Kurt Vonnegut
Schlachthof 5
Hoffmann und Campe, 2016
Was ist drin?
Ein postmoderner, tragikomischer Klassiker der Antikriegsliteratur.
- Metafiktion
- Postmoderne
Worum es geht
Ein tragikomischer Antikriegsroman
Nachdem der Amerikaner Kurt Vonnegut als Freiwilliger im Zweiten Weltkrieg in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten war und in einem Schlachthofkeller die Bombardierung Dresdens überlebt hatte, nahm er sich vor, seine Erlebnisse literarisch zu verarbeiten. Dennoch dauerte es über zwei Jahrzehnte, bis er sein Vorhaben mit Schlachthof 5 in die Tat umsetzte. Zu erschütternd waren die Erinnerungen, als dass er sie einfach hätte niederschreiben können. Als er sich schließlich in den späten 60er-Jahren unter dem Eindruck des Vietnamkriegs an die Arbeit machte, entschied er sich für eine fragmentarische, experimentelle Form. Ohne Berührungsängste mit der sogenannten Trivialliteratur kombinierte Vonnegut authentische Kriegsszenen mit einer satirischen Schilderung des amerikanischen Alltags der 50er- und 60er-Jahre und überdrehten Science-Fiction-Geschichten. Ständig springt der Autor zwischen verschiedenen Momenten im Leben seines naiven Antihelden Billy Pilgrim hin und her und liefert so eine Collage aus Erinnerungen, Erlebnissen und Visionen. Vonneguts tragikomischer Roman, der zum Kultbuch der Hippies wurde, zählt heute als Klassiker der Antikriegsliteratur.
Take-aways
- Kurt Vonneguts Roman Schlachthof 5 ist ein Klassiker der Antikriegsliteratur.
- Inhalt: Dank einer besonderen Gabe kann Billy Pilgrim zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft hin und her reisen. Als US-Soldat gerät er in deutsche Kriegsgefangenschaft und überlebt die Bombardierung Dresdens. Nach dem Krieg wird er Augenoptiker, kommt in die Psychiatrie und wird von Außerirdischen entführt.
- Der Roman springt zwischen verschiedenen Zeitebenen und Schauplätzen hin und her.
- Er verbindet die authentische Schilderung von Kriegsszenen mit einer satirischen Darstellung des amerikanischen Alltags, gespickt mit Science-Fiction-Elementen.
- Billy Pilgrim ist ein naiver Antiheld, der zu allem Geschehen eine passive, resignierte Haltung einnimmt.
- Vonnegut thematisiert die Schwierigkeit, traumatische Kriegserlebnisse literarisch zu verarbeiten.
- Mit seinem Hang zum Experimentellen, Fragmentarischen und Selbstreflexiven ist Schlachthof 5 ein typisches Werk der Postmoderne.
- Der Stil des Buches ist lakonisch, seine Sprache einfach und griffig.
- Der Roman wurde zu einem Kultbuch der Hippiebewegung.
- Zitat: „Hört mal her: Billy Pilgrim hat sich aus dem Lauf der Zeit gelöst.“
Zusammenfassung
Aus dem Zeitstrom gelöst
Einige Zeit, nachdem Billy Pilgrim als einziger Passagier einen Flugzeugabsturz überlebt hat, meint er, über eine besondere Fähigkeit zu verfügen: zwischen unterschiedlichsten Zeitpunkten in der Vergangenheit und der Zukunft hin und her zu reisen. Mal befinde er sich im Jahr 1955, mal im Jahr 1941 und dann wieder in der Gegenwart des Jahres 1968. Er behauptet, diese Fähigkeit auf dem Planeten Tralfamador erworben zu haben, auf den er 1967 in einer fliegenden Untertasse verschleppt worden sei. Seine Freunde, die Tralfamadorier, hätten ihn gelehrt, dass Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft immer gleichzeitig existierten. Wenn jemand sterbe, sei er nur in diesem Augenblick tot, in der Vergangenheit aber lebe er munter weiter. Der 1922 geborene Pilgrim, der den Zweiten Weltkrieg als Soldat miterlebt und sich danach eine Existenz als Augenoptiker aufgebaut hat, wird für derlei Aussagen belächelt. Man vermutet, er habe durch das Flugzeugunglück einen Gehirnschaden erlitten. Doch Billy behauptet, sich schon vor dem Flugzeugabsturz aus der Zeit gelöst zu haben – erstmals im Winter 1944 als Soldat in den Ardennen:
„Das ist alles passiert, mehr oder weniger. Die Kriegsgeschichten entsprechen jedenfalls so ziemlich der Wahrheit.“ (S. 9)
Zusammen mit drei anderen Soldaten streift Billy tagelang, notdürftig bekleidet und ausgerüstet, durch verlassene Landstriche. Er friert, ist todmüde, hat Hunger und Angst. Während sein fetter und bodenständiger Kumpel Roland Weary sich heldenhaft zusammenreißt, will Billy einfach nur noch sterben. Immer wieder treibt Weary ihn brutal zum Weitergehen an. In einem Zustand völliger Erschöpfung läuft plötzlich sein ganzes Leben vor Billys innerem Auge ab. Aus dem Zeitstrom herausgelöst erlebt er verschiedenste Momente seines vergangenen und künftigen Lebens einschließlich des Augenblicks seiner Geburt bzw. seines Todes.
In deutscher Kriegsgefangenschaft
Kurz darauf geraten die beiden durch Billys Ungeschicktheit in deutsche Kriegsgefangenschaft. In einem Bauernhaus treffen sie auf weitere gefangene amerikanische Soldaten. Sie müssen sich in Reih und Glied aufstellen und für den Fotografen Verhaftungsszenen nachstellen. Billy geht wieder auf Zeitreise: Während er 1944 als Kriegsgefangener, die Hände auf dem Kopf verschränkt, im Strom gedemütigter Amerikaner, auf kaputten Schuhen ostwärts marschiert, fährt er 1967 in seinem klimatisierten Cadillac zu einem Mittagessen im Lions Club, wo ein Redner für den Vietnamkrieg wirbt. Billy hat Familie, ist zu Wohlstand gelangt, besitzt eine eigene Augenarztpraxis, und doch liegt ihm nicht viel am Leben. Oft schläft er bei der Arbeit ein oder bricht unvermittelt in Tränen aus. Er bittet Gott um Gelassenheit, die Dinge hinzunehmen, die er nicht ändern kann. Das hilft ihm, weiterzumachen.
„Hört mal her: Billy Pilgrim hat sich aus dem Lauf der Zeit gelöst.“ (S. 33)
Zusammen mit anderen gefangenen Soldaten – die meisten noch halbe Kinder – wird Billy nach mühevollem Marsch in einen Waggon gepfercht. Obwohl der Zug zwei Tage lang im Bahnhof steht, bleiben die Güterwagen die ganze Zeit über verriegelt. Drinnen ist es so eng, dass die Soldaten sich mit Liegen und Stehen abwechseln müssen. Wasser und Brot werden ihnen durch Lüftungsklappen gereicht, durch die sie auch ihre Notdurft entsorgen. Als der Zug endlich losfährt, geht es nur im Schritttempo voran. Die Zeit dehnt sich: Zwischen dem regelmäßigen Klacken der Räder auf den Schienen scheinen jeweils Jahre zu liegen. Auf der Fahrt quer durch Deutschland sterben Soldaten, unter ihnen auch Roland Weary, der Billys trotteliges Verhalten dafür verantwortlich macht und seinem Kumpel Paul Lazzaro das Versprechen abnimmt, seinen Tod zu rächen. Durch seine Fähigkeit, zukünftige Augenblicke zu erleben, weiß Billy: Lazzaro wird ihn tatsächlich töten: am 13. Februar 1976.
Reisen in Raum und Zeit
Billy ist inzwischen 44 Jahre alt und mit Valencia, der dicken, hässlichen, aber reichen Tochter des Besitzers des Augenoptikinstituts, verheiratet. Eines Abends sieht er sich im Fernsehen immer wieder einen Film über amerikanische Kriegshelden an. Anschließend wartet er in seinem Garten auf die Ankunft der fliegenden Untertassen aus Tralfamador. Wenn er den Film rückwärts laufen lässt, scheint es, als saugten die Flieger ihre Bomben ein und die zerstörten deutschen Städte würden wieder heil. Denke man das bis zur letzten Konsequenz weiter, meint Billy, erscheine die Menschheit als eine biologische Riesenverschwörung, die der Herstellung zweier perfekter Menschen, Adam und Eva, dient.
„Billy ist ein Zeitspastiker, er hat keinen Einfluss darauf, wohin es ihn als Nächstes verschlägt, und die Reisen machen nicht unbedingt Spaß. Er hat ständig Lampenfieber, sagt er, denn er weiß nie, welchen Abschnitt seines Lebens er als Nächstes spielen muss.“ (S. 33)
Nachdem Billy von den Tralfamadoriern in deren Raumschiff entführt und betäubt worden ist, verliert er sich in der Zeit. Plötzlich ist er wieder im Deutschland des Winters 1944. Nach langer und entbehrungsreicher Zugfahrt werden die Kriegsgefangenen in Baracken untergebracht. Gegen die Kälte bekommen sie die Mäntel toter Soldaten. Billy erhält einen viel zu kleinen Mantel mit Pelzkragen und Seidenfutter, der ihn zum Gespött seiner Mitgefangenen macht. Auf Befehl der Deutschen muss er sich ausziehen. Sie vermessen seinen schwächlichen Körper und stecken ihn unter die Giftdusche, gegen Läuse. Wieder verliert er sich in der Zeit. In einem Augenblick ist Billy ein Säugling, der von seiner Mutter liebevoll gebadet und gewickelt wird. Im nächsten Moment ist er ein Optiker, der mit seinen Kollegen Golf spielt. Dann wieder befindet er sich an Bord des Raumschiffs auf dem Weg nach Tralfamador und bittet seine Entführer um Aufklärung. Doch die Tralfamadorier haben für so etwas nichts übrig: Erdlinge müssten immer alles kausal erklärt bekommen, sie selbst aber hätten die ganze Zeit im Blick: Die lasse sich nicht erklären, sie „sei“ einfach. Wir alle seien, ähnlich wie in Bernstein eingeschlossene Insekten, gefangen im Augenblick. Ein Warum gebe es nicht.
„Dass ein Augenblick an den nächsten gereiht ist wie Perlen auf einer Schnur, dass ein einmal vergangener Augenblick für immer verloren sein soll, ist nur eine Illusion, die wir hier auf der Erde haben.“ (Billy Pilgrim, S. 37)
Im Lager trifft Billy auf apathische, sterbende russische Soldaten und wohlgenährte singende Engländer, die trotz langjähriger Haft den Krieg als stilvolles Vergnügen erscheinen lassen. Sie bereiten den Neuankömmlingen ein bei aller Kargheit festliches Essen und schenken jedem Seife und Kerzen – nicht ahnend, dass diese aus dem Fett von Juden und Zigeunern bestehen. Nach einem hysterischen Zusammenbruch bekommt Billy eine Morphiumspritze verpasst und wird ins Lazarett gesteckt, mit dem sportlichen Lehrer Edgar Derby an seiner Seite, der später in Dresden erschossen wird. Unter dem Einfluss des Morphiums fällt Billy wieder aus der Zeit und landet im Frühjahr 1948. Er studiert Augenoptik und wirkt nach außen hin vollkommen normal. Doch der Krieg wirkt nach. Aus Angst davor, wahnsinnig zu werden, hat Billy sich selbst in die Psychiatrie eingewiesen. Am Krankenbett sitzen Billys Mutter und seine Frau und überbieten sich gegenseitig mit dummen Sprüchen und Fragen. Derweil erzählt ihm sein Bettnachbar von seiner Lektüre des Science-Fiction-Autors Kilgore Trout, der schließlich auch Billys Lieblingsautor wird.
Der Mensch als Untersuchungsobjekt
Auf dem Planeten Tralfamador wird Billy nackt im Zoo ausgestellt. Die Tralfamadorier haben ihm eine typische Erdlingswohnung mit gläsernen Wänden eingerichtet – er macht vor den Augen der staunenden Menge seine Morgentoilette, während ein Zoowärter erklärt, was der Erdling da tut. Billys Zeitauffassung bleibt den Tralfamadoriern ein Rätsel, ebenso wie seine Sehnsucht nach Frieden. Er hält die Erdbewohner für besonders grausam und fürchtet, die menschliche Kriegslust werde irgendwann zur Zerstörung des Universums führen. Doch die Tralfamadorier, die die ganze Zeit überblicken können, wissen bereits, dass das Universum durch eines ihrer Experimente zerstört werden wird. Außerdem haben sie genauso Kriege wie die Erdlinge, aber sie haben gelernt, die schrecklichen Momente zu ignorieren und nur die angenehmen zu betrachten.
„Jetzt lagen sie im Schnee und starben, und sie spürten nichts, und der Schnee nahm die Farbe von Himbeereis an. Wie das so ist.“ (über zwei Soldaten, S. 66)
Während seiner Hochzeitsnacht reist Billy wieder zwischen verschiedenen Zeitebenen hin und her: Gerade noch liegt er auf seiner dicken Frau, die er nur wegen ihres Geldes und ihres einflussreichen Vaters geheiratet hat. Im nächsten Augenblick ist er wieder im Kriegsgefangenenlager, wo die amerikanischen Soldaten nach dem festlichen Empfang unter schlimmem Durchfall leiden. Dann wieder befindet er sich im Jahr 1968. Seit dem Tod seiner Frau spielt sich seine Tochter Barbara als Familienoberhaupt auf. Sie macht ihm Vorwürfe wegen eines Radiobeitrags und einiger Leserbriefe, in denen er von seinen Zeitreisen berichtet hat. Ungeachtet dessen geht Billy wieder auf Zeitreise. Die Tralfamadorier haben ihm eine Frau, die Pornodarstellerin Montana Wildhack, zur Seite gestellt, mit der er vor den Augen der Zuschauer Sex hat und die später ein Kind von ihm bekommen wird.
Die Bombardierung Dresdens
Die amerikanischen Kriegsgefangenen werden nach Dresden verlegt. Sie sind zuversichtlich: Die hübsche Stadt, in der es weder Rüstungsindustrie noch Truppen gibt, gilt als sicherer Ort. Nach ihrer Ankunft marschieren sie durch die Stadt zum Schlachthof Nr. 5, wo sie untergebracht werden. Angesichts dieser Parade abgerissener Narren – angeblich stolze amerikanische Kämpfer – brechen die Dresdner in Lachen aus. Nur Billy weiß dank seiner seherischen Fähigkeiten, dass die meisten von ihnen in 30 Tagen tot sein werden. Auch Derby wird bald sterben – wegen Plünderung verhaftet und erschossen, weil er einen Teekessel aus den Trümmern mitgenommen hat. Zuvor aber zeigt er noch Rückgrat, indem er lautstark dagegen protestiert, dass amerikanische Soldaten im Kampf gegen die Russen eingesetzt werden sollen: Immerhin haben Amerikaner und Russen aus Idealismus gemeinsam gegen die Nationalsozialisten gekämpft.
„In der Unendlichkeit war eine winzige Rauchwolke zu sehen. Dort fand eine Schlacht statt. Dort starben Menschen. Wie das so ist.“ (S. 78)
An seinem 18. Hochzeitstag feiert Billy in seinem hübschen weißen Haus eine Party. Unter den Gästen ist auch Kilgore Trout, der ganz in der Nähe in einer Kellerwohnung lebt und Zeitungen austrägt, um sich seinen Lebensunterhalt zu sichern. Als ein Sängerquartett ein Lied anstimmt, erleidet Billy plötzlich einen emotionalen Zusammenbruch. Er kann sich selbst nicht erklären, warum das Stück so starke Gefühle in ihm auslöst. Die Gäste merken nichts von seinem Zustand, außer Kilgore Trout, der an Zeitschleifen und übersinnliche Wahrnehmung glaubt und darüber in seinen Romanen schreibt. Er sieht sich durch Billys merkwürdiges Gebaren in seiner Theorie bestätigt.
„Nun, Mr. Pilgrim, da sind wir nun – gefangen im Bernstein dieses Augenblicks. Es gibt kein Warum.“ (ein Tralfamadorier, S. 90)
Da erinnert sich Billy plötzlich: Der Gesichtsausdruck der vier Sänger mit ihren offenen Mündern erinnert ihn an eben jenen Ausdruck, den er bei vier Wachleuten gesehen hat, die mit ihnen im Luftschutzkeller in Dresden gesessen haben: In der Nacht des 13. Februar 1944, als Dresden im Feuersturm brannte und 130 000 Menschen starben, harrte er zusammen mit anderen Gefangenen zwischen geschlachteten Tieren im Fleischkeller des Schlachthofes aus. Als sie am Tag nach der Bombardierung aus dem Keller in die völlig zerstörte Stadt hinaustraten, stand jenen Wachleuten der Mund vor Trauer und Verwunderung offen. Gemeinsam mit anderen Überlebenden streifte Billy durch das in Schutt und Asche gebombte Dresden, das einer Mondlandschaft glich. Es war klar, dass die Alliierten die totale Zerstörung der Stadt und die Tötung all ihrer Bewohner beabsichtigt hatten. Dass überhaupt noch Menschen hier lebten, musste ein Versehen sein.
Nichts für Weicheier
Nach seinem Flugzeugabsturz liegt Billy im Krankenhaus. Im Nachbarbett liegt Professor Rumfoord, Historiker und offizieller Geschichtsschreiber der Air Force. Er hält Billy aufgrund von dessen schwerem Gehirnschaden für lebensunwürdig. Einmal brüstet er sich vor seiner Frau, die Amerikaner in einem seiner Bücher 23 Jahre nach der Bombardierung Dresdens endlich über das Ausmaß der Zerstörung der Stadt informiert zu haben, die jene von Hiroshima weit übertroffen habe. Bislang habe man darüber geschwiegen, aus Angst, ein paar Weicheier zu verärgern. Billy nimmt alle Kraft zusammen und erklärt, dabei gewesen zu sein, als Dresden zerstört wurde.
„,Wie … wie endet denn das Universum?‘, fragte Billy. ,Wir lassen es in die Luft fliegen, bei einem Experiment mit neuen Treibstoffen für unsere fliegenden Untertassen. Ein tralfamadorischer Testpilot drückt auf eine Starttaste, und das ganze Universum ist weg.‘“ (S. 133)
Wieder begibt er sich auf eine Zeitreise. Nach der Zerstörung Dresdens rettet er sich in einen Vorort, wo er von Deutschen freundlich aufgenommen wird. Zum ersten Mal in diesem Krieg trägt er eine Waffe, fährt auf einem Pferdewagen durch die Stadt und genießt die Sonne. Als ein deutsches Ehepaar ihn auf den schlechten Zustand seines halb verdursteten, blutenden und hinkenden Pferdes aufmerksam macht, bricht er in Tränen aus – das einzige Mal in diesem Krieg, dass er laut weint. Später wird er abkommandiert, mit Hacken und Schaufeln in den Trümmern nach Leichen zu graben. Der Verwesungsgestank ist unerträglich, und schließlich beschließt man, die vielen Tausend Toten nicht aus den Luftschutzkellern herauszuholen, sondern mit Flammenwerfern gleich an Ort und Stelle einzuäschern. Von den Tralfamadoriern hat Billy indes gelernt, dass wir ewig leben, ganz gleich wie tot wir manchmal auch erscheinen mögen. Er ist dankbar, dass er die Fähigkeit besitzt, in den schönen Augenblicken des Lebens zu verweilen, solange er mag.
Zum Text
Aufbau und Stil
Kurt Vonneguts Schlachthof 5 ist in zehn Kapitel gegliedert, die wiederum in kurze Abschnitte unterteilt sind und verschiedene Episoden aus Billy Pilgrims Leben erzählen. Durch dessen sprunghaftes Zeiterleben ist der chronologische Zusammenhang des Romans aufgehoben. Von Szenen, die im Hier und Jetzt spielen, springt die Erzählung unvermittelt in vergangene oder zukünftige Lebensabschnitte des Helden und wechselt ununterbrochen die Schauplätze – eine Art Collage aus Erinnerungen, Erlebnissen und Visionen. Vonnegut kombiniert realistisches Erzählen, etwa in eindringlichen Kriegsszenen, mit satirischer Schilderung amerikanischen Alltags sowie mit überdrehten Science-Fiction-Geschichten. Immer wieder kommentiert er das Sterben und Leiden von Menschen mit der lapidaren Feststellung „Wie das so ist“. Das Buch ist in einem melancholischen und lakonischen Grundton verfasst. Die Bombardierung Dresdens im Februar 1945, die thematisch im Zentrum des Romans steht, wird erst ganz am Ende in eher beiläufiger Manier geschildert. Vonneguts Sprache ist leicht verständlich, griffig und reich an umgangssprachlichen Wendungen.
Interpretationsansätze
- Der Roman verschränkt Fiktion und Realität: Im ersten Kapitel meldet sich der Autor zu Wort und erklärt, was er in seinem „berühmten Buch über Dresden“ geschrieben habe, entspreche der Realität. Alles sei so schrill und wirr, „weil es über ein Massaker nichts Intelligentes zu sagen“ gebe. Er verspricht, keinen typischen Kriegsroman mit Helden à la John Wayne zu schreiben. Auch in der eigentlichen Romanhandlung, die mit dem zweiten Kapitel einsetzt, taucht der Autor gelegentlich auf, wodurch die Fiktionalität des Werks betont wird, das sich ansonsten streckenweise wie ein Augenzeugenbericht liest.
- Die Hauptfigur des Romans, Billy Pilgrim, ist ein typischer Antiheld, ein kindlicher, naiver Trottel. Er erlebt – der Name weist schon darauf hin – eine Pilgerfahrt durch die Banalität des amerikanischen Alltags ebenso wie durch die Schrecken des Krieges. Auf eine psychologische Feinzeichnung der Figur, die dem Leser eine emotionale Identifikation ermöglichen würde, verzichtet Vonnegut und schafft damit Distanz zum Erzählten.
- Billy Pilgrim nimmt zu bürgerlichen Werten, zu Wohlstand, Konsum, Sex, aber letztlich auch zum Krieg eine passive, resignierte Haltung ein. Der Erzähler bezeichnet seine Figuren insgesamt als „kranke und apathische Spielbälle übermächtiger Kräfte“ und zeigt damit eine zutiefst deterministische Weltsicht.//
- Schlachthof 5 //gehört mit seiner programmatischen Selbstbezüglichkeit der postmodernen Literatur an. Immer wieder äußert Vonnegut darin Kritik an der Gattung des Romans und thematisiert auch sein eigenes Unvermögen, den erlebten Schrecken und das Leiden des Krieges in einem Roman darzustellen. Dazu gesellen sich ein Hang zum Experimentellen, Fragmentarischen und zur Auflösung einer linearen Erzähl- und Zeitstruktur.
- Vonnegut formuliert sein eigenes literarisches Programm mit der Beschreibung der tralfamadorischen Romane, in denen es „keinen Anfang, keine Mitte und kein Ende, keine Moral, keine Ursachen, keine Wirkungen gibt“, sondern nur viele wunderbare Augenblicke, die gleichzeitig erlebt werden.
Historischer Hintergrund
Die USA in den 1960er-Jahren
Der Sieg der USA und ihrer Alliierten im Zweiten Weltkrieg stärkte erneut den Glauben der Amerikaner an die Zukunft ihres Gesellschaftsmodells, der durch die Wirtschaftskrise in den 1930er-Jahren erschüttert worden war. Der neue Optimismus spiegelte sich in der steigenden Geburtenrate wider: Zwischen 1945 und 1965 erlebte Amerika einen wahren Babyboom. In nur zwei Jahrzehnten wuchs die Bevölkerung um rund 60 Millionen auf über 190 Millionen Menschen. Hoffnungen auf Wohlstand und privates Glück schienen sich zu erfüllen. Unmittelbar nach Kriegsende setzte eine Periode guter Konjunktur mit einer jährlichen Wachstumsrate von 4 bis 5 Prozent ein. Arbeitslosigkeit und Inflation hielten sich in Grenzen, Reallöhne, Kaufkraft und der Bedarf nach Konsumgütern wuchsen stetig. Noch unter John F. Kennedy, der 1961 sein Amt als Präsident der USA antrat, prosperierte die Wirtschaft mit Wachstumsraten von bis zu 6 Prozent.
Politisch waren die frühen 1960er-Jahre von zunehmender Liberalisierung und sozialstaatlichen Reformen geprägt, die Kennedys Nachfolger Lyndon B. Johnson nach dessen Ermordung fortsetzte. Zugleich wuchs angesichts der Spannungen zwischen den USA und der Sowjetunion die allgemeine Angst vor einem Dritten Weltkrieg. Zwar kam es nicht zu einer unmittelbaren Konfrontation, dafür trafen die beiden Supermächte indirekt in Vietnam aufeinander. Schon ab Mitte der 1950er-Jahre hatte die amerikanische Regierung aus Furcht vor einer Ausbreitung des Kommunismus in Südostasien den südvietnamesischen Diktator Ngo Dinh Diem gegen das kommunistische Nordvietnam unterstützt. 1964 griffen die USA schließlich offen in den Krieg ein.
Anfangs interessierte sich die amerikanische Öffentlichkeit kaum für die Auseinandersetzungen im fernen Indochina. Mit zunehmender Dauer des Dschungelkriegs, in den immer mehr junge Wehrpflichtige geschickt wurden und der Unsummen verschlang, wuchs jedoch die öffentliche Kritik. Nicht nur die steigende Zahl getöteter und verwundeter US-Soldaten – am Ende waren fast 60 000 gefallene Amerikaner zu beklagen –, auch die Flächenbombardements der Air Force, die Hunderttausenden von südvietnamesischen Zivilisten das Leben kosteten, sorgten daheim für Empörung. Vor allem junge Amerikaner, Studenten, Künstler und Intellektuelle, protestierten vehement gegen den Krieg. Insbesondere die von San Francisco ausgehende Hippiebewegung, die ein von Leistungsstreben und bürgerlichen Konventionen befreites Leben in einer friedlichen Welt propagierte, wurde zu einer Plattform des Vietnamprotests.
Entstehung
Kurt Vonnegut hatte sich 1943 freiwillig gemeldet. Ende 1944 wurde er bei der Ardennenoffensive in Belgien als Späher eingesetzt und geriet in deutsche Kriegsgefangenschaft. Zusammen mit anderen Kriegsgefangenen wurde er nach Dresden gebracht und im städtischen Vieh- und Schlachthof einquartiert. In einem Kühlkeller des Schlachthofs überlebten sie die alliierten Bombenangriffe vom 13. bis 15. Februar 1945. Nach dem Feuersturm gehörte Vonnegut einer Truppe an, die Leichen aus den Trümmern bergen und verbrennen musste. Die Zahl der Toten durch die Bombenangriffe auf Dresden gibt Vonnegut mit 135 000 an. Diese Schätzung übernahm er einem umstrittenen Buch des britischen Geschichtsrevisionisten David Irving, rückte aber später wieder davon ab. Die tatsächliche Zahl der Opfer wird heute auf 18 000 bis maximal 25 000 geschätzt.
Nach seiner Rückkehr in die USA 1945 entschloss sich Vonnegut, seine traumatischen Kriegerlebnisse literarisch zu verarbeiten. Bis er sich tatsächlich an die Arbeit machte, sollten allerdings noch über zwei Jahrzehnte vergehen. Die Eindrücke der Bombardierung Dresdens seien zu gewaltig gewesen, erklärte er in Interviews, als dass er sie einfach hätte niederschreiben können. Mitte der 1960er-Jahre besuchte Vonnegut, der bislang eine rein naturwissenschaftliche Ausbildung absolviert hatte, einen Intensivkurs zum Thema literarisches Schreiben. Kurz danach begann er seinen Roman zu schreiben und begab sich zu Recherchezwecken noch einmal nach Dresden. Schlachthof 5 erschien im März 1969.
Wirkungsgeschichte
Die Startauflage von Schlachthof 5 war innerhalb kürzester Zeit vergriffen. Es folgten viele weitere Auflagen. 1970 erschien die erste deutsche Übersetzung. Bei seinem Erscheinen wurde der Roman kontrovers diskutiert. In einigen US-Bundesstaaten wurde das Werk wegen vermeintlich pornografischer Inhalte zensiert. Der Hippiebewegung Ende der 1960er-Jahre galt Schlachthof 5 als Kultbuch. Heute zählt das Werk zu den Klassikern des Antikriegsromans und ist in vielen Ländern Schullektüre. George Roy Hill verfilmte Schlachthof 5 im Jahr 1972, und es entstanden diverse Bühnenfassungen des Romans.
Über den Autor
Kurt Vonnegut wird am 11. November 1922 in Indianapolis, Indiana, als jüngster Sohn eines Architekten und einer Brauereierbin geboren. Von 1936 bis 1940 besucht er die Highschool. Nach dem Börsencrash 1929 verliert die Familie, deren Vorfahren aus Deutschland stammen, einen Großteil ihres Vermögens und gerät während der anschließenden wirtschaftlichen Depression in finanzielle Not. Die Mutter flüchtet sich in Alkohol und Drogen und begeht 1943 Selbstmord. Auf Wunsch des Vaters studiert Vonnegut, der eigentlich Journalist werden will, an der Cornell University Biochemie und schreibt für die Cornell Sun. 1943 bricht er das Studium ab und meldet sich freiwillig zur Armee. Ein Jahr später wird er als Soldat nach Frankreich geschickt. 1944 nimmt er an der Ardennenschlacht teil und gerät in deutsche Kriegsgefangenschaft. Er wird Augenzeuge der Bombardierung Dresdens. Nach seiner Rückkehr in die USA heiratet er 1945 seine Jugendliebe Jane Cox und beginnt in Chicago Anthropologie zu studieren. Zugleich arbeitet er als Polizeireporter und in der Public-Relations-Abteilung des Konzerns General Electric. Nebenbei verkauft er Kurzgeschichten an Zeitschriften. Da seine Storys oft in der Zukunft spielen, gilt er vielen als Science-Fiction-Autor. Er selbst grenzt sich von diesem Genre allerdings ab. 1951 kündigt er seinen Job und lebt fortan als freier Schriftsteller. Sein erster Roman Das höllische System (Player Piano, 1952) wird kaum beachtet. Mit seiner Familie, zu der neben drei eigenen Kindern die drei Kinder seiner früh verstorbenen Schwester zählen, zieht er in ein großes Haus auf der Halbinsel Cape Cod. Nach dem großen Erfolg seines Romans Schlachthof 5 (Slaughterhouse-Five, 1969) und der Scheidung von seiner Frau 1971 zieht Vonnegut nach Manhattan und lebt mit der Journalistin Jill Krementz zusammen, die er 1979 heiratet und mit der er ein weiteres Kind adoptiert. In seinem Roman Mann ohne Land (A Man Without a Country, 2006) wendet sich der Schriftsteller rigoros gegen Präsident Bush und den Irakkrieg. Nach einem Sturz in seinem Haus, bei dem er eine schwere Kopfverletzung erleidet, stirbt Kurt Vonnegut am 11. April 2007 in New York.
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