David Ricardo
Über die Grundsätze der Politischen Ökonomie und der Besteuerung
Metropolis, 2006
Was ist drin?
Plädoyer für Freihandel: David Ricardos Hauptwerk gab der Nationalökonomie des frühen 19. Jahrhunderts wichtige Impulse.
- Ökonomie
- Frühe Neuzeit
Worum es geht
Grundlagenwerk der Nationalökonomie
Adam Smith sah in seinem Hauptwerk Der Wohlstand der Nationen das wirtschaftliche Wachstumspotenzial als unbegrenzt an. David Ricardo begegnete dieser Haltung skeptisch. Unendliches Wachstum? Nein, Ricardo sah vielmehr das Menetekel des wirtschaftlichen Stillstands an der Wand. Was er mit seiner Abhandlung Über die Grundsätze der Politischen Ökonomie und der Besteuerung vorlegte, ist ein Handbuch der Allokation, der Verteilung von Gütern. Seine Theorie: Weder Kapitalgeber noch Lohnarbeiter profitieren am meisten vom gesellschaftlichen Wohlstand - stattdessen können sich vor allem die Eigner von Grund und Boden saftige Profite in die Tasche stecken. Auf den Gebieten der Geldtheorie, Steuerpolitik und Werttheorie brachte Ricardo neue Impulse in die Volkswirtschaftslehre ein. Berühmt geworden ist vor allem seine Theorie der komparativen Kostenvorteile, die er anschaulich an den beiden Tuch- und Weinproduzenten England und Portugal demonstriert - allerdings unter der Prämisse von recht unwahrscheinlichen Rahmenbedingungen. Ricardos Arbeitswertlehre (der Wert eines Gutes bestimmt sich aus der in ihm eingeschlossenen Arbeit) wurde später von Karl Marx aufgegriffen. Die Wirkung von Ricardos Hauptwerk war durchschlagend: Es gehört zu den "Klassikern der Klassiker" der Nationalökonomie.
Take-aways
- David Ricardos Über die Grundsätze der Politischen Ökonomie und der Besteuerung aus dem Jahr 1817 ist einer der Klassiker der Nationalökonomie.
- Ricardo kritisierte vor allem Adam Smith und brachte die Nationalökonomie auf den Gebieten der Arbeitswertlehre, der Geld- und Steuertheorie und der Außenhandelspolitik bedeutende Schritte weiter.
- Besonders wirksam war Ricardos Theorie der komparativen Kostenvorteile: Nicht die absoluten Produktionskosten, sondern die relativen Kosten, ausgedrückt in Einheiten eines anderen Gutes, sind bedeutsam.
- Wenn zwei Länder Handel treiben, sollte sich jedes Land auf diejenigen Güter konzentrieren, bei denen es komparative Kostenvorteile hat.
- In dem Fall lohnt sich ein Güteraustausch sogar dann, wenn eines der beiden Länder den absoluten Kostenvorteil für alle Produkte aufweist.
- Der Wert eines vom Menschen hergestellten Gutes bemisst sich nach der Arbeit, die zur Herstellung notwendig ist.
- An jedem hergestellten Produkt sind immer drei Gruppen beteiligt: Der Landeigner erhält eine Bodenrente, der Kapitalgeber einen Profit und der Arbeiter einen Lohn.
- Werden Löhne erhöht, geschieht dies stets auf Kosten des Profits.
- Der natürliche Preis der Arbeit bemisst sich nach den Kosten, die zum Erhalt der Arbeitskraft des Lohnarbeiters notwendig sind (Nahrung, Kleidung, Wohnung).
- Langfristig wird der Lohn stets um das Existenzminimum pendeln.
- Gibt es mehrere, unterschiedlich fruchtbare Böden, so werfen die besseren Böden eine Grundrente ab; jede weitere, intensivere Nutzung eines Bodens wirft einen geringeren Grenzertrag ab.
- Ricardos Studie fand reißenden Absatz: Es hagelte Kritik und bewundernde Zustimmung gleichermaßen.
Zusammenfassung
Über den Wert
In der politischen Ökonomie (Volkswirtschaftslehre) spielt die Definition von Wert eine große Rolle. Darin liegen besondere Schwierigkeiten, denn Wert kann einerseits die Bedeutung von Gebrauchswert, andererseits die von Tauschwert haben. Die zur Herstellung eines Gutes verwendete Arbeitskraft bestimmt dessen Wert. Dieser Wert drückt sich in relativen Preisen aus, also im Verhältnis zu anderen Gütern. Lässt sich beispielsweise eine Einheit des Gutes A durch technischen Fortschritt von nun an leichter herstellen als eine Einheit des Gutes B, sinkt sein relativer Preis im Verhältnis zu B. Weil A leichter hergestellt werden kann, ist die Menge der in A gebundenen Arbeit und damit sein Wert gesunken.
„Der Wert einer Ware oder die Quantität einer anderen Ware, gegen die sie ausgetauscht wird, hängt ab von der verhältnismäßigen Menge an Arbeit, die zu ihrer Produktion notwendig ist, nicht aber von dem höheren oder geringeren Entgelt, das für diese Arbeit gezahlt wird.“ (S. 5)
Aber nicht nur die direkt in die Herstellung eines Gutes investierte Arbeit, auch die Arbeit für Hilfsmittel, wie Maschinen, Werkzeuge oder Waffen, fließen in den Wert eines Gutes ein. Ist beispielsweise die Waffe, mit der ein Biber erlegt wird, schwieriger herzustellen als die Waffe, mit der ein Hirsch getötet werden kann, und dauert die Jagd auf den wendigen, kleinen Biber doppelt so lange wie die Erbeutung eines Hirsches, so folgt daraus, dass ein Biber mehr wert ist als ein Hirsch.
„Ein Kapitalist, der für sein Vermögen profitable Anlagemöglichkeiten sucht, wird natürlich alle Vorteile abwägen, die eine Sphäre gegenüber einer anderen besitzt.“ (S. 77)
Wohlgemerkt hat der relative Wert eines Gutes keinerlei Einfluss auf die Löhne der Arbeiter, die es hergestellt haben, und umgekehrt: Wenn der Arbeiter in der Tuchherstellung 20 % mehr Lohn erhält, ändert das nichts an der Arbeitsmenge, die für die Tuchproduktion nötig ist. Der gestiegene Lohn schmälert vielmehr den Profit des Fabrikanten oder Kapitalbesitzers. Dieser verfügt über fixes Kapital und zirkulierendes Kapital. Für die Herstellung von besonders großen und leistungsfähigen Maschinen ist mehr Kapital notwendig. Daher kommt es, dass eine Maschine, die von 50 Männern in einem Jahr konstruiert wird, mehr wert ist als der Weizen, der von ebenfalls 50 Männern innerhalb eines Jahres angebaut wird. Der Grund ist das gebundene Kapital, das für den Fabrikanten eine andere Bedeutung hat als für den Bauern: Wird das Kapital zur Herstellung einer Maschine gebunden, kann es nicht anderweitig verwendet werden, darum muss sich dies im Wert (und damit im Verkaufsprofit) der Ware widerspiegeln. Ebenso muss die Arbeit, die für die Instandhaltung der Maschine aufgewendet wird, dem Wert der produzierten Waren zugeschlagen werden.
„Wie alle anderen Dinge, die gekauft und verkauft werden und deren Menge sich vergrößern und verringern kann, hat auch die Arbeit ihren natürlichen und ihren Marktpreis.“ (S. 79)
Relative Preise sind unbequem, weil sie aufwändig zu ermitteln sind: Ein Gut muss mit Dutzenden anderen Gütern verglichen werden, um Klarheit über dessen relativen Wert zu gewinnen. Nötig ist ein unveränderliches Maß. Dieses hat man im Gold gefunden bzw. im daraus hergestellten Geld. Zwar verändert sich auch der Wert des Goldes je nach Aufwand für den Abbau des kostbaren Metalls, aber er ist doch verhältnismäßig stabil.
„Die natürliche Tendenz des Profits ist also zu fallen, denn mit der fortschreitenden Entwicklung der Gesellschaft kann die zusätzlich benötigte Menge Lebensmittel nur durch das Opfer von immer mehr Arbeit gewonnen werden.“ (S. 103)
Betrachtet man eine Agrarwirtschaft, so existieren insgesamt drei Gruppen, die sich das gesamte Produkt des Weizenanbaus teilen müssen: Die Grundeigentümer erhalten eine Grundrente, die Arbeiter einen Lohn und die Kapitalgeber einen Profit.
Über die Grundrente
Durch die Grundrente wird der Grundeigner für den Gebrauch seines Bodens entschädigt. Diese Rente erhält er natürlich nur, wenn jemand bereit ist, für die Nutzung des Bodens zu zahlen. Das ist dann der Fall, wenn fruchtbarer Boden knapp ist. Wenn ein Land neu besiedelt wird, fällt keine Rente an, weil Boden im Überfluss vorhanden ist und jeder, der ihn bebaut, ihn auch in Besitz nimmt. Anders sieht es aus, wenn infolge von Bevölkerungswachstum alle erstklassigen Böden bereits vergeben sind: Dann wird man auch damit beginnen, weniger fruchtbare Böden zu bebauen. Unter diesen Umständen jedoch wirft der erstklassige Boden sofort eine Grundrente ab. Kann man z. B. mit dem erstklassigen Boden 100 kg Weizen erzeugen und in der gleichen Zeit mit dem Boden zweiter Klasse nur 80 kg, so weist der erste Boden eine Grundrente von 20 kg auf.
„Farmer und Fabrikant können ebenso wenig ohne Profit wie der Arbeiter ohne Lohn leben.“ (S. 105)
Auch der zweitklassige Boden kann eine Grundrente abwerfen – sofern es noch schlechtere Böden gibt, die ebenfalls bebaut werden. Werden solche Böden zum Anbau herangezogen oder werden die bereits genutzten intensiver kultiviert, wird jede weitere Nutzung immer weniger Ertrag pro Bodeneinheit bringen. Dies hat zur Folge, dass der relative Wert des Weizens steigt: Es wird zwar mehr angebaut, aber für dieses Mehr an Weizen muss noch mehr Arbeit investiert werden.
Über den Lohn
Der natürliche Preis einer Ware entsteht aus dem oben beschriebenen Arbeits- und Kapitaleinsatz, der zu ihrer Herstellung notwendig ist. Darüber hinaus gibt es aber auch noch den Marktpreis: Hierbei handelt es sich um den Preis, der durch das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage erzielt werden kann. Wird ein Gut – aus welchen Gründen auch immer – mehr nachgefragt als ein anderes, erhöht sich sein Preis.
„Keine Ausdehnung des auswärtigen Handels wird unmittelbar die Summe der Werte eines Landes vermehren, obwohl er sehr erheblich zu einer Erhöhung der Masse der Waren und folglich auch der Menge der Annehmlichkeiten beitragen wird.“ (S. 109)
Wie alle Güter, so hat auch die menschliche Arbeit zwei Preise: den natürlichen und den Marktpreis. Den natürlichen Preis der Arbeit stellen alle Ausgaben dar, die der Arbeiter zum Erhalt seiner Arbeitskraft und für das Überleben seiner Familie benötigt. Wird Arbeit stark nachgefragt, kann es sein, dass der Marktpreis der Arbeit über diesem Minimum liegt: Dann kann der Arbeiter gut leben und hat die Ressourcen, eine mehrköpfige Familie zu ernähren. Dies führt jedoch mit der Zeit zu einem Überangebot an Arbeitskräften. Die Folge: Arbeit ist nicht mehr knapp und der Marktpreis sinkt wieder auf den natürlichen Preis oder unterschreitet diesen sogar. Wenn die Arbeiter unter dem Existenzminimum leben, verschlechtert sich ihre gesundheitliche Situation, sie müssen bestimmte Annehmlichkeiten entbehren und vermehren sich nicht mehr so stark: Der Kreislauf beginnt von vorne.
„Bei einem System des vollkommen freien Handels wendet natürlich jedes Land sein Kapital und seine Arbeit solchen Zweigen zu, die für jedes am vorteilhaftesten sind.“ (S. 114)
Man kann erkennen, dass der Lohn des Arbeiters stets um das Existenzminimum pendeln wird. Natürlich schwankt dieses Existenzminimum je nach Region und Land beträchtlich: Ein indischer Arbeiter kann beispielsweise in einem Haus sehr gut leben, das einem englischen erbärmlich anmuten würde.
Über den Profit
Der Profit ist eine Restgröße: Wenn der Verkaufspreis eines Gutes gleich bleibt, so kann doch das Verhältnis zwischen Arbeitslohn und Profit stark schwanken. Muss ein Fabrikant beispielsweise für seine Rohwaren 20 £ mehr bezahlen als früher, und bleiben der Preis des Endprodukts und der Arbeitslohn konstant, so ergibt sich natürlicherweise eine Profiteinbuße. Da sich die Preise durch Angebot und Nachfrage ergeben, kann sich die Profitrate erhöhen, wenn ein ungeheurer Nachfrageschub, z. B. nach Getreide, einsetzt und die Preise ansteigen. Sollte genügend fruchtbarer Boden vorhanden sein, muss der Farmer mehr anbauen und mehr Arbeitskräfte einstellen. Das Mehrangebot führt dann langfristig wieder zum Sinken der Preise und der Profitrate auf den vorherigen Stand. Ist der zur Verfügung stehende Boden jedoch weniger fruchtbar, so müssen erhebliche Anstrengungen unternommen werden, um die erhöhte Nachfrage zu befriedigen. Vielleicht müssen mehr Kapital und mehr Arbeitskräfte eingesetzt werden, um dem mangelhaften Boden einen Mehrertrag zu entlocken. Die Folge: Die Löhne steigen und die Profitrate fällt. Der technische Fortschritt kann jedoch dazu führen, dass bestimmte Produkte leichter hergestellt und Nahrungsmittel kostengünstiger angebaut werden können. Dadurch lassen sich Lohnkosten sparen, die sich ja von den Kosten der Lebenshaltung ableiten.
„Eine schlechte Ernte verursacht einen hohen Lebensmittelpreis, und der hohe Preis ist das einzige Mittel, durch das die Konsumption gezwungen wird, sich dem Umfang des Angebots anzupassen.“ (S. 138)
Letztlich teilen Fabrikant und Arbeiter das gleiche Schicksal: Der Arbeiter fürchtet um die Höhe seines Lohnes, genauso wie der Kapitalist um seinen Profit bangen muss. Einzig der Grundbesitzer hält – unter den beschriebenen Bedingungen – seine Hand beständig auf und wird reicher und reicher.
Der Außenhandel
Wenn Länder miteinander Handel treiben, ist es selbstverständlich, dass jedes Land vor allem diejenigen Güter produziert, die es günstiger als andere produzieren kann, und dass es dafür andere Güter aus dem Ausland bezieht, die es selbst nur teuer oder gar nicht herstellt. Aber auch wenn ein Land für ein bestimmtes Produkt geringere absolute Kosten hat als ein anderes, kann sich der Austausch lohnen, wenn sich die Länder auf ihre komparativen Kostenvorteile konzentrieren. Folgendes Beispiel soll zeigen, was damit gemeint ist:
Gesamt 170 220
Arbeitseinheiten (AE) Portugal England Portugal England 100 ME Wein 80 120 0,89 Tuch für 1 Wein 1,2 Tuch für 1 Wein 100 ME Tuch 90 100 1,125 Wein für 1 Tuch 0,83 Wein für 1 Tuch Komparative Kostenvorteile
„Steuern sind ein Teil vom Produkt des Bodens und der Arbeit eines Landes, der der Regierung zur Verfügung gestellt wird; sie werden letzten Endes immer aus dem Kapital oder aus der Revenue des Landes bezahlt.“ (S. 128)
Nimmt man an, dass die beiden Länder Portugal und England jeweils nur zwei Güter (Tuch und Wein) herstellen, zeigt sich im Beispiel, dass Portugal absolut gesehen am günstigsten produzieren kann: Es braucht lediglich 80 + 90 = 170 Arbeitseinheiten (AE), um jeweils 100 Mengeneinheiten (ME) Tuch und Wein zu produzieren. England hingegen benötigt 120 + 100 = 220 Arbeitseinheiten. Warum sollte Portugal also überhaupt mit England handeln? Das Geheimnis liegt darin, dass sowohl England als auch Portugal einen komparativen Kostenvorteil in einer der Warengruppen besitzen: England kann 1,2 Einheiten Tuch für eine Einheit Wein herstellen (120 : 100). Das ist ein günstigeres Tauschverhältnis als bei Portugal, denn die Portugiesen schaffen nur 0,89 Einheiten Tuch für eine Einheit Wein (80 : 90). Es wäre also unvorteilhaft, wenn die Portugiesen ihre Arbeitseinheiten auf die vergleichsweise teure Tuchproduktion verwenden würden, da sie doch viel effizienter Wein herstellen können. Bei England ist es genau umgekehrt: Wein ist nicht rentabel, weil die eigenen Arbeitskräfte Tuch viel günstiger herstellen können. Die beiden Länder tauschen also miteinander: England bezieht Wein gegen Tuch und Portugal Tuch gegen Wein. Dadurch bekommen beide Länder ausreichend Wein und Tuch und können darüber hinaus noch zusätzliche Arbeitseinheiten in die jeweils eigene Produktion investieren. Beide Länder haben gewonnen. Meinen jedoch die Engländer, dass sie ebenfalls Tuch aus Portugal beziehen sollten (weil es ja nur 90 statt 100 AE erfordert und daher billiger ist), so führt dies in Portugal zu einem Preisanstieg für Tuch, sodass sich die Verhältnisse bald wieder normalisieren.
Die Steuern
Der Teil des erwirtschafteten Ertrags, der dem Staat zur Verfügung gestellt wird, wird als Steuer bezeichnet. Liegt die jährliche Produktionsmenge über der konsumierten Menge, kann man von einer Kapitalvermehrung sprechen. Steuern treffen entweder diesen Mehrwert oder sie schmälern das nationale Kapital, das für Investitionen zur Verfügung steht. Steuern auf Rohprodukte treffen vor allem die Bauern, die daraufhin die weniger profitablen Böden nicht mehr bewirtschaften werden – es sei denn, der Verkaufspreis für ihre Waren steigt. Steuern auf die Grundrente treffen nur die Grundbesitzer, Gebäudesteuern sowohl die Nutzer als auch die Eigentümer. Profitsteuern treffen die Nutzer oder Verbraucher von Luxusartikeln, z. B. Weintrinker oder Hutträger. Lohnsteuern erhöhen die Lohnkosten und gehen deswegen zulasten des Kapitalprofits. Wenn der Staat für seine Aufgaben oder beispielsweise für die Kriegsführung Geld benötigt, ist es im Prinzip egal, ob er sich dieses über Staatsschulden oder über eine Steuererhöhung besorgt: Finanziert er einen Krieg über Staatsschulden, werden die Bürger mit zukünftigen Steuererhöhungen rechnen und das entsprechende Geld sparen. Erhöht er dagegen sofort die Steuern, rechnen die Bürger mit einer Steuersenkung, sobald der Krieg vorbei ist.
Zum Text
Aufbau und Stil
Ricardos Hauptwerk liest sich wie eine Essaysammlung – in der Tat ist es auch so entstanden. James Mill, der als eine Art Motivator für Ricardos Schreibarbeit fungierte, riet ihm, „ohne über Aufbau, ohne über Wiederholungen, ohne über Stil – kurz, ohne über etwas anderes nachzudenken als darüber, die Gedanken auf die eine oder andere Art aufs Papier zu bringen“, das Buch zu verfertigen. Ricardo schreibt daher so, wie er denkt: Sein Stil ist einigermaßen eingängig, komplizierte Schachtelsätze wechseln sich mit sehr klaren Formulierungen ab. Der Essaystil führt aber auch dazu, dass der Aufbau teilweise etwas unglücklich und unsystematisch erscheint – was der Autor allerdings selbst zugab. Formal lehnt er sich stark an den Wohlstand der Nationen von Adam Smith an: Ricardos Kapitel über Wert, Lohn, Steuern und Profit orientieren sich an den entsprechenden Kapiteln bei Smith. Die endgültige Kapitelunterteilung kam erst während des Drucks zustande.
Interpretationsansätze
- Anders als der Optimist Adam Smith sah der pessimistische Liberale David Ricardo die wirtschaftliche Entwicklung nicht als grenzenlose Wohlstandsmaschinerie an. In seinen Augen zeichnete sich bereits die Stagnation des Wachstums ab. Das führte zu dem berühmten Konzept vom „abnehmenden Grenzertrag“, dem Ertragsgesetz, das heute jeder Student der Volkswirtschaftslehre kennt.
- Typisch für Ricardo ist das Denken in sehr großen Zeitabständen. Egal welches Phänomen er beschreibt, alles pendelt sich über kurz oder lang in einem „Normalzustand“ ein: die Löhne, die Profite, die Außenhandelsüberschüsse. Kommt es kurzfristig in irgendeinem Bereich zu rasanten Veränderungen, wird das veränderte Angebot oder die veränderte Nachfrage im Zeitverlauf alles wieder richten. Dagegen muss man einwenden: Die Welt der Wirtschaft ist in Wahrheit voller Ungleichgewichte, und zwar auf allen Märkten.
- Ricardo wurde vielfach seine strikte Opposition gegen die englischen Armengesetze verübelt. Dabei wurde ein steuersubventioniertes Existenzminimum für Arbeiter und ihre Familien festgelegt. Ricardo lehnte diese staatlichen Eingriffe ab, weil er der Ansicht war, man müsse sich langfristig damit abfinden, dass die Armut der Arbeiter ein natürliches Phänomen sei. Zugleich erwartete er einen Anstieg der natürlichen Löhne durch Kapitalakkumulation.
- Die Lohnmechanik, die Ricardo in seiner Abhandlung vertritt, geht auf die Theorie des Bevölkerungswachstums des britischen Nationalökonomen Thomas Robert Malthus zurück, der einen Zusammenhang zwischen Bevölkerungsgröße und Wohlstand sah. Ab einem bestimmten Bevölkerungswachstum würde die Nahrungsproduktion hinter den Bedürfnissen der Menschen zurückbleiben. Die Folge: Massenarmut und Hungersnöte, welche die Arbeiterschaft dezimieren. Das Pendeln der Löhne um das Existenzminimum war die theoretische Folgerung, die Ricardo aus dieser Lehre zog – eine Theorie, die sich als falsch erwiesen hat.
- Ricardo bezweifelte, dass infolge von günstigeren Löhnen Investoren ihr Kapital beispielsweise von England nach Portugal bringen würden. Er war daher ein Befürworter des Freihandels und Gegner von Schutzzöllen. Genau dieses Argument („Freihandel führt nicht zu Kapitalflucht“) spaltet nach wie vor Befürworter und Gegner von Schutzzöllen, auch in der aktuellen Globalisierungsdebatte.
Historischer Hintergrund
Die Freihandelsdebatte
David Ricardo forderte den Freihandel. Darin sah er eine Möglichkeit, der wirtschaftlichen Stagnation seiner Zeit vorzubeugen. Besonders die steigenden Kosten bei der Erzeugung von Nahrungsmitteln für eine stetig wachsende Bevölkerung machten ihm Kopfzerbrechen, da er überzeugt war, dass die Kosten für die Produktion der Nahrungsmittel stärker stiegen als die produzierte Menge. Der Krieg gegen Napoleon hatte überdies gezeigt, dass der Import von teuren Gütern infolge der Kontinentalsperre (1799–1815), die England am Handel mit anderen Ländern hinderte, die Staatsverschuldung und Inflation anheizte. Der englische Schatzkanzler hatte sich daraufhin von der 100%igen Golddeckung der Währung verabschiedet – eine Maßnahme, die Ricardo vehement ablehnte, weil sie in seinen Augen die Inflation immer weiter anfeuerte. Gemäß seiner Theorie der komparativen Kostenvorteile sollte sich England nach der Auflösung der Kontinentalsperre auf die Herstellung derjenigen Güter konzentrieren, die es relativ kostengünstig produzieren konnte, und dafür andere Güter wie z. B. billigen Weizen aus dem Ausland importieren. Der Freihandel, also der zoll- und schrankenlose Güterverkehr mit anderen Ländern, erschien als Rettung des so genannten Wellfare-Gedankens der Volkswirtschaftslehre, denn er ermöglichte – zumindest in Ricardos Theorie – „Wohlstand für alle“: Vom Freihandel würde auch das sich bis dahin mit hohen Schutzzollwällen umgebende England profitieren können, selbst wenn es alle benötigten Güter zu höheren absoluten Kosten herstellte als seine Handelspartner. In der Folge dieses Disputs wurde in England im Jahr 1848 der Getreidezoll abgeschafft.
Entstehung
Die Entstehungsgeschichte von Ricardos Hauptwerk geht auf das Jahr 1815 zurück. Es bedurfte einiger Überredungskünste seines Freundes James Mill, selbst ein angesehener Ökonom und Vater von John Stuart Mill. Denn Ricardo traute sich nicht zu, ein ganzes Buch über seine Theorie zu verfassen („Oh, wäre ich nur fähig, ein Buch zu schreiben!“). Kurz zuvor hatte Ricardo seinen Essay über den Einfluss eines niedrigen Getreidepreises auf den Kapitalprofit veröffentlicht. Das geplante große Werk sollte die darin geäußerten Theorien vertiefen. Außerdem wollte sich Ricardo kritisch mit den Autoritäten der klassischen Nationalökonomie auseinandersetzen, vor allem mit Adam Smith. Am 19. April 1817 erschien das Buch in einer Auflage von 750 Exemplaren.
Wirkungsgeschichte
Ricardo war sich des Erfolgs seines Buches keineswegs sicher, im Gegenteil: Er bezweifelte sogar, ob sich überhaupt 25 Personen in England finden ließen, die das Werk in seiner Gänze verstehen könnten. Im Juni des Jahres 1818 erschien eine Kritik in der Edinburgh Review, die Ricardos Buch überschwänglich lobte. Die Reaktion der Leser erfolgte prompt: Binnen weniger Monate war die erste Auflage vergriffen.
John Maynard Keynes beurteilte Ricardos Einfluss auf die Volkswirtschaftslehre in der Rückschau mit den Worten: „Ricardo eroberte England ebenso vollständig wie die Heilige Inquisition Spanien!“ Kein Wirtschaftswissenschaftler, der etwas auf sich hielt, kam an Ricardos Theorien vorbei. Das bedeutet aber nicht, dass Ricardos Lehre immer und von allen anerkannt wurde. Ganz im Gegenteil: Vor allem seine Lohntheorien wurden als unmenschlich verworfen, weil sie die Armut der Lohnarbeiter mechanistisch erklärten und als quasi gottgegeben hinnahmen. In Deutschland, wo eine Übersetzung 1821 erschien, wurde Ricardo zwar gelesen, aber von der dominierenden historischen Schule eher abgelehnt als gelobt. Das galt allerdings für die meisten Klassiker der Nationalökonomie, wie Friedrich August von Hayek anmerkte: „Nirgends vollzog sich der Niedergang der klassischen Schule der Nationalökonomie so schnell und so vollständig wie in Deutschland.“
Alfred Marshall würdigte Ricardo als einen Nationalökonomen, „dessen Darstellung ebenso verworren wie sein Denken profund“ war. Ein interessantes Phänomen: Ricardo wurde von zwei widerstreitenden Lagern gleichermaßen vor den jeweiligen dogmatischen Karren gespannt. Daraus resultierte, dass er immer wieder sowohl als Vertreter des Manchester-Liberalismus wie auch als Wegbereiter des Sozialismus gesehen wurde. Der amerikanische Ökonom H. C. Carey bemerkte 1848: „Ricardos System ist ein System der Zwietracht. Es läuft hinaus auf die Erzeugung von Feindschaft zwischen Klassen und Nationen. Seine Schrift ist das wahre Handbuch des Demagogen, der die Macht anstrebt mittels Landteilung, Krieg und Plünderung.“ Eine besondere Wirkung hatte Ricardo auf Karl Marx. Tatsächlich gründete Marx einen großen Teil seiner Wirtschaftstheorie auf Ricardos Erkenntnissen. In der Erwartung der wirtschaftlichen Stagnation und in der Arbeitswertlehre stimmte Marx Ricardo voll zu, nicht aber wenn es darum ging, den größten Nutznießer des kapitalistischen Systems zu identifizieren. Bei Ricardo war es der Grundeigentümer, bei Marx der Kapitalist.
Über den Autor
David Ricardo wird am 18. April 1772 als drittes von 17 Kindern seiner strenggläubigen jüdischen Eltern in London geboren. Davids Vater ist ein erfolgreicher Börsenmakler, und sein Sohn wird in seine Fußstapfen treten. Schon ab seinem 14. Lebensjahr arbeitet er im Geschäft des Vaters mit. Dann jedoch kommt es zum Bruch mit der Familie: Der Junge verliebt sich in ein christliches Mädchen. Da er mit der Heirat das jüdische Gesetz verletzt, wird er im Alter von 21 Jahren aus der Familie ausgestoßen. Durch sein Geschick als Börsenmakler gelingt es ihm, innerhalb kürzester Zeit ein beträchtliches Vermögen anzuhäufen. Doch das Börsenparkett reicht Ricardo auf Dauer nicht aus: Er interessiert sich für Mathematik und die Naturwissenschaften. Eher zufällig gerät er an die Ökonomie. Während eines Kuraufenthaltes seiner Frau liest Ricardo Adam Smiths The Wealth of Nations (Der Wohlstand der Nationen) und ist Feuer und Flamme für dessen Themen. Als im Jahr 1797 – infolge des Krieges gegen Napoleon – der Goldstandard in England fällt und die Preise ansteigen, wendet sich Ricardo erstmals in einem anonymen Zeitungsartikel an die Öffentlichkeit: Er verurteilt den allzu freien Umgang der Regierung mit der Notenpresse. Ricardo lernt die wichtigsten Ökonomen seiner Zeit kennen: In James Mill findet er einen väterlichen Freund und in Thomas Robert Malthus einen Menschen, mit dem er sich privat ausgezeichnet versteht, auch wenn sie auf fachlichem Gebiet zumeist gegnerische Positionen vertreten. Mill wird die treibende Kraft für Ricardos Publikationen: Er motiviert ihn sowohl zum Essay on the Influence of a low Price of Corn on the Profits of Stock (Essay über den Einfluss eines niedrigen Getreidepreises auf den Kapitalprofit, 1815) als auch zu seinem Hauptwerk On the Principles of Political Economy and Taxation (Über die Grundsätze der Politischen Ökonomie und der Besteuerung, 1817). Den Beschreibungen seiner Zeitgenossen zufolge ist Ricardo ein freundlicher, nie rechthaberischer, überlegter und etwas zurückhaltender Mensch, der während der letzten Jahre seines Lebens als radikaler Reformer im britischen Unterhaus sitzt. Er stirbt am 11. September 1823 in Gatcombe Park.
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