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Über die Freiheit

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Über die Freiheit

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Was ist drin?

Wie weit darf die Freiheit des Einzelnen in der Gesellschaft gehen? Mill sagt: So weit, wie sie niemand anderem schadet.


Literatur­klassiker

  • Philosophie
  • Viktorianische Ära

Worum es geht

Was ist Freiheit?

Jahrhundertelang haben Philosophen die Frage aufgeworfen, wie frei der Mensch in seinem Handeln wirklich ist. Hat er einen freien Willen oder sind seine Taten von seinen Erbanlagen und seiner Erziehung bestimmt? John Stuart Mill interessiert diese Grundsatzfrage nicht, er geht das Thema Freiheit bewusst pragmatisch an. Was den Menschen vor allem an der freien Entfaltung seiner Möglichkeiten und Neigungen hindert, ist laut Mill die unterdrückende Einwirkung seiner Umwelt. Dieser Einfluss behindert nicht nur den Einzelnen, sondern hat auch weit reichende Folgen für die Gemeinschaft. Denn jede Gesellschaft besteht aus einer Reihe von Individuen, und erst wenn diese sich optimal entfalten können, wird sich auch das Gemeinwesen entsprechend weiterentwickeln. Die individuelle Freiheit ist daher auch im öffentlichen Interesse. Die historische Wirkung von Mills kurzer Abhandlung Über die Freiheit ist beachtlich. Und es wäre verfehlt, anzunehmen, dass die Inhalte des Werks mittlerweile keine Bedeutung mehr hätten. Man braucht nur an den Einfluss des Prinzips der politischen Korrektheit zu denken, um zu sehen, dass Mills Plädoyer für eine freie Diskussion über unterschiedliche Wahrheitsvorstellungen auch heute noch Relevanz hat.

Take-aways

  • Über die Freiheit ist eines der wichtigsten Werke des politischen Liberalismus.
  • Inhalt: Die Freiheit des Einzelnen in der Gesellschaft sollte darin bestehen, dass jeder Mensch das Recht hat zu denken und zu handeln, wie er möchte, solange er damit keinem anderen Menschen Schaden zufügt. Diese Freiheit ist nicht nur für die Entfaltung des Individuums wichtig, sondern auch für die positive Weiterentwicklung der Gesellschaft als Ganzes.
  • Zur Zeit der Veröffentlichung des Werks zeigte England eine starke Tendenz, Menschen in ihrem Verhalten anhand allgemeiner Moralprinzipien zu gängeln.
  • Mill selbst wurde wegen seiner engen Freundschaft mit der verheirateten Harriet Taylor kritisiert, die er nach dem Tod von deren Ehemann heiratete.
  • Obwohl seine Werke allein unter seinem Namen erschienen, betrachtete er seine Freundin und spätere Frau als intellektuelle Partnerin und quasi als Mitautorin.
  • Wohl auch durch ihren Einfluss setzte sich Mill stark für die Gleichberechtigung der Geschlechter ein.
  • Mill wurde gemäß den Erziehungsmaximen von Jeremy Bentham, einem persönlichen Freund seines Vaters, ausgebildet.
  • Aufgrund dieses Einflusses stand bei ihm das Nützlichkeitsprinzip im Vordergrund: Gut ist demnach, was für die Mehrheit der Menschen vorteilhaft ist.
  • Mill schreibt klar und verständlich und kann auch ohne philosophische Vorkenntnisse gelesen werden.
  • Zitat: „Die einzige Freiheit, die diesen Namen verdient, besteht darin, unser eigenes Wohl auf unsere eigene Art zu suchen, solange wir dabei nicht die Absicht hegen, andere ihrer Freiheit zu berauben oder ihre dahin zielenden Anstrengungen zu durchkreuzen.“

Zusammenfassung

Freiheit und Macht

Neben der Frage der Willensfreiheit ist auch die Frage von Bedeutung, wie viel Freiheit dem Einzelnen als Mitglied der Gesellschaft eingeräumt werden sollte. Die Freiheit des Individuums ist wichtig für die Weiterentwicklung unserer modernen Gesellschaft und steht im Mittelpunkt vieler öffentlicher Kontroversen.

„Gegenstand dieses Essays ist (...) die Frage nach dem Umfang und den Grenzen der Macht, die von der Gesellschaft legitim über den Einzelnen ausgeübt werden darf.“ (S. 5)

Wie die Geschichte etwa von Griechenland, Rom oder England zeigt, besteht schon seit langer Zeit ein Konflikt zwischen individueller Freiheit und autoritärer Herrschaft. Zur Zeit der Tyrannen ging es vor allem um die Frage, wie viel Macht der Herrscher oder die herrschende Klasse auf die Gemeinschaft ausüben durfte. Die Macht wurde über zwei Wege begrenzt: zum einen durch die Festschreibung individueller Rechte und zum anderen durch die Einführung einer Verfassung, an die sich auch der Herrscher zu halten hatte. Im Zuge der Demokratisierung in unserer modernen Zeit, bei der die Regierenden zu Beauftragten des Volkes wurden, ließ das Gefühl, die individuelle Freiheit schützen zu müssen, nach. Denn wenn alle Macht vom Volk ausgeht, braucht man sich vor Willkürherrschaft scheinbar nicht mehr zu fürchten.

„Die einzige Freiheit, die diesen Namen verdient, besteht darin, unser eigenes Wohl auf unsere eigene Art zu suchen, solange wir dabei nicht die Absicht hegen, andere ihrer Freiheit zu berauben oder ihre dahin zielenden Anstrengungen zu durchkreuzen.“ (S. 20)

Die Vorstellung, dass das Volk über sich selbst herrscht, entspricht meistens nicht der Realität. Auch in unserer Zeit wird die Freiheit Einzelner oft eingeschränkt. Meistens unterdrückt eine Mehrheit bestimmte Minderheiten und Andersdenkende.

Das Prinzip der individuellen Freiheit

Die Menschen neigen dazu, ihre eigenen Vorlieben zur allgemeinen Norm erheben zu wollen. Es wird mit Moral, Geschmack oder Geschicklichkeit argumentiert, ohne dass es objektive Vernunftgründe dafür gäbe, bestimmte Werturteile für allgemeingültig zu erklären. Selbst die Religion und ihre Regeln sind in dieser Hinsicht nicht eindeutig, sondern oft das Ergebnis bestimmter Interpretationen von Leuten, die ihre eigene Version zu Machtzwecken missbrauchen.

„Sonderbar ist es, dass die Menschen zwar für freie Diskussion eintreten, aber sich dagegen verwahren, dass die Meinungen bis ins Extrem getrieben werden (...)“ (S. 32)

Das Prinzip, das bei der individuellen Freiheit gelten sollte, ist, dass jeder denken, sagen und tun darf, was immer ihm beliebt, solange er niemanden dadurch schädigt. Auch wenn er sich dabei selbst Schaden zufügen sollte, hat niemand das Recht, ihn zu einer anderen Handlungsweise zu zwingen. Man kann mit einer Person, die sich offensichtlich töricht verhält, diskutieren und sie zu überreden versuchen; Zwang ausüben darf man aber nicht. Natürlich trifft dieses Prinzip nur auf reife Menschen zu. Minderjährigen beispielsweise kann man eine solche Freiheit noch nicht zugestehen.

Was heißt es, andere zu schädigen?

Die Formulierung „Schaden für andere“ sollte nicht zu eng ausgelegt werden. So kann man jemanden auch durch eine unterlassene Hilfeleistung schädigen. Des Weiteren ist jeder verpflichtet, ggf. als Zeuge vor Gericht aufzutreten, Steuern zu zahlen oder im Bedarfsfall das Gemeinwesen zu verteidigen und so seinen Beitrag zu leisten. In diesen Fällen kann sowohl ein Handeln als auch ein Unterlassen von Handlungen anderen Schaden zufügen, ohne dass es unter das Prinzip der persönlichen Freiheit fällt. Wenn eine Handlung aber eindeutig nicht schädigend ist, sollte sie dem Prinzip der Freiheit unterliegen, und es sollte kein Zwang ausgeübt werden. Ein Zwang geht erst einmal von Gesetzen mit Strafandrohung aus. Aber auch der Druck der öffentlichen Meinung kann sich negativ auf den Handlungsspielraum einer Person auswirken. Eine besondere Rolle spielt dabei die Religion, deren Vertreter oft von oben herab bestimmen, welche Verhaltensweisen man als Teil der Religionsgemeinschaft und der Gesellschaft an den Tag legen soll. Auch soziale Reformer können mit ihren Ideen eine Unterdrückung der individuellen Freiheit auslösen.

„Niemand kann ein großer Denker sein, der es nicht als seine erste Pflicht anerkennt, seinem Verstande zu folgen – welches auch immer die Konsequenzen seien, zu denen dieser führt.“ (S. 49)

Nur die repressionslose Freiheit, einen Lebensstil zu pflegen, der niemanden oder höchstens die eigene Person schädigt, bedeutet echte Freiheit. Alles andere ist Unfreiheit, egal unter welchem Regierungssystem man lebt.

Menschen sind entwicklungsfähige Wesen und tragen gerade dadurch zum öffentlichen Wohl bei. Werden sie unterdrückt, nur weil sie in ihrem Verhalten von der Norm abweichen, schränkt dies auch die gesamtgesellschaftliche Entwicklung ein. Gerade ungewöhnliche Charaktere können einen besonderen Beitrag zur allgemeinen Weiterentwicklung leisten – aber nur dann, wenn sie nicht ungebührlich eingeengt werden.

Gedanken- und Redefreiheit

Der erste Schritt zu umfassender Freiheit ist das Recht, den eigenen Gedanken ihren Lauf zu lassen und seine Meinung zum Ausdruck zu bringen. Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang die Pressefreiheit. Eine Unterdrückung von Meinungen gleicht einem Raub an der Gesellschaft. Wird eine richtige Meinung unterdrückt, so verhindert man dadurch eine Korrektur von Irrtümern. Aber auch das gesetzliche oder soziale Verbot, eine falsche Meinung zu äußern, schadet, denn gerade in der Auseinandersetzung mit falschen Ansichten kann sich die Wahrheit nachhaltig verfestigen und ihren Wert beweisen.

„Nicht der heftige Konflikt zwischen Teilen der Wahrheit, sondern die stille Unterdrückung der einen Hälfte ist das empfindlichste Übel.“ (S. 74)

Wer Diskussionen abwürgt, maßt sich entweder persönliche Unfehlbarkeit an oder nimmt diese für seine jeweilige politische Partei, Religion oder soziale Klasse in Anspruch. Wo keine Diskussionen stattfinden, werden die Ansichten der betroffenen Menschen in gewisser Weise dem Zufall überlassen: Wer als Christ in London lebt, wird notgedrungen anders denken als ein Buddhist in Peking. Die Urteilskraft der Menschen wird so nicht ausgeschöpft und die Entfaltung des menschlichen Geistes behindert.

„Es ist wünschenswert, dass in Dingen, die nicht vornehmlich andere betreffen, die Individualität sich behauptet.“ (S. 80)

Merkwürdigerweise sind Menschen zwar zu Diskussionen bereit, bestehen dabei aber meist darauf, Extreme zu vermeiden. Sie wollen das, was sie für besonders wertvolle Prinzipien oder Doktrinen halten, vor dem Infragestellen schützen. Sie betrachten bestimmte Ansichten als unerlässlich für das Funktionieren der Gesellschaft und räumen ihnen wegen ihrer angeblichen Nützlichkeit Vorrang vor einer offenen Suche nach der Wahrheit ein. Dies bekam bereits Sokrates zu spüren, der, obwohl er der Begründer der westlichen Philosophie war, wegen angeblicher Gotteslästerung und Unsittlichkeit zum Tod verurteilt wurde.

Der Nutzen freier Diskussionen

Es ist eine geschichtliche Tatsache, dass die Wahrheit oft unterdrückt und ihre Verfechter verfolgt werden. Das Argument, dass sich die Wahrheit am Ende immer durchsetzt, ist fehlgeleitet. Es ist durchaus möglich, bestimmte Wahrheiten für lange Zeit zurückzuhalten. Inzwischen wird der Kampf gegen unliebsame Wahrheiten allerdings viel subtiler geführt. Vor allem die gesellschaftliche Ächtung ist ein beliebtes Druckmittel. Wer wohlhabend genug ist, kann sich vielleicht darüber hinwegsetzen. Aber Menschen, die sich ihren Lebensunterhalt verdienen müssen, können dem Druck, sich anzupassen, kaum entkommen.

„Die menschlichen Fähigkeiten des Verstehens, des Urteils, der Unterscheidung, der geistigen Aktivität und selbst der moralischen Wertschätzung werden nur geübt, indem man eine Wahl trifft.“ (S. 82 f.)

Die Gedankenfreiheit ist u. a. deshalb so wichtig, weil sich nur durch sie große Denker frei entfalten können. Zudem trägt sie dazu bei, dass der gewöhnliche Mensch seine Meinungen auf ein gesichertes Fundament stellen kann, was wiederum die Gesellschaft insgesamt reifen lässt. Selbst gesicherte Wahrheiten sind nicht effektiv, wenn sie nur gedankenlos von der Masse übernommen werden. Sie müssen in ihrem Kern verstanden werden, um langfristig positive Auswirkungen auf das persönliche Leben haben zu können.

„Wer sich seinen Lebensplan von der Welt oder seiner engeren Umgebung vorzeichnen lässt, der bedarf dazu keiner anderen Begabung als der affenähnlichen Nachahmung.“ (S. 83)

Ansichten können auch dann problematisch sein, wenn es mehr als eine einzige Wahrheit gibt. Erst durch eine offene Diskussion kann der tatsächliche Wahrheitsgehalt offengelegt und eine höhere Sichtweise entwickelt werden. Wird dagegen ein Teil der Wahrheit als unliebsam unterdrückt, schadet das der gesellschaftlichen Entwicklung.

Die Freiheit als Vorbedingung des Fortschritts

Jeder Mensch hat ein persönliches Potenzial. Dieses kann sich nur in Freiheit richtig entfalten. Wird die individuelle Freiheit unnötig eingeschränkt, kann man sich nicht voll entwickeln. Menschen können ihre Urteilskraft nur dort ausbilden, wo sie Wahlfreiheit haben. Ihre Entwicklung wird selbst dann behindert, wenn sie zu blindem Glauben an etwas gezwungen werden, was tatsächlich eine Wahrheit ist. Eine Gesellschaft, die eine solche Unfreiheit fördert, wird gesamthaft stagnieren. Denn wo sich Einzelne nicht weiterentwickeln können, gibt es auch keine kollektive Weiterentwicklung. Für eine reife Gesellschaft ist es nicht nur wichtig, wie sich die Menschen in ihr verhalten, sondern auch, welchen Charakter diese Menschen haben. Eine positive Charakterentwicklung kann aber nur im Rahmen einer angemessenen individuellen Freiheit erfolgen.

„In dem Maße, wie ein Mensch seine Individualität entwickelt, wird er selbst wertvoller für sich und dadurch auch für andere.“ (S. 89)

Ein wichtiger Faktor für den Fortschritt der Gemeinschaft ist die Originalität ihrer einzelnen Mitglieder. Nicht das Übliche, sondern das Einzigartige bringt oft alle weiter. Es ist deshalb im Interesse aller, dass dem Einzigartigen ein angemessener Entwicklungsspielraum gegeben wird.

Die Verantwortung der Gesellschaft

Die Vorteile für den Einzelnen, die eine Gesellschaft mit sich bringt, berechtigt diese auch dazu, von jedem ihrer Mitglieder zu erwarten, dass es sich an bestimmte Verhaltensrichtlinien hält. Am wichtigsten ist, dass jeder sich bemüht, die Interessen der anderen nicht zu verletzen, sondern ihrem Wohl zu dienen. Das gibt der Gesellschaft aber nicht das Recht, Individuen im Ausleben ihrer Einzigartigkeit zu beschneiden. Sogar wenn ein Mensch sich mit seinem Verhalten selbst schädigt, sollte die Gesellschaft ihn lediglich zu einem vernünftigeren Verhalten ermutigen. Rechtlicher oder sozialer Zwang darf aber nicht ausgeübt werden, es sei denn, ein Mensch ist aufgrund von Unzurechnungsfähigkeit oder Unmündigkeit auf den besonderen Schutz der Gesellschaft angewiesen. Dabei geht es nicht um Gleichgültigkeit gegenüber dem Wohl anderer Menschen, sondern um den Respekt vor ihrer Wahlfreiheit. Die Gesellschaft muss auch nicht jegliches Verhalten billigen, sie kann durchaus vor bestimmten Verhaltensweisen warnen. Sie hat aber nicht das Recht, die freie Entscheidung mündiger Erwachsener zu beschneiden, solange sie nur sich selbst schaden und sich an die Spielregel halten, andere nicht zu beeinträchtigen.

„Aber weder ein Einzelner noch mehrere Personen haben das Recht, einem erwachsenen Menschen zu verbieten, dass er mit seinem Leben anfange, was er selbst für das Beste hält.“ (S. 108)

Unter dem Einfluss der Puritaner wurden in Großbritannien private Vergnügungen wie Musik, Tanz oder das Theater bekämpft. Dies ist nur eines von mehreren Beispielen, bei denen eine vorherrschende Meinung die persönliche Freiheit beschnitten hat. In solchen Fällen entsteht zudem die Tendenz, auch anderen Gesellschaften vorzuschreiben, wie sie zu leben haben. Der Staat hat natürlich das Recht, bestimmte Bereiche zu kontrollieren, um präventiv ein Fehlverhalten zu verhindern, z. B. indem er den Verkauf von Giften reguliert. Oder er kann jemand unter besondere Strafe stellen, falls dieser dazu neigt, in betrunkenem Zustand anderen zu schaden. Auch sollte niemandem zugestanden werden, sich freiwillig zum Sklaven eines anderen zu machen – weil er gerade dadurch seine Freiheit aufgeben würde. Ein Mann sollte nicht das Recht haben, seine Frau zu unterdrücken. Eltern sollten notfalls gezwungen werden, für das Wohl ihrer Kinder zu sorgen. Es gibt aber auch Fälle, bei denen es schwieriger ist, zu entscheiden, ob die individuelle Freiheit beeinträchtigt ist oder nicht. Ein Glücksspiel, das niemandem als dem Spielenden schadet, müsste gemäß dem erwähnten Grundsatz toleriert werden. Das Betreiben einer Spielbank hingegen nicht. Doch gleichzeitig existiert das eine ohne das andere nicht. Wichtig ist hierbei, dass der Staat sich der Schwierigkeit dieser Frage bewusst ist. Und wenn er das Glücksspiel auch nicht verbieten kann, so kann er doch den Einfluss von Übeltätern mindern, ohne in die Entscheidung des Spielers wesentlich einzugreifen.

„Das der Gesellschaft zustehende Recht, gegen sie gerichtete Verbrechen vorbeugend abzuwehren, lehrt auch die klare Begrenzung der Maxime, wonach rein persönliches Missverhalten kein Grund für ein Eingreifen durch Vorbeugungs- oder Strafmaßnahmen sei.“ (S. 138)

Es gibt also etliche Aspekte, die eine Begrenzung der individuellen Freiheit rechtfertigen. Damit diese aber nicht zu sehr eingeschränkt wird – was meistens der Fall ist –, bedarf es eines anerkannten Prinzips für die Gewährung von Freiheit. Sonst werden die Menschen in ihrer Entwicklung zum Schaden aller zu sehr behindert.

Zum Text

Aufbau und Stil

Über die Freiheit besteht aus einer Einleitung, gefolgt von vier Kapiteln. Bereits in der Einleitung bringt Mill seine Kernargumente vor. In den nachfolgenden Teilen begründet er seine Thesen im Detail. Als Erstes widmet er sich der entscheidenden Bedeutung der Denk- und Redefreiheit. Danach folgt eine Abhandlung über die Wichtigkeit der individuellen Freiheit für das gesamtgesellschaftliche Wohl. Im nächsten Abschnitt liegt die Betonung auf der Frage, inwieweit der Einfluss der Gesellschaft auf den einzelnen Menschen eingeschränkt werden muss, damit sich jeder möglichst frei entfalten kann. Am Schluss stehen konkrete Überlegungen dazu, wie das Prinzip der individuellen Freiheit in der Gesellschaft umgesetzt werden kann und welchen Beschränkungen es dabei naturgemäß unterliegen muss. Die Lektüre von Mills Werk ist sehr angenehm. Er bringt seine Argumente in klarer Sprache vor, ohne mit Fachbegriffen zu verwirren. Auch ohne philosophische Vorkenntnisse lässt sich das Buch leicht lesen und die Argumentation nachvollziehen. Die wenigen Beispiele, die Mill anführt, sind praktisch Teil der Allgemeinbildung oder werden durch Zusätze erläutert. Insgesamt ein verständlich geschriebenes und manchmal mit Humor gewürztes, kleines Meisterwerk.

Interpretationsansätze

  • Mit seinem Freiheitstraktat beschreitet John Stuart Mill neue Wege. Die Frage, ob der Mensch einen freien Willen besitzt oder nicht, interessiert ihn nicht. Ganz pragmatisch widmet er sich dem Thema der Freiheit des Einzelnen in der Gesellschaft.
  • Das allgemeine Nützlichkeitsprinzip steht für Mill bereits in diesem Werk im Vordergrund. Persönliche Freiheit liegt demnach nicht nur im privaten Interesse, sondern hat auch positive Auswirkungen auf die Gesellschaft. Die Thesen sind letztlich auf das höchstmögliche Gesamtwohl ausgerichtet.
  • Mill zeigt deutlich, dass es auch in relativ freien, demokratischen Gesellschaften Unterdrückung gibt, nämlich aufgrund sozialer Ächtung. Das trifft besonders auf das Beschneiden des Rechts zur freien Meinungsäußerung zu. Aussagen, die etwa gegen das Prinzip der politischen Korrektheit verstoßen, können auch heute noch Karrieren vernichten.
  • Wenn eine Gesellschaft die offene Diskussion wichtiger Themen nicht zulässt, wird nach Mill sowohl der individuelle wie auch der gesellschaftliche Entwicklungsprozess gehemmt. Das ändert aber nichts an der Pflicht des Staates, Delikte wie Volksverhetzung oder Aufruf zu Straftaten zu unterbinden.
  • In seiner Widmung an seine verstorbene Frau bringt Mill zum Ausdruck, dass er das Potenzial und die Freiheit aller Menschen respektiert und nicht auf Geschlechterrollen fixiert ist. Eine Gesellschaft, die einzelne Menschen etwa aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Rasse oder ihres sozialen Standes unterdrückt, ist nicht frei und schadet sich letztendlich selbst.
  • Mit seinen Thesen liefert Mill wichtige Argumente für den politischen Liberalismus. Auch in einer demokratischen Gesellschaft darf es nicht angehen, dass Minderheiten von einer Mehrheit unterdrückt werden. Unveräußerliche Menschenrechte müssen Vorrang vor Mehrheitsbeschlüssen haben. Moderne demokratische Gesellschaften tragen diesem Prinzip Rechnung, indem sie sich auf Verfassungen einigen und die Einhaltung der Rechte von Verfassungsgerichten überprüfen lassen.

Historischer Hintergrund

Der viktorianische Geist

Schon im 19. Jahrhundert genossen die Briten politische Freiheiten, die auf dem europäischen Kontinent noch weitgehend unbekannt waren. Dabei konnten sie auf eine jahrhundertelange Geschichte der sukzessiven Beschneidung monarchischer Macht zurückblicken, die schon im Jahr 1215 mit der berühmten Magna Charta ihren Anfang genommen hatte. Die britische Königin Viktoria war nur noch eine konstitutionelle Monarchin; das britische Unterhaus, das sich aus den gewählten Vertretern von bestimmten Städten und Kommunen zusammensetzte, hatte weitgehende Gesetzgebungsgewalt. Durch die Wahlrechtsreform von 1832 waren auch Teile der Mittelschicht wahlberechtigt, darunter viele Unternehmer, die im Rahmen der industriellen Revolution teilweise zu beachtlichem Wohlstand gelangt waren.

Die im internationalen Vergleich ungewöhnlichen politischen Freiheiten der Briten im 19. Jahrhundert bedeuteten aber nicht, dass die Menschen auch entsprechende persönliche Meinungs- und Handlungsfreiheit genossen. Vor allem unter dem Einfluss der Puritaner und später der Methodisten wurde ein geistiges Klima geschaffen, das vom Einzelnen forderte, sich tugendhaft zu verhalten und zumindest nach außen einen gesitteten Eindruck zu erwecken. Tanz, Musik und Alkoholgenuss galten als verpönt. Selbst Klavierbeine wurden schamhaft verhüllt und es galt sogar als unziemlich, von einer Hähnchenbrust zu sprechen. Wer sich scheiden ließ, riskierte die soziale Ächtung. Darüber hinaus waren starke Bestrebungen im Gange, die engstirnigen religiösen Ansichten und Präferenzen in Gesetzen zu verankern. So wurden etwa 1854 alle Wirtshäuser per Verordnung geschlossen, was zu regelrechten Aufständen führte, sodass das Gesetz ein Jahr später wieder zurückgenommen werden musste.

Die restriktive Gesinnung hatte auch Einfluss auf die Wissenschaft. Es war nicht gern gesehen, wenn Wissenschaftler behaupteten, die Erde sei älter als 6000 Jahre. Viele Theologen sahen darin einen Widerspruch zum biblischen Schöpfungsbericht. Charles Darwin zögerte lange Jahre, bevor er 1859 seine Evolutionstheorie veröffentlichte.

Entstehung

Die Lehren des Philosophen Jeremy Bentham, der die Förderung des größtmöglichen Glücks für die größtmögliche Zahl von Menschen zum höchsten ethischen Prinzip erhob, hatten großen Einfluss nicht nur auf die offizielle Politik, sondern auch auf die Erziehung von John Stuart Mill. Bentham war ein persönlicher Freund von Mills Vater, der darum bemüht war, seine Kinder konsequent gemäß dessen Thesen zu erziehen. So wurde John Stuart Mill von Kindheit an mit der Frage konfrontiert, was die wichtigen Werte für die Gesellschaft insgesamt waren.

Auch durch seine enge Freundschaft mit Harriet Taylor, die er nach dem Tod ihres Ehemanns heiratete, wurde Mill stark intellektuell beeinflusst. Er ging sogar so weit, sie als Mitautorin seiner Schriften zu bezeichnen. Konsequenterweise forderte Mill für Frauen die gleichen Freiheitsrechte, die ihm für die menschliche und gesellschaftliche Entwicklung wichtig schienen. Seine Sicht, dass eine allzu starke Unterdrückung des Einzelnen durch Gesetze und den Druck der öffentlichen Meinung die gesellschaftliche Entwicklung behindern kann, war sicher auch von der Erfahrung geprägt, dass er für seine enge Freundschaft mit der verheirateten Harriet Taylor viel Kritik einstecken musste.

Ein prägender Einfluss auf Mills Thesen über die Freiheit war Wilhelm von Humboldt, den er am Anfang des Buches zitiert und dessen Werk Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen er für wichtig erachtete.

John Stuart Mill begann seine Arbeit an Über die Freiheit 1854 und veröffentlichte das Buch 1859, ein Jahr nach dem Tod seiner Frau Harriet Taylor-Mill.

Wirkungsgeschichte

Der viktorianischen Leserschaft musste Über die Freiheit als radikales Werk erscheinen, betonte es doch die Freiheit des Individuums gegenüber den Zwängen von Staat und Gesellschaft.

Für die politische Philosophie sollte sich das Werk als sehr einflussreich erweisen: Es brachte John Stuart Mill den Ruf eines der größten Denker des 19. Jahrhunderts ein. Mills Thesen fanden außergewöhnlich viel Beachtung und haben bis in unsere Zeit praktische Auswirkungen auf die Politik. Auch im Ausland, etwa in Frankreich und Deutschland, wurden seine Ideen positiv aufgenommen. Sie beeinflussten wichtige liberale Denker des 20. Jahrhunderts wie Ludwig von Mises, Friedrich August von Hayek, Karl Popper und Milton Friedman.

Über den Autor

John Stuart Mill wird am 20. Mai 1806 als ältestes von neun Kindern in London geboren. Sein Vater, der Theologe und Ökonom James Mill, sieht in der Bildung seines hochbegabten Sohnes einen „Wettstreit zur Schaffung eines Genies“. Als guter Freund des Philosophen Jeremy Bentham erzieht er ihn konsequent im Geist des Utilitarismus. Bereits mit drei Jahren erhält John Stuart Mill altsprachlichen Unterricht, er liest schon früh die Klassiker der Philosophie und absolviert mit 13 einen kompletten Kurs in Ökonomie. Der berühmte Ökonom David Ricardo, ebenfalls ein Freund des Vaters, lädt den Jugendlichen zu Spaziergängen ein, auf denen über Wirtschaftspolitik diskutiert wird. Mit 14 reist Mill nach Montpellier, wo er Chemie, Zoologie, Mathematik, Logik und Metaphysik studiert. Er wohnt bei Benthams Bruder Samuel; erstmals in seinem Leben hat er hier Gelegenheit, Freundschaften mit Gleichaltrigen zu pflegen. Nach seiner Rückkehr nach England erhält Mill auf Betreiben des Vaters 1823 eine gut bezahlte Stelle bei der Ostindien-Kompanie, die es ihm erlaubt, gleichzeitig seinen literarischen Interessen nachzugehen. Ende der 1820er Jahre leidet Mill an einer schweren Depression. Sie bringt ihn dazu, seine Vorstellung vom Glück und seine Ansichten zum Utilitarismus grundsätzlich zu überdenken. Er verschlingt die zeitgenössische Literatur; Goethe und Auguste Comte, der Begründer der Soziologie, prägen sein Denken. Großen Einfluss auf sein Werk übt auch die Feministin Harriet Taylor aus, die er nach dem Tod ihres Ehemanns 1851 heiratet. Neben seinen Tätigkeiten als Angestellter und als Herausgeber der radikal liberalen Zeitschrift London Review arbeitet Mill unermüdlich an seinen Essays und Schriften. In rascher Folge veröffentlicht er Bücher, darunter die Principles of Political Economy (Grundsätze der politischen Ökonomie, 1848) und das berühmte On Liberty (Über die Freiheit, 1859). Nach der Schließung der Ostindien-Kompanie lässt er sich 1858 in Frankreich nieder, kehrt aber ein paar Jahre später vorübergehend in seine Heimat zurück. Als Mitglied des Unterhauses setzt er sich für das Frauenwahlrecht und gegen die Todesstrafe ein. Er stirbt in Avignon am 8. Mai 1873.

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    B. K. vor 2 Jahren
    Endlich mal ein Denker, dessen Theorie ich nahtlos folgen kann.
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    R. G. vor 6 Jahren
    sehr gut!























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    L. V. vor 7 Jahren
    Sehr gute Zusammenfassung!