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Tractatus logico-philosophicus

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Tractatus logico-philosophicus

Logisch-philosophische Abhandlung

Suhrkamp,

15 Minuten Lesezeit
10 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Wo liegen die Grenzen unserer Sprache und unseres Denkens? Ein philosophisches Jahrhundertwerk.


Literatur­klassiker

  • Philosophie
  • Moderne

Worum es geht

Die Bibel der Sprachphilosophie

Man könne die knapp hundert Seiten dieses Buches an einem Nachmittag lesen – und dennoch Jahre darüber grübeln, ohne sie völlig verstanden zu haben, so schrieb einmal ein Interpret über Wittgensteins Tractatus logico-philosophicus. Gewiss: Das Buch, das der junge Philosoph z. T. in den Schützengräben des Ersten Weltkrieges verfasste und das ihm schon bald nach Erscheinen den Ruf eines Genies eintrug, ist keine einfache Lektüre. So mühsam es aber ist, sich durch die mathematischen Formeln und logischen Ausführungen hindurchzuarbeiten, so bestechend ist das Werk in seiner klaren, schnörkellosen, bisweilen schroffen Sprache und seiner formale Strenge. Seine philosophiegeschichtliche Bedeutung ist kaum zur überschätzen: Das schmale Büchlein läutete den so genannten „linguistic turn“ ein, die Erkenntnis, dass man das Denken nur durch die Analyse der Sprache verstehen kann. Bei aller Logik ist der Tractatus auch ein Buch der Widersprüche: strikt antimetaphysisch und zugleich beseelt vom Glauben an etwas Höheres, Unaussprechliches; nüchtern im Stil und doch von spürbarer, leidenschaftlicher Intensität. Die Lektüre des Jahrhundertwerks bleibt bis heute ein anstrengendes, aber faszinierendes Erlebnis.

Take-aways

  • Wittgensteins Tractatus logico-philosophicus zählt zu den schwierigsten, aber auch einflussreichsten Werken des 20. Jahrhunderts.
  • Inhalt: Nur was in logisch einwandfreien Sätzen gesagt werden kann, hat überhaupt Sinn. Die einzig sinnvollen Sätze sind diejenigen der Naturwissenschaft, die sich empirisch überprüfen lassen. Metaphysische Äußerungen hingegen sind unsinnig, denn sie überschreiten die Grenzen unserer Sprache und unseres Denkens.
  • Das Werk steht in der Tradition der Ende des 19. Jahrhunderts von Frege und Russell begründeten analytischen Philosophie.
  • Teile des Buchs schrieb Wittgenstein während des Ersten Weltkriegs im Schützengraben.
  • Er lehnte jede Äußerung über Ethik und Metaphysik ab, glaubte aber zugleich, dass es jenseits der Tatsachen etwas Höheres, Unaussprechliches gebe.
  • Mit dem Tractatus leitete er die so genannte „linguistische Wende“ in der Philosophie ein.
  • Das Werk hatte starken Einfluss auf die philosophische Richtung des logischen Positivismus.
  • Wittgenstein fühlte sich von den Positivisten missverstanden und distanzierte sich in den 1930er Jahren von seinem Frühwerk.
  • In seinem Spätwerk, den Philosophischen Untersuchungen, wandte er sich von der logischen Idealsprache ab und konzentrierte sich auf die gesprochene Alltagssprache.
  • Zitat: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“

Zusammenfassung

Die Lösung aller philosophischen Probleme

Dieses Buch kann wohl nur verstehen, wer schon selbst einmal ähnliche Gedanken gedacht hat. Es ist kein Lehrbuch; es soll demjenigen, der es liest und versteht, Vergnügen bereiten. Ziel ist es, zu zeigen, dass philosophische Probleme auf sprachlichen Missverständnissen beruhen. Denn alles, was sich sagen lässt, lässt sich auch klar sagen. Ziel dieses Buches ist es, die Grenze der Sprache und damit des Denkens aufzuzeigen und so letztlich die Probleme der Philosophie endgültig zu lösen. Alles, was jenseits der sprachlichen Grenze liegt, ist Unsinn.

Die Welt besteht aus Tatsachen

Die Welt ist all das, was der Fall ist, also die Gesamtheit der Tatsachen. Tatsachen bestehen aus Sachverhalten. Diese wiederum sind Verbindungen von Gegenständen. Nicht die Gegenstände an sich, sondern ihre Verbindungen untereinander machen die Welt aus. Die Möglichkeit ihrer Verbindung mit anderen Gegenständen liegt in der Natur der Dinge selbst. Ebenso wie es unmöglich ist, sich räumliche Gegenstände außerhalb des Raumes und zeitliche Gegenstände außerhalb der Zeit vorzustellen, so können wir uns keinen Gegenstand außerhalb der Möglichkeit seiner Verbindung mit anderen Gegenständen ausmalen. Jedes Ding befindet sich in einem logischen Raum von möglichen Sachverhalten, in denen es vorkommen kann und ohne die man es sich nicht vorstellen kann. So muss z. B. ein Fleck eine Farbe haben und ein Ton eine Höhe. Ein Fleck ohne Farbe und ein Ton ohne Höhe sind unvorstellbar. Gegenstände sind das Feste, Bestehende, die Substanz der Welt. Sie treten in wechselnden Konfigurationen, also Sachverhalten auf. Im Sachverhalt nehmen die Gegenstände immer wieder neue Ordnungen an, sie treten in Beziehung zueinander, sie hängen aneinander wie die Glieder einer Kette. Die Gesamtheit der bestehenden wie auch der nicht bestehenden Sachverhalte, der positiven und negativen Tatsachen, bildet die Wirklichkeit.

Gedanken sind das logische Modell der Wirklichkeit

Die Menschen machen sich Bilder der Tatsachen. Diese Bilder sind Modelle der Wirklichkeit, in denen Gegenstände von Elementen (Variablen) vertreten werden. Die Elemente im Bild verhalten sich logisch genauso zueinander wie die Gegenstände in der Wirklichkeit. Bild und Wirklichkeit haben also dieselbe logische Form. Entweder stimmt das Bild mit der Wirklichkeit überein – dann ist es wahr –, oder es stimmt nicht mit ihr überein – dann ist es falsch. Um festzustellen, ob ein Bild wahr oder falsch ist, müssen wir es mit der Wirklichkeit vergleichen. Aus dem Bild allein lässt sich das nicht erkennen.

„Ich bin also der Meinung, die Probleme im Wesentlichen endgültig gelöst zu haben. Und wenn ich mich hierin nicht irre, so besteht der Wert dieser Arbeit zweitens darin, dass sie zeigt, wie wenig damit getan ist, dass diese Probleme gelöst sind.“ (S. 8)

Wenn wir uns ein Bild von Tatsachen machen, ist das ein Gedanke. Ganz gleich, ob der Gedanke mit der Wirklichkeit übereinstimmt oder nicht, ob er wahr oder falsch ist, er folgt immer logischen Gesetzen. Auch ein falscher Gedanke ist logisch, denn wir können nichts Unlogisches denken. Ebenso wie in der Geometrie eine den räumlichen Gesetzen widersprechende Figur nicht dargestellt werden kann, so kann die Sprache nichts darstellen, was im Widerspruch zu den Gesetzen der Logik steht. Unabhängig davon, ob das Bild mit der Wirklichkeit übereinstimmt, ob es wahr oder falsch ist, hat es immer Sinn.

Der Satz als Bild

Der Gedanke als logisches Bild von Tatsachen drückt sich sinnlich wahrnehmbar durch den Satz mit seinen verschiedenen Laut- und Schriftzeichen aus. Das Bild ist in diesem Fall keine gegenständliche Kopie, sondern eine Übereinstimmung in der logischen Struktur. Am Satz muss also gerade so viel zu unterscheiden sein wie an der Sachlage, die er benennt oder darstellt. Wie das logische Bild, so hat der Satz einen Sinn, d. h. er ist kein bloßes Gemisch von Wörtern – ebenso wie das musikalische Thema ja kein bloßes Gemisch von Tönen, sondern immer schon irgendwie strukturiert und artikuliert ist. Einzelne Namen oder Wörter, die nur willkürliche Zeichen für Dinge sind, haben für sich allein genommen keine Bedeutung. Erst in ihrer Beziehung zueinander, also im Satz, erhalten die Wörter Sinn.

„Die Welt ist alles, was der Fall ist.“ (S. 9)

In der Umgangssprache kommt es häufig vor, dass ein und dasselbe Wort auf verschiedene Art verwendet wird. Das Wort „ist“ z. B. kann für ein Gleichheitszeichen stehen oder für die Bedeutung von „existieren“. Oder aber es wird als Zeitwort verwendet, etwa zusammen mit „gehen“ („ist gegangen“). Die Wörter haben hier nicht nur verschiedene Bedeutungen, sie sind verschiedene Symbole. Durch Ungenauigkeiten in der Verwendung entstehen leicht Verwechslungen, von denen die Philosophie voll ist.

Die Aufgabe der Philosophie ist Sprachanalyse

Der Mensch besitzt die Fähigkeit, Sprache zu verwenden, ohne dabei die ungeheuer komplizierte Sprachlogik zu durchschauen. Die Sprache verkleidet den Gedanken, und zwar so, dass man durch die Form des äußeren Kleides die Form des Körpers, also des Gedankens, nicht mehr unbedingt erkennen kann. Das führt leicht zu Verwirrungen und Missverständnissen. Die meisten philosophischen Fragen und Probleme, über die bislang geschrieben worden ist, sind unsinnig, ja sie sind eigentlich gar keine Probleme. Sie beruhen allein darauf, dass wir unsere Sprachlogik nicht verstehen. Sie sind von der Art der Frage, ob das Schöne „mehr oder weniger identisch“ sei als das Gute, und dergleichen mehr.

„Die meisten Sätze und Fragen, welche über philosophische Dinge geschrieben worden sind, sind nicht falsch, sondern unsinnig.“ (S. 30)

Der eigentliche Zweck der Philosophie, die übrigens nicht zu den Naturwissenschaften zählt, sollte Sprachkritik, also die logische Klärung unserer Gedanken sein. Philosophie ist keine Lehre, sondern immer eine sprachkritische Tätigkeit. Sie produziert im Idealfall keine neuen philosophischen Lehrsätze und Theorien, sondern trägt vielmehr zur Klärung vorhandener Sätze bei. Ihre Aufgabe ist die Analyse der verschiedenen Sätze und deren Rückführung auf die richtige logische Form. Sie grenzt das, was sich denken und sagen lässt, klar vom Undenkbaren und somit Unsagbaren ab.

Der Unterschied zwischen Wahrheit und Sinn

Der Satz ist ein Modell der Wirklichkeit, wie wir sie uns denken. So wie die Notenschrift Musik abbildet, so bilden die Lautzeichen und Buchstaben unsere Sprache ab – auch wenn Zeichen und Bezeichnetes auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben. Der Satz ist ein Abbild der Wirklichkeit. Das zeigt sich daran, dass wir ihn verstehen, ohne dass uns sein Sinn eigens erklärt werden muss – sofern wir die Bedeutung aller seiner Bestandteile und Wörter kennen. Einen Satz verstehen heißt zu wissen, was der Fall ist, wenn er wahr ist. Wir verstehen den Sinn eines Satzes allerdings auch, wenn dieser falsch ist. Sinn und Wahrheit sind also unabhängig voneinander und strikt zu unterscheiden.

„Der Satz ist ein Bild der Wirklichkeit.“ (S. 30)

Der Sinn eines Satzes ist seine Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung mit den Sachverhalten. Aussagen sind dann sinnvoll, wenn sie sich in der empirischen Überprüfung, also im Vergleich mit der Wirklichkeit, als wahr oder falsch erweisen lassen. Komplexe Sätze bestehen aus einfachen Elementarsätzen, die einen Sachverhalt beschreiben. Die Gesamtheit der wahren Elementarsätze bildet die Naturwissenschaft. Die Gesamtheit der sinnvollen Sätze liefert eine vollständige Beschreibung der Welt.

„Einen Satz verstehen, heißt, wissen was der Fall ist, wenn er wahr ist.“ (S. 33)

Im Unterschied zu empirischen Aussagen sind die Sätze der Logik sinnlos (aber nicht unsinnig!), denn sie sagen nichts über die Wirklichkeit aus. Sie können nicht mit der Wirklichkeit verglichen, also auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft werden. Sie stellen keine Sachlage dar und sind entweder bedingungslos wahr (Tautologien) oder bedingungslos falsch (Kontradiktionen). Die Mathematik ist eine Methode der Logik. Sie arbeitet im Wesentlichen mit Gleichungen, die als Scheinsätze bezeichnet werden können, denn sie drücken keinen Gedanken aus, bilden keine Wirklichkeit ab und verstehen sich von selbst. Im Leben benutzen wir den mathematischen Satz nur, um aus nicht mathematischen Sätzen logisch auf andere zu schließen, die ebenfalls nicht der Mathematik angehören. Auch manche Sätze der Physik sind sinnlos, denn sie sagen nichts über das Bestehen von Sachverhalten aus, sondern nur etwas über unsere Methode der Weltbeschreibung. So wie die Menschen sich früher auf Gott und das Schicksal beriefen, glauben sie heute, alles mit Naturgesetzen erklären zu können – die aber keineswegs eine Notwendigkeit beschreiben, sondern reine Hypothesen sind.

Die Grenzen der Sprache

Der Satz beschreibt nicht die logische Form, die er mit der Wirklichkeit teilt, sondern diese spiegelt sich in ihm. Allein in der Anwendung der Sprache, die unsere Wirklichkeit abbildet, zeigen sich ihre internen logischen Eigenschaften. Mit sprachlichen Mitteln kann man die Funktionsweise der Sprache selbst nicht beschreiben, dies gelingt höchstens mithilfe schematischer Modelle. Denn der Satz kann zwar die Wirklichkeit darstellen, nicht aber das, was er mit der Wirklichkeit gemein haben muss, um sie überhaupt darstellen zu können, also ihre logische Form. Dazu müsste er die Logik, die unsere Welt erfüllt und begrenzt, überschreiten und sich selbst von außen betrachten – und das ist unmöglich. // // Die Logik ist keine Lehre, sondern ein Spiegelbild der Welt. Sie ist das Gerüst unserer Sprache und damit unseres Denkens. Wir können in der Logik nicht sagen, was es in der Welt nicht gibt. Wir können nicht denken, was wir nicht denken können; also können wir auch nicht sagen, was wir nicht denken können. Das Denkbare und das Sagbare fallen zusammen. Das heißt: Die Grenzen meiner Sprache bedeuten immer auch die Grenzen meiner Welt. Die Welt ist meine Welt. Ebenso wie das menschliche Auge nicht Teil des Gesichtsfeldes ist und sich selbst nicht sehen kann, so ist auch das Ich, das denkende Subjekt, nicht Teil der Welt, sondern es begrenzt sie.

Die Sätze der Ethik sind sinnlos

Alle sinnvollen Sätze sind gleichwertig. In der Welt der Tatsachen ist alles, wie es ist, und alles geschieht, wie es geschieht. Es gibt keinen höheren Sinn und keinen Wert, denn alles Geschehen ist zufällig. Wenn es einen Wert gäbe, so könnte er nur außerhalb der Welt liegen – und damit wäre er nicht sagbar und nicht denkbar. Darum kann es keine sinnvollen (d. h. durch Vergleich mit der Wirklichkeit für wahr oder falsch befundenen, also empirisch überprüfbaren) Sätze über Ethisches geben. Sätze können nichts Höheres ausdrücken, und über Ethik lässt sich daher nicht sinnvoll sprechen.

„Der Zweck der Philosophie ist die logische Klärung der Gedanken.“ (S. 38)

Die Welt ist unabhängig von meinem Willen. Es gibt keinen logischen Zusammenhang zwischen Wille und Welt. Insofern kann das gute oder böse Wollen die Tatsachenwelt nicht ändern. Ethik kann daher nicht gelehrt, sondern nur gelebt werden, in meiner durch die Sprache begrenzten Welt. Strafe und Lohn können nicht von außen gerechtfertigt werden, sondern müssen in den Handlungen selbst begründet liegen. Die Welt des Glücklichen ist eine andere als die des Unglücklichen, ohne dass sich an den Tatsachen, aus denen die Welt besteht, auch nur das Geringste ändern würde.

Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen

Auch beim Tod ändert sich die Welt nicht, sondern sie hört schlicht auf zu existieren. Der Tod ist kein Ereignis, das zum Leben gehört, denn wir erleben unseren Tod nicht. Es gibt keinen Beweis für die Unsterblichkeit der Seele. Und selbst wenn es ihn gäbe, wäre damit noch nichts gewonnen, denn das ewige Leben bliebe doch ebenso rätselhaft wie das gegenwärtige. Die Lösung dieses Rätsels liegt außerhalb der Welt der Tatsachen, außerhalb von Raum und Zeit, und daher lässt sich keine Antwort darauf finden. Zu einer Antwort, die man nicht aussprechen kann, lässt sich aber auch keine Frage formulieren. Es ist daher unsinnig, Fragen zu stellen, die nicht beantwortet werden können, und über Dinge zu spekulieren, die man nicht sagen kann.

„Alle Philosophie ist ‚Sprachkritik‘.“ (S. 39)

Selbst wenn alle wissenschaftlichen Fragen beantwortet wären, würden damit unsere Lebensprobleme nicht berührt. Es gibt etwas Höheres, Mystisches, das jenseits der logischen Grenzen und empirischen Tatsachen liegt. Nicht wie die Welt ist, sondern dass sie ist, darin liegt das Mystische. Worin der Sinn des Lebens besteht, lässt sich nicht aussprechen. Die einzige richtige Methode der Philosophie besteht deshalb darin, zu sagen, was sich sinnvoll sagen lässt. Und immer wenn jemand darüber hinaus etwas Metaphysisches sagen will, muss die Philosophie ihm nachweisen, dass er bestimmten Zeichen in seinen Sätzen keine Bedeutung gegeben hat – und somit Unsinniges redet.

Zum Text

Aufbau und Stil

Obwohl Wittgenstein selbst seinen Tractatus logico-philosophicus als „streng philosophisch und zugleich literarisch“ bezeichnet hat, liest dieser sich über weite Strecken als ein strikt logisches Werk, an dem auch so mancher philosophisch interessierte Nichtlogiker scheitert. Die einzelnen Abschnitte sind von 1 bis 7 durchnummeriert, wobei die Hauptpunkte nach dem Dezimalsystem um Unterpunkte ergänzt werden. Über die Bedeutung der einzelnen Sätze sagt dieses System jedoch kaum etwas aus. Selbst ein Unterpunkt wie der mit der Nummer 6.4312 enthält noch einen neuen Grundgedanken. Wegen des strengen Aufbaus lässt sich das Buch kaum selektiv lesen, auch wenn einzelne Themen mehrfach aufgegriffen und ausgeführt werden. Besonders im Mittelteil herrschen mathematische Schemata und Modelle vor, die ohne Grundkenntnisse der Logik nicht zu verstehen sind. Wittgensteins Formulierungen sind dicht und gedrängt, seine Sprache ist prägnant, klar und ohne jede Umschweife. Inmitten nüchterner Analysen und logischer Formeln finden sich aber immer wieder wuchtige, mit Leidenschaft vorgetragene Sätze über das Sein und die Welt.

Interpretationsansätze

  • Der Tractatus logico-philosophicus ist zunächst eine Auseinandersetzung mit der Sprachphilosophie Gottlob Freges und Bertrand Russells. Wittgenstein wollte die ideale Begriffssprache, die seine Vorgänger zum Zweck der Sprachanalyse entwickelt hatten, verbessern und logische Fehlschlüsse nachweisen.
  • Neben solchen rein logischen Fragen ging es Wittgenstein auch darum, die Grenzen unserer Sprache und damit zugleich die Bedingungen der Erkenntnis deutlich zu machen. Die Logik liegt dabei aller Erkenntnis zugrunde und markiert zugleich deren Grenze.
  • Gemäß Wittgenstein können wir nur denken, was wir in Worte fassen können; die Sprache ist sozusagen der Kerker unseres Denkens. Die Hirnforschung hat diese Auffassung mittlerweile widerlegt: Es gibt sehr wohl auch ein vorsprachliches Denken. Emotionen z. B. laufen nach denselben zellulären Mechanismen ab wie logische Überlegungen, einfach in anderen Regionen des Hirns. Sie sind also eine andere Art des Denkens – und trotzdem können wir sie oft sprachlich nicht ausdrücken.
  • Bei aller logischen Strenge und Nüchternheit hat Wittgensteins Traktatus eine existenzphilosophische Tendenz. Wittgenstein will den Leser dazu bringen, unsinnige Sätze und logische Fehlschlüsse zu erkennen, sodass er imstande ist, die Welt richtig zu sehen – als ein begrenztes Ganzes, dessen Tatsachen wir zwar beschreiben, über deren Existenz wir aber letztlich nur staunen können.
  • Wie sein Lehrer Bertrand Russell lehnt Wittgenstein jede metaphysische Philosophie, die von Dingen spricht, die sich der logischen Sprache entziehen, strikt ab. Anders als Russell ist er aber davon überzeugt, dass es jenseits der logischen Grenzen und überprüfbaren Tatsachen doch etwas gibt, worüber wir aufgrund der Begrenztheit unserer Sprache nicht sinnvoll reden können. Trotz der antimetaphysischen Stoßrichtung hat das Werk also selbst etwas Metaphysisches, beinahe Mystisches.

Historischer Hintergrund

Die analytische Philosophie

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstand als Gegenbewegung zum Idealismus, insbesondere zu Hegels Metaphysik, die analytische Philosophie. Sie versuchte, wie Gottlob Frege es formulierte, „die Herrschaft des Wortes über den menschlichen Geist zu brechen“, indem sie Täuschungen aufdeckte, die durch den Sprachgebrauch unvermeidlich entstehen. Den spekulativen Theorien und unbeweisbaren Aussagen der Idealisten setzten die Vertreter der analytischen Philosophie logische Sprachkritik und Begriffsanalyse entgegen. Dabei bildeten sich zwei unterschiedliche Strömungen heraus: Während Frege und Bertrand Russell zu analytischen Zwecken eine formale Idealsprache konstruierten, wandte sich der Cambridger Philosoph George Edward Moore der Umgangssprache zu. Was diese Philosophen trotz aller Unterschiede verband, war eine tiefe Skepsis gegenüber der Metaphysik und gegenüber Aussagen, die sich nicht mit empirischen Mitteln überprüfen ließen.

Eine zu Beginn des 20. Jahrhunderts sehr einflussreiche Richtung innerhalb der analytischen Philosophie war der logische Atomismus. Alle Gegenstände, geistige ebenso wie materielle, setzen sich laut Russell aus kleinsten Bausteinen, den so genannten logischen (nicht physischen) Atomen zusammen. Die Welt kann analytisch in ihre atomaren Einzelteile zerlegt und mithilfe einer logisch konstruierten Idealsprache beschrieben werden. Die Sinnesdaten über Farbe, Gestalt und Härtegrad der Gegenstände bilden die unbezweifelbare Grundlage aller Erkenntnis und allen Wissens.

Entstehung

Nach ein paar Semestern Maschinenbau in Berlin und Manchester wechselte Ludwig Wittgenstein 1911 auf Vorschlag Gottlob Freges an die Universität Cambridge, um bei dem berühmten Bertrand Russell Logik und Philosophie zu studieren. Schon bald entstand zwischen den beiden eine herzliche, für Russell allerdings mitunter auch quälende Freundschaft. Täglich suchte der junge Student seinen Professor auf, um mit ihm stundenlang über logische Probleme zu diskutieren. Auf einer Reise nach Norwegen mit seinem Freund und Geliebten David Pinsent beschloss Wittgenstein, seine logischen Studien in aller Stille und Abgeschiedenheit fortzuführen. Fernab des Cambridger Universitätsbetriebs arbeitete er in einer norwegischen Hütte an seinen Aufzeichnungen, die später den Grundstock des Tractatus bilden sollten.

Wirkungsgeschichte

Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 meldete sich Wittgenstein sofort als Freiwilliger. Trotz seines Einsatzes an der Front, wo er mehrfach für seine Tapferkeit ausgezeichnet wurde und es zum Leutnant brachte, gelang es ihm, das Buch 1918 zu beenden. Im selben Jahr starb David Pinsent bei einem Flugunfall; Wittgenstein widmete dem glänzenden Mathematiker den Tractatus. Nach der Entlassung aus mehrmonatiger italienischer Kriegsgefangenschaft kehrte er 1919 nach Wien zurück, wo er fast seinen gesamten Besitz verschenkte und eine Ausbildung zum Volksschullehrer begann. Mit dem Tractatus glaubte er, alle philosophischen Probleme endgültig gelöst zu haben – und fand dennoch keinen Verleger. 1921 erschien das Manuskript durch Russells Bemühungen unter dem Titel Logisch-philosophische Abhandlung in den Annalen der Naturphilosophie und ein Jahr später erstmals als Buch.// // Die Reaktionen auf den Tractatus logico-philosophicus, das einzige zu seinen Lebzeiten veröffentlichte Werk Wittgensteins, reichten von blankem Unverständnis bis hin zu grenzenloser Begeisterung. Sogar ein versierter Logiker wie Frege gestand in einem Brief an Russell, von dem ganzen Buch kein Wort verstanden zu haben. Auf Russell selbst wie auf viele andere übte die kurze Schrift dagegen eine ungeheure Faszination aus und trug seinem Autor schon bald nach Erscheinen den Ruf eines philosophischen Genies ein. Großen Einfluss hatte der Tractatus, der auch als „Bibel des logischen Positivismus“ bezeichnet wurde, auf den in den 1920er Jahren gegründeten Wiener Kreis um Moritz Schlick und Rudolf Carnap. Trotz seiner Bedeutung für den logischen Positivismus war Wittgenstein nie ein Anhänger dieser Schule und wandte sich ab Beginn der 30er Jahre sogar zunehmend von seinen im Tractatus geäußerten Gedanken ab. Statt eine ideale Kunstsprache zu analysieren, richtete er seine Aufmerksamkeit nun auf die gesprochene Alltagssprache.

Mit dem Tractatus läutet Wittgenstein in der Philosophie die so genannte „linguistische Wende“ ein, also die eingehende Beschäftigung mit der Sprache. Seine Philosophie, die kaum auf andere Denktraditionen Bezug nimmt, stellte etwas vollkommen Neues dar. Trotz Wittgensteins eigener Einwände blieb der Tractatus eines der einflussreichsten Werke des 20. Jahrhunderts, besonders im angelsächsischen Raum. So steht etwa die Sprachphilosophie von John Langshaw Austin und Gilbert Ryle deutlich in der Tradition Wittgensteins.

Über den Autor

Ludwig Wittgenstein wird am 26. April 1889 in Wien als jüngstes von acht Geschwistern in eine jüdische, völlig assimilierte Familie geboren. Seine Eltern, ein erfolgreicher Stahlunternehmer und eine Pianistin, sind sehr vermögend. 1906 beginnt der schon früh an Technik, Mathematik und Logik interessierte Wittgenstein ein ingenieurwissenschaftliches Studium in Berlin. 1908 geht er nach Manchester, wo er u. a. an der Entwicklung eines Flugzeugmotors arbeitet. Auf Anregung des Logikers Gottlob Frege wechselt er 1911 zum Fach Philosophie und nach Cambridge zu Bertrand Russell, dessen Freund er wird. Nach dem Tod des Vaters 1913 stiftet er einen großen Teil seines Millionenerbes an mittellose Künstler, darunter Rainer Maria Rilke. Um sich in Einsamkeit seinen Studien zu widmen, zieht Wittgenstein nach Norwegen, meldet sich aber bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs freiwillig als Soldat. 1919 kehrt er aus der Kriegsgefangenschaft in Italien nach Wien zurück. Der Tod seines Freundes und Geliebten David Pinsent stürzt ihn in eine tiefe Krise. Wittgenstein quälen Selbstmordgedanken, von denen er sich durch die Arbeit am Tractatus logico-philosophicus befreit. Abgesehen vom Tractatus, der 1921 erscheint, und zwei kleineren Aufsätzen werden sämtliche seiner Schriften erst nach seinem Tod veröffentlicht. Ab 1922 arbeitet Wittgenstein, der den Rest seines Erbes seinen Geschwistern geschenkt hat, als Dorfschullehrer in der österreichischen Provinz. Doch der Lehrerberuf zermürbt ihn. Zeitweise arbeitet er als Gärtnergehilfe und Architekt, ehe er sich 1929 wieder in Cambridge niederlässt, wo man seinen Tractatus als Dissertation anerkennt. 1939 wird Wittgenstein englischer Staatsbürger, im selben Jahr wird er zum Professor berufen. Mit seiner geniehaften Erscheinung beeindruckt er die Zeitgenossen. Während des Zweiten Weltkriegs unterbricht Wittgenstein die Lehrtätigkeit, um Hilfsdienste in einem Krankenhaus zu leisten. Er stirbt am 29. April 1951 an Krebs.

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