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Theologisch-politischer Traktat
Buch

Theologisch-politischer Traktat

Hamburg, 1670
Diese Ausgabe: Meiner, 1994 Mehr

Literatur­klassiker


Worum es geht

Vernunft und Glaube

Christ ist, wer Gott ehrt und das Gesetz der Nächstenliebe achtet. Punkt. Was jemand darüber hinaus denkt, ist seine Sache, und niemand hat ihm diesbezüglich etwas vorzuschreiben, auch nicht der Papst. Würde man die Religion strikt auf diese Grundlage reduzieren, könnten Kriege vermieden werden, und zwischen den Menschen würden Friede und Harmonie einkehren. Dies hat Spinoza vor gut 400 Jahren geschrieben, und leider kann man heute nicht behaupten, dass die Forderung überholt wäre. Die Zahl der Kriege, die aus religiösen (oder zumindest religiös verbrämten) Gründen geführt werden, hat sich kaum verringert. Noch immer ist die Stimme der Vernunft machtlos, wenn fundamentalistische Eiferer aller Couleur Hass predigen, und noch immer bleibt Spinozas Ziel der freien Meinungsäußerung vielerorts ein Wunschtraum. Sein Theologisch-politischer Traktat ist trotz seines Alters und bei aller historischen Bedingtheit aktuell geblieben. Für die Diskussion um Religion und Politik bietet er reichlich Zündstoff, auch wenn es dem Autor keineswegs um Polemik ging – sondern darum, endlich der Vernunft zur Herrschaft zu verhelfen.

Zusammenfassung

Pervertierte Religion

Immer dann, wenn sich Menschen in einer ausweglosen Situation befinden, greifen sie nach jedem Strohhalm, der sich ihnen bietet. Oft nehmen sie ihre Zuflucht zum Aberglauben, der aus Affekten wie Furcht, Zorn oder Hoffnung entspringt und keine vernünftige Grundlage hat. Das Volk benötigt Bräuche und Zeremonien, die es beeindrucken und die ihm immer wieder neue Hoffnung geben. Deshalb wurde die Religion mit entsprechenden Ritualen angereichert. Die Vertreter des Klerus begannen, die Menschen gegeneinander aufzuhetzen und ihnen Lügen zu erzählen. Der christliche Geist ist darüber weitgehend verloren gegangen: Menschen, die Liebe predigen, bekriegen sich, und die Kirche macht sich schuldig, indem sie Ämter und Pfründe an ihre Vertreter verteilt, um deren Gier zu befriedigen.

Viele Kirchenvertreter wollen in der Bibel die Begründung für ihre Lehren und Taten sehen. Um zu zeigen, was an der verkommenen Religionsausübung falsch ist, sollen deshalb die zentralen Thesen der Bibel und Methoden zur richtigen Auslegung im Mittelpunkt dieser Abhandlung stehen. Die Auslegung soll zeigen, dass die Meinungs- und Religionsfreiheit nicht nur zugestanden werden...

Über den Autor

Baruch oder Benedictus de Spinoza, wie er sich später nennt, wird am 24. November 1632 in Amsterdam als Sohn eines jüdischen Kaufmanns geboren. Seine Familie ist aus Portugal eingewandert, wo die Juden von Intoleranz und Verfolgung betroffen waren. Der Vater will, dass sein Sohn Rabbiner wird. Tatsächlich studiert der begabte Junge innerhalb weniger Jahre mit großer Begeisterung den Talmud und das Alte Testament, die gesamte antike, abendländische und jüdische Philosophiegeschichte sowie die neuere Philosophie Giordano Brunos und René Descartes’. Spinozas allumfassende Bildung und sein kritisches Bewusstsein für die Widersprüche in den heiligen Schriften bringen ihn in Gegensatz zur jüdischen Gemeinde Amsterdams. Er stellt die allgemeine Gültigkeit heiliger Dogmen und die Vorstellung vom jüdischen als dem auserwählten Volk infrage. Noch bevor er überhaupt eine Schrift publiziert hat, wird er 1655 wegen ketzerischer Äußerungen aus der jüdischen Gemeinde verstoßen. Die Folgen sind eine zeitweilige starke Vereinsamung und ein häufiger Wohnungswechsel innerhalb der Niederlande, aber auch eine große geistige Unabhängigkeit, die von zahlreichen Freunden betont wird, mit denen Spinoza in regem brieflichem Kontakt steht. Diesen Kontakten ist es zu verdanken, dass sich Spinozas Ideen genauso rasch verbreiten wie die Kritik an ihm. Die Religionsfreiheit Amsterdams ermöglicht ihm, selbst als Exkommunizierter einigermaßen unbehelligt zu leben und zu arbeiten. Obwohl Spinoza zu Lebzeiten nur den Theologisch-politischen Traktat (Tractatus Theologico-Politicus, 1670) veröffentlicht, bietet ihm die Universität Heidelberg im Jahr 1673 einen Lehrstuhl an, den der Philosoph aber nicht annimmt. Er zieht es vor, seinen Lebensunterhalt mit dem Schleifen optischer Gläser zu verdienen, womit er der jüdischen Tradition folgt, die verlangt, dass jeder Gelehrte ein Handwerk beherrschen soll. Das Einatmen der staubigen Luft führt zur frühen Erkrankung an Lungentuberkulose, woran er am 21. Februar 1677 im Alter von 44 Jahren stirbt.


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