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Torquato Tasso

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Torquato Tasso

dtv,

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10 Take-aways
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Was ist drin?

Der Künstler gegen den Rest der Welt: Mit seinem Drama über einen Renaissancedichter verarbeitete Goethe leidvolle Erfahrungen.


Literatur­klassiker

  • Drama
  • Weimarer Klassik

Worum es geht

Die Leiden des jungen Dichters

Als einen „gesteigerten Werther“ bezeichnete Goethe sein 1790 erschienenes Drama, und tatsächlich finden sich im Tasso dieselben Themen wie in dem weltberühmten Briefroman: hoffnungslose, entsagende Liebe und der ewige Konflikt zwischen dem sensiblen Dichter und seiner ignoranten Umwelt. Goethe projizierte seine eigene Situation als Weimarer Hofpoet auf den historisch verbürgten Renaissancedichter, der schon den Zeitgenossen als Inbegriff des wahnsinnigen Genies galt. In Weimar, wo Goethe seit 1775 residierte, litt er anfangs unter den Anfeindungen der höfischen Gesellschaft und seiner unerwiderten Liebe zu Charlotte von Stein. Allein die Kunst, so erkennt sein Tasso am Ende, kann dabei helfen, innere Qualen und schmerzhafte Erfahrungen zu verarbeiten – und genau das tat Goethe mit dem Stück. Wer allerdings auf eine rührselige Tragödie hofft, wird von der vielschichtigen Charakterstudie enttäuscht sein. Das eigentliche Drama spielt sich im Innern des an seiner gesteigerten Subjektivität leidenden Titelhelden ab, aber gerade das macht die Modernität dieses Klassikers aus.

Take-aways

  • Torquato Tasso zählt zu den meistgespielten klassischen Theaterstücken.
  • Inhalt: Der junge Dichter Tasso lebt am Hof des Herzogs von Este. Er fühlt sich unverstanden und verzehrt sich in vergeblicher Liebe zur Prinzessin Leonore. In seiner bis zum Wahn gesteigerten Empfindlichkeit leistet er sich unerhörte Dinge: Er fordert einen Adligen zum Duell und bestürmt die Prinzessin hemmungslos. Schließlich kommt es zum Bruch mit seinen Gönnern.
  • Goethe verarbeitete die Biografie des geisteskranken Renaissancedichters Torquato Tasso (1544–1595).
  • Gleichzeitig projizierte er seine eigene Situation als Hofdichter auf die historische Figur.
  • Goethe litt in seinen ersten Weimarer Jahren unter der Geringschätzung aristokratischer Kreise und seiner unerwiderten Liebe zu Charlotte von Stein.
  • Die Dramatik des Stücks entwickelt sich nicht aus der äußeren Handlung, sondern aus den inneren Kämpfen der Titelfigur.
  • Tasso scheitert am klassischen Ideal – der Verbindung von Kunst und Leben.
  • Beim zeitgenössischen Publikum fiel das psychologisierende Stück durch.
  • Aufsehen erregte Peter Steins gesellschaftskritische Inszenierung des Stücks im Jahr 1969.
  • Zitat: „Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt, / Gab mir ein Gott, zu sagen wie ich leide.“

Zusammenfassung

Zwischen Einsamkeit und Ruhm

Prinzessin Leonore von Este und ihre Freundin Leonore Sanvitale freuen sich darüber, den Frühling auf dem Lustschloss Belriguardo, dem Landsitz der Familie Este, verbringen zu dürfen. Leonore Sanvitale, die bald zu ihrem Mann nach Florenz zurückkehren muss, rühmt den Gastgeber Alphons, den Herzog von Ferrara und Bruder ihrer Freundin: sein Hof ziehe die größten Dichter Italiens an. Die Prinzessin macht im Scherz eine Anspielung auf Torquato Tasso, der gerade am Hof weilt. Er fühle sich offenbar zu einer gewissen Leonore hingezogen, der er seine Gedichte weihe ... Die Freundin erwidert, dabei handle es sich gewiss nicht um sie, sondern um die Prinzessin. Es komme Tasso sicher gelegen, dass sie denselben Namen trügen – so könne er seine Gefühle verbergen.

„Die Menschen fürchtet nur wer sie nicht kennt, / Und wer sie meidet wird sie bald verkennen.“ (Alphons, S. 20)

Auf der Suche nach dem Dichter findet Fürst Alphons die beiden Freundinnen im Garten. Ihm gefällt nicht, dass Tasso allen aus dem Weg geht und die Einsamkeit sucht, um endlos an seinen Gedichten zu feilen. Der Mensch müsse in die Welt hinausgehen, er brauche die Auseinandersetzung mit anderen, mit Freunden wie Feinden, um zu reifen. Mit Geduld und Zuwendung versuche er, Tasso von seinem fast schon krankhaften Misstrauen zu heilen. Umso erfreuter ist Alphons, als sich Tasso zu der Gruppe gesellt und ihm endlich das lang erwartete Epos „Befreites Jerusalem“ überreicht. Der Dichter widmet das Werk dem Fürsten, der ihn einst aus den engen Verhältnissen seiner Jugend befreite und es ihm so erst ermöglichte, ohne finanzielle Sorgen seiner Kunst nachzugehen. Die Prinzessin und Leonore stimmen ein Loblied auf Tasso an; nicht erst im Urteil der Nachwelt, sondern schon heute müsse er zu den ganz Großen gezählt werden. Auf Alphons’ Zeichen hin nimmt die Prinzessin den Lorbeerkranz von der Marmorbüste Vergils und setzt ihn Tasso auf den Kopf. Der ist peinlich berührt und nimmt die Ehrung nur widerwillig an. Seine Gedichte seien nicht für die Nachwelt gedacht, ihm genüge es, wenn seine Kunst hier und jetzt seinen Freunden gefiele.

Eine Seelenverwandtschaft

Alphons’ Gesandter und Staatssekretär Antonio Montecatino kehrt mit guten Nachrichten aus Rom zurück. Papst Gregor hat ein Stück Land an den Fürsten von Este abgetreten. Angesichts des brüchigen Friedens in Italien, den der Papst durch Ketzer im eigenen Land und die Macht der Türken im Osten gefährdet sieht, möchte er sich seiner Verbündeten vergewissern. Tasso fühlt sich von Antonios viel gerühmtem diplomatischem Geschick, seiner Tatkraft und seiner Tapferkeit gedemütigt – Eigenschaften, an denen es ihm selbst mangelt. Die Prinzessin tröstet ihn: Der Held beeindrucke durch seine Taten, die Leistung des Dichters aber bestehe darin, die Taten der Helden zu besingen und der Nachwelt zu überliefern.

„Stört ihn, wenn er denkt und dichtet, / In seinen Träumen nicht, und lasst ihn wandeln.“ (Alphons über Tasso, S. 23)

Tasso gesteht der Prinzessin, er habe sie vom ersten Augenblick an geliebt. Zu ihr allein fühle er sich hingezogen, nur mit ihr könne er frei sprechen. Mit dem Fürsten, seinem Herrn, verbinde ihn nicht viel, Leonore sei ihm zu oberflächlich, und Antonio schätze er zwar, aber von Zuneigung könne man nicht sprechen. Auch die Prinzessin, die in jungen Jahren eine schwere Krankheit durchlitten hat, fühlt eine Seelenverwandtschaft zu Tasso. Doch sein Drang, sich von der Gesellschaft fernzuhalten, sei nicht gut. Er dürfe nicht zu hohe, unerfüllbare Ansprüche an die Menschen stellen, und gerade Antonio müsse er vertrauen. Es sei falsch, sich nach innen zu kehren, sich in ein erdichtetes Goldenes Zeitalter zurückzuträumen. Eine solche Zeit sei vorbei, nur in der Gemeinschaft gleichgesinnter Menschen könne sie wiederhergestellt werden, so die Prinzessin. Als Tasso ihr nochmals leidenschaftlich seine Liebe erklärt, mahnt sie ihn zur Mäßigung. Allein durch Entbehrungen ließen sich Liebe und Tugend gewinnen.

Streit zwischen Tasso und Antonio

Tasso fühlt sich von den Reden der Prinzessin ermutigt. Er glaubt, die Angebetete für sich gewinnen zu können, indem er ihren Wünschen entspricht, sich selbst mäßigt und anderen gegenüber mehr Vertrauen zeigt. Als Antonio den Raum betritt, begrüßt er ihn stürmisch und bietet ihm überschwänglich seine Freundschaft an. Der Staatssekretär, von der Heftigkeit dieses Gefühlsausbruchs überrascht, reagiert kühl. Tassos Bemerkung, die Prinzessin wünsche aber doch eine Annäherung zwischen ihnen beiden, reizt den Älteren zu Spott: Tasso sei ein unerfahrener, tatenloser Dichter, der sich mit Lorbeeren schmücke, die er nicht verdient habe. Diese Provokation will Tasso nicht dulden. Plötzlich wertet er den Kranz, den er zuvor noch bescheiden abgelehnt hat, als Ausdruck seiner Größe und unterstellt dem adligen Antonio, er sei nur neidisch auf das künstlerische Talent, das ihm, Tasso, von der Natur – und nicht etwa von seiner Abstammung – verliehen worden sei. Er redet sich richtiggehend in Rage und fordert Antonio mit gezücktem Schwert zum Duell.

„Und wirst du die Geschlechter beyde fragen: / Nach Freyheit strebt der Mann, das Weib nach Sitte.“ (Prinzessin, S. 51)

In diesem Augenblick kommt der Herzog hinzu und versucht, zwischen den Streitenden zu vermitteln – vergebens. Während Tasso sich in seiner Würde verletzt sieht, erkennt Antonio in der Drohung mit der Waffe einen Verstoß gegen Sitte und Recht im fürstlichen Palast. Alphons muss Letzterem Recht geben und verweist Tasso auf sein Zimmer – nicht ohne auf die Milde der Strafe hinzuweisen und den beleidigten Dichter um Verständnis zu bitten. Tasso gibt dem Herzog mit großer Geste den Degen zurück, den er von ihm erhalten hat, und ebenso den Lorbeerkranz. Beleidigt zieht er sich zurück. Nachdem Tasso den Raum verlassen hat, fordert Alphons Antonio auf, sich mit dem Dichter zu versöhnen.

Verschiedene Arten von Liebe und Ruhm

Tasso bleibt tatsächlich auf seinem Zimmer und fühlt sich dort wie ein Gefangener. Die Prinzessin hat ein schlechtes Gewissen, weil sie Tasso dazu bewogen hat, auf Antonio zuzugehen. Zwei so unterschiedliche Wesen wie der junge Dichter und der ältere Adlige, das sieht sie nun ein, können niemals Freunde werden. Auf Anraten Leonores beschließt sie schweren Herzens, Tasso für eine Weile fortzuschicken, etwa nach Florenz, so lange, bis die Gemüter sich beruhigt haben. Tieftraurig klagt sie, ihr Leben erscheine ihr nicht mehr lebenswert, wenn der Dichter nicht in ihrer Nähe sei. Aber wenn es seinem Wohlbefinden diene, dann sei es besser so. Auch Leonore fühlt sich schuldig. Sie erkennt, dass hinter ihrem freundschaftlichen Rat auch Eigennutz steckt: Obwohl sie alles hat, was sie sich wünscht, Rang und Schönheit, einen Mann und einen Sohn, möchte sie Tasso – fernab des fürstlichen Hofes – für sich alleine haben. Ihre Liebe zu dem Dichter ist nicht ohne Eitelkeit: Er kann sie mit seinen Werken berühmt machen, in seinen Versen kann sie sich bespiegeln, sie bewahren ihre Jugend, ihre Schönheit und ihren Glanz für alle Zeiten.

„Der Mäßige wird öfters kalt genannt / Von Menschen, die sich warm vor andern glauben, / Weil sie die Hitze fliegend überfällt.“ (Antonio, S. 59)

Antonio gesteht Leonore, er sei eifersüchtig auf Tasso gewesen. Der Dichter habe seinen Platz am Hof eingenommen und den Lorbeerkranz getragen, den er selbst nach seiner schwierigen diplomatischen Mission verdient hätte. Leonore verweist auf den rein symbolischen Wert des Kranzes, der dem Luftigen, Leichten, Abgehobenen der Dichtkunst entspreche. Er, Antonio, erhalte als Lohn für seinen tatkräftigen Einsatz etwas Lebendiges, nämlich Ruhm und das Vertrauen des Fürsten. Antonio aber bemängelt, dass dem verwöhnten, eigenbrötlerischen Dichter, der zu heftigen Gefühlsschwankungen neigt, all seine Schwächen entschuldigt werden, während er selbst im Leben seinen Mann stehen müsse. Aber er sieht sich auch als der Ältere, Klügere, und zeigt sich zur Versöhnung bereit: Leonores Vorschlag, Tasso fortzuschicken, lehnt er ab.

Wirklichkeit oder Wahnsinn?

Leonore versucht den zutiefst verletzten Tasso, der weiterhin in seinem Zimmer vor sich hin brütet, zu beschwichtigen. Antonio schätze ihn, sagt sie, doch Tasso erkennt darin erst recht die Überheblichkeit eines Neiders, der ihm seinen Erfolg und sein Talent missgönnt. Leonore nutzt Tassos Hass und Unversöhnlichkeit, um ihren Plan in die Tat umzusetzen. Ein wenig Abstand täte ihm gut, sagt sie, und lädt ihn ein, sie nach Florenz zu begleiten und dort zu bleiben, bis die Wogen sich geglättet haben. Auf seine drängende Frage nach der Haltung der Prinzessin in dieser Sache antwortet Leonore ausweichend und unverbindlich. Also glaubt Tasso, es mache der Prinzessin nichts aus, wenn er weg sei.

„Inwendig lernt kein Mensch sein Innerstes / Erkennen. Denn er mißt nach eignem Maß / Sich bald zu klein und leider oft zu groß. Der Mensch erkennt sich nur im Menschen, nur / Das Leben lehret jedem was er sey.“ (Antonio, S. 60)

Tasso weigert sich, sein Misstrauen gegen die anderen als reines Hirngespinst, als Ausgeburt seiner Fantasie zu sehen. Von Verfolgungswahn, den ihm Leonore unterstellt, will er nichts wissen, er sieht sich vielmehr in seinem Argwohn bestärkt: Hinter Leonores durchsichtigen Schmeicheleien und ihrer Einladung nach Florenz, wo die verhassten Medici herrschen, glaubt er eine Verschwörung zu erkennen. Selbst die Prinzessin, deren Liebe und Zuneigung er sich bislang sicher war, scheint ihn – nach Leonores Worten zu urteilen – ganz gerne ziehen zu lassen und kann ihn offensichtlich leicht entbehren. Wenn man ihn hier nicht mehr haben will, so beschließt Tasso, wird er eben gehen.

„In Einem Augenblick gewährt die Liebe, / Was Mühe kaum in langer Zeit erreicht.“ (Tasso, S. 61)

Das beharrliche Schweigen der Prinzessin wertet Tasso als Zeichen dafür, dass sie sich gegen ihn gewandt hat. Seine Enttäuschung sitzt so tief, dass er Antonio, der sich nun plötzlich versöhnlich zeigt und Tasso seinerseits die Freundschaft anbietet, um einen Gefallen bittet: Er solle für ihn beim Herzog die Erlaubnis für die Abreise nach Rom einholen. Doch Antonio rät dringend von einem solchen Schritt ab: Herzog Alphons, dem so viel an Tasso und an der Vollendung von dessen Werk liege, werde diesen Wunsch gewiss zurückweisen. Außerdem schade er nur sich selbst und werde sich schon bald nach dem Hof zurücksehnen. Tasso, aufgewühlt, will selbst beim Herzog vorsprechen. Erst jetzt gibt Antonio nach und ist bereit, ihm den Gefallen zu erweisen.

Kunst und Leben: ein Widerspruch

Wie erwartet lehnt der Herzog Tassos Wunsch ab. Antonio erzählt ihm von Tassos kindischem, selbstquälerischem Verhalten und kritisiert dessen Unvermögen, sich zu beherrschen und sich seinem Mäzen gegenüber dankbar zu zeigen – immerhin schulde er ihm ja alles. Vielleicht, so Antonio, täte es dem launischen, erfolgsverwöhnten jungen Mann ja sogar gut, einmal auf eigenen Füßen zu stehen und sich selbst behaupten zu müssen! Dieses Argument überzeugt den Herzog. Er sucht Tasso auf, um ihn freundlich zu verabschieden und ihm Empfehlungsschreiben an Bekannte in Rom mitzugeben. Sobald er sich erholt habe, so Alphons, könne er jederzeit wieder an seinen Hof zurückkehren. Tasso möchte das Epos, das er dem Herzog gewidmet und kurz zuvor überreicht hat, noch einmal zurückbekommen, um es überarbeiten zu können, aber der Herzog lehnt diese Bitte ab. Zu viel Fleiß schade der Kunst, gerade in der natürlichen Leichtigkeit liege ihr Reiz, und man könne es nicht jedem Kritiker recht machen. Außerdem solle er nicht arbeiten, sondern sich erst einmal erholen und sich medizinisch behandeln lassen. Tasso wendet ein, er könne nicht untätig sein und brauche die Arbeit zu seinem Glück, doch das lässt der Herzog nicht gelten: Nicht als Dichter, sondern als Mensch müsse er sich vervollkommnen und den Wert des Lebens kennen lernen.

Tassos Zusammenbruch

Als die Prinzessin Tasso zum Abschied noch einmal sieht, begreift er endlich, dass sie nur unter großen Seelenqualen in eine Trennung von ihm eingewilligt hat. Wie konnte er die Geliebte nur so verkennen? Sofort spielt er mit dem Gedanken, doch zu bleiben, und malt sich in den schönsten Farben ein Dasein als Gärtner in irgendeiner der weit verstreuten Besitzungen des Fürsten aus. Die Prinzessin erkennt darin den Traum eines Wahnsinnigen, aber ihr Herz hängt dennoch an Tasso. Sie wünscht, es gäbe irgendein Mittel, irgendeine Medizin, um ihn zu heilen und ihn zur Ruhe zu bringen. Tasso, der diese Worte als Ausdruck ihrer Liebe auffasst, ist vor Glück außer sich, und unter leidenschaftlichen Liebeserklärungen umarmt er die Prinzessin. Der Herzog und Antonio werden Zeugen dieser ungehörigen und peinlichen Szene. In seiner Verzweiflung beschimpft Tasso die beiden. Wieder sieht er sich als Opfer einer Verschwörung, deren Anführer Antonio sein soll. Weil seine Neider ihm den Erfolg nicht gönnten und verhindern wollten, dass er seine Verse noch verbessere, würden sie ihm sein Epos vorenthalten. Unter dem Deckmantel der Freundschaft würden sie ihm Ruhe und Müßiggang verordnen, tatsächlich aber hielten sie ihn nur von der Arbeit ab, um zu verhindern, dass er seinem Werk den letzten Schliff verpasse. Erschreckt machen sich der Herzog und die Prinzessin davon.

„Ach daß wir doch dem reinen stillen Wink / Des Herzens nachzugehn so sehr verlernen! / Ganz leise spricht ein Gott in unsrer Brust, / Ganz leise, ganz vernehmlich, zeigt uns an, / Was zu ergreifen ist und was zu fliehn.“ (Prinzessin, S. 80)

Unter Antonios besänftigenden Worten weicht Tassos Wut einer tiefen Verbitterung und Erschöpfung. Er glaubt nicht nur seine Freunde, sondern auch sich selbst verloren. Gerne würde er sich von seiner Geliebten und seinem Gönner, die den Landsitz schon in Richtung Ferrara verlassen haben, wenigstens verabschieden und sich entschuldigen. Doch dafür ist es zu spät. Ihm bleibt nur noch Antonio, an den er sich klammert wie ein Schiffer an den Felsen, „an dem er scheitern sollte“.

Zum Text

Aufbau und Stil

Torquato Tasso ist ein in Blankversen, also reimlosen jambischen Versen verfasstes Drama in fünf Aufzügen und spielt an einem einzigen Ort. Die Form des Stücks entspricht damit dem nach Harmonie strebenden klassischen Lebens- und Kunstideal, das die Figuren im Tasso propagieren. Goethe selbst bezeichnete das Werk trotz seiner tragischen Grundtendenz bewusst nicht als Tragödie, sondern als Schauspiel. Tatsächlich lebt die vielschichtige Charakterstudie weniger von dramatischen Ereignissen als vielmehr von ihrer stupenden psychologischen Tiefe. Die leidenschaftlichen Selbstgespräche Tassos verleihen dem Stück einen stark monologischen Charakter, der allerdings immer wieder von den steifen, stets auf Höflichkeit bedachten Plaudereien anderer Figuren durchbrochen wird. Elegische und lyrische Passagen voller Pathos wechseln sich mit nüchternen Reflexionen und sentenzartigen Einschüben ab, in denen sich der distanzierte Blick des Autors offenbart.

Interpretationsansätze

  • Torquato Tasso hat autobiografische Züge. Indem Goethe das Motiv der unerfüllten Liebe in den Vordergrund rückt, schafft er unschwer erkennbare Parallelen zu seiner eigenen Beziehung zu Charlotte von Stein, um die er während seiner Zeit als Weimarer Hofdichter vergeblich warb.
  • Der Konflikt zwischen dem Dichter und der Gesellschaft ist das Schlüsselthema des Tasso. Selbst vermeintliche Freunde bringen dem empfindsamen Genie nur Unverständnis entgegen. Der junge Goethe, der am Weimarer Hof zeitweise unter den Anfeindungen der höfischen Gesellschaft litt, teilt hier noch die in der Epoche des Sturm und Drang verbreitete Auffassung, das Dasein als Dichter sei nur auf Kosten anderer Lebenswerte möglich. Das klassische Ideal, nämlich die Verbindung von Leben und Kunst, erreichte er – wie der Antiheld Tasso – vorerst nicht.
  • Während Antonio, Alphons und Leonore die öffentlichen, äußeren Werte der höfischen Gesellschaft repräsentieren, steht Tasso für die inneren, privaten Werte, für Freiheit, Talent und Gefühl. Selbst die seelenverwandte Prinzessin bleibt in den sittlichen Konventionen gefangen. Tassos radikalem Ausspruch „Erlaubt ist, was gefällt“ setzt sie ihr mäßigendes „Erlaubt ist, was sich ziemt“ entgegen.
  • Torquato Tasso kommt fast ganz ohne äußere Handlung aus. Das eigentliche Drama – und das macht bis heute die Modernität des Theaterstückes aus – findet im Innern des Titelhelden statt, der an übersteigerter Subjektivität und Maßlosigkeit leidet.
  • Goethe bezieht keine klare Position, sondern stellt die höchst unterschiedlichen Auffassungen einander objektiv gegenüber, so vor allem Antonios staatsmännisches Nutzdenken und Tassos ausgeprägte Empfindsamkeit. Implizit propagiert er damit ein harmonisches Lebensideal, das beiden Aspekten gerecht wird.
  • Das Stück endet unversöhnlich, allerdings schwingt eine optimistische Note mit: Gesellschaftlich ist Tasso zwar ruiniert, aber zugleich gelangt er zu einer gewissen Selbsterkenntnis und einer neuen Sicht der Kunst. In dieser erkennt er mehr als das höfische, unverbindliche Spiel, nämlich die Möglichkeit, seine Leiden und inneren Qualen zu verarbeiten.

Historischer Hintergrund

Der Weimarer Musenhof

Mit seinen rund 6000 Einwohnern war Weimar in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eher provinziell. Dennoch entwickelte sich die Residenzstadt durch das rege Wirken der Herzogin Anna Amalia, die nach dem frühen Tod ihres Ehemannes Ernst August für 17 Jahre die Regierung übernahm, zu einem einzigartigen geistigen Zentrum. Trotz der finanziellen Notlage und der allgemeinen Verunsicherung, die nach dem Siebenjährigen Krieg im ganzen Reich herrschte, förderte die Herzogin tatkräftig Kunst und Wissenschaft und gründete 1771 sogar ein eigenes Hoftheater: Der Weimarer Musenhof zog Dichter, Philosophen und Künstler aus dem ganzen Land an, darunter Christoph Martin Wieland, dem die Erziehung der beiden Fürstensöhne oblag, den Schriftsteller Karl Ludwig von Knebel und den Komponisten Karl Siegmund Freiherr von Seckendorff. In den literarischen Zirkeln, Gesprächsrunden und musikalischen Veranstaltungen trafen – Jahrzehnte vor der Französischen Revolution – aufgeklärter Adel und Bildungsbürgertum zusammen.

Der junge Fürst Karl August, der im September 1775 volljährig geworden war und einen aufgeklärten Regierungsstil pflegte, setzte die kulturell-wissenschaftliche Tradition seiner Mutter fort. Schon bald nach seinem Regierungsantritt lud er Goethe an den Weimarer Hof ein und übertrug dem berühmten Verfasser der Leiden des jungen Werther neben künstlerischen Aufgaben zunehmend auch administrative und politische Pflichten. Auf Goethes Betreiben hin holte der Herzog Johann Gottlieb Herder und später auch Friedrich Schiller an seinen Hof und trug so als Förderer und Mäzen wesentlich zur Entfaltung der Weimarer Klassik bei.

Entstehung

Wie Goethe in seiner Autobiografie Dichtung und Wahrheit erzählt, beschäftigte er sich schon früh mit dem großen Renaissancedichter Torquato Tasso (1544–1595), dessen Epos Befreites Jerusalem er als Kind teilweise auswendig gelernt hatte. Goethes Umzug an den Weimarer Hof 1775 weckte sein Interesse am Schicksal des Ferrareser Hofpoeten erneut: Er erkannte darin seine eigene Situation als Künstler in höfisch-aristokratischen Kreisen wieder. Anfang 1780 begann er mit der Arbeit an einer Prosafassung des Tasso, doch schon im Herbst des folgenden Jahres geriet die Arbeit ins Stocken und versiegte schließlich. Anscheinend hatte sich die soziale Position Goethes, der verschiedene politische Ämter übernahm und 1782 in den Adelsstand erhoben wurde, inzwischen gefestigt, und auch seine unerfüllte Liebe zu der verheirateten Hofdame Charlotte von Stein hatte an Brisanz verloren. Erst während seiner fluchtartig angetretenen Italienreise von 1786 bis 1788 begann sich Goethe unter dem Eindruck der Originalschauplätze wieder mit dem Tasso zu befassen, nun allerdings unter einem etwas veränderten Blickwinkel.

Den Anstoß zur Wiederaufnahme des Stoffs lieferte Pierantonio Serassis 1785 erschienene Tasso-Biografie. Sie berichtet von Intrigen und Rivalitäten am Hof von Ferrara, vom Verfolgungswahn Tassos und seiner siebenjährigen Inhaftierung als Geisteskranker. Hatte die Urfassung von Goethes Drama, die nicht erhalten ist, wohl vor allem die Liebesbeziehung zwischen Tasso und Eleonora d’ Este thematisiert, so rückte nun der Gegensatz zwischen Dichter und Gesellschaft in den Vordergrund. Nach seiner Rückkehr nach Weimar 1788 begann Goethe mit der Niederschrift des Dramas in Blankversen. Es sollte jedoch noch über ein Jahr dauern, ehe er das Stück fertigstellte.

Wirkungsgeschichte

Nach der Premiere des Stücks in Weimar am 16. Februar 1807 waren die Meinungen geteilt. Einige Kritiker, unter ihnen August Wilhelm Schlegel, monierten, das Charakterstück sei nicht für die Bühne geeignet. Ein unbekannter Rezensent nannte es sogar „das langweiligste Drama, das je existierte“. Andere betonten die Poesie und die Wahrheit, die das für einen erlesenen Kreis, nicht für die Masse gedachte Stück enthielt. Beim Weimarer Publikum kam das Schauspiel überraschend gut an, insgesamt aber fiel das Urteil der Zeitgenossen negativ aus.

Umso anhaltender war die Wirkung des Tasso, der in der Epoche der Romantik zu einer wahren Kultfigur wurde. Im 19. Jahrhundert verfassten Franz Grillparzer und Karl Leberecht Immermann Künstlerdramen nach dem Vorbild Goethes. Der Symbolist Hugo von Hofmannsthal nannte Torquato Tasso bewundernd ein „unergründliches Werk“, das immer wieder Staunen errege. Bis ins 20. Jahrhundert hinein zählte es zu den am häufigsten aufgeführten und neu interpretierten klassischen Dramen. Großes Aufsehen erregte Peter Steins forciert gesellschaftskritische Inszenierung des Stücks aus dem Jahr 1969 mit Bruno Ganz in der Hauptrolle.

Über den Autor

Johann Wolfgang von Goethe wird am 28. August 1749 in Frankfurt als Sohn des Juristen Johann Caspar Goethe und dessen Frau Katharina Elisabeth geboren. Von Hauslehrern ausgebildet und erzogen, nimmt er mit 16 Jahren auf Wunsch des Vaters ein Jurastudium in Leipzig auf, das er nach schwerer Erkrankung 1771 in Straßburg abschließt. Neben seiner Tätigkeit als Anwalt schreibt er Gedichte und erste Dramen, darunter Götz von Berlichingen (1773). Sein Roman Die Leiden des jungen Werther (1774) macht den Autor schlagartig in ganz Europa berühmt. Auf Einladung von Herzog Karl August zieht Goethe 1775 nach Weimar, wo er schon bald zum engsten Berater des Fürsten aufsteigt und sich in die sieben Jahre ältere Hofdame Charlotte von Stein verliebt. Die amtlichen Pflichten lassen ihm indes immer weniger Raum für eigene Interessen. Seine 1786 überstürzt angetretene zweijährige Reise nach Italien markiert zugleich seine Wiedergeburt als Künstler. Zurück in Weimar beschränkt Goethe seinen Staatsdienst und konzentriert sich auf wissenschaftliche und künstlerische Aufgaben im Herzogtum. Seine Liaison mit der Bürgerlichen Christiane Vulpius, die von ihm 1789 einen Sohn bekommt und die er 1806 heiratet, erregt in höfischen Kreisen Anstoß. Enttäuscht von den kühlen Reaktionen der Weimarer Gesellschaft, zieht sich Goethe mehr und mehr zurück. Der Tod Friedrich Schillers, mit dem er ein Jahrzehnt lang einen regen Gedankenaustausch gepflegt hat, stürzt ihn in eine tiefe Krise. Unermüdlich widmet er sich seinen naturwissenschaftlichen Studien, arbeitet am Faust (1808) und den Wahlverwandtschaften (1809) und schließt seine Gedichtsammlung West-östlicher Diwan (1819) ab. Auf der letzten seiner zahlreichen Badereisen nach Böhmen verliebt er sich im Alter von 74 – sieben Jahre nach Christianes Tod – in die 19-jährige Ulrike von Levetzow, die seinen Heiratsantrag jedoch ablehnt. Erschüttert vom Tod seines Sohnes in Rom erleidet Goethe 1830 einen Blutsturz. In den letzten Jahren seines Lebens gibt er sich ganz seiner Arbeit hin, vollendet seine Autobiografie Dichtung und Wahrheit und Faust II. Am 22. März 1832 stirbt er 83-jährig in Weimar.

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