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Traumnovelle

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Traumnovelle

Insel Verlag,

15 Minuten Lesezeit
12 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Erotische Träume als Schlüssel zur Seele: Schnitzlers „Traumnovelle“ ist eine geheimnisvolle Irrfahrt in die Psyche zweier Eheleute.


Literatur­klassiker

  • Novelle
  • Moderne

Worum es geht

Im Abgrund der Triebwelt

Was würden Sie sagen, wenn Ihnen Ihr Partner davon berichtete, dass er oder sie im letzten Urlaub ganz gerne einen One-Night-Stand mit jemand anderem gehabt hätte? Fridolin ist wie vom Donner gerührt, als ihm seine Frau Albertine etwas Derartiges beichtet - obwohl er selbst ähnliche Gedanken hatte. Der Versuch des Paares, sich gegenseitig die erotischen Traumfantasien offen zu berichten, geht gründlich schief. In einer Art Trotzreaktion begibt sich Fridolin auf eine Odyssee der Versuchungen, lernt mehrere Frauen kennen, wohnt sogar einer geheimen Orgie bei, kehrt dann aber zu seiner Frau zurück, die ihre verborgenen Wünsche nach wie vor nur im Traum ausleben kann. Schnitzlers schnell gelesene, aber komplexe und tiefgründige Novelle ist eine surreale, von der Traumtheorie Sigmund Freuds beeinflusste Geschichte über unterdrückte erotische Wünsche und den Abgrund der Triebwelt. Beim Erscheinen 1926 erregte das Werk einiges Aufsehen. Stanley Kubricks Filmversion Eyes Wide Shut sorgte dafür, dass die literarische Vorlage auch in unserer sexuell scheinbar so aufgeklärten Welt wieder vermehrt gelesen wird.

Take-aways

  • Die Traumnovelle gehört zu den symbolträchtigsten Texten des Wiener Autors Arthur Schnitzler.
  • Bei ihrer Veröffentlichung löste sie aufgrund der erotischen Motive einen Skandal aus.
  • Der Arzt Fridolin und seine Frau Albertine führen eine Bilderbuchehe. Die Idylle wird jäh unterbrochen, als sie einen Maskenball besuchen.
  • Am Abend nach dem Ball gestehen beide einander, dass sie im letzten Urlaub einen anderen Partner begehrt haben.
  • Fridolin ist von dieser Enthüllung schockiert. Nachdem er mitten in der Nacht zu einem Notfall gerufen worden ist, irrt er ziellos durch die Wiener Altstadt.
  • Er begegnet einem ehemaligen Kommilitonen, der ihm von einem geheimen Maskenball berichtet, auf dem auch nackte Frauen anwesend seien.
  • Es gelingt Fridolin, sich in die Geheimgesellschaft einzuschmuggeln und an der nächtlichen Orgie teilzunehmen.
  • Er wird enttarnt und bedroht. Nur weil sich eine der anwesenden Damen für ihn opfert, kann er die Veranstaltung ohne Blessuren verlassen,
  • Zurück bei Albertine, erzählt sie ihm von einem erotischen Traum, den sie soeben gehabt hat und der Fridolin erneut gegen seine Frau aufbringt.
  • Fridolins Versuch, den Spuren der vergangenen Nacht noch einmal zu folgen, scheitert: Alle Beteiligten sind verschwunden; er wird gewarnt, nicht weiter nachzuforschen.
  • Reuig kehrt er zu Albertine zurück, beichtet ihr seine Erlebnisse. Sie versuchen einen neuen Anfang.
  • Wie kein zweites Werk verarbeitet die Traumnovelle mit ihrer Betonung verdrängter sexueller Wünsche die Traumtheorie Sigmund Freuds.

Zusammenfassung

Geständnisse

Der 35-jährige Arzt Fridolin und seine Frau Albertine sitzen gemütlich unter der roten Hängelampe zusammen. Fridolin ist ein viel beschäftigter Mann. Er arbeitet ab acht Uhr im Krankenhaus, besucht Patienten von elf bis ein Uhr, hält Sprechstunde von drei bis fünf am Nachmittag und macht am Abend noch einmal Krankenvisite. Albertine ist Hausfrau und kümmert sich um die gemeinsame sechsjährige Tochter. Nachdem das Mädchen an diesem Abend von der Kinderfrau zu Bett gebracht worden ist, unterhält sich das Ehepaar über den Maskenball vom vergangenen Abend. Fridolin erzählt, wie er sofort nach seinem Eintreten von zwei roten Dominos in Beschlag genommen worden sei, die allerhand über ihn zu wissen schienen. Albertine berichtet darauf, sie sei von einem Fremden mit polnischem Akzent angesprochen worden, dessen Betragen sie zunächst entzückt, der sie dann aber durch den Gebrauch eines falschen Wortes verstört habe.

„Wenn er mich riefe - so meinte ich zu wissen -, ich hätte nicht widerstehen können. Zu allem glaubte ich mich bereit; dich, das Kind, meine Zukunft hinzugeben, glaubte ich mich so gut wie entschlossen, und zugleich - wirst du es verstehen? - warst du mir teurer als je.“ (Albertine, S. 11)

Das Gespräch schaukelt sich auf und beide berichten von erotischen Erlebnissen. So gesteht Albertine, dass ihr im letzten Urlaub an der See in Dänemark ein junger Mann aufgefallen sei, von dem sie den Blick nicht mehr habe abwenden können. Hätte er sie zu sich gerufen, sie hätte Fridolin und ihre kleine Tochter umgehend verlassen und wäre mit ihm fortgegangen. Doch der Herr sei überstürzt abgereist. Zuerst habe Albertine geschwankt, ob sie darüber traurig oder froh sein sollte, doch letztendlich habe die Erleichterung überwogen. Fridolin ist über diese Erzählung entsetzt. Quasi aus Rache berichtet er nun seinerseits, er habe im selben Urlaub frühmorgens einen Strandspaziergang gemacht und sei dabei bei einer Badehütte auf ein unbekleidetes, etwa 15-jähriges Mädchen gestoßen. Zwar habe eine große Anziehungskraft auf beiden Seiten bestanden, doch habe er deutlich gefühlt, dass sie ja noch ein Kind sei, und sich darum abgewendet. Hätte er das nicht getan, wer weiß, was dann aus seiner Ehe mit Albertine geworden wäre? Nach diesen Beichten erhebt sich seine Frau, küsst Fridolin und schlägt vor, sie sollten einander solche Erlebnisse stets sofort mitteilen. Fridolin aber denkt insgeheim, dass es ein Fehler war, Albertine von früheren erotischen Fantasien zu erzählen.

Die Tochter des Patienten

Kurz darauf wird Fridolin zu einem Patienten gerufen. Doch als er dessen Zimmer betritt, ist dieser bereits tot. Marianne, die 26-jährige Tochter, die den Vater jahrelang gepflegt hat, sitzt an seinem Bett. Sie erscheint ihm schlaff und reizlos mit bereits welkender Haut und strohigem Haar. Als sie den Arzt erblickt, beginnt sie allerlei belangloses Zeug zu reden. Schließlich sinkt sie auf den Boden, umklammert Fridolins Knie und gesteht ihm ihre Liebe. Fridolin, der geahnt hat, dass Marianne in ihn verliebt ist, bewahrt die Fassung. Er hilft ihr auf und drückt ihr tröstend einen Kuss auf die Stirn, wobei er sich insgeheim fragt, ob der Tote sie wohl beobachtet. Kurz darauf läutet es, die Verwandten kommen zur Totenwache.

Das Straßenmädchen

Zurück auf der Straße, verspürt Fridolin keine Lust, nach Hause zu gehen. Er schlendert durch die engen, von Gaslampen erleuchteten Gassen. Eine Gruppe von Studenten einer Verbindung kommt ihm entgegen. Obwohl sich Fridolin eng an die Mauer presst, um sie vorbeizulassen, rempelt ihn ein Student, der eine Augenbinde trägt, mit dem Ellenbogen an. Ein Blick in dessen Gesicht zeigt Fridolin, dass der junge Mann auf eine Schlägerei aus ist. Obwohl es ihn selbst in den Fingern juckt, überdenkt er die Konsequenzen einer Konfrontation und setzt seinen Weg fort. Er gelangt in eine dunkle Gasse, wo ihn die 17-jährige Prostituierte Mizzi in ein Haus zieht. Ganz Gentleman weigert sich Fridolin, ihren Dienst in Anspruch zu nehmen, und lauscht lediglich ihren Worten. Das Mädchen wundert sich und will daraufhin sein Geld nicht annehmen. Als er ihr zum Abschied einen Handkuss gibt, fühlt sie sich geschmeichelt. Wieder auf der Gasse, merkt sich Fridolin das Haus, um später Süßigkeiten und Wein hinzuschicken.

Beim Kostümverleiher

Er betritt ein Kaffeehaus und lässt sich Zeitungen geben. Dort trifft er Nachtigall, einen ehemaligen Kommilitonen aus Polen, der sein Medizinstudium abgebrochen hat und sich nun als Musiker durchschlägt. Dieser erzählt ihm, er warte auf einen Wagen, der ihn zu einer privaten Feier bringen soll. Er werde dort bei einem Kostümball spielen, wo auch nackte Frauen zugegen seien. Zwar müsse er eine Augenbinde tragen, doch könne er durch einen schmalen Spalt in dem ihm gegenüberliegenden Spiegel alles sehen. Fridolins Interesse ist erwacht und er bittet Nachtigall, ihn in die Gesellschaft einzuschleusen. Doch dieser zögert. Es sei gefährlich und außerdem brauche man eine Parole und natürlich ein Kostüm. Fridolin bricht sofort auf und klingelt den Kostümverleiher Herrn Gibiser aus dem Bett. Im Schlafrock zeigt der ältere Mann Fridolin verschiedene Kostüme. Plötzlich dringt ein Geräusch aus dem Dunkeln. Der Verleiher macht Licht: Sie sehen ein junges Mädchen, das ein Pierrettekostüm mit weißen Strümpfen trägt. Sie hat soeben mit zwei Richtern in roten Talaren an einem Tisch getafelt und läuft nun auf Fridolin zu, der sie zwangsläufig auffängt. Ihr Gesicht ist weiß geschminkt und mit Schönheitspflästerchen versehen, dennoch sieht sie sehr kindlich aus. Herr Gibiser will die seltsamen roten Herren der Polizei übergeben und entschuldigt sich bei Fridolin für die Störung. Dieser wählt rasch eine Mönchskutte mit Maske und steigt auf der Straße in eine Kutsche, die dem Wagen Nachtigalls folgt.

Der Maskenball

Die Fahrt geht zu einer Villa in einem Wiener Vorort. Am Hoftor erwarten Fridolin zwei maskierte Diener, sie fragen nach der Parole. Er sagt: „Dänemark“, wie es ihm Nachtigall verraten hat, und wird eingelassen. In einem Saal, der ganz mit schwarzer Seide verhängt ist, trifft er auf etwa 20 Nonnen und Mönche. Alle tragen Masken, aber Fridolin bemerkt, dass ihm einige forschend in die Augen blicken. Ist er in eine geheime Versammlung oder gar eine Sekte hineingeraten? Vorsichtig nähert sich ihm eine schöne Dame und fordert ihn fast flehentlich auf, diesen Ort zu verlassen. Es könne sonst gefährlich für ihn werden, weil er nicht dazugehöre. Doch Fridolin schenkt der Warnung keine Beachtung. Was soll ihm schon passieren? Plötzlich wird der benachbarte Raum in helles Licht getaucht. Dort stehen bewegungslos Frauen mit Masken und Schleiern über Stirn und Nacken. Ansonsten sind sie völlig nackt. Ein Schrei ertönt und einige Herren in bunten Kavalierstrachten springen auf die Frauen zu und beginnen mit ihnen zu tanzen. Fridolin sieht zu und wird von einer knabenhaften Dame gefragt, warum er nicht tanze.

Enttarnung

Da tritt erneut die erste Dame auf ihn zu und tut vor der anderen so, als kenne sie ihn. Nachdem die Knabenhafte sich entfernt hat, wiederholt die Schöne ihre dringliche Warnung. Fridolin, von ihrem nackten Körper wie berauscht, fordert sie auf, mit ihm fortzugehen. Sie aber sagt, sie könne diesen Ort nicht verlassen. Kurz darauf wird Fridolin erneut um eine Parole gebeten. Diesmal muss er passen. Sofort wird er von allen umringt und die Türen werden geschlossen. Er wird aufgefordert, die Maske abzulegen. Schon greift eine fremde Hand nach der schützenden Hülle, als die Dame sich erneut einmischt. Sie sei bereit, den Eindringling auszulösen, und sie sei sich der Konsequenzen vollauf bewusst. Daraufhin wird der sich sträubende Fridolin von kräftigen Armen zur Tür gestoßen und mit der Mahnung, niemandem von dieser Zusammenkunft zu berichten, aus dem Haus geworfen. Mit der gleichen Kutsche, in der Nachtigall hergebracht worden ist, wird Fridolin zurück in die Stadt befördert. Als er gegen vier Uhr morgens zu Hause ankommt, fragt er sich, ob nicht alles ein Traum gewesen sei.

Albertines Traum

Fridolin schleicht in sein Besprechungszimmer, wo er sich auskleidet und das Mönchskostüm im Schrank versteckt. Albertine schläft. Offensichtlich hat sie einen schlechten Traum, sie lacht schrill. Kurzerhand weckt er sie und fordert sie auf, ihm den Traum zu erzählen. Sie habe geträumt, sie befinde sich in dem Haus am Wörthersee, in dem sie mit ihren Eltern den Sommer vor ihrer Hochzeit verbracht habe. Ihre Eltern hätten sie erstaunlicherweise am Tag vor der Trauung allein gelassen, und sie habe im Schrank nach ihrem Hochzeitskleid gesucht. Plötzlich sei Fridolin in einer Galeere über den See herangekommen. Er habe Gold und Seide getragen und auch sie sei plötzlich wie eine Prinzessin gekleidet gewesen. Nebel sei um ihre Knöchel aufgestiegen und sie beide seien durch den Dunst hoch ins Gebirge geflogen, um auf einer Waldlichtung unter einem wundervollen Sternenhimmel zu landen und sich zu lieben. Als sie nach einiger Zeit bemerkt hätten, dass ihre Kleidung fort sei, habe die verärgerte Albertine Fridolin weggeschickt, um neue zu holen. Nackt sei er in die versunkene Stadt hinabgestiegen, während Albertine singend auf der Wiese hin und her gelaufen sei. Ein gut aussehender Herr sei an ihr vorbeigegangen. Dieser habe sich als ein dänischer Offizier aus dem letzten Urlaub entpuppt. Zusammen mit Albertine habe er Fridolin dabei zugesehen, wie dieser versuchte, neue Kleider zu kaufen.

„Dann reckte sie den jungen schlanken Körper hoch, wie ihrer Schönheit froh, und, wie leicht zu merken war, durch den Glanz meines Blicks, den sie auf sich fühlte, stolz und süß erregt.“ (Fridolin über das Mädchen am Strand, S. 12 f.)

Der dänische Offizier habe sich dann zu Albertine auf die Wiese gelegt. Dort hätten sie in einem zeitlosen Raum verweilt, während immer mehr Paare auf der Weise erschienen seien. Albertine habe sich dabei so gelöst gefühlt, wie man es nur im Traum sein könne. Dann habe sie gesehen, wie die Menschengruppe Fridolin fesselte und zur Hinrichtung führte. Nun habe sich die Landesfürstin aus einem Fenster gelehnt und Fridolin gefragt, ob er ihr Geliebter werden und so seiner Hinrichtung entkommen wolle. Sie sei das Mädchen gewesen, das Fridolin im Dänemarkurlaub an einer Strandhütte gesehen habe. Fridolin habe abgelehnt. Zur Strafe sei er dafür in einem Kellerverlies ausgepeitscht worden. Er habe stark geblutet, aber seiner Frau auch bei einem erneuten Angebot die Treue gehalten. Nun sei auf der Blumenwiese, wo Albertine sich befunden habe, ein Kreuz für ihn aufgestellt worden. Ohne jegliche Bewachung sei Fridolin den Bergpfad hinaufgestiegen und habe Albertine zugelächelt. Beide hätten daraufhin zu schweben begonnen und sich dabei voneinander entfernt. Damit Fridolin wenigstens ihr Lachen hören könne, während er ans Kreuz geschlagen werde, habe sie schrill gelacht. Dies sei das Lachen gewesen, mit dem sie dann tatsächlich aufgewacht sei.

„Wenden Sie sich nicht nach mir um. Noch ist es Zeit, dass Sie sich entfernen. Sie gehören nicht hierher. Wenn man es entdeckte, erginge es Ihnen schlimm.“ (die unbekannte Dame, S. 47)

Nach dieser Schilderung ist Fridolin verärgert und meint nun, Albertine mehr zu hassen, als er sie jemals geliebt hat.

Die Spuren der Nacht

Am nächsten Morgen will Fridolin Nachtigall in seiner schäbigen Pension aufsuchen. Doch der Portier berichtet ihm, Nachtigall sei frühmorgens in Begleitung zweier Herren erschienen, habe gepackt und sei zum Bahnhof gefahren. Er sei offensichtlich nicht freiwillig mitgegangen und habe dem Portier noch einen Brief zustecken wollen, was die Herren jedoch vereitelt hätten. Fridolin gibt dem Kostümverleiher die Mönchskutte zurück. Aus einer Tür tritt einer der Herren, die Fridolin in der Nacht vorher gesehen hat. Er kann aus der Reaktion des Kostümverleihers schließen, dass dieser dem Fremden eine Nacht mit seiner Tochter verschafft hat. Fridolin fährt in die Klinik, gibt dort seine Anweisungen und nimmt dann einer plötzlichen Eingebung folgend einen Wagen in die Vorstadt, um das Haus zu suchen, in dem er dem verruchten Maskenball beigewohnt hat. Als er es findet, händigt ihm ein Diener einen Zettel mit der Warnung aus, weitere Nachforschungen zu unterlassen. Fridolin fährt zurück in die Stadt, kommt zufällig bei Marianne vorbei und erkundigt sich nach ihrem Befinden. Er spielt kurz mit dem Gedanken, Albertine zu betrügen. Mariannes Weinen veranlasst ihn jedoch, schnell wieder zu gehen.

„(...) der gegenüberliegende Raum aber strahlte in blendender Helle, und Frauen standen unbeweglich da, alle mit dunklen Schleiern um Haupt, Stirn und Nacken, schwarze Spitzenlarven über dem Antlitz, aber sonst völlig nackt.“ (S. 48)

Unterwegs kommt er an Mizzis Haus vorbei und kauft rasch ein paar Naschereien, wie in der vorigen Nacht geplant. Leider muss er jedoch erfahren, dass Mizzi mit einer Geschlechtskrankheit im Spital liege. Da er keine Lust hat, zu Albertine nach Hause zu gehen, isst er in einem Gasthaus zu Abend und liest dabei in der Zeitung, dass sich die Baronin D. in einem Hotel vergiftet hat. Ihm kommt ein Verdacht: Ist die Baronin D. vielleicht die Schöne vom Maskenball? Nachdem er das Hotel ausfindig gemacht hat, erfährt er, dass die Dame gegen vier Uhr morgens von zwei Herren gebracht worden sei. Am folgenden Mittag sei sie dann leblos aufgefunden worden. Als Fridolin jedoch bei einem Kollegen im Leichenschauhaus nach der Dame sucht, kann er sie nicht eindeutig identifizieren, da er ja ihr Gesicht nie gesehen hat. Verwirrt geht er nach Hause und findet neben Albertine auf seinem Kissen die Maske, die er am Abend zuvor getragen hat. Reuig erzählt er ihr die Begebenheiten der letzten Nacht. Albertine sagt, nun seien sie endlich beide aus einem Traum erwacht. Der nächste Morgen beginnt wie üblich um sieben Uhr mit dem Lachen ihres Kindes.

Zum Text

Aufbau und Stil

„Doppelnovelle“, so nannte Schnitzler die Traumnovelle, bevor der endgültige Titel feststand. Der Aufbau folgt eben dieser Doppelung, sowohl hinsichtlich der äußeren Form als auch im Inhalt. Nach einer kurzen Exposition in Kapitel eins (von insgesamt sieben Kapiteln) vollzieht sich die Handlung in den Kapiteln zwei bis vier ausschließlich aus der Perspektive Fridolins, in den übrigen Teilen ist auch Albertines Sichtweise von Bedeutung. Zwei Höhepunkte folgen unmittelbar aufeinander: der Besuch der Orgie und die Schilderung von Albertines Traum in Kapitel fünf. Im sechsten Kapitel versucht Fridolin vergeblich, die Erlebnisse der vorherigen Nacht aufzuarbeiten. Das letzte Kapitel endet mit Fridolins Beichte und der Versöhnung der Eheleute, eine Katastrophe tritt nicht ein. Die typischen Forderungen an die Novelle (Gattungskennzeichen: Neuigkeitswert, straffer Handlungsaufbau, Möglichkeit eines Erzählrahmens und einer Lösung des Novellenproblems) erfüllt die Traumnovelle. Sie verfügt aber über zwei Handlungsstränge und stellt äußere und innere Handlungen gleichwertig nebeneinander. Schnitzler verwendet sowohl die erlebte Rede als auch den von ihm zur Meisterschaft geführten inneren Monolog; über Letzteren gewährt er dem Leser unmittelbaren Zugang zur Gedankenwelt seiner Figuren. Der Stil Schnitzlers ist eine gehobene Literatursprache, durchsetzt mit wienerisch-mundartlichen Elementen und Medizinerjargon. Der Kompliziertheit menschlicher Beziehungen entsprechen die vielen Hypotaxen, vielgliedrige Sätze mit zahlreichen Einschüben.

Interpretationsansätze

Erotische Fantasien stehen im Mittelpunkt von Schnitzlers Traumnovelle. Beide Hauptfiguren, Fridolin und Albertine, haben diese Fantasien und fordern die Versuchung geradezu heraus, entweder unbewusst im Traum (Albertine) oder ganz bewusst in der Wirklichkeit (Fridolin). Der versöhnliche Schluss zeigt, dass die jeweilige Suche nach dem Erotisch-Fremden sogar eine Läuterung bewirken kann. • Schnitzler teilt die Novelle in die Bereiche Wachsein und Traum, doch sind diese nicht kategorisch voneinander getrennt: Fridolin erlebt die Nacht in wachem Zustand und fragt sich danach, ob es nicht doch ein Traum gewesen ist. Albertine träumt, doch für sie sind die Träume so real, dass sie die Ehe offenkundig bedrohen. Dass im Traum verdrängte (erotische) Wünsche auftauchen, ist eine Erkenntnis, die Schnitzler mit Sigmund Freuds Traumtheorie teilte. • Erotik und Tod treten in der Novelle fast immer als Paar auf. Wo immer Fridolin auf seiner Odyssee erotische Bekanntschaften macht, sind diese in irgendeiner Form morbid: Marianne macht ihm am Totenbett ihres Vaters eine Liebeserklärung, das Straßenmädchen Mizzi wird ins Spital eingeliefert und auf der nächtlichen Orgie wird der Zusammenhang von Eros und Tod zelebriert. Auch in Albertines Traum verschmelzen die Motive Erotik und Tod miteinander. • Schnitzler verstößt gegen gesellschaftliche Konventionen seiner Zeit, indem er Albertine eigene erotische Wünsche äußern und sie andeuten lässt, dass Ehe und Mutterschaft sie langweilen und dass sie verpassten Chancen und nie ausgelebten Freiheitsträumen nachtrauert.

Historischer Hintergrund

Traumdeutung und Tiefenpsychologie

Bereits 1907 hat Schnitzler seine Traumnovelle konzipiert. Zu dieser Zeit atmete ganz Europa, aber insbesondere Wien als eine der großen Metropolen der Kunst noch den Geist des Fin de Siècle. Unterschiedliche künstlerische Strömungen existierten nebeneinander, etwa Naturalismus, Impressionismus und Expressionismus. Sinnsuche, Großstadt, Technik, Gewalt und auch Sexualität bestimmten das Themenspektrum der Epoche. Noch am Ende des 19. Jahrhunderts hatte Frank Wedekind mit seinem Pubertätsdrama Frühlings Erwachen die Entfaltung der Sexualität in den Mittelpunkt gestellt.

Es ist kein Wunder, dass Sigmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse, ausgerechnet in dieser Zeit sein epochemachendes Buch Traumdeutung (1900) veröffentlichte. Darin vertrat er die These, dass Träume keinesfalls unsinnig oder gar auf Geisteskrankheiten zurückführbar seien, sondern gewissermaßen den Schlüssel zum Unbewussten markieren würden. Träume sind nach Freud verdeckte Wunscherfüllungen, die die eigene Psyche in Symbole und teilweise groteske Bilder verwandelt. Insbesondere verdrängte Triebe und Wünsche – bei Freud fast immer sexueller Natur – können sich in den Träumen manifestieren. Der Wissenschaftler Freud, der in dem Dichter einen regelrechten Doppelgänger von sich selbst erkannte, schrieb Schnitzler zu dessen 60. Geburtstag im Jahr 1922, er habe den Eindruck gewonnen, „dass Sie durch Intuition – eigentlich aber infolge feiner Selbstwahrnehmung – alles das wissen, was ich in mühseliger Arbeit an anderen Menschen aufgedeckt habe. Ja ich glaube, im Grunde Ihres Wesens sind Sie ein psychologischer Tiefenforscher, so ehrlich unparteiisch und unerschrocken, wie nur je einer war.“

Entstehung

Auch wenn Arthur Schnitzler der psychoanalytischen Methode Freuds eher kritisch gegenüberstand, machte er doch insbesondere in der Traumnovelle das Freud’sche Forschungsgebiet zu seinem Thema. Der erste Entwurf für die Novelle entstand bereits 1907. Neun Jahre zuvor hatte sich Schnitzler schon mit dem Einakter Paracelsus auf das Thema Traum und Wirklichkeit eingelassen. Er verfolgte auch die Entwicklungen in der Tiefenpsychologie und die Werke Sigmund Freuds. Mit einiger Sicherheit hat Schnitzler Freuds Texte Die Traumdeutung und Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie gelesen. Allerdings missfiel ihm, dass die Psychologie bereit zu sein schien, die Verantwortung für das eigene Handeln tendenziell auf ein unbeherrschbares Unbewusstes abzuschieben. Der Erste Weltkrieg und der Zusammenbruch der Habsburgermonarchie – Letzteres war Schnitzler sehr recht – lagen zwischen den ersten Skizzen und der Fertigstellung der Novelle. 1925/26 erschien sie in mehreren Folgen in der Berliner Modezeitschrift Die Dame. Ein Jahr später wurde die Novelle als Buch veröffentlicht.

Wirkungsgeschichte

Ohne Zweifel war Arthur Schnitzler ein Provokateur: Schon sein Reigen war wegen der Darstellung der Sexualität um die Jahrhundertwende von der Zensur beschnitten worden, Lieutenant Gustl kostete Schnitzler wegen „Verunglimpfung“ des Militärs seinen Offiziersrang, und auch die Traumnovelle sorgte für Aufruhr. Die Gesellschaft von 1926 störte sich sehr an dieser Aufdeckung des Abgründig-Erotischen inmitten einer bürgerlichen Ehe. Sigmund Freud nahm offenbar regen Anteil an dem Werk, wie er an Schnitzler schrieb. Autoren wie Hugo von Hofmannsthal, Heinrich Mann oder Karl Kraus lobten die Novelle. Insgesamt war der Erfolg des Buches aber eher unbefriedigend für Schnitzler. Spätestens mit der Machtübernahme der Faschisten war es mit der Wirkung erst einmal vorbei: Weil er jüdischstämmig war, wurden Schnitzlers Werke verboten und öffentlich verbrannt. Bis in die 1960er Jahre hinein wurde die Traumnovelle kaum beachtet. Neuere Interpretationen konzentrieren sich vor allem auf die tiefenpsychologischen Ebenen des Werks.

Eine Renaissance erlebte die Novelle mit der kongenialen Verfilmung durch den amerikanischen Regisseur Stanley Kubrick: In Eyes Wide Shut holte er die Geschichte der Traumnovelle ins New York der Gegenwart, sparte nicht mit drastischen Worten und nackter Haut und fügte eine Szene ein, in der viele Dinge erklärt werden, die in der Novelle bloße Vermutung sind.

Der Traum war schon vor und bleibt auch nach der Traumnovelle ein beliebtes literarisches Sujet, etwa bei Novalis (Nächtliche Fantasien in Heinrich von Ofterdingen), Franz Kafka (Ein Traum), Georg Trakl (Sebastian im Traum), H. C. Artmann (Grünverschlossene Botschaft), Thomas Mann (z. B. im Zauberberg), August Strindberg (Ein Traumspiel), Fjodor Dostojewski (Onkelchens Traum) oder Günter Eich (Träume).

Über den Autor

Arthur Schnitzler wird am 15. Mai 1862 als Sohn des jüdischen Klinikdirektors Johann Schnitzler in Wien geboren. Schon früh packen ihn die Leselust und das Interesse an der Schriftstellerei. Obwohl der Vater die literarischen Ambitionen seines Sohnes fördert, studiert Arthur auf dessen Wunsch Medizin in Wien. 1882 folgt ein Jahr beim Militär als Sekundararzt. 1885, mit 23, promoviert er in Medizin. In den folgenden Jahren arbeitet er als Assistenzarzt in verschiedenen Wiener Kliniken. Nach dem Tod des Vaters eröffnet er eine Privatpraxis. 1893 erscheint sein Dramenzyklus Anatol. Eine tiefe Freundschaft mit Hugo von Hofmannsthal beginnt. Schnitzler arbeitet vor allem für die Bühne: Sein Reigen von 1897 erregt einen Skandal wegen des vermeintlich pornografischen Inhalts und bleibt lange verboten. Mit der Novelle Lieutenant Gustl tut sich Schnitzler als Prosaschriftsteller hervor, allerdings kostet ihn die angebliche Verunglimpfung des Militärs seinen Offiziersrang. 1903 heiratet er seine Lebensgefährtin Olga Gussmann, mit der er bereits einen Sohn hat. In den folgenden Jahren kommen mehrere seiner Schauspiele zur Uraufführung, u. a. Der einsame Weg, Der grüne Kakadu und Das weite Land. Immer wieder ecken seine Werke bei der Zensur an: Neben dem Reigen betrifft das vor allem den Einakter Haus Delorne, der 1904 noch am Abend vor der Uraufführung verboten wird, und die Komödie Professor Bernhardi, die 1912 zwar in Berlin, nicht aber in Wien aufgeführt werden darf. Bei Kriegsausbruch 1914 bekennt sich Schnitzler zum Pazifismus: Im Unterschied zu vielen seiner Schriftstellerkollegen bricht er nicht in Kriegseuphorie aus. Nach der Trennung von seiner Frau im Jahr 1921 erzieht Schnitzler seine Kinder allein. 1922 macht er die nähere Bekanntschaft Sigmund Freuds, der in der Psychoanalyse zu ähnlichen Erkenntnissen kommt wie Schnitzler mit den Mitteln der Literatur. 1924 verwendet er die Technik des inneren Monologs in der Novelle Fräulein Else. 1926 erscheint die Traumnovelle. Schnitzler stirbt am 21. Oktober 1931.

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