugenden: Gerechtigkeit, Tapferkeit, Mäßigung, Großzügigkeit, Sanftmut, Weisheit und dergleichen.
In der Gerichtsrede geht es um Anklage und Verteidigung, um Prämissen und Schlussfolgerungen, und darum, aus welchen Motiven, in welcher Verfassung und wem gegenüber Menschen Unrecht begangen haben. Unrecht tut der, der jemand anderem willentlich und gegen das geschriebene oder ungeschriebene Gesetz Schaden zufügt. Die wichtigste Triebfeder ist hierbei die Lust. Bevor Menschen Unrecht tun, haben sie erwogen, ob und wie sie die Tat ausführen können, wie groß die Gefahr ist, erwischt werden und ob der Vorteil, der ihnen aus der erwächst, eine mögliche Strafe lohnen würde.
„Nahezu jedem liegt privat und öffentlich ein Ziel vor Augen, welches zu erreichen sein Streben und Meiden bestimmt. Das sind hauptsächlich die Glückseligkeit und ihre Bestandteile.“ (S. 24)
In Gerichtsverhandlungen wird über Taten verhandelt, die sich entweder gegen Einzelpersonen oder gegen die Gemeinschaft gerichtet haben und die der Täter unwissentlich, unter Zwang oder willentlich ausgeführt hat, wobei Letzteres entweder aus einer bewussten Überlegung oder aus dem Affekt heraus geschehen sein kann. Anklage und Verteidigung können nun unterschiedlich argumentieren, zum Beispiel dahingehend, dass der Angeklagte die Tat zwar begangen hat, aber nicht willentlich. Da die Gesetzgebung nie vollständig sein kann, müssen Lücken interpretiert und anhand allgemeiner Richtlinien gefüllt werden. So ist zum Beispiel Nachsicht geboten, wenn eine Tat von jemandem begangen wurde, der sich davor nie etwas hat zuschulden kommen lassen. Im umgekehrten Fall gilt: Wenn jemand besonders rücksichtslos Unrecht begeht oder bereits mehrfach straffällig geworden ist, kann die Strafe umso höher ausfallen.
„Daher tun die Menschen mit Notwendigkeit alles, was sie tun, aus sieben Ursachen: Zufall, Natur, Gewalt, Gewohnheit, Überlegung, Affekt und Begierde.“ (S. 50)
In der Gerichtsrede können insgesamt fünf Arten von Beweismitteln herangezogen werden: Gesetze, Zeugen, Verträge, Folter und Eide, wobei die Gesetze die wichtigsten sind. Die Gültigkeit geschriebener Gesetze kann jedoch genauso wie jene ungeschriebener Gesetze angezweifelt werden. So können zum Beispiel die Gegebenheiten, die Ausgangspunkt für das Gesetz waren, gar nicht mehr der aktuellen Realität entsprechen. Oder ein Gesetz kann einem anderen widersprechen.
Emotionen wecken
Beweise, Argumente und Zeugen nützen wenig, wenn der Redner nicht glaubwürdig ist. Im besten Fallen wirkt der Redner auf die Zuhörer kompetent, redlich und wohlwollend. Besonders wichtig ist, dass es ihm gelingt, Emotionen zu wecken. Dazu muss man wissen, woraus sich diese Emotionen ergeben und auf welche Personen oder Sachen sie sich in der Regel beziehen. Diese Fragen lassen sich für die verschiedenen Emotionen wie etwa Zorn, Sanftmut, Scham, Furcht, Zuversicht, Mitleid, Neid oder Entrüstung analysieren. Die Erkenntnisse hieraus setzt man dann wiederum ein, um das Publikum zu beeinflussen, seinen Zorn auf einen bestimmten Sachverhalt zu lenken oder um es milde zu stimmen. Mitleid kann man etwa dadurch erzeugen, dass man die Zuhörer darauf hinweist, dass sie selbst oder ihnen nahestehende Personen ein ähnliches Übel wie das besprochene treffen könnte. Menschen unterscheiden sich stark in ihren Affekten – je nach Lebensalter, Charakter und Lebensumständen sind sie für verschiedene Emotionen anfällig. Junge Menschen lassen sich schnell mitreißen und von ihren Begierden leiten, ältere sind eher misstrauisch und wägen ihre Vorteile ab.
„Am ehesten für fähig, straflos Unrecht zu tun, halten sich diejenigen, die reden können, Männer der Tat und prozesserfahren sind, falls sie dazu noch viele Freunde haben und reich sind.“ (S. 58)
Jede Form der Rede beschäftigt sich mit dem Möglichen und dem Unmöglichen, und es gelten bestimmte Regeln bezüglich dessen, was möglich ist. Auf diese Regeln kann man sich in Reden stützen, um etwas nachzuweisen – zum Beispiel, dass, wenn eine Ursache immer ein bestimmtes Ereignis nach sich zieht und ebendiese Ursache vorliegt, notwendig auch die entsprechende Folge eintritt oder eingetreten ist. Dabei muss unterschieden werden zwischen Notwendigkeit und großer Wahrscheinlichkeit: Wenn zum Beispiel jemand ein Motiv und die Möglichkeiten hatte, eine Tat zu begehen, ist er mit großer Wahrscheinlichkeit auch der Täter – aber eben nicht notwendigerweise.
Überzeugungsmittel
Die wichtigsten Werkzeuge der Rhetorik sind das Beispiel und das Enthymem. Ein Beispiel funktioniert über Induktion, indem man nachweist, dass es in der Vergangenheit viele andere Fälle gab, die ähnlich lagen. Beispiele können entweder „erdichtet“ sein oder sich auf Vergangenes beziehen. Unter den erdichteten Beispielen unterscheidet man das Gleichnis und die Fabel. Das Gleichnis stellt fest, dass ein bestimmter Sachverhalt einem anderen Sachverhalt ähnelt. Die Fabel erzählt eine Geschichte, an deren Ende eine Lehre steht, die sich auf den vorliegenden Fall übertragen lässt. Erdichtete Beispiele eignen sich vor allem für Reden ans Volk; der Redner benötigt jedoch philosophische Grundkenntnisse, um geeignete Geschichten erdichten zu können.
„Überhaupt muss man hier ja annehmen, dass man wegen derjenigen Dinge, die man für sich selbst fürchtet, dann, wenn sie andere treffen, Mitleid hat.“ (S. 102)
Ein Enthymem, eine Art Syllogismus, besteht aus Prämissen und einer Schlussfolgerung. Ein Enthymem weist nach, dass bei Vorliegen bestimmter Gegebenheiten mit hoher Wahrscheinlichkeit eine bestimmte Folge eintritt. Wie die Beispiele werden Enthymeme zur Beantwortung von Fragen eingesetzt, die so oder anders beantwortet werden können, in denen es also lediglich um Wahrscheinlichkeiten geht. Enthymeme beruhen meist auf Indizien, wobei nur diejenigen, die notwendig wahr sind, Beweise sind. Alle anderen schließen entweder vom Allgemeinen auf das Besondere („Jemand hat Fieber, also ist er krank.“) oder vom Besonderen auf das Allgemeine („Sokrates war nicht nur weise, sondern auch gerecht – also sind alle Weisen gerecht.“). Beispiele dagegen schließen immer nur von einem Teil auf einen anderen Teil („Dionysos will Tyrann werden, da er eine Leibwache fordert; denn genauso machte es bereits Peisistratos.“). Am besten gefallen den Zuhörern diejenigen Enthymeme, deren Schlussfolgerung sie bereits absehen können, und alle diejenigen Argumente, die auf Gegensätzen beruhen.
„Weiters pflegt die Jugend mehr als die übrigen Lebensalter Freundschaft und Kameradschaft, weil sie am Leben in Gemeinsamkeit ihre Freude hat und noch nichts nach dem Nutzen beurteilt, also auch ihre Freunde nicht.“ (S. 111)
Was in der Rhetorik immer wieder Verwendung findet, sind allgemeine oder auch fachspezifische Muster von Aussagen, sogenannte Topoi. Der Topos des Mehr und Weniger kann zum Beispiel eingesetzt werden, wenn man Licht auf den Charakter eines Menschen werfen möchte: Wenn er schon zu einer kleinen Untat bereit ist, was geschieht dann erst, wenn er die Möglichkeit zu einem schweren Verbrechen bekommt? Weitere Topoi: Vorwürfe können auf Trugschlüssen beruhen; etwas kann, obwohl alles darauf hindeutet, doch falsch sein; Dinge können auch einfach durch Zufall geschehen usw. Diese und andere Topoi bieten einen Fundus an Beweisstrategien, die je nach Bedarf mit Inhalten gefüllt werden können.
„Da es aber wirkliche und scheinbare Syllogismen geben kann, muss es auch wirkliche und scheinbare Enthymeme geben, weil ja das Enthymem eine Art Syllogismus ist.“ (S. 143)
Gegen beweisende Argumente kann man Einwände vorbringen, und zwar auf vier Arten: indem man das Vorliegen der Sachlage leugnet, indem man gute Gründe für die gegenteilige Sachlage vorbringt, indem man zeigt, dass die vorliegende Sachlage auch andere Folgen haben kann, und indem man eine Diskrepanz zu zurückliegenden Entscheidungen aufzeigt. Anklagen beruhen meistens auf Wahrscheinlichkeiten und sind deshalb angreifbar: Der Verteidigung genügt ein Gegenbeispiel, um die Strategie auszuhebeln.
Ausdruck und Stil
Der Redner muss bei seinem Vortrag auf die Lautstärke, den Tonfall und den Rhythmus achten. Obwohl eigentlich die objektiven Fakten im Vordergrund stehen sollten, darf man die Wirkung dieser Elemente nicht unterschätzen. Der Sprachstil sollte möglichst klar sein und, wenn möglich, bekannte und gebräuchliche Begriffe verwenden. Die beste Wirkung wird erzielt, wenn der Redner natürlich wirkt und die übliche Umgangssprache nutzt. Zum besseren Verständnis können Metaphern und Analogien eingesetzt werden – von diesen abgesehen aber hat die poetische Sprache in der Rhetorik keinen Platz, da sie meist unpassend, lächerlich oder geschwätzig wirkt.
„Daher ist klar, dass alles, was als Metapher Beifall findet, dies auch als Gleichnis tun wird und Gleichnisse Metaphern sind, die eines (erklärenden) Wortes bedürfen.“ (S. 162)
Grundsätzlich gilt: Je nach Redeform und Publikum muss die rechte Mitte zwischen den beiden Polen Sachlichkeit und Vortragskunst gewählt werden. Bei einer Rede vor der breiten Masse kommt es eher auf Pathos, Unterhaltungswert und emotionalen Stil an, vor Gericht auf den objektiven Gehalt der Argumente. Vor allem sollten Anfang und Ende für den Zuhörer klar erkennbar sein, damit das Gesagte einen Rahmen bekommt. Sätze sollten nicht zu lang und nicht zu kurz sein, damit sie als Einheiten der Rede erkennbar und verfolgbar bleiben. Ideal ist eine antithetische Redeweise, die Sachverhalte, Folgen oder Vorgänge gegenüberstellt, etwa so: „Die einen von ihnen gingen jämmerlich zugrunde, die anderen wurden schimpflich gerettet.“ Esprit hat eine Rede dann, wenn die Zuhörer etwas dazulernen und zum Beispiel durch eine Metapher zu einer neuen Erkenntnis kommen.
Gliederung
Jede Rede lässt sich grob in zwei Teile gliedern: die Vorstellung des Themas (Prothetis) und das Vorbringen der Beweise (Pistis). Hinzu kommen in den meisten Fällen noch ein vorangestellter Prolog oder Prooimion und ein abschließender Epilog. Häufige Bestandteile von Reden sind die Verleumdung anderer Redner und die Verteidigung gegen Angriffe, entweder durch die Entkräftung der Vorwürfe oder durch einen Gegenangriff.
„Was Scherze betrifft: Da sie in Debatten einigen Nutzen zu haben scheinen, soll man, so sagte Gorgias, den Ernst der Gegner durch Gelächter, ihr Gelächter durch Ernst zunichte machen – und er hat Recht damit.“ (S. 200)
Erzählungen sollten immer lang genug sein, um einen Sachverhalt klar darzustellen, aber kurz genug, um die Aufmerksamkeit des Publikums zu behalten. Die Absicht des Redners und seine ethische Grundhaltung sollten jederzeit erkennbar und für das Publikum glaubhaft sein. Eine Rede sollte man immer so aufbauen, dass man die Argumente des Gegners wirksam entkräften und seine eigenen bestmöglich darstellen kann. Fragen können, an der richtigen Stelle und in Maßen eingesetzt, helfen, den Gegner in die Enge zu treiben. Der Epilog sollte dazu genutzt werden, sich selbst zu loben und den Gegner zu tadeln, die eigenen Argumente nochmals zu steigern und die des Gegner abzuschwächen, im Zuhörer bestimmte Emotionen zu wecken und zuletzt das Gesagte noch einmal zusammenzufassen.
Zum Text
Aufbau und Stil
Die Rhetorik ist, wie alle erhaltenen Werke von Aristoteles, eine Art lebendige Lehrschrift, die während der Vorlesungstätigkeit entstand und je nach Bedarf erweitert oder geändert wurde. Daraus erklären sich die zahlreichen Gedankensprünge im Text, die die Argumentationslinie häufig durchbrechen. Womöglich wurden Teile der Schrift auch von Schülern ergänzt. Bei diesen konnte Aristoteles bereits Grundkenntnisse in Rhetorik voraussetzen, etwa im Hinblick auf den formalen Aufbau einer Rede oder auf die stilistischen Mittel. Diese sollte auch der moderne Leser kennen, um den Gedankengängen der Rhetorik folgen zu können. Die Schrift ist in drei Bücher oder Kapitel gegliedert, wobei die beiden ersten gegenüber dem dritten deutlich mehr Raum einnehmen. Im ersten Buch behandelt Aristoteles die theoretischen Grundlagen der Redekunst und erklärt die wichtigsten Begriffe, um dann im zweiten an praktischen Beispielen zu zeigen, wie man die Emotionen des Publikums beeinflusst und mit welchen Mitteln man überzeugt. Das dritte Buch behandelt Stil und Aufbau einer gelungenen Rede. Aristoteles belegt die meisten seiner Ausführungen mit Beispielen aus der griechischen Literatur und aus berühmten Reden – diese Beispiele sind ohne Griechischkenntnisse allerdings oft schwer nachvollziehbar.
Interpretationsansätze
- Seit Platon musste sich die Redekunst, insbesondere die der Sophisten, gegen den Vorwurf wehren, auf Manipulation des Publikums aus zu sein. Aristoteles bringt zur Verteidigung der Rhetorik eine ethische Komponente in die Aufgabe des Redners ein. Damit wendet er sich gegen die von Platon kritisierte sophistische Kunst der Überredung, wie sie etwa von Gorgias gelehrt wurde.
- Im Zentrum jeder Rede sollen gemäß Aristoteles gute und schlüssige Argumente stehen – stilistische Mittel und das Auftreten des Redners sind nur Beiwerk, das den Inhalt transportieren soll. Aristoteles’ Rhetorik geht damit weit über eine reine Stillehre und den Charakter eines praktischen Handbuchs hinaus.
- Die Rhetorik ist eingebettet in das Wissenschaftssystem des Aristoteles. So wird die Disziplin der Rhetorik bereits im ersten Satz als „Gegenstück zur Dialektik“ bezeichnet. Daneben steht das Werk in engem Zusammenhang zur Topik, auf die sich Aristoteles an zahlreichen Stellen im Text bezieht und in der er noch weit mehr Topoi aufzählt als in der Rhetorik, nämlich mehrere Hundert.
- Zu einem wesentlichen Teil behandelt die Rhetorik auch psychologische Fragen: Was motiviert Menschen, warum begehen sie Unrecht, und welche Emotionen lassen sich durch Sprache wecken und verstärken? Diese Themen sind vor allem in den letzten Jahrzehnten wieder ins Zentrum des Interesses gerückt und in den Erziehungswissenschaften und der Linguistik vertieft worden, zum Beispiel im Zusammenhand mit dem Neuro-Linguistischen Programmieren (NLP).
- In engem Zusammenhang mit den psychologischen Fragen bietet Aristoteles in der Rhetorik auch zahlreiche juristische Definitionen, die bei der Beweisführung vor Gericht helfen sollen, zum Beispiel: „Unrecht tun ist willentliches Zufügen von Schaden wider das Gesetz.“
Historischer Hintergrund
Von der griechischen Antike zum Hellenismus
Griechenland bestand im vierten Jahrhundert v. Chr. aus einer Ansammlung verschiedener Staaten, unter denen Athen bis zum fünften Jahrhundert v. Chr. eine Vormachtstellung innegehabt hatte, die es jedoch infolge wiederholter Auseinandersetzungen mit seinem Nachbarn Sparta nach und nach verlor.
Mitte des vierten Jahrhunderts stieg ein neuer Stern am politischen Himmel Griechenlands auf: Der makedonische Prinz Philipp II. bestieg den Thron. Er nutzte die Streitigkeiten unter den griechischen Staaten geschickt für sich und stellte in kürzester Zeit ein schlagkräftiges Heer auf, mit dem er nacheinander Thessalien, Thrakien und im Jahr 338 v. Chr. schließlich Athen unterwarf. Nach diesem Sieg gründete Philipp den Korinthischen Bund, dem er fortan als Hegemon vorstand. Nach seiner Ermordung im Jahr 336 v. Chr. verfolgte Philipps Sohn Alexander der Große dessen Expansionspläne weiter und dehnte das Reich während seines legendären Feldzugs bis nach Indien aus. Die Herrschaft Alexanders gilt als Wendezeit von der klassischen griechischen Antike zum Hellenismus.
Die Phase des politischen Niedergangs Athens markiert zugleich das Ende der kulturellen Blütezeit des Stadtstaats, die ihren Höhepunkt im fünften Jahrhundert mit den Werken der großen Dramatiker Sophokles (Tragödie) und Aristophanes (Komödie) und des Geschichtsschreibers Herodot sowie der Philosophen Sokrates, Platon und Aristoteles gefunden hatte. Im Hellenismus wurde die griechische Kultur jedoch in der gesamten damals bekannten Welt verbreitet und blieb bis zum Aufstieg Roms und darüber hinaus wegweisendes Vorbild in Literatur, bildender Kunst und Philosophie.
Entstehung
Die Rhetorik war, als Aristoteles sich damit beschäftigte, bereits eine alte Kunst: Schon Homer weist in der Ilias darauf hin, dass eine gute Rede ein wirkmächtiges politisches Mittel sein kann. Später versuchten verschiedene Denker, der Rhetorik ein Regelwerk zugrunde zu legen. Ein berühmter Redner war der Sophist Gorgias, der sein Publikum gekonnt mit Sprachfiguren und rhetorischen Kniffen auf seine Seite zog. Das brachte ihm die Kritik von Platon ein. Platon meinte, man dürfe die Zuhörer nie mit Tricks, sondern nur durch das Gute und Wahre überzeugen. Gorgias’ Schüler Isokrates wiederum gründete selbst eine Rhetorikschule. Sein rhetorisches Programm wurde von den Zeitgenossen begeistert aufgenommen.
Aristoteles suchte wie Isokrates nach einem Weg, Philosophie und Rhetorik wieder miteinander zu versöhnen und Platons Vorbehalte zu widerlegen. Seine Rhetorik entstand wahrscheinlich in der Zeit zwischen 340 und 335 v. Chr. Aristoteles lehrte in diesen Jahren in der platonischen Akademie und befasste sich intensiv mit dem Thema Rhetorik – sowohl in seinen Vorlesungen als auch in weiteren Werken wie dem Dialog Gryllos und der Schrift Theodekteia, die allerdings nur in Fragmenten erhalten sind.
Wirkungsgeschichte
Nach Aristoteles wurden in Griechenland weitere Rhetorikhandbücher verfasst, die sich vor allem den stilistischen und formalen Aspekten einer guten Rede widmeten. Zu den bekanntesten und einflussreichsten zählen die Schriften von Demetrios von Phaleron und Hermagoras. Auch Aristoteles’ Schüler setzten sich weiter mit dem Themengebiet auseinander, so zum Beispiel Eudemos und Theophrastos.
Danach wurde das Original kaum noch rezipiert – Aristoteles’ Gedanken wurden, wenn überhaupt, nur als Zitate ohne Zusammenhang weitergegeben. Das führte zu dem erstaunlichen Ergebnis, dass die aristotelische Rhetorik auf den größten Redner der Antike, Cicero, kaum Einfluss hatte. Auch Quintilian kannte Aristoteles’ Rhetorik offenbar nicht aus erster Hand, sondern nur durch Sekundärquellen, wie die wenigen und ungenauen Aristoteles-Zitate in seinem Rhetorik-Werk Institutio oratoria belegen.
Erst im 13. Jahrhundert setzte mit der Wiederentdeckung von Aristoteles’ Schriften eine Auseinandersetzung auch mit der Rhetorik ein, wenn auch nicht im gleichen Umfang wie mit anderen Schriften des antiken Denkers. Dennoch gilt die Rhetorik heute als das wichtigste Rhetorik-Fachbuch der Antike. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Forschung – auch vor der Hintergrund eines wahren Rhetorikbooms in der populärwissenschaftlichen Literatur – intensiv mit dem Werk auseinandergesetzt. Viele der von Aristoteles behandelten Themen und Regeln stehen auch in heutigen Rhetorikseminaren auf dem Lehrplan.
Über den Autor
Aristoteles wird 384 v. Chr. in Stageira auf der makedonischen Halbinsel Chalkidike geboren. Er entstammt einer angesehenen Familie und hat von früher Jugend an Zugang zum naturwissenschaftlichen Wissen seiner Zeit. Sein Vater ist Leibarzt des makedonischen Königs. Auch Aristoteles soll Arzt werden und beginnt bereits als Jugendlicher seine Studien an Platons Akademie in Athen. Dort verbleibt er fast 20 Jahre, erst als Schüler, später als Forscher und Lehrer. Als nach Platons Tod dessen Neffe Speusippos zum Nachfolger bestimmt wird, verlässt Aristoteles Athen und geht ins kleinasiatische Assos (in der heutigen Türkei) an den Hof des Hermias, eines früheren Mitschülers, mit dem er befreundet ist. Er heiratet dessen Nichte und Adoptivtochter Pythias. Fünf Jahre später, 342 v. Chr., wird Aristoteles zurück an den Hof Philipps von Makedonien gerufen, um den jungen Kronprinzen Alexander, der später als „der Große“ in die Geschichte eingehen wird, zu unterrichten. Nach der Ermordung Philipps wird Alexander 335 v. Chr. makedonischer König, und Aristoteles kehrt nach Athen zurück, wo er das Lykeion gründet. Diese Bildungsstätte wird auch als die Schule der Peripatetiker (Wandelschule) bekannt, weil die Gespräche zwischen Schülern und Lehrern oft beim Spazieren in den schattigen Laubengängen auf dem Schulgelände stattfinden. Aristoteles befasst sich mit fast allen Wissenschaften und Künsten, er verfasst Werke zu so unterschiedlichen Wissensgebieten wie Physik, Chemie, Biologie, Zoologie, Botanik, Psychologie, Politikwissenschaft, Metaphysik, Ethik, Logik, Geschichte, Literatur und Rhetorik und setzt dabei auf mehreren Gebieten wichtige Grundpfeiler für die westliche Philosophie. Nach Alexanders Tod im Jahr 323 v. Chr. muss Aristoteles Athen wegen der starken antimakedonischen Stimmung verlassen. Wie vor ihm Sokrates wird er offiziell der Gottlosigkeit angeklagt. Daraufhin zieht er sich auf das Landgut seiner Mutter in Chalkis auf der griechischen Insel Euböa zurück. Dort stirbt er 322 v. Chr. im Alter von 62 Jahren.
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