Adolph Freiherr von Knigge
Über den Umgang mit Menschen
Insel Verlag, 2004
Was ist drin?
Wenn Sie „Knigge“ hören, denken Sie an steife Anstandsregeln? Lesen Sie das Original – und lassen Sie sich überraschen!
- Sozialpsychologie
- Aufklärung
Worum es geht
Ein Kompass fürs Leben
Ein Anstandsbuch von 1788, von einem Autor namens Knigge? Richtig, Über den Umgang mit Menschen ist "der Knigge", der Urahn aller Benimmbücher, die sich heute ganz selbstverständlich mit diesem Namen schmücken. Dabei haben sie meistens recht wenig mit ihrem Vorbild gemein: Anders als den späteren Knigge-Autoren ging es Adolph Freiherr von Knigge überhaupt nicht um Benimmregeln, korrekte Kleidung oder schön gedeckte Tische. Der aufmüpfige Adlige, der sich schon früh für die freiheitlichen Ideale der Aufklärung begeisterte und mit seiner geradlinigen Haltung mehr als einmal aneckte, suchte vielmehr eine Antwort auf die Frage, wie jeder Mensch sein Leben glücklich und sinnerfüllt gestalten kann. Selbstbewusstsein und ein Gefühl für die eigene Würde gehörten für ihn ebenso dazu wie Toleranz und Rücksichtnahme. Knigges Gedanken sind psychologisch fundiert, und viele Ratschläge finden sich auch in der modernen Ratgeberliteratur wieder. Von diesem Knigge kann man lernen, auch über 200 Jahre nach Erscheinen des Buches. Eine Empfehlung für alle, die bei der Frage nach ihrer Lebensgestaltung in die Tiefe gehen möchten.
Take-aways
- In Über den Umgang mit Menschen versucht Adolph Freiherr von Knigge allgemeingültige Antworten auf die Frage zu geben, wie ein Mensch glücklich leben kann.
- Nach seiner Beobachtung gehört dazu vor allem die Fähigkeit, sich an andere Menschen und fremde Umgebungen anzupassen, ohne sich selbst zu verbiegen.
- Um mit anderen nicht in Konflikt zu geraten, muss man auf jeden Menschen eingehen und ihn seinem Charakter entsprechend behandeln.
- Ebenso wie auf seine Umwelt sollte aber jeder auch auf sich selbst und seine eigenen Bedürfnisse Rücksicht nehmen.
- Alte und junge Menschen sollten miteinander Umgang haben, voneinander lernen und dabei Verständnis füreinander entwickeln.
- Aufmerksames, rücksichtsvolles Verhalten ist gerade auch dem Ehepartner gegenüber wichtig, wenn die Beziehung gelingen soll.
- Mächtigen und den Menschen in ihrer Umgebung kann man nicht trauen. Deshalb sollte man sich nach Möglichkeit von ihnen fernhalten.
- Sozial tiefer stehenden Menschen begegne man immer freundlich, ohne zu vertraulich zu werden.
- Knigge fasste in diesem Werk seine eigene Lebenserfahrung zusammen.
- Die Ideale der Aufklärung bilden die Grundlage seiner Lebensregeln: Freiheit, Vernunft und Toleranz.
- Ganz im Geist der Aufklärung schuf Knigge das erste Buch mit Lebensregeln, das sich an alle Bevölkerungsschichten richtete, nicht nur an die oberen Zehntausend.
- "Der Knigge", wie das Buch auch genannt wird, ist das einzige Werk des Schriftstellers, das heute noch populär ist und viele Nachahmer gefunden hat.
Zusammenfassung
Allgemeine Lebensregeln
Um im Leben glücklich und erfolgreich zu sein, kommt es nicht auf Begabung oder Intelligenz an. Ganz im Gegenteil: Oft bleiben gerade die Begabten auf der Strecke, während andere, die eigentlich viel weniger können, ihr Glück machen. Aber das liegt daran, dass im Leben etwas ganz anderes wichtig ist: die Fähigkeit, mit Menschen aus allen Bevölkerungsschichten umgehen zu können, ohne sich verstellen zu müssen. Wer das kann, wird ein glückliches Leben führen. Diese Fähigkeit lässt sich erlernen.
„Der Gegenstand dieses Buchs kommt mir groß und wichtig vor, und irre ich nicht, so ist der Gedanke, in einem eignen Werke Vorschriften für den Umgang mit allen Klassen von Menschen zu geben, noch neu.“ (S. 12)
Grundsätzlich muss man in allem das rechte Maß finden; Übertreibungen fallen immer unangenehm auf. Wer Erfolg haben möchte, darf seine Leistungen nicht verstecken, sonst wird er übersehen. Aber zu sehr herausstreichen darf er sie auch nicht, das wirkt schnell übertrieben. Jeder Mensch sollte an seinen Fehlern arbeiten, aber wer vollkommen sein will, macht sich nur unbeliebt. Die Ansichten und Eigenarten unserer Mitmenschen sollten wir akzeptieren und uns nicht über sie lustig machen, denn schließlich möchten wir selbst auch akzeptiert werden. In Schwierigkeiten dürfen wir nie unseren Lebensmut und den Glauben an uns selbst verlieren. Ordentlich und pünktlich sein, an anderen Menschen Interesse zeigen, sie möglichst nicht tadeln oder beschämen, in Gesellschaft nicht unangenehm auffallen - all das sind nützliche Regeln, die den Umgang mit anderen Menschen einfacher machen. Diese Anweisungen darf man aber nicht absolut setzen. Vor allem muss jeder Mensch nach seinen eigenen Grundsätzen leben und darauf achten, dass er sein Gewissen rein hält. Wer sich zu sehr nach dem Urteil anderer richtet, macht sich abhängig. Welche Verhaltensregeln man befolgt und welche nicht, hängt auch von der Lebenssituation ab: Wer zurückgezogen lebt und wenig Wert auf Freundschaft legt, braucht auch keine Höflichkeitsregeln zu beachten.
„Übrigens werden vielleicht wenig Menschen in einem so kurzen Zeitraume in so manche sonderbare Verhältnisse und Verbindungen mit andern Menschen aller Art geraten, als ich seit ungefähr zwanzig Jahren; und da hat man denn schon Gelegenheit, wenn man nicht ganz von der Natur und Erziehung verwahrlost ist, Bemerkungen zu machen und vor Gefahren zu warnen, die man selbst nicht hat vermeiden können.“ (S. 32 f.)
Menschen sind sehr unterschiedlich, jeder hat Fehler und Charakterschwächen. Wir kommen im Leben mit hochmütigen, jähzornigen, ängstlichen, geizigen und allen möglichen anderen Menschen zusammen, und oft ist der Umgang mit ihnen gar nicht einfach. Aber wenn man weiß, wie man mit den unterschiedlichen Charakteren umgehen muss, kann man Konflikte weitgehend vermeiden und sich so auch selbst vor Anfeindungen schützen. Für jeden Menschentyp gibt es gewisse Grundregeln, die man kennen muss. Auf manche Menschen kann man noch einwirken und sie dadurch vielleicht sogar bessern, andere muss man so akzeptieren, wie sie sind, und wieder anderen geht man am besten ganz aus dem Weg. In unserem Urteil über andere Menschen dürfen wir nicht vergessen, dass ihr Verhalten manchmal Ursachen haben kann, die wir nicht kennen, etwa schlechte Erfahrungen; und manch einer, den wir für dumm halten, kann sich vielleicht einfach nur nicht so gut ausdrücken.
„Sei aber nicht gar zu sehr ein Sklave der Meinungen andrer von Dir! Sei selbstständig!“ (S. 40)
Ebenso wie mit anderen Menschen sollten wir auch mit uns selbst sorgfältig umgehen, d. h. uns selbst respektieren, auf uns achten, unseren Körper und unsere Seele pflegen. Wir sollten uns selbst der beste Freund sein - das heißt aber auch, dass wir uns nicht verzärteln, sondern uns fordern und unsere Begabungen und Möglichkeiten nutzen.
Jugend und Alter, Ehe und Familie
Am angenehmsten ist immer der Kontakt unter Gleichaltrigen. Aber man lernt mehr in Beziehungen zu Menschen, die deutlich älter oder jünger sind; deshalb sollte man auch den Umgang mit ihnen pflegen. Alte Menschen leben am liebsten in der Vergangenheit. Sie erwarten, dass sich junge Menschen genauso benehmen wie sie selbst und vergessen ganz, dass das nicht möglich ist. Besser ist es, wenn ein alter Mensch die Unterschiede zwischen Alter und Jugend akzeptiert und junge Menschen noch darin bestärkt, sich ihrem Alter entsprechend zu verhalten. Er darf aber nie versuchen, sich selbst wie ein Jugendlicher zu benehmen; das ist nur unpassend und lächerlich. Es ist schön, wenn alte Menschen ihre Lebenserfahrung an Jüngere weitergeben können. Sie müssen aber darauf achten, dass sie dabei nicht aufdringlich oder überheblich werden. Respekt vor dem Alter ist in der heutigen Zeit aus der Mode gekommen. Das liegt daran, dass die jungen Menschen heute eine gute Bildung erhalten und sich deshalb für klüger halten als die älteren. Aber dennoch sollten sie die alten Menschen achten und freundlich mit ihnen umgehen. Schließlich wollen sie selbst auch gut behandelt werden, wenn sie einmal alt sind. Außerdem kann man von alten Menschen immer etwas lernen; sie sind vielleicht weniger gebildet, besitzen aber dafür eine Menge Lebenserfahrung. Auch in einer Familie ist der gegenseitige Respekt voreinander wichtig. Kinder dürfen nie vergessen, welche Belastungen die Eltern für ihre Betreuung und Erziehung auf sich genommen haben. Ebenso sollten aber auch die Eltern ein freundschaftliches Verhältnis zu ihren Kindern pflegen und sie nicht noch bevormunden wollen, wenn sie bereits erwachsen sind.
„Man vergesse nicht, dass das, was wir Aufklärung nennen, andern vielleicht Verfinsterung scheint.“ (S. 53)
Bei der Wahl eines Ehepartners sollte man sorgfältig vorgehen. Partner müssen nicht in allem gleich sein; im Gegenteil: Unterschiedliche Menschen können einander ergänzen. Zu große Unterschiede sind für die Beziehung aber auch nicht gut. Wenn die Ehe glücklich werden soll, muss man gerade auch dem Partner gegenüber auf gutes Benehmen achten, darf ihm nicht auf die Nerven fallen oder sonst nachlässig werden. Es tut einer Ehe auch gut, wenn jeder seinen eigenen Tätigkeitsbereich hat und den Partner nur ein paar Stunden am Tag sieht. Wenn Eheleute dagegen den ganzen Tag zusammen sind, wissen sie sich bald nichts mehr zu erzählen, und die Beziehung wird langweilig. Deshalb sollte auch jeder seinen eigenen Freundeskreis haben, und der Partner darf deshalb nicht eifersüchtig sein. Ein Mann muss immer darauf achten, dass er seine Autorität in der Familie nicht verliert, sonst macht er sich lächerlich.
„All diese allgemeinen, sodann die folgenden besondern Regeln nun, und viel mehrere noch, (...) zielen dahin, den Umgang leicht, angenehm zu machen und das gesellige Leben zu erleichtern.“ (S. 78 f.)
Frauen sind grundsätzlich anders als Männer: schwächer und empfindsamer, aber auch neugieriger und launischer. Das darf ein Mann im Umgang mit ihnen nicht vergessen. Er sollte deshalb bereit sein, den Frauen diese Schwächen zu verzeihen. Um bei den Frauen beliebt zu sein, muss ein Mann nicht unbedingt gut aussehen. Wenn er aufmerksam und freundlich zu ihnen ist und auch auf sein Äußeres achtet, wird er Erfolg haben. Schlimm ist es, wenn eine Frau glaubt, zu höherer Bildung berufen zu sein. Es mag auch Ausnahmen geben, aber in der Regel kann eine Frau einfach nicht so viel Wissen aufnehmen wie ein Mann. Wenn sie sich mit einer Wissenschaft befasst, bleiben ihre Kenntnisse oberflächlich und lückenhaft. Sie macht sich damit eher lächerlich, verschwendet nur ihre Zeit und vernachlässigt ihre eigentlichen Pflichten: Haushalt, Mann und Kinder.
Freunde und Feinde
Die engsten Freundschaften schließt man in der Jugend, deshalb sollten wir vor allem unsere Jugendfreunde nicht vergessen und die Beziehungen zu ihnen pflegen. Es wird oft behauptet, dass man sich seine Freunde unter Gleichaltrigen aus der gleichen sozialen Schicht suchen sollte. Das ist nicht notwendig. Auch über soziale und sonstige Unterschiede hinweg ist echte Freundschaft möglich; wichtig ist nur, dass man ähnlich denkt und fühlt. Außerdem muss die Beziehung ausgewogen sein, also sollten beide etwa gleich viel geben und nehmen. Wenn das nicht der Fall ist, stirbt die Freundschaft bald. Aus diesem Grund sollten wir uns auch nicht von unseren Freunden abhängig machen. Freunden sollten wir beistehen, wenn sie in Not sind - aber umgekehrt nicht zu enttäuscht sein, wenn wir sie brauchen und sie sich von uns zurückziehen. Die meisten Menschen sind nun mal eher ängstlich und meiden schwierige Situationen. Wenn es in einer Freundschaft Verstimmungen gibt, räumt man sie am besten gleich aus. Falls wir jedoch bemerken, dass wir uns in einem Freund getäuscht haben und dass er uns ausnutzt, dann hilft nur eines: die Freundschaft beenden.
„Respektiere Dich selbst, wenn Du willst, dass andre Dich respektieren sollen.“ (S. 84)
Gäste empfangen wir immer freundlich. Wir lassen es sie nicht spüren, wenn sie ungelegen kommen. Auch Missstimmungen in der Familie hält man vor Gästen möglichst verborgen. Ein Gastgeber achtet darauf, dass sich die Gäste bei ihm wohlfühlen; deswegen wird er es vermeiden, Menschen zusammen einzuladen, die sich nicht leiden können. Wenn wir selbst Gast sind, drängen wir uns den Gastgebern nicht auf und bleiben nicht zu lange. Ein gutes Verhältnis zu Nachbarn ist immer nützlich, deshalb sollten wir Rücksicht auf sie nehmen, nicht zu neugierig oder gar zudringlich sein. Auch hier empfiehlt es sich, Streitigkeiten möglichst schnell beizulegen.
„Kraftgenies und exzentrische Leute lasse man laufen, solange sie sich noch nicht gänzlich zum Einsperren qualifizieren. Die Erde ist so groß, dass eine Menge Narren nebeneinander Platz darauf haben.“ (S. 126)
Man sollte immer darauf achten, dass man sich keine Feinde schafft, aber ganz vermeiden lässt sich das selbst bei aller Vorsicht nicht. Auch wenn uns Gegner beschimpfen und provozieren, sollten wir uns nie zu unbedachten Reaktionen hinreißen lassen, sondern möglichst gelassen bleiben. Am besten ist es, gar nicht zu reagieren. Gibt aber der Gegner überhaupt keine Ruhe, lässt er sich oft dadurch abschrecken, dass man sich ein einziges Mal möglichst offen und deutlich wehrt. Dadurch zeigt man ihm, dass man auch ganz anders reagieren könnte, wenn man wollte. Aus fremden Konflikten hält man sich nach Möglichkeit heraus. Wenn es nicht unbedingt sein muss, ergreift man auch nicht für eine Seite Partei.
Der Umgang mit reichen und mächtigen Menschen
Fürsten und andere mächtige Menschen haben meist einen schlechten Charakter und sind zu echter Freundschaft nicht fähig. Das ist auch kein Wunder, denn sie haben schon von Kind an gelernt, dass sie etwas Besonderes sind und andere sich nach ihnen richten müssen. Dadurch sind sie verdorben worden. Es mag auch ehrliche und aufrichtige Fürsten geben, aber das sind Ausnahmen. Deshalb muss man im Umgang mit so vornehmen Leuten grundsätzlich vorsichtig sein, darf ihrer Freundlichkeit nicht trauen und keinen Dank erwarten, man wird meistens enttäuscht. Wer die Gunst eines Fürsten erringt, tut gut daran, trotzdem seine Beziehungen zu anderen Menschen nicht zu vernachlässigen - sonst steht er plötzlich allein da, wenn der Fürst es sich wieder anders überlegt.
„Suche einen vollkommnen Mann auf dieser Erde, und du kannst hundert Jahre alt werden und noch immer vergebens umherrennen.“ (S. 223)
Die Menschen in der Umgebung eines Fürsten, die Hofleute, sind meistens ebenfalls verdorben: kriecherisch, unehrlich und verschwendungssüchtig. Wirkliche Werte zählen bei Hofe nicht, nur äußerer Glanz. Von dieser Gesellschaft hält man sich am besten fern. Wenn wir jedoch mit ihr Kontakt haben müssen, dann bleibt uns nichts anderes übrig, als ihre Gebräuche im Wesentlichen anzunehmen, um uns nicht lächerlich zu machen. Aber auch dann sollten wir darauf achten, uns nicht zu sehr zu verbiegen. Vor allem müssen wir vor den Höflingen selbstbewusst auftreten und dürfen uns von ihrer Arroganz nicht verunsichern lassen.
Umgang mit sozial tiefer stehenden Menschen
Auch Menschen, die gesellschaftlich unter uns stehen, sollten wir freundlich und mit Respekt begegnen. Allerdings sollte die Beziehung nicht zu vertraulich werden, sonst beschämt man den Betroffenen nur und gerät selbst eher in die Gefahr, ausgenutzt zu werden. Den Menschen, die in Not sind, sollten wir helfen, ohne von ihnen Dank zu fordern und sie damit unter Druck zu setzen. Wenn wir jedoch nichts für sie tun können, müssen wir ihnen das gleich offen sagen und dürfen sie nicht vertrösten und hinhalten. Wenn uns jemand etwas Gutes getan hat, sind wir ihm dankbar. Aber auch einem Wohltäter gegenüber darf man nie unterwürfig werden - wenn er etwas Unrechtes tut, dürfen und müssen wir auch ihn kritisieren. Seine Dienstboten sollte man nicht ausnutzen, sondern auf ihr Wohlergehen achten. Wer sie ungerecht behandelt oder gar gewalttätig wird, darf sich nicht wundern, wenn sie nicht mehr gehorchen und ihre Arbeit nachlässig erledigen. Zu nachgiebig und zu vertraut mit ihnen sollte man aber auch nicht sein, sonst verliert man seine Autorität. Wer selbst Dienstbote sein muss, der tue seine Pflicht - aber auch in dieser Stellung darf er sich nie seine Würde nehmen lassen. Deshalb hat man auch als Dienstbote das Recht, sich gegen einen bösen Herrn zu wehren.
Besondere Berufsgruppen: Geistliche, Künstler und Gelehrte
Unter den Geistlichen gibt es zwei Arten: Die einen haben diesen Beruf aus Überzeugung gewählt und nehmen ihr Amt ernst. Sie sind in der Regel liebenswürdig, freundlich und umgänglich. Daneben gibt es aber auch noch andere, die Geistliche geworden sind, weil sie dadurch zu Geld und Ehre kommen wollten. Vor ihnen muss man sich hüten. Sie geben sich einen besonders frommen Anschein, aber in Wirklichkeit sind sie boshaft, habgierig, eitel und heuchlerisch. Da wir nun nie genau wissen können, mit welcher Art von Geistlichen wir es zu tun haben, bleiben wir im Umgang mit ihnen am besten immer vorsichtig, passen uns an und widersprechen ihnen nicht. Der Umgang mit Künstlern und Gelehrten müsste eigentlich besonders angenehm sein, wenn man hier nur Menschen finden würde, die wirklich besonders begabt sind. Leider ist das aber heutzutage nicht der Fall - jeder darf sich Künstler oder Gelehrter nennen, auch wenn er gar kein Talent besitzt. Deshalb findet man hier auch viele unbegabte Menschen, die nur zu Ansehen kommen wollen. Künstler möchten ständig gelobt werden und können keine Kritik vertragen. Das soll uns aber nicht dazu verleiten, ihnen zu schmeicheln. Viele Künstler, vor allem Schauspieler und Musiker, neigen zu einem ausschweifenden Leben. Deshalb sollten wir nicht zu enge Freundschaft mit ihnen halten.
Zum Text
Aufbau und Stil
Über den Umgang mit Menschen ist in drei Teile gegliedert. Knigge gibt zunächst allgemeine Ratschläge zum Verhalten anderen Menschen gegenüber. Der zweite Teil befasst sich mit sozialen Beziehungen, also dem Verhalten gegenüber Familienangehörigen und Freunden. Im dritten Teil geht es dann um Menschen in ihrer gesellschaftlichen Funktion als Angehörige unterschiedlicher sozialer Schichten oder Berufsgruppen. Jeder Teil ist nochmals in Kapitel untergliedert, und jedes Kapitel besteht aus nummerierten Abschnitten, in denen der Autor jeweils eine Verhaltensanweisung gibt und sie dann anschließend begründet. Knigge spricht dabei seine Leser mit Du an, wechselt aber im Schlusskapitel zum Sie.
Interpretationsansätze
- Über den Umgang mit Menschen ist kein Benimmbuch im engeren Sinne. Knigge geht es nicht um oberflächliche Anstandsregeln, sondern er möchte Lebenserfahrung weitergeben.
- Nach Knigges Erfahrung kann einem Menschen die Lebensführung dann gut gelingen, wenn er lernt, auf seine Mitmenschen Rücksicht zu nehmen, Konflikte zu vermeiden, aber zugleich auch selbstbewusst für seine eigenen Bedürfnisse und Rechte einzutreten. Wer beides in Einklang bringen kann, lebt glücklich. Vor allem darf sich ein Mensch unter keinen Umständen seine Würde und Individualität nehmen lassen.
- Knigges Leitgedanken sind von der Philosophie der Aufklärung geprägt: So fordert er Toleranz und Meinungsfreiheit und sieht den Wert eines Menschen unabhängig von seinem gesellschaftlichen Rang.
- Revolutionär ist allein schon die Grundidee des Buches, das sich ausdrücklich an Menschen aller Gesellschaftsschichten gleichermaßen wendet. Zielscheibe seiner Kritik ist vor allem der Adel, an dem er kaum ein gutes Haar lässt.
- Knigges Ratschläge sind psychologisch gut fundiert. Deshalb sind sie zum großen Teil auch heute noch ebenso anwendbar wie vor über 200 Jahren. Manche Themen sind jedoch klar zeitgebunden: Knigges Aussagen über Frauen und Juden entsprechen dem Zeitgeist, sind jedoch nach heutigen Maßstäben schlichtweg diskriminierend.
Historischer Hintergrund
Absolutismus und Aufklärung
Nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges mit seinen enormen Zerstörungen war in Deutschland auch das Wirtschaftssystem fast völlig zusammengebrochen. In dem Bemühen, einen raschen Neuaufbau zu ermöglichen, orientierten sich die Herrscher der deutschen Länder am staatlich gelenkten französischen Wirtschaftssystem, dem Merkantilismus. Mit ihm übernahmen sie ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zugleich auch das politische System Frankreichs, den Absolutismus. Hier ruhte die Macht allein in den Händen des Herrschers. Sein Königtum galt als von Gott verliehen, und dementsprechend war er niemandem sonst zur Rechenschaft verpflichtet, sondern traf alle wichtigen Entscheidungen allein, ohne eine Kontrollinstanz. Adel und Klerus waren zwar mit gewissen Privilegien ausgestattet, aber politisch fast ebenso machtlos wie der so genannte dritte Stand, die Bürger und Bauern.
Das 17. und 18. Jahrhundert war auch die Zeit wichtiger Entdeckungen. So erweiterten Entdeckungsreisen, etwa nach Australien oder in die Arktis, den Horizont der Menschen. Dazu kamen neue naturwissenschaftliche Erkenntnisse, wie die Gesetze der Lichtbrechung oder die Planetengesetze, und technische Fortschritte. Das alles sorgte dafür, dass das mittelalterliche Weltbild immer mehr ins Wanken kam und der Einfluss von Kirche und Klerus abnahm.
In der Philosophie fanden diese Veränderungen ihren Ausdruck in der Aufklärung. Diese geistige Strömung breitete sich von England über Deutschland und Frankreich in ganz Europa aus. Philosophen wie Immanuel Kant oder Voltaire forderten die Menschen zu selbstständigem Denken auf und vertraten eine antiklerikale Haltung. Die Aufklärung propagierte Vernunft und Toleranz. Durch Fortschritt und Erziehung sollten die Menschen zum Besseren gewandelt werden. Damit wandte sie sich gegen eine Gesellschaft, in der Glaube, Traditionen und Standesunterschiede im Zentrum des Denkens und Handelns standen. Verbreitet wurden die neuen Ideen u. a. durch die Freimaurer; das Gedankengut wurde aber bald vom gesamten Bürgertum aufgegriffen, das durch wachsenden Wohlstand immer mehr Selbstbewusstsein erlangte. Die Ideen der Aufklärung bereiteten schließlich auch die Französische Revolution vor.
Entstehung
Bücher mit Lebensregeln oder Benimmvorschriften gab es auch in früheren Jahrhunderten schon, etwa Il Libro del Cortegiano (Der Hofmann) von Baldassare Castiglione (1528), Il Galateo von Giovanni della Casa (1558) oder Oráculo manual y arte de prudencia (Handorakel und Kunst der Weltklugheit) von Baltasar Gracián (1647). Sie richteten sich jedoch überwiegend an die oberen Gesellschaftsschichten. Knigges Anspruch, in seinem Buch Lebensregeln zu vermitteln, die für alle Stände gleichermaßen gelten, war neu.
Die Grundlage von Über den Umgang mit Menschen waren eigene Erfahrungen Knigges, aus denen er allgemeingültige Regeln entwickelte. Auf diese Weise wollte er jungen Menschen Leitlinien für ihre Lebensgestaltung an die Hand geben und sie vor Fehlern bewahren. Der Autor war zum Zeitpunkt der Abfassung selbst zwar erst 35 Jahre alt, hatte aber schon einiges erlebt - etliche Erfolge und zahlreiche Niederlagen, an deren Konsequenzen er sein Leben lang zu tragen hatte. Durch den frühen Tod seiner Eltern hatte er als Adliger auch die Welt des Bürgertums kennengelernt, sich unter fremden Menschen behaupten müssen und gelernt, unterschiedliche Perspektiven einzunehmen und andere Sichtweisen zu respektieren. Der Versuch einer Karriere bei Hofe scheiterte ebenso wie sein Engagement für den Illuminatenorden. Literarisch hatte Knigge diese negativen Erfahrungen bereits im Roman meines Lebens (1781) verarbeitet, ehe er 1788 Über den Umgang mit Menschen veröffentlichte. Die dritte Auflage des Werkes aus dem Jahr 1790 erweiterte Knigge erheblich und schuf damit die endgültige Fassung.
Wirkungsgeschichte
Der Erfolg von Über den Umgang mit Menschen war von Anfang an enorm. Noch zu Lebzeiten des Autors erschien das Buch in mehreren Auflagen und zahlreichen Übersetzungen. Zugleich ist es das einzige unter den zahlreichen Werken des Freiherrn, das über die Jahrhunderte hinweg populär geblieben ist.
Aufgrund der Popularität erschienen jedoch zahlreiche Neubearbeitungen und Entstellungen des Buches. Bereits wenige Jahre nach Knigges Tod kamen Neufassungen auf den Markt, die den Schwerpunkt auf Anstandsregeln setzten und die politischen Aussagen weitgehend unter den Tisch fallen ließen. Dieser Trend setzt sich bis heute fort: Der Name Knigge ist so populär, dass er inzwischen zum Synonym für Benimmbücher geworden ist - aber den politischen Sprengstoff des Aufklärers Knigge kennt kaum noch jemand.
Über den Autor
Adolph Freiherr von Knigge wird am 16. Oktober 1752 auf dem Schloss seiner Eltern in der Nähe von Hannover geboren. Als Spross einer alten Adelsfamilie erhält der Junge eine standesgemäße Erziehung. 1763 stirbt seine Mutter, drei Jahre später der Vater. Nun steht Adolph nicht nur ganz allein da, sondern ist plötzlich auch noch nahezu mittellos, denn die Güter seines Vaters erweisen sich als hoch verschuldet. Aller Besitz fällt an die Gläubiger des Vaters, Adolph erhält jährlich eine kleine Summe, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. 1769 beginnt er ein Jurastudium in Göttingen. 1771 erhält er eine Anstellung am Hof des Landgrafen Friedrich in Kassel und kehrt damit in die Welt des Adels zurück. Schon der Vater war Freimaurer, und auch Adolph engagiert sich in diesen Kreisen und begeistert sich für die Ideen der Aufklärung. 1773 heiratet er, ein Jahr später wird seine einzige Tochter Philippine geboren. Zunächst ist Knigge beim Landgrafen hoch angesehen. Aber auf Dauer fühlt er sich in der glanzvollen Welt des Hofes nicht wohl; dazu hat er auch die dunkleren Seiten des Lebens schon zu genau kennengelernt. Die Intrigen und Unehrlichkeiten, die Notwendigkeit, sich unterzuordnen und anzupassen, all das stößt ihn ab. Der junge Mann, der sich in dieser reglementierten Umgebung den Luxus leistet, selbstständig zu denken, und der an sich und andere hohe moralische Maßstäbe anlegt, fällt bald in Ungnade. Er muss seine Stellung aufgeben und sucht eine neue an einem anderen Fürstenhof, scheitert aber erneut. Knigge beginnt zu schreiben, verfasst Dramen, Reiseberichte, Satiren und Abhandlungen, ist als Herausgeber und Übersetzer tätig. Aber davon leben kann er nicht; sein einziges wirklich erfolgreiches Werk wird Über den Umgang mit Menschen (1788). Als Freimaurer tritt Knigge 1780 dem Illuminatenorden bei, erreicht auch bald eine führende Position, die er aber nach Konflikten mit anderen Mitgliedern vier Jahre später wieder aufgeben muss. Seine Bemühungen, die Güter des Vaters zurückzugewinnen, bleiben erfolglos. 1790 erhält Knigge endlich eine Stelle als Oberhauptmann in Bremen. Auch dort fällt er wegen seiner politischen und satirischen Schriften in Ungnade. Von Misserfolgen zermürbt und von den Menschen enttäuscht, stirbt Freiherr von Knigge mit 43 Jahren am 6. Mai 1796 in Bremen.
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