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Stopfkuchen

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Stopfkuchen

Eine See- und Mordgeschichte

dtv,

15 Minuten Lesezeit
10 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Ein Leckerbissen für literarische Feinschmecker: Wilhelm Raabes erstaunlich moderne Mordgeschichte.


Literatur­klassiker

  • Roman
  • Moderne

Worum es geht

Ein verstecktes Juwel der literarischen Moderne

„Absolut Nummer eins“ war Wilhelm Raabe für seinen Schriftstellerkollegen und Zeitgenossen Theodor Fontane. Leider sah das sonst kaum jemand so: Raabe schrieb, von seinem biedermeierlichen Debüt abgesehen, von Kritik und Publikum weitestgehend unbemerkt. Lange Zeit galt der Autor als Verfasser von idyllischen und kauzigen, aber literarisch kaum ambitionierten Texten. Selbst heute ist Raabe noch ein Geheimtipp – was in Anbetracht seines späten Romans Stopfkuchen erstaunt. In diesem erzählt der beleibte Titelheld seine Lebens- und Liebesgeschichte, die tatsächlich von einem Mordfall geprägt ist. Dabei geht er aber nicht chronologisch vor, sondern berichtet vor- und rückwärts, wird immer wieder von seiner Frau unterbrochen und schweift in Erinnerungen ab. Aufgezeichnet wird das Ganze von Stopfkuchens Jugendfreund Eduard während einer Schiffsreise nach Afrika, sodass letztendlich ein faszinierendes Wirrwarr von Erzählperspektiven und gespiegelten Handlungsmomenten entsteht. Raabes handwerkliche Finesse, ja Modernität, beeindruckt bis heute – erst recht, wenn man sich das Entstehungsdatum vor Augen führt.

Take-aways

  • Stopfkuchen ist ein künstlerisch außerordentlich ambitioniertes Werk Wilhelm Raabes.
  • Obwohl bereits 1891 veröffentlicht, ist der Text eindeutig ein Vertreter des modernen Romans.
  • Inhalt: Bei einem Besuch in seinem norddeutschen Heimatdorf trifft der Erzähler Eduard seinen Jugendfreund Stopfkuchen. Dieser war stets ein Außenseiter, hat es inzwischen aber zum Besitzer eines Hofs gebracht und ist glücklich verheiratet. Sein Schwiegervater war zu Lebzeiten als mutmaßlicher Mörder verfemt. Stopfkuchen ermittelt den wirklichen Täter und überführt das ganze Dorf der Sensationslust und Scheinheiligkeit.
  • Der Autor lässt seine Hauptfigur nicht linear, sondern in Zeitsprüngen und mit vielen Unterbrechungen erzählen.
  • Stopfkuchens Bericht wiederum wird von Eduard während einer Schiffspassage nach Afrika niedergeschrieben.
  • Die unterschiedlichen Perspektiven und die sich spiegelnden Handlungsmomente machen die ausgefeilte Erzählstruktur des Romans aus.
  • Raabe war eigentlich für sein biedermeierliches Frühwerk bekannt, seine anspruchsvolleren, späteren Bücher wurden kaum gelesen.
  • Der Schulabbrecher schrieb im Lauf seines Lebens über 80 Romane und Erzählungen.
  • Beeindruckend ist die stilistische Eleganz: Trotz des komplizierten Aufbaus bietet das Buch größten Lesegenuss und beste Unterhaltung.
  • Zitat: „Jawohl, Stopfkuchen! Nennt mich nur so; ich mache mir auch daraus nichts. Wenn ich Kuchen kriege, so stopfe ich; darauf könnt ihr euch verlassen.“

Zusammenfassung

Zu Besuch in der Heimat

Eduard befindet sich an Bord der „Hagebucher“; er ist auf der Heimreise von Hamburg nach Südafrika, wo er es zum Gutsbesitzer gebracht hat. Die Schiffspassage wird 30 Tage dauern, und diese Zeit will Eduard nutzen, um die Ereignisse während seines Besuchs im heimatlichen Dorf Maiholzen zu Papier zu bringen.

„Wie kommen Menschen dahin, wo sie sich, sich besinnend, zu eigener Verwunderung dann und wann finden?“ (S. 8)

Viele ehemalige Kameraden hat Eduard bei einem Besuch in der Schankwirtschaft wiedergetroffen. Auf dem Heimweg, unter dem klaren norddeutschen Sternenhimmel, fällt ihm jedoch auf, dass einer der alten Freunde gefehlt hat: Heinrich Schaumann, den alle von jeher wegen seiner enormen Leibesfülle bloß Stopfkuchen genannt haben. Wie Eduard von seinen Kameraden erfährt, lebt Heinrich inzwischen auf der roten Schanze, einem befestigten Hof, von dem aus der Prinz von Sachsen im Siebenjährigen Krieg den Kanonenbeschuss des Dorfes begonnen hatte. Eduard beschließt, Stopfkuchen am folgenden Tag einen Besuch abzustatten.

„Wenn ich mal träume, dann träume ich von ihr, und wer dann Herr auf ihr ist und keinen Schulrath, Oberlehrer und Kollaborator über den Graben lässt, das ist nicht der Bauer Quakatz, sondern das bin ich. Ich! sage ich Dir, Eduard.“ (Stopfkuchen über die rote Schanze, S. 27 f.)

Was Eduard ebenfalls erfährt: Der Landpostbote Fritz Störzer ist an diesem Tag verstorben. Ohne einen einzigen Urlaubstag ist er 31 Jahre im Dienst gewesen und hat zu Fuß eine Strecke zurückgelegt, die fünfmal um die Erde geführt hätte. Eduard war schon als Kind mit dem Postboten befreundet und begleitete ihn regelmäßig auf seinen Gängen. Störzer schwärmte für ferne Länder und Kontinente. Seinen Erzählungen verdankt Eduard die eigene Reiselust und sein heutiges Leben in Afrika.

Auf der roten Schanze

Der ursprüngliche Herr auf der roten Schanze, Andreas Quakatz, war ein einsamer Mann, der abgesehen von seiner Tochter Valentine keine Menschen um sich hatte. Es kursierten damals Gerüchte, Quakatz habe den Viehhändler Kienbaum erschlagen, und niemand wollte mit dem vermeintlichen Mörder etwas zu tun haben. Eduards träger und verfressener Freund Stopfkuchen indessen träumte schon als Schüler davon, eines Tages die rote Schanze zu besitzen. Und da der dicke Junge selbst von allen gehänselt wurde, konnte er sich in den einsamen Bauern Quakatz gut einfühlen.

„Jawohl, Stopfkuchen! Nennt mich nur so; ich mache mir auch daraus nichts. Wenn ich Kuchen kriege, so stopfe ich; darauf könnt ihr euch verlassen.“ (Stopfkuchen, S. 33)

Eduard erinnert sich an einen Tag am Ende der Schulzeit, als er zusammen mit Stopfkuchen die Schanze besuchte. Der Bauer Quakatz war wegen der Mordangelegenheit wieder einmal vor Gericht gerufen worden, seine Tochter war allein auf dem Hof. Stopfkuchen, obwohl eigentlich sehr faul, wollte seinen Eltern zuliebe Theologie studieren und sich vor der Abreise von Valentine verabschieden. Zu Eduards Überraschung wurde das kratzbürstige Wesen in Stopfkuchens Gegenwart plötzlich sanft: Sie sperrte die Hunde weg, ließ sich umarmen und weinte an Stopfkuchens Schulter über ihren Vater und den Mordverdacht. Wie sich herausstellte, hatte Stopfkuchen seit Langem jede freie Minute auf der Schanze verbracht und so die Zuneigung der Haustochter gewonnen.

Als Kind schon ein Außenseiter

Als Eduard nun die rote Schanze besucht, wird er nicht von gefährlichen Wachhunden, sondern von einem friedlichen Kater begrüßt. Stopfkuchen sitzt im Freien am Frühstückstisch und raucht gemütlich eine Pfeife. Seine Ehefrau, niemand anderes als Valentine Quakatz, ist bei ihm. Von ihrer einstigen Wildheit ist nichts mehr zu spüren, im Gegenteil: Sie macht den Eindruck einer zufriedenen und gepflegten Dame. Stopfkuchen ist zunächst etwas verstimmt, weil Eduard ihn erst so kurz vor seiner Abreise besucht. Dann aber wird das Gespräch derart freundschaftlich und behaglich, dass Eduard sich heimischer fühlt als bei seinem ganzen bisherigen Aufenthalt in Maiholzen.

„Nicht groß und nicht klein, nicht mager und nicht fett, nicht hübsch und nicht hässlich, nicht städtisch und nicht dörfisch, nicht Kind und nicht Jungfrau stand sie, Valentine Quakatz, des Mordbauern Andreas Quakatzen einzige Tochter und bewachte ihres blutig berüchtigten Vaters Anwesen, die rothe Schanze (...)“ (S. 45)

Die beiden Freunde machen einen Spaziergang um die Schanze, ganz gemächlich, weil der dicke Stopfkuchen nicht schneller kann und mag. Sie kommen auf vergangene Tage zu sprechen, und Stopfkuchen erinnert sich, dass er von Eduard und den anderen Schülern früher wegen seiner Leibesfülle als Außenseiter gebrandmarkt wurde. Nach dem Spaziergang gehen die beiden in die Küche, wo Valentine das Essen zubereitet hat. Über der Tür hängt ein Schild mit Stopfkuchens Lebensmotto: „Gehe aus dem Kasten.“ Eduard wundert sich über diesen Satz, da sein dicker Freund den Hof nur verlässt, um auf den nahe gelegenen Äckern nach fossilen Knochen zu suchen.

Stopfkuchen als Detektiv

Nach dem Essen geht Stopfkuchen wieder mit Eduard vor die Tür, um ihm zu erzählen, was aus der Mordgeschichte von damals geworden ist. Er fängt ganz von vorn an und schildert, wie er Valentine kennen gelernt hat: Als das Mädchen von den Kindern aus dem Dorf eines Tages mit Steinen beworfen und verprügelt wurde, schlug Stopfkuchen sich auf seine Seite. Valentine erklärte ihm, dass ihr Vater niemals für die Mordtat verantwortlich sein könne, und nahm ihren neuen Freund mit auf die Schanze. Stopfkuchen hatte zunächst großen Respekt vor dem berüchtigten Mann. Quakatz war jedoch freundlich und bat den Schüler zu sich in die Stube, um sich einen Gesetzestext aus dem Lateinischen übersetzen zu lassen. Im weiteren Gespräch wurde Stopfkuchen von dem Alten als Detektiv beauftragt: Er sollte herausfinden, wer Kienbaum wirklich erschlagen hatte – und zur Belohnung die rote Schanze überschrieben bekommen.

„Ein Indianer am Pfahl konnte es unter dem Kriegsgeheul und Hohngebrüll seiner Feinde nicht schöner haben als Stopfkuchen in eurem muntern Kreise. Nette Siegestänze eurer Ueberlegenheit habt ihr um mich armen maulfaulen, feisten, schwitzenden Tropf aufgeführt.“ (Stopfkuchen, S. 86)

Valentine kommt zu den beiden Männern nach draußen, und im nächsten Moment erklärt Stopfkuchen, dass er inzwischen tatsächlich weiß, wer Kienbaums Mörder ist. Valentine ist schockiert – davon hat ihr Gatte nie etwas erzählt.

Nicht mehr allein

Bevor Stopfkuchen weitererzählt, bittet er Valentine, Eduard die Geschichte ihrer gemeinsamen Liebe zu schildern. Valentine lässt sich nicht zweimal bitten und beschreibt, wie sie als Kind gelitten hat: unter den Blicken der anderen, unter den Hänseleien und Andeutungen, dass ihr Vater ein Mörder sei. Immer wieder wurde ihr nachgerufen, ihr Vater werde sicher bald am Galgen baumeln. Dementsprechend lebte Valentine als Kind in vollkommener Einsamkeit mit ihrem Vater – bis schließlich Stopfkuchen regelmäßig zu ihnen auf die Schanze kam. Der dicke Junge passte gut zu den beiden Außenseitern, da er selbst wegen seines Äußeren keine Freunde fand und von allen ausgelacht wurde. Er, der in der Schule für dumm und einfallslos gehalten wurde, erzählte auf der Schanze Märchen und Geschichten und gewann damit das Herz der wilden Valentine. Und er beschützte sie auch vor ihrem düsteren und menschenfeindlichen Vater, der mit Knüppel und Peitsche hinter ihr her war und sich von den Kindern oftmals nur mit einer Flasche Schnaps ruhigstellen ließ.

Erster Kuss und Heirat

Als Valentine 21 Jahre alt war, erlitt ihr Vater einen Schlaganfall, von dem er sich nie wieder erholte. Stopfkuchen war fort – er studierte – und Valentine hatte nun alleine das Sagen auf der roten Schanze. In einer Winternacht saß sie mit ihrem zunehmend wirren Vater in der Stube. Als sie ein Geräusch von draußen hörte, griff sie zum Hackmesser, um sich gegen den Eindringling zu verteidigen – bei dem es sich um niemand anderen als Stopfkuchen handelte. Er hatte sein Studium abgebrochen, weil der akademische Betrieb weder seiner angeborenen Gemütlichkeit noch seinem blitzgescheiten Geist entsprach. Sein Vater hatte dafür wenig Verständnis gezeigt und ihn kurzerhand vor die Tür gesetzt, weshalb er nun zur Schanze kam. Als bald darauf der Knecht des Hauses über Valentine herfallen wollte, schritt Stopfkuchen ein und verdiente sich so den ersten Kuss seiner zukünftigen Ehefrau.

„Weil ihr ein bischen weiter als ich in die Welt hinein euch die Füße vertreten habt, meint ihr selbstverständlich, daß ich ganz und gar im Kasten sitzen geblieben sei. Ne, ne, lieber Eduard, es ist wirklich mein Lebensmotto: Gehe heraus aus dem Kasten!“ (Stopfkuchen, S. 97)

Stopfkuchen half bei der Arbeit auf dem Hof mit, und die Leute kamen aus dem Dorf, um ihn mit der Mistgabel in der Hand zu sehen. Er stellte sich allerdings gar nicht ungeschickt an, und bald beschlossen er und Valentine, zu heiraten. Alle, die über Jahre hinweg die rote Schanze als Mörderburg beschimpft hatten, kamen zum Hochzeitsessen und schlugen sich die Bäuche voll. Auch der alte Bauer Quakatz saß mit dabei und glaubte in seinem verwirrten Kopf, die Gesellschaft sei aufgetaucht, um ihn endlich als unschuldigen Bürger anzuerkennen.

Am Sarg des Briefträgers

Stopfkuchen beschießt, seinen Freund Eduard noch ein Stück ins Dorf zu begleiten. Unterwegs will er ihm endlich verraten, was er über den Mordfall Kienbaum herausgefunden hat. Valentine soll auf der roten Schanze bleiben; sie wird sich bis zu seiner Rückkehr gedulden müssen und erst dann erfahren, wer der Täter war. Vor Aufregung – schließlich hat die Mordgeschichte ihre Kindheit und Jugend bestimmt – kann sie schon jetzt die Tränen nicht mehr zurückhalten.

„Aber das steht auch fest, mein Herz, mein Kind, Du altes, gutes Weib, und Du afrikanischer Freund, daß ich beiläufig, und fast ohne mein Zuthun herausgekriegt habe: wer Kienbaums Mörder gewesen ist – wer Kienbaum todtgeschlagen hat.“ (Stopfkuchen, S. 121)

Die beiden Freunde spazieren los und erregen im Dorf einiges Aufsehen. Stopfkuchen wird gefragt, was ihn denn aus der roten Schanze hinaustreibe; er verlasse den Hof doch sonst nie. Eduard gegenüber behauptet er, dass ihm die Sache mit Kienbaum sehr unangenehm sei. Eigentlich wolle er unter den Leuten im Dorf gar nicht öffentlich machen, wer der wahre Mörder sei.

„Da war zum Exempel der Heinrich Schaumann, den ihr Stopfkuchen nanntet. Er hat wenigstens mal ganz und gar nach seiner Natur gelebt, hat gethan und hat gelassen, was er thun oder was er lassen musste; – ist es dann am Ende nachher seine Schuld, wenn in irgend einer Weise doch etwas Vernünftiges dabei herauskommt? Garnicht.“ (Stopfkuchen, S. 124 f.)

Bevor er Genaueres erzählt, machen die beiden noch einen Umweg. Sie gehen beim Haus des Briefträgers Störzer vorbei, um an seinem Sarg Abschied zu nehmen. Stopfkuchen wünscht dem Toten, dass er sanft ruhen möge, macht jedoch auch eine spektakuläre Andeutung: Die Schicksale der Familien Quakatz, Störzer und Kienbaum seien miteinander verknüpft gewesen. Die Enkelin des Briefträgers tritt zu ihnen und erzählt, Störzer habe einen angenehmen Tod gehabt, doch er habe in den letzten Tagen viel von der roten Schanze gesprochen und unbedingt eine „Bestellung“ dort abgeben wollen. Eduard und Stopfkuchen verlassen das Trauerhaus und setzen sich auf einen Trunk ins Wirtshaus.

Die Beerdigung des alten Quakatz

Stopfkuchen erzählt weiter: Ihm und Valentine ging es nach der Hochzeit gut, die Landwirtschaft auf der roten Schanze lief ganz erträglich. Die beiden kümmerten sich um den alten Quakatz; Stopfkuchen ging oft mit ihm hinaus auf die Felder, um nach Versteinerungen und alten Knochen zu suchen. Von dem Fall Kienbaum war endlich keine Rede mehr, der Vater konnte schließlich in Ruhe sterben. Zur Beerdigung kamen einige Leute aus dem Dorf, auch der Briefträger Störzer. Stopfkuchen hatte sich mit dem Pastor abgesprochen: Dieser legte in seiner Grabrede der Gemeinde nahe, dass Quakatz vielleicht doch nicht der Mörder Kienbaums gewesen sei und dass nur diejenigen Erde aufs Grab werfen sollten, die reinen Gewissens seien. Alle griffen nach der Schaufel – bis auf einen. Und Stopfkuchen bekam mit, wer dieser eine war.

„(...) ich bin ja in Sicherheit und Ruhe hier bei Dir auf der rothen Schanze; und es ist jetzt ja alles so einerlei, wer Kienbaum todtgeschlagen und dem Vater das Leben verbittert hat. Ach, wenn mir doch nur Keiner mehr davon spräche!“ (Valentine, S. 232)

Bei einer Pfeife zu Hause nach der Beerdigung überlegte er, was zu tun sei. Dabei hörte er seine trauernde Frau sagen, sie wolle nie wieder etwas von dieser fürchterlichen Mordgeschichte hören. Stopfkuchen beschloss, die Sache in aller Ruhe anzugehen und den Verdächtigen zunächst unter vier Augen anzusprechen.

Des Rätsels Lösung

Durch Zufall begegnete Stopfkuchen wenige Tage später dem Postboten Störzer, und zwar ausgerechnet an der Stelle, wo damals der Mord geschehen war. Er sagte dem alten Mann seinen Verdacht ins Gesicht: Er, Störzer, habe Kienbaum erschlagen. Der Postbote gab die Tat tatsächlich zu: Zeit seines Lebens sei er von dem reichen Viehhändler gehänselt worden. Und als Kienbaum eines Tages nur zum Spaß vom Kutschbock mit der Peitsche nach ihm schlug, da habe er nach einem Stein gegriffen, ohne zu zielen geworfen – und getroffen. Kienbaum sei an der Verletzung gestorben.

„Ja, ich bin’s gewesen, und ich habe es die ganzen langen Jahre getragen, daß ich es gewesen bin, und daß sie nach mir vergeblich gesucht haben.“ (Störzer, S. 243)

Stopfkuchen hat nie jemandem etwas von seiner Unterredung mit Störzer verraten, aber nun hat er in der Wirtschaft davon erzählt, und nicht nur Eduard, sondern auch die Kellnerin hat zugehört. Schon am nächsten Morgen hat sich die Neuigkeit verbreitet, und Eduard, der nun von sensationsgierigen Dörflern bedrängt wird, kann nachvollziehen, warum der ruheliebende Stopfkuchen sich so lange mit der Wahrheit in die rote Schanze zurückgezogen hat. Der Sarg des Briefträgers wird an vielen Schaulustigen vorbei durch das Dorf getragen, und Eduard macht sich auf den Weg nach Hamburg. Er besteigt sein Schiff nach Afrika und schreibt in seiner Kabine während der Überfahrt die Geschichte nieder.

Zum Text

Aufbau und Stil

Von der Hauptfigur des Romans wird behauptet, dass sie alles im Leben hastig und gierig in sich hineinstopft. Von dieser Eile ist jedoch bei der Art und Weise, wie Wilhelm Raabe seinen Stopfkuchen von der Mordgeschichte erzählen lässt, nichts zu merken. Ständig unterbricht er seinen Bericht, fügt noch eine Nebengeschichte hinzu, springt in der Erzählzeit abermals ein Stückchen zurück und steigert die Spannung für den Leser immer mehr. Zu Papier bringen lässt Wilhelm Raabe diesen Bericht vom eigentlichen Erzähler, der schreibend in der Schiffskajüte sitzt und sich während der Überfahrt verschiedene Abschnitte seines Lebens in Erinnerung ruft. So besteht der Roman nicht nur aus der tröpfchenweise erzählten Mordgeschichte, sondern auch aus Erinnerungen Eduards an seine Kindheit, an seinen Heimatbesuch, seine Begegnung mit dem Jugendfreund auf der roten Schanze und sogar an seine Familie in Afrika. Ständig unterbrochen wird dieses Gemisch zudem von kurzen Schilderungen des Lebens an Bord des Schiffes, mit dem Eduard nach Afrika fährt. Die Modernität des bereits 1891 erschienenen Textes liegt sicherlich darin, dass der Autor überhaupt eine solche Gleichzeitigkeit der Erzählebenen wagt. Wirklich verblüffend ist jedoch auch heute noch die Eleganz, mit der Wilhelm Raabe dieses Projekt bewältigt: Stopfkuchen ist trotz allem kein verwirrender oder über die Maßen komplizierter Text, sondern ein wunderbarer, meisterhaft konstruierter Roman.

Interpretationsansätze

  • Die beiden Erzählerfiguren, Eduard und Stopfkuchen, repräsentieren unterschiedliche Weltsichten. Stopfkuchen sagt zwar, man müsse „aus dem Kasten gehen“, bleibt aber ein Leben lang auf seinem Hof sitzen. Wichtig ist ihm nicht die räumliche Fortbewegung – wie sie etwa für den in Südafrika lebenden Eduard eine große Rolle spielt –, sondern seine geistige Entwicklung.
  • Stopfkuchen ist eine Figur mit sehr widersprüchlichen Charaktereigenschaften. Er beobachtet und verachtet die Spießer und die Welt, in der sie mit ihrem nutzlosen Besitz leben. Gleichzeitig gönnt er sich selbst einen gewissen Luxus: reichhaltiges Essen, eine gestopfte Pfeife, einen eigenen Hof, eine treue Frau. In diesem Sinne ist Stopfkuchen der typische Emporkömmling: ein einfacher Mann, der sich seinen Platz in der Welt erkämpft hat.
  • Stopfkuchen kann als religiöser und schicksalsgläubiger Text gelesen werden. Die Hauptfigur hat es nicht eilig, den Mord an Kienbaum aufzuklären und die Wahrheit mitzuteilen. Eine weltliche Gerechtigkeit hat es hinsichtlich dieses Verbrechens ohnehin nicht gegeben: Valentines Vater hat unschuldig büßen müssen. Abgerechnet wird außerhalb der menschlichen Zeit – und diese quasi göttliche Position des gelassenen Schicksalsboten nimmt auch Stopfkuchen im Roman ein. //
  • //Mit der Aufklärung der Mordgeschichte verfolgt Stopfkuchen ganz unauffällig auch eine persönliche Mission. Dadurch dass er seinem Freund Eduard vor den Ohren der tratschsüchtigen Kellnerin den Namen des wahren Mörders verrät, rechnet er mit der ganzen Stadt ab. Alle sollen wissen, dass sie den alten Quakatz, einen Außenseiter wie Stopfkuchen selbst, ein Leben lang zu Unrecht verurteil haben.

Historischer Hintergrund

Vom Kleinstaatenbund zur Kolonialmacht

Nach dem Sieg über Napoleon in der Schlacht bei Waterloo im Jahr 1815 hoffte das deutsche Bürgertum auf eine Verfassung und das damit verbundene Ende der immer noch vorherrschenden Fürstenwillkür. Stattdessen vereinbarten die europäischen Mächte während des Wiener Kongresses eine Politik der Restauration. Die alte Ordnung im Sinne des „Ancien Régime“ sollte wiederhergestellt werden.

Im Frühling des Jahres 1848 kam es in den Ländern und Provinzen, die sich zum Deutschen Bund zusammengeschlossen hatten, zur so genannten Märzrevolution. Ziel der Aufständischen war die Schaffung eines demokratischen und einheitlichen deutschen Nationalstaates. Die Hoffnungen auf „Einigkeit und Recht und Freiheit“ wurden von den restaurativen Fürstentümern zunächst jedoch zerschlagen. Der deutsche Kulturraum blieb weiterhin in zahlreiche Kleinstaaten aufgeteilt, in denen vor allem die Arbeiter unter den sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen zu leiden hatten. Zudem setzte im Deutschen Bund die Industrialisierung vergleichsweise spät ein, weshalb sich die ländlichen und einfachen Verhältnisse lange erhielten.

Infolge der Streitigkeiten um den spanischen Thron erklärte das Kaiserreich Frankreich 1870 dem preußischen König Wilhelm I. den Krieg. Die drei süddeutschen Staaten Baden, Württemberg und Bayern verbündeten sich mit Preußen, woraufhin sich Frankreich im Deutsch-Französischen Krieg geschlagen geben musste. Am 18. Januar 1871 wurde im Schloss von Versailles in Paris das Deutsche Reich ausgerufen und Wilhelm I. zum deutschen Kaiser ernannt. Reichskanzler wurde Otto von Bismarck. Dieser stimmte ersten Sozialgesetzen zwar zu, vertrat gegenüber den liberalen Parteien und den Sozialdemokraten jedoch eine harte Linie. Die deutsche Außenpolitik zielte auf eine Isolation Frankreichs, war ansonsten aber friedlich. Erst nach dem Tod Wilhelms I. 1888 und dem Rücktritt Bismarcks 1890 kam es zu einem erneuten Richtungswechsel: Wilhelm II. setzte sich für eine Aufrüstung des Deutschen Reiches ein und trieb verstärkt die deutsche Kolonialpolitik voran.

Entstehung

In seinem Tagebuch vermerkte Wilhelm Raabe am 9. Mai 1890: „12½ Uhr Beendigung von: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte“. Ganz so streng strukturiert wie die genaue Angabe der Uhrzeit vermuten lassen könnte, scheint Raabes Arbeitstag allerdings nicht gewesen zu sein. Erhalten sind neben seinem Tagebuch auch einige Schmierzettel, auf denen der Autor nach der eigentlichen Schreibarbeit seiner Fantasie freien Lauf ließ und sich einzelne Einfälle notierte – kleine Handlungsideen etwa oder Dialogfetzen, die er seine Figuren im Roman sprechen lassen wollte. Einige Ideen verwarf Raabe wieder, andere übernahm er unverändert.

Ein Zeitungsartikel, der in Raabes Nachlass entdeckt wurde, diente offensichtlich der Geschichte Stopfkuchens als Vorlage. Im Braunschweiger Tageblatt widersprach ein gewisser Carl Vogelsang einigen Gerüchten, die damals über ihn kursierten und unter denen seine Familie zu leiden hatte. Diese besagten, dass Vogelsang vor Kurzem gestorben sei und auf dem Totenbett dem Pfarrer gegenüber gestanden habe, vor 30 Jahren einen Schweinehändler ermordet zu haben. Tatsächlich hatte es im Braunschweiger Raum einen solchen Fall gegeben, der niemals aufgeklärt worden war. Vogelsang wies jedoch alle Schuld von sich – und erklärte außerdem, dass er in letzter Zeit weder krank gewesen noch gestorben sei.

Wirkungsgeschichte

Seine größten schriftstellerischen Erfolge hatte Wilhelm Raabe zu Beginn seiner Autorenkarriere. Insbesondere sein Erstlingswerk Die Chronik der Sperlingsgasse fand eine große Leserschaft, wurde allerdings vom Autor selbst später wenig geschätzt. Raabe bezeichnete seine frühen Werke als „Jugendquark“ und unterteilte sein Publikum in „Leser“ und „Liebhaber“, von denen sich leider nur Letztere für sein spätes, anspruchsvolleres Werk interessierten.

Tatsächlich sollte es bis weit ins 20. Jahrhundert hinein dauern, bis Raabe nicht mehr nur mit den idyllischen und biedermeierlichen Tönen seines Frühwerks verbunden wurde. Insbesondere Stopfkuchen wird heute aufgrund seiner vielschichtigen Handlung und der geschickt ineinander montierten Erzählperspektiven als ein Vorreiter des modernen Romans gewürdigt. Allerdings wurde Wilhelm Raabe auch zu seinem 100. Todestag am 15. November 2010 noch als verkannter Erzähler und Geheimtipp empfohlen, dessen Bücher es weiterhin zu entdecken gelte.

Über den Autor

Wilhelm Raabe wird am 8. September 1831 in Eschershausen im Herzogtum Braunschweig als Sohn eines Juristen geboren. Seine Mutter macht ihn bereits im Alter von fünf Jahren mit Robinson Crusoe bekannt. Ein starker Einfluss ist zudem der Großvater August Raabe, der als schriftstellernder Postrat die Fantasie des Jungen anregt. 1845 stirbt der Vater, die Mutter siedelt mittellos mit den Kindern nach Wolfenbüttel über. Wilhelm versagt auf dem Gymnasium, das er nach der siebten Klasse ohne Abschluss verlässt. Gelobt wird er lediglich für seine zeichnerischen Fähigkeiten und sein sprachliches Talent. Es folgt eine Buchlehre in Magdeburg, die er jedoch nach einem Selbstmord in seinem Bekanntenkreis 1853 verstört abbricht, um zu seiner Mutter nach Wolfenbüttel zurückzukehren. 1854 geht er nach Berlin, um als Gasthörer ohne Abitur Philologie zu studieren. Dort schreibt er ab November 1854 seinen ersten Roman Die Chronik der Sperlingsgasse, der 1856 veröffentlicht wird. Beim Publikum, vor allem aber auch bei der Kritik, ist der Roman ein Erfolg. Raabe entschließt sich, als freier Schriftsteller zu leben. Im Juli 1862 heiratet er Bertha Leiste, mit der er nach Stuttgart zieht. Das Paar bekommt vier Töchter. Um die Familie zu ernähren, ist Raabe enorm produktiv und schreibt im Lauf seines Lebens über 80 Romane, Novellen und Erzählungen. Bekannt werden vor allem Die schwarze Galeere (1861) und Der Hungerpastor (1864). Im Juli 1870 zieht die Familie nach Braunschweig. Die Werke des Autors werden künstlerisch anspruchsvoller, der literarische Erfolg seiner Anfangsjahre bleibt zunehmend aus. Mit Stopfkuchen (1891) sieht Raabe sein Lebenswerk vollendet. Er schreibt nicht mehr viel und widmet sich verstärkt der Malerei. Am 15. November 1910 stirbt er.

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