Sansibar oder der letzte Grund
Diese Ausgabe: Diogenes Verlag, 1972 Mehr
Seiten: 159
- Roman
- Nachkriegszeit
Worum es geht
Die Sehnsucht nach Freiheit
Selten zuvor war ein Buchtitel so irreführend: Wie viele Generationen von Schülern mögen bei Sansibar oder der letzte Grund spannende Abenteuer in tropischer Hitze erwartet haben? Stattdessen spielt die Geschichte in einem öden Ostseehafen an einem eisgrauen Herbsttag 1937. Fünf Menschen und eine Holzfigur treffen hier aufeinander: ein an Gott verzweifelnder Pfarrer, zwei enttäuschte Kommunisten, eine Jüdin auf der Flucht, ein pubertierender Junge und die Plastik des "Lesenden Klosterschülers". Außer dass sie alle durch "die Anderen" (sprich: die Nazis) bedroht werden, haben sie nicht viel miteinander gemein. Am Ende gelingt zumindest einigen von ihnen die Flucht in die Freiheit - nicht mit dem Segelschiff nach Sansibar, aber immerhin mit einem Fischkutter nach Schweden. Andersch schafft es, durch seine Erzähltechnik der parallelen Personenführung und der sich kreuzenden Perspektiven die Spannung bis zur letzten Seite aufrechtzuerhalten. Einige Leser erinnern sich vielleicht noch schaudernd an das schablonenhafte Interpretationsschema, mit dem sie den Roman während ihrer Schulzeit sezieren mussten. Nicht zuletzt aus diesem Grund lohnt es sich, noch einmal ganz unvoreingenommen diese Flucht in die Freiheit auf sich wirken zu lassen.
Zusammenfassung
Über den Autor
Alfred Andersch wird am 4. Februar 1914 in ein rechtskonservatives, kleinbürgerliches Elternhaus in München hineingeboren. 1928 verlässt er das Gymnasium, macht eine Buchhändlerlehre und tritt 1930 in den Kommunistischen Jugendverband ein. 1933 sitzt er dafür ein paar Monate im Konzentrationslager Dachau ein. Als er ein zweites Mal verhaftet wird, wendet er sich von der Politik ab. 1935 heiratet er die Halbjüdin Angelika Albert. 1938 zieht die Familie nach Hamburg, wo Andersch als Werbeleiter in einer Fotopapierfabrik arbeitet, zusammen mit seinem Schwager, der 1938 auf Druck von Göring entlassen wird und daraufhin einen Herzinfarkt erleidet. In dieser Phase der „totalen Introversion“ verfasst Andersch erste literarische Skizzen. 1940 wird er zum Militär einberufen. Andersch drängt seine Frau zur Scheidung, da die Ehe seit einiger Zeit zerrüttet ist und er sich dadurch erhofft, endlich als Schriftsteller etwas veröffentlichen zu können. Damit überlässt er seine Frau und die gemeinsame Tochter ihrem Schicksal, der Deportation. Im Mai 1944 wird Andersch nach Italien an die Front geschickt, am 6. Juni 1944 desertiert er. Auf diesen Erlebnissen basiert die Erzählung Die Kirschen der Freiheit, die 1952 ein gewaltiges Erdbeben im deutschen Nachkriegsfeuilleton verursacht. Während der Kriegsgefangenschaft in den USA arbeitet er an der Lagerzeitung Der Ruf mit, die er später zusammen mit Hans Werner Richter wieder neu gründet. Mit ihm ruft er 1947 auch die Schriftstellervereinigung Gruppe 47 ins Leben. Andersch ist jahrelang Leiter des Abendstudios Frankfurt und setzt sich in seinen Radioessays für junge unbekannte Autoren ein, darunter Ingeborg Bachmann, Heinrich Böll und Arno Schmidt. 1957 erscheint der Roman Sansibar oder der letzte Grund. Desillusioniert durch die westdeutsche Nachkriegspolitik unter Konrad Adenauer siedelt Andersch 1958 in die Schweiz über. 1960 erscheint der Roman Die Rote. Am 21. Februar 1980 stirbt Alfred Andersch im schweizerischen Berzona.
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