- Roman
- Gegenwartsliteratur
Worum es geht
Das Echo der Gaskammern
Kann man über den Holocaust schreiben, ohne ihn zu verharmlosen? Ohne ihn in eine Schublade zu stecken: Zivilisationsbruch, Tiefpunkt der menschlichen Geschichte, Hölle? Imre Kertész benennt nicht und verteilt keinen Stempel. Er lässt seinen Erzähler nicht urteilen, nicht bewerten. Er lässt ihn die Welt im Konzentrationslager registrieren, beobachten, erleiden – sonst nichts. So gelingt etwas, was Literatur nur selten gelingt: Wir, die wir lesen, haben zwar Vorwissen und lernen doch völlig neu. Wir glauben ein Bild zu haben, erhalten aber beim Lesen zum ersten Mal wirklich ein Bild. Was der Roman eines Schicksallosen hinterlässt, ist eine tiefe Beunruhigung. Denn wir sehen mit den Augen eines unschuldigen Kindes, das einzig den Wunsch hat, sich einzuordnen, in den Abgrund sorgsam geplanten Massenmords. Das Unfassbare wird buchstäblich fassbar, indem wir es miterleben. Verständlicher wird es dadurch nicht – doch indem wir sehen, was möglich war, wissen wir, was immer möglich sein wird. Kertész macht Auschwitz zum Alltag. Das ist unbequem – aber notwendig.
Zusammenfassung
Über den Autor
Imre Kertész wird am 9. November 1929 in der ungarischen Hauptstadt Budapest geboren. Als einziges Kind jüdischer, kleinbürgerlicher Eltern wächst er nach deren Scheidung beim Vater und dessen neuer Frau auf. 1944 wird Kertész im Zuge der Judendeportationen über Auschwitz nach Buchenwald und in das benachbarte Konzentrationslager Zeitz verschleppt. 1945 wird er durch amerikanische Soldaten befreit. Er kehrt zurück nach Budapest, wo er bei seiner Mutter lebt und 1948 sein Abitur macht. Im Anschluss arbeitet er für eine Zeitung, die schon bald zum Parteiorgan der ungarischen Kommunisten wird. Kertész wird wegen mangelnder Gesinnung entlassen. 1951 tritt er seinen Militärdienst an, unter anderem als Aufseher in einem Gefängnis. Ab 1953 arbeitet er als freiberuflicher Autor für Musical- und Boulevardtheater. 1960 beginnt er die 13-jährige Arbeit an seinem Roman eines Schicksallosen, dem Bericht eines 14-Jährigen, der Auschwitz und Buchenwald überlebt. Seinen Lebensunterhalt verdient er als Übersetzer deutscher Literatur und Philosophie, unter anderem von Nietzsche, Hofmannsthal, Freud, Canetti, Wittgenstein und Schnitzler. Roman eines Schicksallosen erscheint 1975, 1988 folgt Fiasko und 1990 Kaddisch für ein nicht geborenes Kind. Der internationale Durchbruch gelingt Kertész erst 1996 mit der deutschen Neuübersetzung seines Erstlingswerks. Kertész verfasst eine Reihe Erzählungen, autobiografische Schriften und Essays. 2002 erhält er nach verschiedenen anderen Auszeichnungen den Nobelpreis für Literatur. Von 2001 bis 2014 lebt er in Berlin. Der dortigen Akademie der Künste überlässt er einen Großteil seiner Manuskripte für ein Archiv unter seinem Namen. 2012 zieht Kertész, an Parkinson erkrankt, mit seiner zweiten Frau zurück nach Budapest, wo er am 31. März 2016 stirbt.
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