Arthur Conan Doyle
Sherlock Holmes – Der Hund von Baskerville
Fischer Tb, 2011
Was ist drin?
Liebes Wauwi, braves Wauwi? Eher nicht – Sir Arthur Conan Doyles Hund von Baskerville hat schon manchen zur Katze bekehrt.
- Kriminalroman
- Viktorianische Ära
Worum es geht
Klischees oder Klassiker?
Gewiss, Arthur Conan Doyles Roman Der Hund von Baskerville ist voller Stereotype: tückische Sümpfe, ein toter Schlossherr, eine verlockende Erbschaft, ein finster intrigierender Ganove, vertauschte Identitäten, hinterlistige Heiratsversprechen und, last, but not least, der übermenschliche kriminalistische Scharfsinn des größten Detektivs aller Zeiten: Sherlock Holmes – Genreliteratur eben. Doch bevor man dem berühmtesten Holmes-Roman leichtfertig dieses Etikett anheftet, sollte man sich in Erinnerung rufen, dass sein Autor das Genre des Detektivromans nicht nur bedient, sondern vor allem mitbegründet hat. Der stets souveräne Erzlogiker Sherlock Holmes ist eine der großen klassischen Figuren der Literaturgeschichte, Vorbild unzähliger späterer Detektive: Ob Hercule Poirot, Philip Marlowe oder Inspektor Clouseau, keine dieser Schöpfungen wäre ohne Sherlock Holmes denkbar. Ob man die Holmes-Storys große Literatur nennen will, sei dahingestellt, doch eines sind sie dank ihrer spannenden Erzählweise, der detailreichen Schilderungen der viktorianischen Lebenswelt und der herrlich unerträglichen Süffisanz ihres Helden zweifellos: großartige Lektüre.
Take-aways
- Der Roman Der Hund von Baskerville ist die bekannteste Sherlock-Holmes-Geschichte des britischen Schriftstellers Arthur Conan Doyle.
- Inhalt: Im einsamen Dartmoor treibt ein riesiger Gespensterhund sein Unwesen. Hat er etwas mit dem Tod des begüterten Sir Charles Baskerville zu tun? Die Ermittlungen des Meisterdetektivs Sherlock Holmes decken einen teuflischen Mordkomplott auf.
- Wie die meisten Abenteuer des Detektivs erschien Der Hund von Baskerville als Fortsetzungsgeschichte in der renommierten Monatsschrift The Strand Magazine.
- Der Roman war die erste Holmes-Story nach einer achtjährigen Pause. Doyle hatte Holmes 1893 sterben lassen, um sich Raum für andere literarische Projekte zu schaffen.
- Damit stieß der Autor die Fans des Detektivs vor den Kopf.
- Die fanatischsten unter ihnen leugneten die Autorschaft Doyles und beteten den ebenfalls fiktiven Dr. Watson als eigentlichen Holmes-Biografen an.
- Sherlock Holmes war Doyles berühmteste Schöpfung, jedoch bei Weitem nicht die einzige: Daneben veröffentlichte er zahlreiche Werke in unterschiedlichsten Genres.
- Vor seinem Durchbruch als Schriftsteller praktizierte er einige Jahre als Arzt.
- Für die kolonialistische Propagandaschrift Der große Burenkrieg wurde Doyle in den Adelsstand erhoben.
- Zitat: „Ein Bluthund war es – ein riesiger, kohlschwarzer Bluthund, aber ein Hund, wie keines Menschen Auge ihn jemals gesehen. Aus seinem offenen Rachen sprühte Feuer, seine Augen glühten, Lefzen und Wampen waren von flackernden Flämmchen umloht.“
Zusammenfassung
Der Fluch der Baskervilles
Der Detektiv Sherlock Holmes erhält Besuch von Dr. Mortimer, einem jungen Landarzt. Dessen Patient, der ehrwürdige Sir Charles Baskerville aus Dartmoor in der Grafschaft Devon, ist jüngst unter merkwürdigen Umständen ums Leben gekommen. Einer alten Legende zufolge liegt ein Fluch über der Familie Baskerville: Als ein zügelloser Urahn versucht habe, ein hübsches Bauernmädchen in seine Gewalt zu bringen, habe ihn das Schicksal in Gestalt eines riesigen Gespensterhunds ereilt. Seither sei kein männlicher Baskerville mehr eines natürlichen Todes gestorben. Sir Charles indes war von mildem Wesen, seine Wohltätigkeit ein Segen für den ganzen Landstrich.
„,Wirklich, Watson, Sie übertreffen sich!‘ Holmes stand auf und zündete sich eine Zigarette an. ,Ich muss Ihnen sagen, dass Sie bei allen Gelegenheiten, bei denen Sie meine kleinen Erfolge erwähnen, immer Ihre eigenen Leistungen unterschätzen.‘“ (S. 8)
Dr. Mortimer hofft, dass Sir Henry Baskerville, Charles’ Neffe, das philanthropische Werk seines Onkels fortsetzen wird. Sir Henry ist soeben aus Kanada angereist, um sein Erbe anzutreten. Nachdem Dr. Mortimer ihn vom Zug abgeholt hat, dinieren sie gemeinsam mit Holmes und dessen Kompagnon Dr. Watson. Wie es scheint, hat der junge Baronet das Herz am rechten Fleck: Selbst als er von der grusligen Legende erfährt, hält er daran fest, in die Fußstapfen seines Onkels treten zu wollen. Noch in derselben Woche will er nach Dartmoor abreisen. Holmes wittert Gefahr und bittet Watson, Sir Henry nach Devon zu begleiten. Er selbst gibt vor, in London bleiben zu müssen.
Baskerville Hall
In Baskerville Hall angekommen, hat Watson Gelegenheit, den Schauplatz der jüngsten Ereignisse in Augenschein zu nehmen. Im Park des Anwesens gibt es eine alte Eibenallee, durch die Sir Charles allabendlich flanierte. So auch am Abend seines Todes, an dem er sich gemäß Dr. Mortimer ungewöhnlich lange an einer Gartenpforte aufhielt und von dort über das Moor schaute. Laut Dr. Mortimer war Sir Charles seit geraumer Zeit unter den Einfluss jener alten Legende geraten. Die Sage vom Geisterhund hatte sich wie ein Schatten über sein Gemüt gelegt. Zudem wollten kürzlich mehrere Bauern die Bestie leibhaftig gesehen haben. Sir Charles mag also voller Grauen dort gestanden haben, den Blick in die Einöde gerichtet, in Gedenken an seinen Urahn sein eigenes Schicksal erwartend. Und nach den Spuren zu urteilen, muss er tatsächlich über irgendetwas so sehr erschreckt sein, dass er um sein Leben rannte, was sein ohnehin schwaches Herz nicht aushielt.
Das Geheimnis des Butlers
Dr. Watson und Sir Henry können sich der bedrückenden Atmosphäre des alten Gemäuers und überhaupt der Gegend nicht entziehen. Zumal sich weiterhin Unheimliches ereignet: Aus einem nahe gelegenen Gefängnis ist ein Sträfling ausgebrochen, ein brutaler Mörder namens Selden, der sich nun im Moor versteckt hält. Auch im Schloss geht nicht alles mit rechten Dingen zu: Nachts hört Watson das verzweifelte Schluchzen einer Frau. Wie sich am nächsten Morgen herausstellt, hat auch Sir Henry die Klagelaute gehört. Der alte Butler Barrymore gibt sich ahnungslos: Es gebe nur zwei Frauen im Schloss, ein Zimmermädchen und seine eigene Gattin. Die eine wohne abseits, die andere, dafür verbürgt sich Barrymore, habe gestern Nacht nicht geweint. Das entpuppt sich als zweifelhafte Aussage, denn als Watson der Frau des Butlers auf dem Flur begegnet, ist ihr Gesicht von Kummer gezeichnet.
Der Schmetterlingsjäger
Auf einem Spaziergang lernt Watson den Hobbyforscher Stapleton kennen, der mit einem Schmetterlingsnetz die Gegend durchstreift. Sie gehen ein Stück des Weges zusammen, wobei Stapleton munter drauflosplaudert. Watson bleibt misstrauisch. Dennoch lässt er sich zu einem Abstecher zum Merripit House überreden, wo der Insektenkundler mit seiner Schwester lebt. Kurz vor dem Ziel springt Stapleton einem seltenen Falter hinterher. Während Watson ihm zusieht, kommt Stapletons Schwester aus der Richtung des Hauses gelaufen. Sie zischt Watson eine hastige Warnung zu: Er solle Devon augenblicklich den Rücken kehren! Und um keinen Preis dem Bruder etwas von ihrem Gespräch erzählen! Als der schließlich dazukommt, stellt sich heraus, dass die Warnung einem anderen galt: Die Dame dachte, Sir Henry vor sich zu haben. Plötzlich tut sie, als wäre nichts gewesen. Der Besuch in Merripit House dauert nur kurz. Eine Einladung zum Essen schlägt Watson aus, dann kehrt er nach Baskerville Hall zurück.
Der Sträfling im Moor
Eines Nachts beobachtet Watson den Butler, wie er barfuß und mit einer Kerze in der Hand über den Flur schleicht, in einem Zimmer verschwindet und, mit dem Licht am Fenster stehend, aufs Moor hinaussieht. Am nächsten Morgen tauscht Watson sich mit Sir Henry über seine Beobachtungen aus. Gemeinsam beschließen sie, der Sache nachzugehen. Also legen sie sich auf die Lauer und beobachten den Butler, wie er wieder mit der Kerze vor dem Fenster steht. Seine Frau klärt die Angelegenheit schließlich auf: Der entflohene Sträfling, der sich im Moor versteckt hält, ist ihr Bruder, den sie aus Barmherzigkeit mit Nahrung versorgt. Die Kerze am Fenster dient dabei als Signal; Selden antwortet seinerseits mit einem Lichtsignal, das den Ort angibt, wo Barrymore die Lebensmittel deponieren soll. Es war Mrs Barrymore, die aus Kummer um den Bruder nachts so herzzerreißend geschluchzt hat.
Der geheimnisvolle Brief
Sir Henry lässt die Sache auf sich beruhen. Der dankbare Barrymore revanchiert sich mit einer wertvollen Information: Seine Frau habe kurz nach Sir Charles’ Tod im Kamin einen halb verkohlten Brief gefunden, in dem eine gewisse L. L. den Schlossherrn um ein Stelldichein an der Gartenpforte gebeten habe. Dr. Mortimer informiert Watson darüber, dass es sich bei der mysteriösen Briefschreiberin um Laura Lyons handeln könnte, die Tochter eines Nachbarn. Von ihr weiß man, dass sie einst mit einem Maler davongelaufen ist. Die Liaison zerschlug sich aber bald, Laura kehrte reumütig zurück und lebt nun in einem nahe gelegenen Dorf. Watson beschließt, die Dame aufzusuchen.
Ein unerwartetes Wiedersehen
Laura Lyons zeigt sich wenig auskunftsfreudig und gibt lediglich zu, dass sie sich mit einem Hilfsgesuch an Sir Charles gewandt und ihn deshalb um das Treffen gebeten habe. Ein unvorhergesehener Umstand habe sie aber davon abgehalten, sich zur verabredeten Uhrzeit an der Gartenpforte einzufinden. Auf dem Rückweg nach Baskerville Hall trifft Watson auf Mr Frankland, einen Nachbarn. Der meint, er sei dem entflohenen Sträfling auf die Spur gekommen: Er habe einen Bauernjungen beobachtet, der in regelmäßigen Abständen Essen in eine steinzeitliche Hütte im Moor bringe. Watson ahnt, dass es sich bei dem Bewohner der Hütte nicht um Selden handelt. Er verabschiedet sich von Frankland und schleicht sich zu der Hütte, die er jedoch verlassen vorfindet. Er beschließt, auf die Rückkehr des Bewohners zu warten. Mit schussbereitem Revolver liegt er im Hinterhalt. Bald hört er Schritte. Seine Überraschung ist groß, als ihn eine vertraute Stimme anspricht: Sie gehört Sherlock Holmes.
Ein Toter im Moor
Es stellt sich heraus, dass der Meisterdetektiv nur zum Schein in London zurückgeblieben ist, um unbehelligt vor Ort ermitteln zu können. Was er inzwischen herausgefunden hat, versetzt Watson in äußerstes Staunen: Sir Charles ist Opfer eines heimtückischen Mordes geworden, geplant und ausgeführt vom schrulligen Schmetterlingsjäger Stapleton. Als Nächstes soll es Sir Henry an den Kragen gehen. Und: Stapletons vermeintliche Schwester ist in Wirklichkeit seine Frau! Watson berichtet von seinem Gespräch mit Laura Lyons.
„Sherlock Holmes hatte die wunderbare Gabe, seine Gedanken nach Wunsch von dem, was ihn gerade beschäftigt hatte, zu lösen.“ (S. 49)
Inzwischen ist es dunkel geworden. Plötzlich geht ein markerschütternder Schrei über das Moor. Selbst dem hartgesottenen Holmes stehen die Haare zu Berge. Dann noch ein Schrei, wie in Todesangst, kurz darauf ein bestialisches Grollen – der Höllenhund! Watson und Holmes rennen in Richtung der Schreie, doch sie kommen zu spät und finden nur noch einen Leichnam, grässlich verrenkt, mit dem Gesicht nach unten in seinem Blut liegend. Da der Tote Sir Henrys Sakko trägt, gehen sie zunächst davon aus, dass es sich um ihren Schützling handelt, den die Bestie zu Tode gehetzt hat. Im Licht des aufsteigenden Mondes bemerken sie jedoch ihren Irrtum: Es ist Selden, der entlaufene Sträfling. Watson erinnert sich, dass Sir Henry seine alten Anzüge Barrymore geschenkt hat; der muss sie an den Bruder seiner Frau weitergegeben haben.
„,Ich kann es nicht erklären.‘ Sie sprach mit leiser, hastiger Stimme und einem sonderbaren Lispeln. ,Aber, um Gottes willen, tun Sie, was ich Ihnen sage. Kehren Sie zurück und setzen Sie nie wieder einen Fuß auf dieses Moor.‘“ (über Ms Stapleton, S. 82)
Plötzlich tritt aus dem Dunkel Stapleton heran, der sagt, durch die Schreie alarmiert worden zu sein. Als er sieht, dass der Tote nicht, wie auch von ihm angenommen, Sir Henry ist, verliert er für einen Augenblick die Fassung. Holmes macht gute Miene zum bösen Spiel und erklärt nach kurzem Small Talk, schon morgen nach London zurückkehren zu wollen.
Die Entscheidung naht
Beim Nachtmahl in Baskerville Hall erstattet Holmes dem Hausherrn Bericht, lässt aber auch ihn im Glauben, er würde am nächsten Tag zusammen mit Watson abreisen. Sir Henry ist für den morgigen Abend bei den Stapletons zum Dinner eingeladen. Holmes rät ihm, die Einladung anzunehmen. Am Morgen machen sich Holmes und Watson auf den Weg, doch statt nach London zu fahren, besuchen sie Laura Lyons. Nachdem Holmes ihr Beweise dafür vorgelegt hat, dass Ms Stapleton tatsächlich Mrs Stapleton ist, gibt sie allen Widerstand auf. Zutiefst enttäuscht legt sie dar, wie sie von Stapleton an der Nase herumgeführt worden ist. Sogar die Ehe habe der Halunke ihr versprochen; das Geld für die Scheidung von ihrem Noch-Gatten habe er ebenfalls auftreiben wollen. Deshalb habe er sie auch in letzter Sekunde daran gehindert, die Verabredung mit Sir Charles wahrzunehmen, der ursprünglich als Geldgeber fungieren sollte.
Das große Finale
Aus London ist inzwischen Verstärkung eingetroffen: Inspektor Lestrade mit einem Blanko-Haftbefehl. Bei Anbruch der Dämmerung nehmen die drei Männer ihren Posten ein. Unweit von Stapletons Haus legen sie sich auf die Lauer. Bald ist es dunkel, dichter Nebel kommt auf. Endlich, kurz bevor der Nebel alles verschlingt, tritt Sir Henry aus der Tür. Der Baronet geht an dem Versteck der Männer vorbei, da ertönt aus dem Nebel ein schnelles Getrappel. Die Nerven der Männer sind zum Zerreißen gespannt.
„Sir Henry und ich starrten die Frau verwundert an. War es möglich, dass in den Adern dieser schwerfälligen, anständigen Frau dasselbe Blut floss wie in jenen des ärgsten Verbrechers im Lande?“ (über Mrs Barrymore, S. 107)
Plötzlich taucht die Bestie aus dem Nebel auf: ein riesiges, wahrhaft höllisches Geschöpf, von bläulichen Flammen umlodert. So entsetzlich ist der Anblick des Hundes, dass Holmes und Watson erst spät aus ihrer Lähmung erwachen und dem Tier nur noch ein paar Schüsse hinterherfeuern können. Der Hund jault zwar kurz auf, ist jedoch nicht tödlich getroffen. Die Männer setzen ihm nach, doch wieder scheint alles zu spät: Die Bestie hat Sir Henry umgeworfen und macht sich bereit, ihm die Kehle zu zerreißen. Fünf Kugeln aus Holmes’ Revolver machen ihr, im wirklich allerletzten Augenblick, den Garaus. Die Männer eilen zurück zum Haus, um Stapleton zu verhaften. Der hat aber, durch die Schüsse gewarnt, schon das Weite gesucht. Seine Frau verrät den Männern, wo er sich aufhält: auf einer Insel im Sumpf, wo er auch den Hund versteckt gehalten hat. Dunkelheit und Nebel machen eine Verfolgung jedoch unmöglich.
Die ganze Wahrheit
Auch im Licht des folgenden Morgens bleibt der Mörder spurlos verschwunden. Eine Expedition unter Führung von Mrs Stapleton dringt zwar bis zu besagter Insel vor, findet dort jedoch nur ein paar alte Hütten, von denen eine als Zwinger für den Hund gedient zu haben scheint, wie sich aus den herumliegenden Knochen schließen lässt. Holmes entdeckt eine Dose mit phosphoreszierender Lösung. Damit ist auch das Rätsel des bläulichen Feuers gelöst: Mit dieser Paste hat Stapleton die Lefzen des Hundes beschmiert, um ihn als übernatürliche Kreatur erscheinen zu lassen. Übrigens entpuppt sich das Tier als ein durchaus irdischer Mischling aus Dogge und Bluthund. Sein Herrchen, das scheint inzwischen gewiss, ist wohl auf seiner Flucht vom Weg abgekommen und vom Sumpf verschluckt worden.
„Jetzt bekommen Sie von mir etwas Neues zu hören, als Dank für alles, was Sie mir berichtet haben. Die Dame, die für Stapletons Schwester gilt, ist in Wirklichkeit seine Frau.“ (Holmes zu Watson, S. 144)
Sir Henry ist von den Ereignissen derart mitgenommen, dass er in Begleitung von Dr. Mortimer eine Weltreise antritt, um sich von dem Schrecken zu erholen. Stapleton, weiß Holmes zu berichten, war in Wirklichkeit auch ein Baskerville, nämlich ein missratener Neffe von Sir Charles, der auf das Erbe spekuliert hatte.
Zum Text
Aufbau und Stil
Die Abenteuer des Meisterdetektivs Sherlock Holmes im Hund von Baskerville werden aus der Perspektive seines Kompagnons Dr. Watson erzählt. Während die im Strand Magazine erschienene Version auf neun Folgen verteilt war, die jeweils mit einem Cliffhanger endeten, um das Publikum bei der Stange zu halten, gliedert sich die Buchausgabe in 15 Kapitel. Watsons Erzählung ist zum größten Teil eine lineare Wiedergabe der Ereignisse aus der Erinnerung. Im Verlauf der Geschichte lockert Doyle die strikte Chronologie jedoch mehrfach auf: In zwei Kapiteln lässt er Watson die Briefe wiedergeben, mittels derer er den abwesenden Holmes über den Fortgang der Ereignisse auf dem Laufenden hält; und in einem Kapitel wendet Doyle einen weiteren Kunstgriff an, indem er Watson behaupten lässt, er müsse zur wahrheitsgetreuen Schilderung der Geschehnisse auf seine Tagebuchaufzeichnungen zurückgreifen. Den Schluss bildet, vom eigentlichen Abenteuer zeitlich abgesetzt, ein Resümee des Falls; hier werden offengebliebene Fragen beantwortet und letzte Unklarheiten beseitigt. Der Stil der Erzählung ist beispielhaft für die Schauer- und Detektivromane des Viktorianischen Zeitalters: viel lebensnaher Dialog, flüssige Erzählweise, dramatische Zuspitzungen. Typisch britisch außerdem: der stets etwas unterkühlte Ton, das Understatement in den Äußerungen der Figuren, unterstrichen durch die formelle, oft hochgestochene oder höflich-ironische Sprechweise. Leider geht ein Großteil dieses Effekts in der Übersetzung verloren.
Interpretationsansätze
- Sherlock Holmes wird vom Autor als quasi unfehlbare Denkmaschine dargestellt, die noch beim verwickeltsten Kriminalfall mit eiserner Logik und unerschütterlichem Selbstvertrauen anhand kleinster Details das große Ganze erschließt. Einer näheren Betrachtung hält dieses Bild jedoch nicht stand: Holmes’ angeblich todsichere Folgerungen sind nur selten zwingend, sie wirken stattdessen oft gezwungen, fast immer sind andere Hypothesen denkbar. So ist denn auch von Wissenschaftlern wie Umberto Eco gesagt worden, die scheinbar strenge, deduktive Methode, derer sich Holmes rühmt, sei in Wirklichkeit eine weiche, abduktive.
- In der Art und Weise, wie Doyle im Hund von Baskerville die nüchterne Wissenschaftlichkeit seines Detektivs gegen die irrationale Welt der Schauermärchen ausspielt, zeigt sich die zwiespältige Natur des Autors. Zeitlebens kämpfte Doyle mit inneren Gegensätzen, wie sich in seinem Werdegang zeigt: vom Jesuitenschüler zum Agnostiker, vom Wissenschaftler zum leidenschaftlichen Spiritualisten, vom Sohn eines geisteskranken Trinkers zum treusorgenden Familienoberhaupt, vom scheuen, grüblerischen Knaben zum engagierten Staatsbürger.
- Der Literaturwissenschaftler Pierre Bayard hat den Baskerville-Fall neu aufgerollt und ist dabei zu dem Schluss gekommen, dass den Hund sowohl am Tod von Sir Charles als auch an dem des Sträflings Selden nur eine Teilschuld trifft. Bayard entlastet auch den mutmaßlichen Mörder Stapleton. Stattdessen bemüht er sich, unter Hinzuziehung aller im Text verfügbaren Indizien den wirklichen Drahtzieher des Mordkomplotts zu finden – und kommt dabei auf Stapletons Frau!
Historischer Hintergrund
Pax Britannica
Wohl jede Kultur kennt ihre „gute alte Zeit“, eine Ära, in der angeblich alles besser war. In Großbritannien war dies die Regierungszeit von Königin Viktoria, 1837 bis 1901, als das britische Empire eine größere Ausdehnung erlangte als irgendein Weltreich zuvor. Eine schlagkräftige Flotte sicherte die Vorherrschaft zur See und somit auch eine weitgehende Kontrolle über den Handel. Geld und Rohstoffe flossen aus den Kolonien ins Mutterland und befeuerten den technologischen Fortschritt. Die Kunde von fernen Gegenden, von exotischen Völkern und ihren Gebräuchen bereicherte Kunst und Wissenschaft. In typisch britischer Verbindung aus ritterlichen Idealen, Forscherehrgeiz und dem unerschütterlichen Gefühl kultureller Überlegenheit bereisten vor allem Angehörige der Oberschicht die entlegensten Weltgegenden, zum Beispiel der Afrikaforscher David Livingstone oder Charles Darwin, der von seinen Reisen nicht nur zahllose bis dato unbekannte Tier- und Pflanzenarten mitbrachte, sondern vor allem seine revolutionäre Evolutionstheorie entwickelte, die das etablierte christliche Weltbild ins Wanken brachte.
Überhaupt stand besonders die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts im Zeichen des Konflikts zwischen Wissenschaft und Religion. Neuerungen wie Fotografie, elektrisches Licht, Telefon, Narkose und Antisepsis brachten dem Menschen ein erhöhtes Bewusstsein seiner Möglichkeiten und ließen immer weniger Raum für einen allmächtigen Schöpfergott. Dennoch waren Vernunft und Glaube nicht scharf voneinander getrennt, Wissenschaft wurde vor allem von Amateuren betrieben, und so sah das Viktorianische Zeitalter auch eine Blüte der Pseudowissenschaften, der Geisterseher, Wunderheiler und Hypnotiseure, des Schauerromans und der Sensationslust.
Entstehung
Nachdem Arthur Conan Doyle 1887 die Figur des Sherlock Holmes für eine Erzählung erfunden hatte, erschienen in den Folgejahren vier Romane und mehr als 50 Kurzgeschichten, in denen der Meisterdetektiv seine Fähigkeiten unter Beweis stellen musste. Doch Doyle wurde der Erwartungsdruck zwischenzeitlich zu hoch; die Welt verlangte nach immer neuen Holmes-Geschichten, er jedoch sehnte sich danach, Zeit für andere literarische Projekte zu finden. 1893 ließ er den Detektiv in Sein letzter Fall kurzerhand ermorden.
Acht Jahre später dann, auf der Rückreise von seinem Kriegseinsatz in Südafrika, freundete er sich mit dem Journalisten Bertram Fletcher Robinson an. Während eines gemeinsamen Golfurlaubs im selben Jahr erwähnte Fletcher Robinson eine alte Sage seiner Heimat, der zufolge ein riesiger Gespensterhund nachts in den kargen Weiten des Dartmoors umherspuke. Doyle war von der Geschichte begeistert und beschloss, diesen Stoff für eine neue Holmes-Geschichte zu verwenden, die vor dessen Tod angesiedelt sein sollte. Gemeinsam führten die beiden Freunde Recherchen vor Ort durch, besuchten das Dartmoor-Gefängnis, sprachen mit Einheimischen (ein Kutscher namens Harry Baskerville musste seinen Namen hergeben, wofür sich Doyle später mit einem gewidmeten Exemplar des Romans entschuldigte) und ließen sich von der Atmosphäre der düsteren und spärlich besiedelten Landschaft inspirieren. Auf ihren Spaziergängen entwickelten sie das Plotgerüst, und wenn auch Doyle das eigentliche Schreiben übernahm, handelte es sich durchaus um ein gemeinschaftliches Projekt. Das Ergebnis erschien 1901 und 1902 als Fortsetzungsgeschichte im Strand Magazine.
Wirkungsgeschichte
Der Meisterdetektiv Sherlock Holmes erreichte eine Popularität von geradezu kultischen Ausmaßen. Für viele Menschen besaß Holmes einen höheren Grad von Wirklichkeit als sein Schöpfer. Sherlock-Holmes-Klubs schossen wie Pilze aus dem Boden; manche existieren bis heute. Ihre Verehrung des berühmten Detektivs ging so weit, dass sie Holmes’ fiktiven Kompagnon, Dr. Watson, zum Teil als seinen tatsächlichen Biografen ansahen und die Doyles Autorschaft schlichtweg ignorierten. Holmes’ literarischer Tod wurde von den Fans mit Bestürzung aufgenommen; Gerüchten zufolge trugen Menschen auf der Straße Trauerflor; es gab Bittgesuche an Parlamentsmitglieder, gar an Mitglieder des Königshauses, eine Wiederauferstehung des Detektivs zu bewirken. Als Der Hund von Baskerville dann tatsächlich erschien, bildeten sich Schlangen vor den Zeitungkiosken; The Strand Magazine erlebte Rekordauflagen. Kurz darauf erschien eine erste Buchausgabe und wurde aus dem Stand zum Bestseller. In der nachfolgenden Kurzgeschichte Das leere Haus (1903) ließ Doyle seinen Detektiv dann nicht nur formal, sondern auch inhaltlich wiederauferstehen, indem er erklärte, dass Sherlock Holmes den vermeintlichen Todessturz überlebt hatte.
Der Einfluss, den Der Hund von Baskerville bis heute auf die Populärkultur hat, zeigt sich in über 20 Verfilmungen sowie in zahllosen Parodien von MAD bis Micky Maus. Im literarischen Bereich schuf Umberto Eco mit William von Baskerville, der detektivischen Hauptfigur seines Romans Der Name der Rose, eine Hommage auf Sherlock Holmes.
Über den Autor
Arthur Conan Doyle wird am 22. Mai 1859 in Edinburgh geboren. Sein Vater Charles Doyle, ein schwerer Trinker mit manisch-depressiven Zügen, hat Schwierigkeiten, die stetig anwachsende Familie zu versorgen. Arthur ist deshalb schon früh für den Beruf des Mediziners vorgesehen. Schon während des Studiums schreibt er Kurzgeschichten. Erste Veröffentlichungen in lokalen Literaturmagazinen folgen. Stets knapp bei Kasse, heuert Arthur 1880 als Schiffsarzt auf einem Walfänger an, lässt sich aber zwei Jahre später im südenglischen Portsmouth nieder. Seine Arztpraxis wirft nicht viel ab, doch allmählich erarbeitet er sich einen bescheidenen Ruf als Verfasser kleinerer Erzählungen. Mit Eine Studie in Scharlachrot (A Study in Scarlet), der ersten Geschichte um den genialen, schrulligen Detektiv Sherlock Holmes, gelingt ihm 1887 der Durchbruch. 1891 beschließt Doyle, sich ganz dem Schreiben zu widmen. Sein Standbein bleiben die Holmes-Storys, doch auch auf anderen Gebieten ist sein literarischer Ausstoß beachtlich. Vom historischen Roman über Science-Fiction bis hin zu Theaterstücken bedient er fast alle Genres. Daneben betätigt er sich als Politiker des konservativen Lagers, setzt sich mit großem Engagement für Opfer von Justizirrtümern ein und tut auch seine Pflicht als Patriot und leidenschaftlicher Befürworter der britischen Kolonialpolitik: Als Arzt nimmt er am Burenkrieg teil. 1900 erscheint sein Buch Der große Burenkrieg (The Great Boer War), das ihm den Adelstitel einbringt. Es folgen ausgedehnte Vortragsreisen; sein Ruhm als Schöpfer von Sherlock Holmes eilt ihm dabei voraus. Dieser Ruhm leidet etwas, als Doyle sich dem Spiritualismus zuwendet. Er sieht sich als Pionier der Versöhnung von Religion und Wissenschaft. Sir Arthur Conan Doyle stirbt am 7. Juli 1930 an einem Herzinfarkt.
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