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Romeo und Julia auf dem Dorfe

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Romeo und Julia auf dem Dorfe

Insel Verlag,

15 Minuten Lesezeit
12 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

In Kellers berühmter Novelle gehen zwei junge Liebende am Gewinnstreben ihrer Eltern zugrunde.


Literatur­klassiker

  • Novelle
  • Realismus

Worum es geht

Eine Schweizer Dorftragödie

Die Geschichte zweier Liebender, die wegen ihrer verfeindeten Eltern nicht glücklich werden können, ist uralt und doch immer wieder in modernem Gewand anzutreffen: Im diesem Fall hat der Schweizer Autor seinen Romeo und seine Julia in ein schweizerisches Dörfchen verpflanzt, das zwar erfunden ist, aber durchaus existieren könnte. Es ist eine - vordergründig - idyllische Szene: Zwei Bauern führen mit ihren Familien ein glückliches und zufriedenes Leben - bis ihnen Habgier und Gewinnstreben in die Quere kommen. Sie bekämpfen sich bis aufs Blut und reißen auch ihre Kinder mit ins Unglück. Das junge Liebespaar hat am Ende keine andere Wahl, als sich das Leben zu nehmen, so hoffnungslos ist ihre Lage. Gottfried Keller hatte in der Zeitung von einem jungen Pärchen gelesen, das sich umgebracht hatte, weil es nicht heiraten durfte, und diese Meldung inspirierte ihn zu seiner Novelle Romeo und Julia auf dem Dorfe. Der Text ist ein einfühlsames und menschliches Porträt zweier Familien, die mancher Leser vielleicht so ähnlich selbst schon angetroffen hat. Eine klare Lektüre-Empfehlung!

Take-aways

  • Gottfried Keller ist einer der bedeutendsten Autoren des bürgerlichen Realismus im 19. Jahrhundert.
  • Romeo und Julia auf dem Dorfe gehört zu dem Novellenzyklus Die Leute von Seldwyla.
  • Keller verarbeitete in der Erzählung eine wahre Begebenheit, die er einer Zeitungsmeldung entnommen hatte.
  • Zwei benachbarte Bauern leben in Eintracht miteinander, bis sie wegen eines kleinen Stück Ackers einen Streit beginnen.
  • Weil für beide ihr Ansehen das höchste Gut ist, artet der Konflikt zu einer Fehde aus und ruiniert beide Familien.
  • Besonders leiden die Kinder Sali und Vrenchen, die ineinander verliebt sind.
  • Die beiden wissen, dass sie ohne einander nicht leben können, aber auch, dass es für sie keine gemeinsame Zukunft gibt.
  • Am Ende nimmt sich das unglückliche Paar das Leben.
  • Die Novelle ist eine moderne Romeo-und-Julia-Version: Keller versetzt Shakespeares Liebespaar in seine Zeit und lässt es an den herrschenden Werten zugrunde gehen.
  • Der Text verursachte wegen der - nur angedeuteten - Liebesszene hohe Wellen der Empörung, erntete aber auch viel Lob.
  • Der Autor war ein kritischer Zeitgenosse, der für seine Überzeugungen auf die Barrikaden ging: Er kämpfte als Freischärler für eine aufgeschlossene und moderne Schweiz.
  • Eigentlich wollte Gottfried Keller Maler werden. Zum Glück für die Literatur hat er sich dann doch für die Schriftstellerei entschieden.

Zusammenfassung

Eine schweizerische Idylle

Die Szene könnte harmonischer nicht sein: Wenige Kilometer vom Städtchen Seldwyla entfernt an einem Fluss gelegen und in der Nähe eines Wäldchens befindet sich ein Bauerndorf. Zufrieden bearbeiten dort zwei Bauern, Manz und Marti, ihre Äcker. Bekleidet mit robustem Gewand und roter Zipfelmütze, schieben sie den Pflug vor sich her. Ihre Felder sind in etwa gleich groß, getrennt lediglich von einem seit Jahren brachliegenden Acker. Dieser ist überwuchert mit Unkraut und bedeckt mit Steinen, die die Bauern auf ihren eigenen Feldern aufsammeln und auf das ungenutzte Land werfen. Am späten Vormittag unterbrechen die zwei ihre Arbeit, weil ihre Kinder Sali und Vrenchen ihnen das Essen aufs Feld bringen. Genau wie ihre Väter verstehen sich Sali und Vrenchen gut, und so transportieren sie gemeinsam das Essen in einer Schubkarre auf das Feld.

„An einem sonnigen Septembermorgen pflügten zwei Bauern auf zweien dieser Äcker, und zwar auf jedem der beiden äußersten; der mittlere schien seit langen Jahren brach und wüst zu liegen, denn er war mit Steinen und hohem Unkraut bedeckt und eine Welt von geflügelten Tierchen summte ungestört über ihm.“ (S. 9)

Während die Kinder den Vätern beim Essen zusehen, sprechen die Bauern über den brachliegenden Acker. Beide haben vom Bezirksrat das Angebot bekommen, das Feld zu bewirtschaften. Weil aber für die Nutzung eines Ackers natürlich auch Pachtzins anfallen würde, haben beide dankend abgelehnt. Und selbstverständlich wollen sie auch nicht den mittlerweile ziemlich in Mitleidenschaft gezogenen Acker von Steinen befreien, bis sich ein Eigentümer oder Käufer findet. Denn für das Stück Land ist kein rechtmäßiger Besitzer bekannt. Zwar vermuten beide, dass der schwarze Geiger, ein von der Gemeinde Ausgeschlossener, der Erbe des Ackers ist, aber sie wollen so einem Vagabunden kein Besitztum zumuten. Ihrer Meinung nach würde dieser nämlich das Geld für den Acker nur versaufen, und danach wäre flugs alles wieder beim Alten.

„Als nun, mit der letzten Furche zu Ende gekommen, der Knecht des einen halten wollte, rief sein Meister: ‚Was hältst du? Kehr noch einmal um!’ ‚Wir sind ja fertig!’, sagte der Knecht. ‚Halt’s Maul und tu, wie ich dir sage!’ der Meister.“ (S. 18)

Nach dem Essen fangen Sali und Vrenchen an zu spielen, während Manz und Marti wieder an die Arbeit gehen. Auch als beide Felder bestellt sind, hören sie mit der Arbeit nicht auf: Jeder macht nochmals eine Länge mit dem Pflug und zieht dabei eine ansehnliche Furche - und zwar auf dem brachliegenden Feld, das zwischen ihnen liegt. Beide bemerken sehr wohl, was der jeweils andere tut, sagen aber nichts, da sie sich beide unrechtmäßig am ungenutzten Acker zu schaffen machen.

Der Streit beginnt

Ein paar Jahre später: Manz und Marti haben ihre Äcker mittlerweile um ein gutes Stück vergrößert, indem sie bei jeder Ernte ein pflugbreites Stück vom mittleren Feld abgezweigt haben. Der Steinhaufen auf dem verwaisten Feld hat sich indessen zu einem ansehnlichen Turm angehäuft, der so hoch ist, dass sich Sali und Vrenchen nicht einmal mehr sehen können. Die gemeinsamen Spiele der inzwischen herangewachsenen Kinder sind nicht mehr möglich, da Sali seinem Vater auf dem Acker helfen muss und es für Vrenchen äußerst unschicklich wäre, sich mit einem Jungen sehen zu lassen. Trotzdem können es die beiden nicht lassen, sich wenigstens einmal im Jahr oben auf dem Steinhaufen zu treffen und sich gegenseitig herunterzuschubsen.

„Die Gedanken der sonst so wohlweisen Männer waren nun so kurz geschnitten wie Häcksel; der beschränkteste Rechtssinn von der Welt erfüllte jeden von ihnen, indem keiner begreifen konnte noch wollte, wie der andere so offenbar unrechtmäßig und willkürlich den fraglichen unbedeutenden Ackerzipfel an sich reißen könne.“ (S. 24)

Da sich immer noch kein rechtmäßiger Eigentümer für den brachliegenden Acker gefunden hat, entscheidet die Gemeinde, diesen zu versteigern. Nach einem harten Kampf bekommt Manz den Zuschlag. Sofort macht er sich daran, seinen neuen Besitz zusammenzuhalten. Denn kurz vor der Versteigerung hat sich sein Nachbar Marti noch ein großes dreieckiges Stück aus dem Acker angeeignet. Dieses fordert Manz nun zurück - schließlich kann er es nicht dulden, dass sein Feld nicht mehr ganz rechteckig ist, sondern eine eingeschlagene Ecke aufweist. Marti will davon nichts wissen und erwidert Manz, er solle den Acker gefälligst so lassen, wie er ihn gekauft habe. Keinesfalls werde er es dulden, dass das Land auf seiner Seite wieder gerade gemacht werde. Die ehemals guten Nachbarn gehen im Streit auseinander.

Die Fehde eskaliert

Es kommt, wie es kommen muss: Weder Manz noch Marti geben nach. Manz lässt den neu erworbenen Boden bearbeiten und die Steine, die beide Bauern jahrelang darauf geworfen haben, auf das strittige Stück Erde bringen. Beiden Männern geht es um ihre Ehre, beide fühlen sich gekränkt und übertölpelt. Die Uneinigkeit über ein kleines Stück Land artet zu einem Streit aus, der das Leben der beiden Familien grundlegend verändert. Die Bauern verbieten ihren Kindern den Umgang miteinander, und auch ihre Frauen brechen jeden Kontakt ab.

„So war es nun schlimm bestellt um die armen Kinder, welche weder eine gute Hoffnung für ihre Zukunft fassen konnten noch sich auch nur einer lieblich frohen Jugend erfreuten, da überall nichts als Zank und Sorge war.“ (S. 27 f.)

Sogar die anderen Dorfbewohner beteiligen sich an der Fehde, stellen sich hinter den einen oder anderen und wissen ganz genau, wie sie Profit aus der Sache schlagen können: Eine Schar von Ratgebern und Unterhändlern zieht den Bauern das Geld aus der Tasche. Beide verlieren dabei einen Großteil ihres Vermögens, doch anstatt innezuhalten und den Streit, der ihre Familien in den Ruin zu treiben droht, aufzuhalten, lassen sich Manz und Marti auf immer gewagtere Spekulationen ein, um doch noch zum großen Geld zu kommen und es dem anderen heimzuzahlen.

Der Abstieg der Familien

Bereits seit mehr als zehn Jahren bekämpfen sich Manz und Marti nun schon mit allen Mitteln und haben dabei fast ihren ganzen Besitz verloren. Aus den einst stolzen, ehrbaren und respektierten Bauern sind zwei heruntergekommene Spieler und Lumpen geworden. Martis Frau kann diesen Verfall nicht verkraften: Sie stirbt. Die Frau von Manz verändert sich derweilen zu ihren Ungunsten: Sie wird süchtig nach Süßem und beginnt, schlecht über andere zu reden und allerhand Verleumdungsgeschichten in die Welt zu setzen. Auch ihren eigenen Mann hält sie zum Narren; sie macht, was immer sie will, und versucht, aus seiner Raserei Vorteile zu ziehen.

„Ich kenne euch, ihr seid die Kinder derer, die mir den Boden hier gestohlen haben! Es freut mich zu sehen, wie gut ihr gefahren seid, und werde gewiss noch erleben, dass ihr vor mir den Weg alles Fleisches geht!“ (der schwarze Geiger, S. 50)

Natürlich leiden auch Sali und Vrenchen, die sich nun gar nicht mehr sehen, unter der Misere. Besonders für Vrenchen ist die Situation hart. Sie muss nach dem Tod ihrer Mutter ganz allein mit ihrem tyrannischen Vater auskommen und hat die größte Mühe, den Haushalt wenigstens einigermaßen in Schwung zu halten. Von ihrem Vater erhält sie keinerlei Unterstützung. Für Sali ist das Leben nicht ganz so erbärmlich. Er merkt zwar, dass sein Vater und besonders seine Mutter sich peinlich aufführen, und schämt sich dafür. Aber er lässt es sich weiter gefallen, dass er von seiner Mutter umworben und gehegt wird. Sie erfüllt ihm jeden Wunsch und stattet ihn mit schönen Kleidern aus. Obwohl Sali seine Mutter nicht besonders mag, weil sie ihm zu viel schwatzt und lügt, wehrt er sich nicht gegen ihre Schmeicheleien, denn so kann er machen, was er will. Dennoch fühlt er eine eigentümliche Leere in seinem Leben.

„Vorher aber möchte ich einmal, nur einmal recht lustig sein, und zwar mit dir; ich möchte recht herzlich und fleißig mit dir tanzen irgendwo, denn das Tanzen aus dem Traume steckt mir immerfort im Sinn!“ (Vrenchen zu Sali, S. 64)

Weil Frau und Sohn es sich trotz der miesen Lage gut gehen lassen, ist Manz gezwungen, seinen Hof zu verkaufen und in die Stadt zu ziehen. Das Geld reicht für nicht viel mehr als einen heruntergekommenen Gasthof. Der Anblick der Bruchbude ist besonders für Frau Manz ein harter Schlag, hat sie sich doch schon als tüchtige und beliebte Gastwirtin gesehen, die in der ganzen Stadt respektiert wird. Es ist nicht weiter überraschend, dass auch dieser Versuch eines Neuanfangs ins Nichts führt: Die Kneipe läuft überhaupt nicht und die Familie verarmt immer mehr. Um die Zeit totzuschlagen und wenigstens etwas Essbares aufzutreiben, versucht sich Vater Manz mit Sali beim Fischen.

Wiedersehen nach langer Zeit

Manz und Sali machen sich also auf zum Seldwyler Fluss. Dort treffen sie auf Marti. Auch dieser lebt nur noch in den Tag hinein und verbringt seine Zeit mit Fischen. Immer mit dabei hat er Vrenchen, die ihm stundenlang Kübel und Angelrute nachtragen muss. Als die beiden Streithähne aufeinander prallen, beginnen sie sofort, sich aufs Übelste zu beschimpfen. Vrenchen und Sali, die sich nach vielen Jahren zum ersten Mal wiedersehen, sind zunächst erstaunt und fasziniert vom Anblick des jeweils anderen. Sali ist ein großer und stattlicher Mann geworden, Vrenchen eine schöne und schlanke junge Frau. Die beiden sind so befangen, dass sie gar nicht bemerken, wie ihre Väter inzwischen eine Prügelei begonnen haben. Aufgeschreckt durch den Lärm, eilen sie aber schließlich herbei und trennen die beiden Männer.

„Das Gefühl, in der bürgerlichen Welt nur in einer ganz ehrlichen und gewissenfreien Ehe glücklich sein zu können, war in ihm ebenso lebendig wie in Vrenchen (...)“ (über Sali, S. 92)

Wieder zu Hause, geht Sali Vrenchens Gesicht nicht mehr aus dem Sinn. Er fühlt, wie sich die Leere, die er immer verspürt hat, plötzlich auf wundersame Weise mit der Erinnerung an das Mädchen füllt. Er kann nicht anders und macht sich am nächsten Nachmittag auf ins Dorf. Auf dem Weg trifft er ausgerechnet auf Marti, der ihn mit einem bösen Blick anschaut und weitergeht. Sali trifft Vrenchen auf einem Feld an und stellt erleichtert fest, dass sie genauso froh ist, ihn zu sehen. Sie verbringen den Nachmittag in traumhafter Glückseligkeit - bis sie plötzlich auf den schwarzen Geiger treffen. Dieser erkennt die zwei sofort als die Kinder derer, die ihm seinen Acker gestohlen haben. Unumwunden zeigt er seine Schadenfreude darüber, dass es Manz und Marti so schlecht ergangen ist. Auch Sali und Vrenchen, so ist er überzeugt, haben keine erfreuliche Zukunft vor sich.

Sali kämpft mit Marti

Ein wenig erschrecken die Worte des schwarzen Geigers Sali und Vrenchen schon. Sie erholen sich jedoch schnell, vergessen das ungute Gefühl und schwelgen bald wieder im Glück. Die Gespräche im verliebten Plauderton kommen jedoch jäh zum Erliegen, als Sali Vrenchen fragt, ob sie seine Frau werden wolle. Mit einem Schlage wird den beiden bewusst, wie wenig Hoffnung sie sich auf eine gemeinsame Zukunft machen können - dank ihrer zerstrittenen Eltern. Betrübt wollen sie sich auf den Heimweg machen, als plötzlich Vrenchens Vater vor ihnen steht. Der beginnt sofort zu toben und Vrenchen zu schlagen. Sali, wütend und um Vrenchen besorgt, nimmt einen Stein und schlägt damit auf Marti ein, der besinnungslos zu Boden geht.

„Als sie durch die stillen Gassen kamen und an ihren verlorenen Vaterhäusern vorüber, ergriff sie eine schmerzhaft wilde Laune und sie tanzten mit den andern um die Wette hinter dem Geiger her, küssten sich, lachten und weinten.“ (über Sali und Vrenchen, S. 96)

Nachdem er gemerkt hat, was er angerichtet hat, rennt Sali ins Dorf, um Hilfe zu holen. Zuvor macht er jedoch mit Vrenchen ab, dass die beiden niemandem ein Wort davon erzählen, wie es zu dem Vorfall gekommen ist. Am nächsten Tag schleicht Sali wieder ins Dorf und erfährt, dass Marti zwar überlebt hat, aber immer noch ohne Bewusstsein ist. Als der Bauer nach sechs Wochen wieder erwacht, ist er völlig debil geworden. Vrenchen kann gar nichts mehr mit ihrem Vater anfangen, der hilflos wie ein kleines Kind ist. Der Hof wird versteigert und Marti in eine Anstalt gebracht. Vrenchen, nun nicht nur eltern-, sondern auch völlig mittellos, wird sich als Dienstmagd verdingen müssen. Sali stattet seinem geliebten Vrenchen einen letzten Besuch ab, kurz bevor diese ihr Geburtshaus verlassen muss. Beide sehen sehr düster in die Zukunft. Doch bevor Vrenchen ihr Dasein als Bedienstete antritt, möchte sie wenigstens einmal im Leben so richtig unbeschwert feiern. Die beiden beschließen, ein Fest zu besuchen und einen letzten schönen Tag miteinander zu verbringen.

Der letzte Tag

Frohen Mutes und mit einfachen Mitteln aufs Beste herausgeputzt, machen sich die zwei Liebenden auf zur Kirchweih ins nächste Dorf. Unterwegs kehren sie in einen Gasthof ein und lassen es sich gut gehen. Etwas komisch ist Sali und Vrenchen schon zumute, als man sie im Wirtshaus für Brautleute hält, aber es gelingt den beiden, das aufkommende unangenehme Gefühl zu verdrängen und den Tag weiter zu genießen. Gegen Nachmittag auf der Kirchweih angekommen, stürzen sie sich in den Trubel und machen sich am Abend zum Tanzfest auf. Als es aber dann doch unwiderruflich Zeit wird, sich zu trennen, wird Sali und Vrenchen mit einem Schlag bewusst, dass sie nicht ohne einander leben können. Doch für ein Miteinander gibt es auch keine Zukunft. Da tritt der schwarze Geiger auf sie zu und bietet ihnen an, mit ihm und seinen vagabundierenden Freunden in die Berge zu kommen und alle gesellschaftlichen Zwänge und ihre Herkunft hinter sich zu lassen.

„Es ist schon so gut wie getan, es nimmt dich niemand mehr aus meiner Hand als der Tod!“ (Sali zu Vrenchen, S. 99)

Weniger weil sie es wollen, sondern mehr, weil sie es einfach geschehen lassen, gesellen sich Sali und Vrenchen zum schwarzen Geiger und seiner lockeren Truppe. In einer spaßhaften Zeremonie werden die beiden verheiratet und folgen der kleinen Gesellschaft durch die Gassen ihres Heimatdorfes. Von Erinnerungen überwältigt, tanzen Sali und Vrenchen übermütig - bis sie zur Besinnung kommen und sich von den anderen trennen. Für die beiden ist klar, dass dieses Vagabundendasein für sie kein Leben ist, weil sie Vergangenheit und Herkunft nicht einfach hinter sich lassen können. Die Liebenden sehen keinen anderen Ausweg, als miteinander in den Tod zu gehen. Auf einem Heuschiff auf dem Fluss halten sie ihre Hochzeitsnacht und ertränken sich anschließend im kalten Wasser.

Zum Text

Aufbau und Stil

Gottfried Kellers Stil ist auch für heutige Leser relativ leicht zugänglich. Er schreibt in einer lebendigen und farbigen Sprache, mit der er es schon nach wenigen Seiten schafft, den Leser in die Geschichte hineinzuziehen. Herausragend an Kellers Schreibweise ist die Art, wie er seine Figuren zeichnet: deutlich, liebevoll, bisweilen humoristisch oder auch mit tragisch-ironischem Unterton, nie aber bösartig.

Interpretationsansätze

  • Ehre, Ansehen und das Vermehren von Eigentum sind in der Welt der Seldwyler die höchsten Werte. Diese kleinbürgerliche Lebenssicht schnürt die Liebenden in ein Korsett ein, das sie nicht sprengen können und an dem sie am Ende zugrunde gehen.
  • Anders als die unglücklich Liebenden in Shakespeares Romeo und Julia sind Sali und Vrenchen weit davon entfernt, sich gegen die bestehende Ordnung aufzulehnen oder ihr sogar zu entfliehen. Für die Zukunft kommt für sie einzig ein Leben in einer gutbürgerlichen und akzeptierten Ehe in Frage - oder eben gar keines.
  • Bereits im ersten Absatz der Novelle betont Keller die Authentizität der Geschichte: Er habe nicht einfach den Shakespeare’schen Stoff nachgeahmt, sondern wolle anhand einer tatsächlichen Begebenheit zeigen, dass diese Thematik - die Liebe der Kinder scheitert am Hass der Eltern - traurigerweise immer noch nicht ausgestorben sei. In der Tat lässt sich bis heute, in der Literatur wie auch im Leben, dieser Grundstoff für familiäre Konflikte immer wieder antreffen.
  • Der aufmerksame Leser kann beobachten, wie die Vorgänge in der Natur die Handlungen und Empfindungen der Figuren begleiten: Beispielsweise treffen sich die Liebenden anfangs immer an sonnigen Tagen, am Ende ist es tiefe Nacht.
  • Steine als Symbole für die Schwere des Lebens sind im ganzen Werk zu finden: Steine bedecken das Stück Land, um das gestritten wird, mit einem Stein wird Vrenchens Vater bewusstlos geschlagen, und Gefühle, gegen die Sali und Vrenchen machtlos sind, werden mit schweren Steinen verglichen, die auf ihnen lasten.

Historischer Hintergrund

Die Schweiz im 19. Jahrhundert

Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts war die Schweizer Eidgenossenschaft ein loser Staatenbund. Dieses föderalistische Gebilde war weitgehend ländlich, katholisch und konservativ geprägt. Doch die liberaleren, protestantischen und vorwiegend städtischen Kantone wollten aus der Schweizer Eidgenossenschaft eine stärkere Einheit machen und ließen es aus diesem Grund zu, dass Freischarenzüge (nicht vom Staat eingesetzte paramilitärische Gruppen) gegen den konservativen Teil der Schweiz zogen, mit dem Ziel, gewaltsam eine neue und modernere Regierung einzusetzen.

Um den Freischärlern und den freisinnigen Kantonen etwas entgegenhalten zu können, gründeten die katholischen Kantone, darunter die Urkantone Uri, Schwyz und Unterwalden sowie Zug, Luzern und das Wallis, den so genannten Sonderbund. Als die Liberalen davon erfuhren, versuchten sie das Bündnis für ungültig zu erklären und aufzulösen. Der Kanton Zürich war federführend bei dieser Aktion und konnte mit Hilfe der Mehrheit der Liberalen viel Druck auf die Konservativen ausüben. Diese wiederum vertrauten (vergeblich) auf die Hilfe von Österreich und Frankreich und ließen sich auf einen offenen Kampf ein.

So kam es zur bisher letzten kriegerischen Auseinandersetzung auf Schweizer Boden: Unter General Henri Dufour gelang ein Sieg über die Sonderbundstruppen, die konservativen Kantone wurden zur Kapitulation gezwungen. Dieser Bürgerkrieg im Jahr 1847 dauerte nur 27 Tage und verlief relativ unblutig (es gab rund 100 Todesopfer). In der Folge bekam die Schweiz 1848 eine neue Verfassung und wurde vom Staatenbund in einen Bundesstaat überführt. Der Sonderbundskrieg, an dem auch Gottfried Keller als Freischärler teilnahm, markiert somit ein wichtiges Ereignis in der Auseinandersetzung zwischen konservativen und liberalen Kräften.

Entstehung

Als Gottfried Keller im September 1847 in der Zeitung über den Selbstmord eines jungen Pärchens in der Nähe von Leipzig las, entschloss er sich, aus dem Stoff eine Geschichte zu machen. Zuerst wollte er das tragische Ereignis in ein episches Gedicht fassen und begann sogleich mit der Arbeit, gab dieses Unterfangen aber 1848 auf. Er schrieb die Geschichte dann in Prosa als Novelle nieder, vollendete sie aber erst sechs Jahre später. Sie wurde im ersten Teil des Erzählbandes Die Leute von Seldwyla veröffentlicht. Kellers Seldwyla ist ein fiktiver Ort, an dem er nicht nur seine zeitgenössische Romeo-und-Julia-Version, sondern auch die übrigen Erzählungen ansiedelt.

In der ersten Ausgabe von 1856 fügte Keller an den Schluss noch eine "Moral von der Geschicht’" bzw. ein Nachwort des Verfassers an, in dem er deutlich seine Kritik an den jungen Leuten aus höheren Ständen zum Ausdruck brachte, die sich fänden und trennten, wie es ihnen gerade in den Sinn komme. Demgegenüber, so Keller, seien seine Protagonisten wenigstens aufrichtige und konsequente Liebende. Schon kurz nach dem Erscheinen der Novelle war dem Autor selbst aber dieser Nachtrag zu viel, und er ließ den "schnöden Schluss", wie er selbst urteilte, in einer neuen Ausgabe des Werks 1870 streichen.

Wirkungsgeschichte

Romeo und Julia auf dem Dorfe wurde von den zeitgenössischen Lesern auf unterschiedliche Weise aufgenommen. Da waren einerseits diejenigen Leser, die sich am unschicklichen Ausgang der Liebesgeschichte - der unehelichen Hochzeitsnacht auf dem Floß - störten. Eine Leserreaktion, die Keller übrigens im Schlusssatz der Novelle vorwegnimmt, indem er einen fiktiven Zeitungskommentar zum Tod der Hauptfiguren referiert, der sich über die "Entsittlichung und Verwilderung der Leidenschaften" ereifert. In manchen Ländern waren die Reaktionen von Sittenwächtern und Moralaposteln so heftig, dass die Novelle gnadenlos verrissen und lange Zeit nicht mehr neu aufgelegt wurde.

Von anderer Seite bekam Gottfried Keller dagegen viel Lob für seine Novelle. "Meisterlich", "berauschend" und "Kunstwerk" waren die Worte, mit denen der deutsche Schriftsteller Berthold Auerbach Kellers Werk bedachte. Lediglich für sein Bemühen am Beginn des Textes, die Geschichte als wirklichen Vorfall anzupreisen, musste sich Keller Tadel gefallen lassen.

Bis heute gilt Romeo und Julia auf dem Dorfe und mit dieser Novelle die ganze Sammlung Die Leute von Seldwyla als Meisterwerk der Gattung. Kellers Werk fordert heute wie damals dazu auf, klassische Stoffe - in diesem Fall das Drama Shakespeares - selbstständig weiterzudenken und auf die Gegenwart zu übertragen.

Über den Autor

Gottfried Keller wird am 19. Juli 1819 in Zürich geboren. Als er fünf Jahre alt ist, stirbt sein Vater, ein Drechslermeister. Die Mutter Elisabeth ist mit Gottfried und seiner jüngeren Schwester auf sich allein gestellt; sie heiratet kaum zwei Jahre später erneut, doch die Ehe steht unter keinem guten Stern: Die Scheidung erfolgt 1834 und der Familie fehlt es an Geld. In der Folge muss Gottfried die Armenschule besuchen. Später entschließt er sich, Maler zu werden, und absolviert eine Lehre bei einem Lithografen. Danach besucht er die Kunstschule in München, kehrt aber schon nach zwei Jahren wieder in die Schweiz zurück, wo er sich politisch betätigt (er tritt den Freischärlern bei) und Gedichte verfasst. 1848 erhält er von der Schweizer Regierung wegen des Erfolgs seines Gedichtbands ein Stipendium und reist nach Heidelberg und Berlin, wo er u. a. den Philosophen Ludwig Feuerbach kennen lernt, der ihn stark beeinflusst. Keller beginnt mit der Arbeit an seinem wohl wichtigsten Werk, Der grüne Heinrich (1854/55). Der Dichter hat zeitlebens wenig Erfolg bei den Frauen: Mehrmals verliebt er sich unglücklich, seine Verlobte Luise Scheidegger bringt sich 1865 um. Doch trotz seines ständigen Kummers wegen der Frauen wäre Keller ohne deren Unterstützung kaum zu einem solch gefeierten Schriftsteller geworden: Seine Mutter, bei der er lebt, bis er 31 ist, kommt jahrelang für seinen Unterhalt auf, seine Schwester Regula unterstützt ihn ebenfalls. So kann Keller neben dem Novellenzyklus Die Leute von Seldwyla (1856) weitere literarische Werke verfassen, u. a. die Züricher Novellen (1877) und sein Spätwerk Martin Salander (1886). Gottfried Keller stirbt am 15. Juli 1890, er ist auf dem Friedhof Sihlfeld in Zürich begraben.

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