Gottlob Frege
Über Sinn und Bedeutung
Reclam, 2019
Was ist drin?
Wortwörtlich sinnstiftend – Freges lange verkannter Gründungstext der analytischen Philosophie.
- Philosophie
- Moderne
Worum es geht
Eine Erneuerung der Sprachphilosophie
Gottlob Frege war ein verkanntes Genie. Der eigenbrötlerische und wortkarge Mathematikprofessor publizierte sein Leben lang Werke, die Grundlegendes in Arithmetik, Logik und Sprachphilosophie verändern wollten und die konsequent ignoriert oder sogar verrissen wurden. Zum Glück haben mit Bertrand Russell und Ludwig Wittgenstein zwei spätere Genies seine Arbeiten rezipiert; ihnen war weitaus mehr Popularität und Anerkennung vergönnt. Über diesen Umweg erlangte Frege seinen heutigen Status als Visionär und Gründervater der logischen Sprachanalyse und der Philosophie der idealen Sprache. Durch seinen nüchternen Ton setzte er ein stilistisches Beispiel, das in der analytischen Philosophie des 20. Jahrhunderts zum Standard wurde, und er schenkte der Linguistik eine neue Kategorie: den Sinn. All das macht Frege zu einem herausragenden Philosophen und Über Sinn und Bedeutung zu einem unverzichtbaren Klassiker der Sprachphilosophie.
Take-aways
- Über Sinn und Bedeutung ist ein Gründungstext der analytischen Philosophie.
- Inhalt: Die Bedeutung eines Wortes ist derjenige Gegenstand, den dieses Wort benennt. Zugleich besitzen Wörter auch einen Sinn, nämlich die Art und Weise, wie sie ihren Gegenstand bezeichnen. Auch Sätze haben Sinn und Bedeutung: Ihr Sinn ist ihr intersubjektiv kommunizierbarer Gedanke, ihre Bedeutung ihr Wahrheitswert.
- Gottlob Frege hat der modernen Logik und Linguistik den Weg bereitet.
- Mit Über Sinn und Bedeutung hat Frege die logische Sprachanalyse in die Philosophie eingeführt.
- Eine weitere Neuerung ist das Konzept einer idealen Sprache, die um alle Uneindeutigkeiten bereinigt ist.
- Frege beharrt – entgegen der Strömung des Psychologismus – auf einer objektiven Wirklichkeit.
- Freges nüchterner und präziser Stil ist zum Vorbild für die analytische Philosophie geworden.
- Der kurze Artikel erschien 1892 und wurde zunächst kaum beachtet.
- Philosophen wie Bertrand Russell oder Ludwig Wittgenstein haben Freges Sprachphilosophie fortgeführt.
- Zitat: „Es liegt nun nahe, mit einem Zeichen (…) außer dem Bezeichneten, was die Bedeutung des Zeichens heißen möge, noch das verbunden zu denken, was ich den Sinn des Zeichens nennen möchte, worin die Art des Gegebenseins enthalten ist.“
Zusammenfassung
Das Problem der Identität
Das Ausgangsproblem ist die Frage, was Identität eigentlich ausmacht. Dabei soll Identität als Gleichheit gefasst werden, also als eine Beziehung. Bemerkenswert ist, dass Gleichheit einerseits völlig informationsfrei und uninteressant, andererseits aber auch ein entscheidender Fortschritt für unser Wissen sein kann. Die Aussage, dass die Sonne gleich der Sonne ist (a = a), ist ein völlig trivialer Satz. Die Entdeckung hingegen, dass die Sonne, die gestern aufging, die Sonne, die heute aufgeht, und die Sonne, die morgen aufgehen wird, stets ein und dieselbe Sonne ist (a = b), bedeutete einen der wichtigsten Fortschritte der Astronomie. Wie lässt sich nun die völlig triviale (a = a) von der tatsächlich informativen (a = b) Gleichheit unterscheiden? Und: Besteht die Beziehung der Gleichheit zwischen Gegenständen oder zwischen sprachlichen Bezeichnungen für Gegenstände? Es ist wohl eher Letzteres der Fall.
„Die Gleichheit fordert das Nachdenken heraus durch Fragen, die sich daran knüpfen und nicht ganz leicht zu beantworten sind. Ist sie eine Beziehung? eine Beziehung zwischen Gegenständen? oder zwischen Namen oder Zeichen für Gegenstände?“ (S. 5)
Dabei taucht allerdings ein weiteres Problem auf: Wenn die Gleichheitsbeziehung zweier sprachlicher Zeichen – etwa im Satz „a = b“ – darin besteht, dass sie dasselbe bedeuten, also denselben Gegenstand bezeichnen, dann ist die Verschiedenheit zwischen a und b für uns nicht mehr informativ. Die Differenz zwischen a und b wäre dann eine bloß willkürlich gesetzte Namensdifferenz. Die Verschiedenheit der Zeichen „a“ und „b“ kann also nicht daraus resultieren, dass sie zwei unterschiedliche Namen für denselben Gegenstand sind. Der gesuchte Unterschied muss im sprachlichen Zeichen selbst liegen, also in der „Weise, wie es etwas bezeichnet“. Wenn es einen informativen und gehaltvollen Unterschied zwischen a und b geben soll, dann muss dieser Unterschied darin bestehen, dass beide Zeichen zwar denselben Gegenstand, aber auf unterschiedlichen Wegen zugänglich machen.
„Wenn nun a=b ist, so ist zwar die Bedeutung von ‚b‘ dieselbe wie die von ‚a‘ und also auch der Wahrheitswerth von ‚a=b‘ derselbe wie von ‚a=a‘. Trotzdem kann der Sinn von ‚b‘ von dem Sinne von ‚a‘ verschieden sein (….); dann haben beide Sätze auch nicht denselben Erkenntnißwerth.“ (S. 40)
Sinn und Bedeutung
In den Dualismus von Zeichen und Gegenstand muss darum ein dritter Begriff eingeführt werden: Sinn. Zeichen sind alle sprachlichen Symbole, die etwas bedeuten. Die Bedeutung eines Zeichens ist der Gegenstand, den dieses Zeichen – wie ein Eigenname – benennt. Neben der Bedeutung eines Zeichens – seinem Gegenstand – gibt es nun auch einen Sinn, also die Art und Weise, wie dieses Zeichen seinen Gegenstand darstellt.
„Es liegt nun nahe, mit einem Zeichen (…) außer dem Bezeichneten, was die Bedeutung des Zeichens heißen möge, noch das verbunden zu denken, was ich den Sinn des Zeichens nennen möchte, worin die Art des Gegebenseins enthalten ist.“ (S. 6 f.)
So ist die Bedeutung der beiden Wörter „Abendstern“ und „Morgenstern“ zwar dieselbe – nämlich ihr Gegenstand, der Planet Venus –, doch die Art, wie diese zwei Wörter uns die Venus jeweils vorstellen, ihr Sinn, ist verschieden. Gerade in der Alltagssprache ist die Beziehung zwischen Zeichen, Sinn und Bedeutung leider nicht eindeutig oder kohärent. Hier kann ein Zeichen auch mehrere Sinne enthalten und ein Sinn durch mehrere Zeichen ausgedrückt werden. Außerdem gibt es Sätze, die zwar einen Sinn, aber keine Bedeutung, also keinen möglichen Bezeichnungsgegenstand haben, etwa „der von der Erde am weitesten entfernte Himmelskörper“. Schließlich können in der „geraden Rede“, beim wörtlichen Zitieren der Worte eines anderen, Zeichen selbst zum Gegenstand anderer Zeichen werden. Eine exakte Wissenschaftssprache hingegen dürfte solche Unschärfen nicht enthalten.
„Von einer logisch vollkommenen Sprache (…) ist zu verlangen, daß jeder Ausdruck, der (…) als Eigenname gebildet ist, auch in der That einen Gegenstand bezeichne, und daß kein Zeichen als Eigenname neu eingeführt werde, ohne daß ihm eine Bedeutung gesichert sei.“ (S. 26 f.)
Die Vorstellung
Sinn und Bedeutung von Zeichen müssen streng vom psychologischen Phänomen der Vorstellung unterschieden werden: Sprachliche Zeichen sind in unserem Bewusstsein stets mit Vorstellungen verknüpft, mit inneren Bildern, die aus Erinnerungen bestehen und meist gefühlsmäßig eingefärbt sind. Die Beziehung zwischen Sinn, Vorstellung und Gefühlen ist, auch in ein und demselben Menschen, höchst instabil. Derselbe Sinn kann zu unterschiedlichen Zeitpunkten völlig unterschiedliche Vorstellungen und Emotionen hervorrufen. Vorstellungen verändern sich permanent und sind subjektiv; keine zwei Menschen haben jemals dieselbe Vorstellung. Der Sinn eines Zeichens dagegen kann sehr wohl von vielen Menschen gleichermaßen verstanden werden. Tatsächlich betrifft die kollektive Tradierung von Gedanken und Ideen in einer Kultur nichts anderes als Sinn.
Am Beispiel eines Teleskops lässt sich folgendes Schema entwerfen: Wenn wir durch ein Fernrohr den Mond betrachten, so entspricht der Mond der Bedeutung, das vom Teleskop vermittelte Bild des Mondes dem Sinn und das auf unserer Netzhaut entstehende Bild der Vorstellung. Der Mond ist der objektive, sinnlich wahrnehmbare Gegenstand, auf den wir uns beziehen. Das Bild im Teleskop stellt die Art und Weise dar, wie der Mond unseren Augen vermittelt oder gegeben wird. Wie der Sinn ist das Bild im Fernrohr nicht umfassend, da es nur eine von vielen möglichen Arten ist, wie der Mond dargestellt werden kann, aber es ist auf eine Art objektiv: Viele Menschen können denselben Sinn bzw. einen Blick durch dasselbe Fernrohr teilen. Erst das Bild auf unserer Netzhaut ist subjektiv. Dieses innere Bild entspricht der Vorstellung, die für jeden einzelnen Menschen individuell und anders ist.
„Die Vorstellung unterscheidet sich dadurch wesentlich von dem Sinne eines Zeichens, welcher gemeinsames Eigenthum von Vielen sein kann und also nicht Theil oder Modus der Einzelseele ist (…)“ (S. 10)
Nun behaupten Idealismus und Skeptizismus, die Rede von objektiven Gegenständen sei falsch, es gebe überhaupt nur subjektive Vorstellungen. Hier lässt sich einwenden – ohne über das Sein der Dinge an sich spekulieren zu müssen –, dass der Sprachgebrauch sehr wohl objektive Gegenstände kennt. Wenn wir sagen: „Ich sehe den Mond“, so meinen wir umgangssprachlich damit einen realen Gegenstand, der außer uns liegt und der für andere ebenso sichtbar ist – und eben nicht eine rein subjektive Vorstellung.
Der ganze Satz
Bislang war nur von Einzelwörtern, insbesondere Eigennamen die Rede. Wie sehen aber Sinn und Bedeutung in einem ganzen Satz aus? Ein Satz formuliert einen Gedanken. Der Gedanke ist nicht das rein subjektive Denken, sondern jener objektive Teil im Denken, der auch von anderen Menschen nachvollzogen werden kann. Der Gedanke kann als Sinn des Satzes bezeichnet werden, nicht aber als dessen Bedeutung, denn wo ein Wort des Satzes durch ein bedeutungsgleiches Wort ersetzt wird, verändert sich der Gedanke: Jemand, der nicht weiß, dass Abend- und Morgenstern derselbe Planet sind, könnte dem Satz „Der Morgenstern ist ein von der Sonne beleuchteter Körper“ zustimmen, den Satz „Der Abendstern ist ein von der Sonne beleuchteter Körper“ aber als falsch ablehnen. Es gibt viele Sätze, die überhaupt keine Bedeutung, aber einen Gedanken oder Sinn besitzen – etwa „Odysseus wurde tief schlafend in Ithaka ans Land gesetzt“. Wir verstehen diesen Satz, obwohl es keine real existierende Person Odysseus gibt.
„Warum wollen wir denn aber, daß jeder Eigenname nicht nur einen Sinn, sondern auch eine Bedeutung habe? Warum genügt uns der Gedanke nicht? Weil und soweit es uns auf den Wahrheitswerth ankommt.“ (S. 15 f.)
Für das Verständnis eines Satzes ist also das Vorhandensein eines Gedankens, eines Sinns, völlig ausreichend. Weshalb suchen wir darüber hinaus auch noch eine Bedeutung? Weil wir nach Wahrheit streben. Die Bedeutung eines Behauptungssatzes verstehen wir als dessen Wahrheitswert: Der Satz ist entweder wahr oder falsch. Sein Wahrheitswert hängt von der Bedeutung seiner Bestandteile, der Eigennamen, ab. Deshalb macht es für die Bedeutung eines Satzes keinen Unterschied, wenn einzelne Namen durch bedeutungsgleiche Wörter ersetzt werden wie im oben genannten Beispiel Morgen- und Abendstern. Nun ergibt das eine relativ informationsarme Situation, denn die Bedeutung aller möglichen Sätze kann stets nur Wahrheit oder Falschheit sein. Zu einer spezifischen Erkenntnis gelangen wir erst, wenn wir den Wahrheitswert und den Gedanken eines Satzes verbinden. Die Tätigkeit des Urteilens besteht wesentlich in diesem informativen Übergang.
„Urtheilen kann als Fortschreiten von einem Gedanken zu seinem Wahrheitswerthe gefaßt werden.“ (S. 18 f.)
Das Problem der Nebensätze
Die Vermutung, dass die Bedeutung eines Satzes sein Wahrheitswert ist, bedarf weiterer Überprüfung: Einzelne Wörter durch Synonyme zu ersetzen, hat sich innerhalb dieser Vermutung als möglich erwiesen. Doch was passiert, wenn ganze Satzteile ausgetauscht werden? Solange die Teilsätze denselben Wahrheitswert besitzen, verändert sich die Bedeutung des Gesamtsatzes nicht. Doch gibt es die Spezialfälle der „geraden“ und der „ungeraden Rede“: In beiden verändert sich die Bedeutung des Satzes: Statt des Wahrheitswertes ist nun ein weiterer Satz bzw. ein Gedanke seine Bedeutung. Ein weiterer Spezialfall ist der Nebensatz eines komplexen Hauptsatzes. Hat der Nebensatz einen Wahrheitswert? Oder wenigstens einen eigenständigen, vom Hauptsatz unabhängigen Sinn oder Gedanken? In dieser Frage ist weniger der grammatikalische, sondern hauptsächlich der logische Aspekt von Interesse, also die Frage, inwiefern sich Wahrheitswerte von Satzteilen auf den Wahrheitswert des gesamten Satzgefüges auswirken.
Nennsätze, die mit „dass“ eingeleitet werden, gehören zur ungeraden Rede. Sie verlieren ihre normale oder „gerade“ Bedeutung und reduzieren sich auf den Gedanken, der ihre neue, „ungerade“ Bedeutung wird. Da Nennsätze Glauben oder Überzeugungen ausdrücken, hat ihr Wahrheitswert keinerlei Auswirkungen auf den Wahrheitswert des Gesamtsatzes. Gerade deshalb sind Nennsätze an den Gedanken gebunden: Man darf sie nur durch Nennsätze, die denselben Gedanken ausdrücken, nicht aber durch bedeutungsgleiche Nennsätze ersetzen. Für die Aussage „Kolumbus schloss aus der Rundung der Erde, dass er nach Westen reisend Indien erreichen könne“ ist die Frage, ob Kolumbus tatsächlich Indien erreicht hat, irrelevant. An dieser Aussage zählt weniger die Bedeutung als der Gedanke, dass Kolumbus glaubte, er werde Indien im Westen finden.
„Nun haben die Sprachen den Mangel, daß in ihnen Ausdrücke möglich sind, welche nach ihrer grammatischen Form bestimmt erscheinen, einen Gegenstand zu bezeichnen, diese ihre Bestimmung aber in besonderen Fällen nicht erreichen (…)“ (S. 25)
Eine andere Art von Nebensätzen besteht zwar aus lauter bedeutungsvollen Zeichen, besitzt als Ganzes dennoch weder Bedeutung noch einen eigenständigen Gedanken. Zum Beispiel der Satz: „Der die elliptische Gestalt der Planetenbahnen entdeckte, starb im Elend.“ Das Problem dieses Satzes ist das Problem scheinbarer Eigennamen, das in der Umgangssprache oft anzutreffen ist und zu schwerwiegenden Irrtümern führen kann. Das Subjekt „Der“ scheint seiner grammatikalischen Funktion nach eine Bedeutung zu haben. Ob dieser Eigenname aber auch tatsächlich eine gesicherte Bedeutung besitzt, hängt von der Wahrheit eines weiteren Satzes ab, in diesem Fall: „Es gab einen, der die elliptische Gestalt der Planetenbahnen entdeckte.“ Das Missbrauchspotenzial scheinbarer Eigennamen, die eigentlich gar keine Bedeutung besitzen, zeigt sich am Beispiel „der Wille des Volkes“. Eine logisch stringente Wissenschaftssprache müsste deshalb sichergehen, dass in ihr jeder Eigenname einen und nur einen einzigen Gegenstand zur Bedeutung hat.
Bedingungssätze enthalten ebenfalls unbestimmte Andeutungen, weshalb der Haupt- und Nachsatz zwar zusammengenommen einen Gedanken darstellen, die zwei Satzhälften jeweils für sich genommen aber keinen Gedanken ausdrücken. Diese Ungenauigkeit des Sinns eröffnet allerdings die Möglichkeit, allgemeine gesetzmäßige Aussagen zu treffen, etwa: „Wenn eine Zahl kleiner als 1 und größer als 0 ist, so ist auch ihr Quadrat kleiner als 1 und größer als 0.“ Schließlich gibt es auch Sätze, deren Komponenten Bedeutung und Gedanken aufweisen. Das Subjekt solcher Sätze muss ein Eigenname sein, etwa „Napoleon, der die Gefahr für seine rechte Flanke erkannte, führte selbst seine Garden gegen die feindliche Stellung.“ Haupt- wie Nebensatz besitzen hier Gedanken und Wahrheitswert. Beide Satzteile können in diesem Fall durch Sätze mit gleichem Wahrheitswert ersetzt werden. Noch präziser sind Satzgefüge, die vollkommen frei von andeutenden Bestandteilen sind, in denen etwa beide Satzhälften Eigennamen aufweisen.
Allgemeine Schlussfolgerungen
Nebensätze besitzen meist keinen Gedanken, sondern nur Teile eines Gedankens und deshalb auch keinen Wahrheitswert. Die Gründe hierfür sind entweder die ungerade Rede oder die unbestimmte Andeutung. Es gibt aber Ausnahmen, in denen auch Nebensätze vollständige Gedanken ausdrücken und daher einen Wahrheitswert aufweisen. Noch eine andere Art von Nebensätzen hat keinen eindeutig erkennbaren Sinn. Das sind solche Sätze, bei denen wir neben einem klaren, offen ausgesprochenen Hauptgedanken auch immer stille Nebengedanken hegen, die vom Hörer nach psychologischen Gesetzen mit den ausgesprochenen Worten verbunden werden.
„Fast immer scheint es, verbinden wir mit einem Hauptgedanken, den wir aussprechen, Nebengedanken, die auch der Hörer, obwohl sie nicht ausgedrückt werden, mit unsern Worten verknüpft nach psychologischen Gesetzen.“ (S. 34 f.)
Daraus ergibt sich die Situation, dass wir oft zu einem Satz mehrere Gedanken haben, der Sinn also übermäßig reich wird. Die Probleme der ungeraden Rede, der unbestimmten Andeutung und der Unklarheit des Gedankens bewirken, dass wir in vielen Fällen Nebensätze eben doch nicht durch Sätze gleichen Wahrheitswertes ersetzen können, ohne den Wahrheitswert des gesamten Satzes zu verändern. In diesen Fällen besitzen entweder die Nebensätze selbst keinen eigenständigen Wahrheitswert, sondern lediglich Gedankenteile, die erst im Zusammenhang des Gesamtsatzes einen Hauptgedanken bilden; oder sie besitzen zusätzlich zu einem gegebenen Hauptgedanken noch Nebengedanken. Solche Fälle widerlegen allerdings nicht die These, dass die Bedeutung eines Satzes sein Wahrheitswert und der Sinn sein Gedanke ist.
Zum Text
Aufbau und Stil
Der Aufsatz Über Sinn und Bedeutung erschien in einer Fachzeitschrift für Philosophie. Dementsprechend akademisch und nüchtern ist der Ton des Textes. Freges knapper und um höchste Klarheit bemühter Stil verrät den Logiker und Mathematiker und wurde später zum Vorbild für zahlreiche Vertreter der analytischen Philosophie. Der Artikel ist relativ kurz und durch keine Zwischenüberschriften unterteilt. Nach einer knappen, aber präzisen Definition des Ausgangsproblems stellt Frege seine spezifische Zeichentheorie vor, mit deren Hilfe er das umrissene Problem der Gleichheit oder Identität lösen will. Nachdem er diese sehr allgemeinen sprachphilosophischen Überlegungen am Spezialfall des Eigennamens konkretisiert hat, dehnt er sie auf die Betrachtung von Satzgefügen aus. Die Untersuchung verschiedener Formen von zusammengesetzten Sätzen nimmt den Großteil des Artikels ein. In diesem Abschnitt findet Freges nicht immer eindeutige Argumentation in den zahlreichen Beispielsätzen eine wertvolle Stütze. Frege bricht diese Untersuchung recht abrupt ab, um am Ende des Aufsatzes kurz seine Sprachtheorie zu rekapitulieren. Ungewohnt für den heutigen wissenschaftlichen Leser ist, dass Fußnoten bzw. Querverweise zu anderen Autoren oder Texten fast völlig fehlen.
Interpretationsansätze
- Über Sinn und Bedeutung ist der Entwurf einer philosophischen Sprachanalyse: Als erster Denker der Philosophiegeschichte wendet sich Frege der Funktionsweise von Sprache selbst zu und untersucht metasprachlich, wie Wörter und Sätze funktionieren, bedeuten und Sinn stiften.
- Mit der Einführung der Kategorie des Sinns nimmt Frege eine historische Erweiterung der Sprachphilosophie vor. Zuvor kannte die Philosophie nur den strengen Dualismus zwischen Zeichen und Bezeichnetem, Wort und Gegenstand. Diesen bricht Frege mithilfe der Sinnkategorie so auf, dass das Verhältnis von Sprache und Welt komplexer gedacht werden kann.
- Der Text ist als Kritik des Psychologismus zu lesen. Gegen den Psychologismus, der Objektivität auf subjektive Bewusstseinsakte wie etwa Vorstellungen reduziert, verteidigt Frege den intersubjektiven Gehalt des Sinns und die Objektivität von Bedeutung.
- Frege gilt als Begründer einer Philosophie der idealen Sprache. Dieser Zweig der analytischen Philosophie strebt danach, Alltagssprache von Doppeldeutigkeiten und Ungenauigkeiten zu befreien und sie logisch wie semantisch eindeutig und präzise zu gestalten.
- Auch wenn Erkenntnistheorie in diesem Text nur eine untergeordnete Rolle spielt – die Suche nach einer idealen Sprache steht in einem naturwissenschaftlichen Interesse. Die Frage, wie wir mit Sprache die faktische Wirklichkeit möglichst verzerrungsfrei und präzise abbilden können, motivierte Freges Überlegungen und wurde unter anderem von den Philosophen des Wiener Kreises fortgeführt.
Historischer Hintergrund
Deutschland an der Schwelle zur Moderne
Das späte 19. Jahrhundert in Deutschland wird oft als Bismarckzeit bezeichnet. Otto von Bismarck war ab 1862 preußischer Ministerpräsident und ab 1871 der erste Reichskanzler des Deutschen Reichs. Im Zuge des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71 hatte sich eine breite Koalition nord- und süddeutscher Staaten gebildet, die Bismarck unmittelbar nach Kriegsende zum ersten geeinten deutschen Staat zusammenführte. Das Deutsche Reich wurde als konstitutionelle Monarchie gegründet. Preußen spielte in dieser neuen deutschen Einheit die Hauptrolle: Berlin war Reichshauptstadt und Sitz des Reichstags, der preußische König Wilhelm I. wurde deutscher Kaiser und Bismarck Reichskanzler.
Die politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen beschränkten sich aber nicht auf die Zusammenlegung der traditionell kleinteiligen politischen Landschaft Deutschlands zu einem großen Nationalstaat: In den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts hielt die Industrialisierung in Deutschland Einzug und löste die Landwirtschaft als Hauptwirtschaftszweig ab. Landflucht, Urbanisierung, Bevölkerungswachstum und die Herausbildung der Arbeiterschaft als einer neuen sozialen Klasse waren nur einige Facetten der allgemeinen Modernisierung. Demokratisierung und Massenmedien führten zu einer Politisierung der Bevölkerung, die sich im neuen Parteiensystem zunehmend in ein sozialdemokratisches und ein bürgerlich-christliches Lager aufteilte. Diese tief greifenden sozialen Veränderungen und sich abzeichnende Spannungen führten zu einem Erstarken von Patriotismus und Nationalismus. Außerdem nahm im Geistesleben, insbesondere an den Universitäten, der Antisemitismus stark zu.
Entstehung
Der Beginn der philosophischen Arbeit Gottlob Freges, der Zeit seines Lebens als Professor für Mathematik an der Universität Jena arbeitete, stand im Zeichen der Arithmetik. In Die Grundlagen der Arithmetik unternahm er 1884 den Versuch, die Arithmetik aus der formalen Logik abzuleiten und die Logik ihrerseits von grammatikalischen Funktionen loszulösen. Auch wenn die Schrift von den zeitgenössischen Mathematikern kaum beachtet wurde, schuf sie die Grundlagen der modernen Aussagen- und Prädikatenlogik. Ihr Schwerpunkt lag allerdings auf formallogischen Aspekten; inhaltliche Grundlagenfragen, etwa was Zahlen eigentlich genau bedeuten, blieben unterbelichtet. Auch die Deutung des Gleichheitszeichens war in offenes Problem. Die Beantwortung dieser Fragen nahm Frege in drei berühmten Aufsätzen Anfang der 1890er-Jahre vor: Funktion und Begriff, Über Begriff und Gegenstand und vor allem Über Sinn und Bedeutung. Entstanden sind diese Schriften in einem entmutigenden und für Frege emotional bedrückenden Umfeld: Die Ambitionen seines Projekts einer Neugründung der Arithmetik wurden weder von der akademischen Mathematik noch der Philosophie anerkannt oder überhaupt beachtet.
Wirkungsgeschichte
Über Sinn und Bedeutung erschien 1892 in der Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik. Mit der darin erarbeiteten Auffassung von Gleichheit und Zeichen schuf Frege die Voraussetzungen für seinen Versuch der logizistischen Umformulierung der Arithmetik in seinem umfassenden Hauptwerk Grundgesetze der Arithmetik. Letztlich misslang dieser Versuch: Freges Briefpartner, der Philosoph Bertrand Russell, machte ihn auf einige unüberwindbare Widersprüche aufmerksam, woraufhin Frege den Versuch, die Arithmetik zu begründen, aufgab. Die in Über Sinn und Bedeutung entwickelte Sprachtheorie allerdings blieb für ihn gültig. Er arbeitete sie in seinen letzten Werken weiter aus.
Neben Russell setzte sich auch Ludwig Wittgenstein intensiv mit Über Sinn und Bedeutung auseinander. Russell versuchte um 1900, Freges Sprachphilosophie umfassend zu adaptieren, außerdem trug er durch die Erwähnung von Frege in seinen Werken viel zu dessen Anerkennung bei. Auch Wittgensteins Tractatus logico-philosophicus ist in vielerlei Hinsicht eine direkte Fortführung der sprachphilosophischen Betrachtungen Freges. Auf dem Umweg über seinen Einfluss auf Russell und Wittgenstein wurde Gottlob Frege schließlich zum Gründungsvater der analytischen Philosophie, die sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vor allem im angloamerikanischen Sprachraum entwickelte und die mit ihrer Mischung aus Empirismus, logischem Positivismus und Sprachanalyse ab 1950 zu einer der wichtigsten Strömungen der Gegenwartsphilosophie geworden ist. Führende Vertreter der analytischen Philosophie wie Willard Van Orman Quine, Saul Aaron Kripke oder Rudolf Carnap, der Freges Vorlesungen persönlich besucht hatte, schlossen an Freges Forschungsergebnisse an.
Diese Anerkennung erlebte Frege allerdings nicht mehr. Zu seinen Lebzeiten blieb er ein kaum rezipierter Philosoph, dessen Selbstbewusstsein schwer unter der Nichtbeachtung durch seine Kollegen litt. Heute gelten insbesondere seine sprachphilosophischen Texte wie Über Sinn und Bedeutung als Grundlagentexte der analytischen Philosophie sowie der modernen Logik, Linguistik und der Sprachphilosophie im Allgemeinen.
Über den Autor
Gottlob Frege wird am 8. November 1848 in Wismar geboren, wo er bis zu seinem Abitur bleibt. Danach studiert er Mathematik, Physik und Philosophie in Jena und Göttingen. 1873 schließt er seine Promotion ab. Ein Jahr später habilitiert er, nach Jena zurückgekehrt, für das Fach Mathematik. 1879 wird er außerordentlicher Professor an der Universität in Jena. In diesem Jahr veröffentlicht er seine Begriffsschrift, mit der er die Logik revolutioniert. 1884 erscheint mit den Grundlagen der Arithmetik der erste Teil von Freges logizistischem Programm, der Ableitung der Mathematik aus der Logik. 1887 heiratet er. Da die Ehe kinderlos bleibt, adoptieren die Freges einen Jungen. 1893 und 1903 erscheinen die Grundgesetze der Arithmetik in zwei Bänden. 1896 wird Frege in Jena zum ordentlichen Honorarprofessor berufen. In der Universität ist er eher unauffällig und hat mit Ausnahme der Philosophen Rudolf Eucken und Bertrand Russell wenig Kontakt zu seinen Kollegen. Nach dem Tod seiner Frau 1904 verfällt Frege in eine Depression. In den folgenden Jahren publiziert er kaum etwas. Das ändert sich erst nach seiner Emeritierung im Jahr 1917. Ausgehend von seinen Überlegungen zur Logik widmet Frege sich vermehrt sprachphilosophischen Fragestellungen, beispielsweise in den Aufsätzen Über Sinn und Bedeutung, Über Begriff und Gegenstand (beide 1892), Der Gedanke (1918) und Die Verneinung (1919). Frege stirbt am 26. Juli 1925 in Bad Kleinen.
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