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Tagebuch des Diebes
Buch

Tagebuch des Diebes

Paris, 1948
Diese Ausgabe: Merlin, 2001 Mehr

Literatur­klassiker

  • Autobiografie
  • Nachkriegszeit

Worum es geht

Die Poesie der Gosse

Jean-Paul Sartre definiert in seiner Existenzphilosophie den Menschen als in die Welt geworfenes Wesen, für das die Wahl seines Selbst zum Lebenskampf gehört. Jean Genet hat diese Geworfenheit in Literatur gegossen und in aller Härte erlebt – zumindest wenn man seiner Autobiografie Tagebuch des Diebes trauen kann. Darin schildert er seine Kindheit und Jugend und seine Odyssee durch Europa: Im Bodensatz der Gesellschaft haust er unter verlausten Pennern, Verbrechern und Zuhältern. Homosexualität, Diebstahl und Verrat erklärt er zu seinen Kardinaltugenden und holt als gesellschaftlich Ausgegrenzter zum Gegenschlag aus, indem er bewusst eine amoralische Existenz wählt. Genet nimmt kein Blatt vor den Mund: Sadomasochistische Spiele mit Gleichgesinnten schildert er ebenso offen wie seine Versuche, als Verbrecher auf eigenen Beinen zu stehen und sich von allen Skrupeln zu befreien. „Poesie ist die Kunst, Scheiße zu benutzen und sie euch fressen zu lassen“, sagte er einmal über seine Schriftstellerei. Inzwischen hat der Autor seinen festen Platz in der Tradition der „poètes maudits“ wie Villon, de Sade, Rimbaud und Verlaine.

Take-aways

  • Tagebuch des Diebes ist das letzte erzählerische Werk des französischen Dichters, Dramatikers und Romanautors Jean Genet.
  • Genet berichtet aus seinem Leben in der Halbwelt verschiedener europäischer Städte, einem Leben unter Zuhältern und Verbrechern.
  • Ein zentrales Element des Buches ist Genets Homosexualität; die Beziehungen zu seinen Liebhabern schildert er en détail.

Über den Autor

Jean Genet wird am 19. Dezember 1910 in Paris geboren. Seine Mutter verstößt ihn und gibt den Säugling bei einer Pflegestelle ab. Diese vermittelt ihn als Pflegekind an eine Handwerkerfamilie in Morvan. Schon als Teenager beginnt er seine Pflegeeltern zu bestehlen und wandert fortan von einer Fürsorgestelle zur nächsten. Sein Freiheitsdrang ist so groß, dass er immer wieder das Weite sucht. Schließlich landet er in der berüchtigten Erziehungsanstalt Mettray. Weil er es dort nicht aushält, meldet er sich 1929 freiwillig zum Militärdienst. Er wird eingezogen und im Libanon, in Syrien und Marokko stationiert. Als Deserteur flieht er durch ganz Europa, lebt als Vagabund, Stricher und Bettler und gelangt schließlich nach Paris. Kleinere und größere Diebstähle, verbunden mit Prostitution, bringen ihn immer wieder hinter Gitter. In Anbetracht der Zahl seiner Vergehen droht ihm 1948 die dauerhafte Sicherheitsverwahrung. Nur dem Protest beinahe der gesamten intellektuellen Elite Frankreichs verdankt er die Begnadigung. Denn im Gefängnis hat Genet zu schreiben begonnen. Neben Gedichten wie Le Condamné à mort (Der zum Tode Verurteilte, 1942) verfasst er seinen ersten Roman Notre-Dame-des-Fleurs (1943), dem weitere Prosawerke folgen. In teils brutal-obszöner, teils poetischer Sprache schildert er die Halbwelt der Homosexuellen und anderer Außenseiter, Verbrechen, ausschweifende Sexualität, Gier und Verzweiflung. Trotz seines provokanten, teilweise pornografischen Stils finden die Werke großen Anklang. Jean Cocteau besorgt Genet sogar einen Anwalt, weil er trotz seines literarischen Erfolgs den Diebstahl nicht aufgibt. Große Anerkennung erlangt Genet auch mit seinen Bühnenwerken: Haute surveillance (Unter Aufsicht, 1949), Le Balcon (Der Balkon, 1957) oder Les Nègres (Die Neger, 1959) machen ihn in den 60er Jahren berühmt. Genet setzt sich zunehmend für politisch Verfolgte (Palästinenser, Black Panthers) ein. 1983 verleiht ihm die französische Regierung den Grand Prix des Arts et Lettres. Er stirbt am 15. April 1986 in Paris.


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