Über das Marionettentheater
- Essay
- Romantik
Worum es geht
O der Verstand!
An einen Freund schreibt der junge Kleist, „nichts Göttlicheres“ gebe es als die Kunst, und „nichts Leichteres zugleich; und doch, warum ist es so schwer?“. Der Freund, weiß Kleist, will es ihm gleichtun und sich der Kunst verschreiben. Allzu weit ist ihm Kleist auf diesem Weg im Jahr 1806 indes nicht voraus, die großen Werke liegen noch hinterm Horizont. Und doch hat er sein Lebensthema schon in den Händen: „Jede erste Bewegung, alles Unwillkürliche, ist schön; und schief und verschroben alles, sobald es sich selbst begreift. O der Verstand!“, belehrt er den Freund weiter. Das ist der Gedanke, der später im Aufsatz Über das Marionettentheater seine klassische Form finden wird. Es ist aber vor allem Selbstbelehrung, denn wie kaum ein anderer leidet Kleist unter dem eigenen Verstand, unter einem Bewusstsein, das wohl oft heller leuchtet, als seine Seele erträgt. Ironischerweise gelingt es ihm erst mit ebenjenem Aufsatz, den eigenen Rat zu beherzigen. Erst hier, wo er von der Leichtigkeit der Marionetten schreibt, die, an Fäden hängend, der Schwerkraft enthoben sind, erreicht auch er die Leichtigkeit – und das in einer Manier, die vermuten lässt, Kleist habe selbst nicht begriffen, wie um alles in der Welt es ihm gelungen ist. Erst hier, wo er in lauter Paradoxen eine Wahrheit darstellt, die wohl anders nicht darzustellen ist, schafft er es, sich über all das Widersprüchliche, Schiefe und Verschrobene in seinem Leben zum „Göttlichen“ der Kunst zu erheben.
Zusammenfassung
Über den Autor
Heinrich von Kleist wird am 18. Oktober 1777 in Frankfurt an der Oder geboren, er stammt aus einer preußischen Offiziersfamilie. Als junger Gefreiter-Korporal nimmt er im ersten Koalitionskrieg gegen Napoleon an der Belagerung von Mainz und am Rheinfeldzug (1793 bis 1795) teil. Bald fühlt er sich vom Offiziersberuf abgestoßen und wendet sich der Wissenschaft zu. Durch seine Kant-Lektüre verliert er jedoch den Glauben an einen objektiven Wahrheitsbegriff und erkennt, dass er nicht zum Gelehrten geschaffen ist. Ebenso wenig fühlt sich der enthusiastische Kleist zum Staatsdiener berufen. 1801 bricht er aus seiner bürgerlichen Existenz aus, reist nach Paris und später in die Schweiz, wo er als Bauer leben will. Doch auch daraus wird nichts. Schon während seiner Zeit in Paris beginnt Kleist zu dichten. Seine Theaterstücke, die heute weltberühmt sind, bleiben zunächst erfolglos. Von 1801 bis 1811 entstehen unter anderem die Tragödien Die Familie Schroffenstein (1803), Robert Guiskard und Penthesilea (beide 1808), außerdem Das Käthchen von Heilbronn (1808), Die Hermannsschlacht (1821 postum erschienen), die Komödien Amphitryon (1807) und Der zerbrochne Krug (1808) sowie die Erzählungen Die Marquise von O.... (1808), Das Bettelweib von Locarno (1810) und Die Verlobung in St. Domingo (1811). 1810 verweigert der preußische Staat Kleist, der nach Stationen in Königsberg und Dresden wieder in Berlin lebt, eine Pension. Auch aus dem Königshaus erhält er keine Anerkennung, obwohl er der Schwägerin des Königs das patriotische Stück Prinz Friedrich von Homburg widmet. Dennoch ist es wohl weniger äußere Bedrängnis als innere Seelennot, die Kleist schließlich in den Freitod treibt. Am 21. November 1811 erschießt er zunächst seine unheilbar kranke Freundin Henriette Vogel und danach sich selbst am Kleinen Wannsee in Berlin.
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