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Verwirrung der Gefühle

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Verwirrung der Gefühle

Reclam,

15 Minuten Lesezeit
10 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Eine meisterhafte Novelle und einer der wichtigsten Coming-out-Texte der Weltliteratur.


Literatur­klassiker

  • Novelle
  • Moderne

Worum es geht

Psychogramm einer gescheiterten Liebe

Maxim Gorki sagte über Stefan Zweigs Novelle: „Man muss ein sehr starkes Talent besitzen, um es, wenn man solch ein extravagantes Thema wählt, so überzeugend, so menschlich zart zu erzählen.“ Mit dem „extravaganten Thema“ ist die Homosexualität mindestens einer der Hauptfiguren in Verwirrung der Gefühle gemeint. Zur Zeit der Abfassung war das noch immer ein Tabuthema, das erst durch Sigmund Freud überhaupt aussprechbar geworden war. So überrascht es nicht, dass Freud sich begeistert zu der Novelle äußerte. Seitdem hat sich viel verändert, doch Zweigs Erzählung hat nichts von ihrer Anziehungskraft verloren. In manchmal überbordend poetischer Sprache und mit außergewöhnlichem Feingefühl erzählt er die Geschichte einer Beziehung, die von Beginn an zum Scheitern verurteilt ist, aber dennoch ein ganzes Leben prägt. Zweigs Fähigkeit, das Seelenleben beider Protagonisten nachfühlbar zu machen, ohne zu skandalisieren oder zu bewerten, macht bis heute den großen Wert der Novelle aus.

Take-aways

  • Verwirrung der Gefühle zählt zu den berühmtesten Novellen des Österreichers Stefan Zweig und gilt als Klassiker homosexueller Literatur.
  • Inhalt: Der Student Roland ist begeistert von seinem neuen Professor und lässt sich von dessen Enthusiasmus für das elisabethanische Theater anstecken. Zwischen den beiden entwickelt sich eine innige Beziehung, die jedoch immer wieder von Kälte und Distanz durchbrochen wird. Aus Verzweiflung beginnt Roland eine Affäre mit der Frau des Professors und erfährt schließlich dessen Geheimnis.
  • Die Geschichte wird aus der Perspektive Rolands erzählt, der bis zum Schluss über die Gefühle des Professors im Unklaren bleibt.
  • Die unterdrückte Homosexualität des Professors und die Auswirkungen auf seine Psyche sind ein zentrales Motiv der Erzählung.
  • Stefan Zweig schrieb die Novelle 1925 und überarbeitete sie später vollständig.
  • Der Stil ist bildreich und poetisch, voller Anspielungen und literarischer Verweise.
  • Das Werk wurde vor allem von Zweigs Schriftstellerkollegen begeistert aufgenommen.
  • Sigmund Freud, der sich wissenschaftlich mit dem Thema Sexualität auseinandersetzte, äußerte sich lobend über die Erzählung.
  • Stefan Zweig verehrte Freud und stand viele Jahre mit ihm in Briefkontakt.
  • Zitat: „Nichts sollte, nichts durfte an ihn heran, an sein Geheimnis. Denn Geheimnis, immer brennender wards mir bewußt, Geheimnis hauste fremd und unheimlich in seiner magisch anziehenden Tiefe.“

Zusammenfassung

Der Geburtstag

Zum 60. Geburtstag wird Geheimrat Roland v. D. eine Festschrift überreicht: 200 Seiten fassen das Werk das Akademikers zusammen und biografische Anekdoten geben Einblick in seinen Werdegang. Die wichtigste Person aber, die sein Leben mehr als alle anderen beeinflusst hat, bleibt unerwähnt.

„War das wirklich mein Leben, stieg es tatsächlich in so behaglich zielvollen Serpentinen von der ersten Stunde bis an die heutige heran, wie sichs hier aus papiernem Bestand der Biograph zurechtschichtet?“ (S. 7)

Roland wächst als Sohn des Rektors in einer kleinen Stadt in Norddeutschland auf und entwickelt, da er dem humanistisch-geisteswissenschaftlichen Bildungsbürgertum täglich ausgesetzt ist, eine tiefe Abneigung gegen die entsprechenden Fächer. Aus jugendlichem Widerstandsgeist will er Seemann werden. Nur auf Drängen seines Vaters schreibt er sich in Berlin für englische Philologie ein. Doch die Stadt selbst ist spannender als der Hörsaal, und Roland treibt sich lieber in den Bars herum und knüpft zahlreiche Liebschaften, als zu studieren. Bei einem Überraschungsbesuch seines Vaters kommt ans Licht, dass er sein Studium vernachlässigt hat. Roland gelobt Besserung und wechselt die Universität.

Der zweite Versuch

Die Kleinstadt in Mitteldeutschland, in der er sein Studium fortsetzt, bietet weniger Ablenkungen, doch Roland ist ohnehin fest entschlossen, sich nun voll und ganz auf seine Ausbildung zu konzentrieren. Schon am ersten Tag stolpert er in eine spontane Vorlesung eines Professors; es ist ein improvisierter Vortrag. Mit seiner mitreißenden Art schlägt der Professor Roland – wie auch die übrigen Anwesenden – in den Bann. Sein Thema ist das Theater des elisabethanischen Zeitalters – jene 50 Jahre, in denen das englische Drama zu unerreichter Höhe aufstieg. Für den Professor sind sie das Epizentrum der englischen Literatur, von dem aus das ganze Fach angegangen werden müsse. Bevor man analysiere und auseinandernehme, müsse man Literatur erst gefühlt haben, so seine Meinung, und das gehe am besten mit Shakespeare.

„Zweihundert Namen umfaßt das sorgfältig geklitterte Register – nur der eine fehlt, von dem aller schöpferische Impuls ausging, der Name des Mannes, der mein Schicksal bestimmte und nun wieder mit doppelter Gewalt mich in meine Jugend ruft.“ (über den Professor, S. 8)

Als der Vortrag vorbei ist und die Gruppe sich auflöst, geht Roland zum Professor, um sich bei ihm zu melden. Der lädt Roland ein, ihn nach Hause zu begleiten – sie wollen sich auf dem Weg über die Einschreibung unterhalten. Roland berichtet ihm freimütig von seinen Eskapaden und dem vernachlässigten Studium in Berlin. Der Lehrer zeigt Verständnis. Er schlägt vor, dass Roland sich nach einem freien Zimmer bei ihm im Haus erkundigen sollte – ein Rat, den Roland gern befolgt. Er mietet das Zimmer an und freut sich, dem Professor, der ihn mit seinem Enthusiasmus verzaubert hat, näher sein zu können. Seine eigene Leidenschaft für das Fach ist neu geweckt und er stürzt sich mit dem gleichen Eifer, den er in den Straßen Berlins an den Tag gelegt hat, in sein Studium.

Beginn einer Freundschaft

Am nächsten Morgen erlebt er jedoch eine Enttäuschung: In der offiziellen Vorlesung ist der Professor müde und farblos, er rattert seinen Stoff herunter und scheint nicht die gleiche Person zu sein wie der Mann, der Roland am Tag zuvor mit seiner Begeisterung angesteckt hat. Die seltsame Verwandlung macht Roland neugierig und er lässt sich in der Bibliothek die Veröffentlichungen seines Lehrers zeigen. Statt des erwarteten Lebenswerks finden sich nur einige kleinere Texte und die Ankündigung einer großen Abhandlung über die Geschichte des Globe Theatre. Die Abhandlung ist jedoch nie erschienen.

„Und manchmal frostete das Gespräch, solange wir nicht wieder an die Arbeit zurückkehrten, zu einem einzigen breiten Blocke Schweigens zusammen, den schließlich keiner mehr anzubrechen wagte (…). Vor allem erschreckte mich sein vollkommenes Alleinsein.“ (über den Professor, S. 45)

Bei der Vorlesung am Nachmittag springt der Funke erneut über: Der Lehrer mischt sich in eine inszenierte Diskussion der Studenten ein und findet seine Begeisterung wieder. Roland wird klar, dass er einen Auslöser, einen äußeren Reiz braucht, um in einen seiner überschwänglichen, mitreißenden Vorträge einzutauchen. Danach wirkt er erschöpft, und auch die Zuhörer erwachen wie aus einer Trance.

„Aus Dunkelheiten kam dies Dunkel, von innen hatte hier ein grausamer Griffel Falten und Schrunden in vorzeitig zermorschte Wangen gezeichnet.“ (über den Professor, S. 49 f.)

Am Abend ist Roland beim Professor eingeladen. Er ist nervös. Der Professor empfängt ihn freundlich, berichtet aus seiner Jugend und erzählt, dass auch er erst auf Umwegen zu den Geisteswissenschaften gefunden hat. Sie unterhalten sich stundenlang, bis sie von der Frau des Professors unterbrochen werden, die ihren Mann zum Abendessen ruft.

Mit neuem Eifer

Roland stürzt sich in sein Studium. Er liest und lernt beinahe ohne Pause, verschlingt ein Buch nach dem anderen. Sein Fleiß entspringt nicht nur der neuen Freude am Lernen, sondern auch dem Wunsch, den Professor zu beeindrucken und sich vor den anderen Studenten auszuzeichnen. Es funktioniert: Der Professor beschäftigt sich mehr mit ihm und lädt ihn öfter zu sich ein.

„Nichts sollte, nichts durfte an ihn heran, an sein Geheimnis. Denn Geheimnis, immer brennender wards mir bewußt, Geheimnis hauste fremd und unheimlich in seiner magisch anziehenden Tiefe.“ (über den Professor, S. 51)

Zwei Wochen verbringt er so. Dann gönnt er sich eine Ablenkung: Er geht schwimmen, weil er die Bewegung vermisst. Im Schwimmbad fällt ihm eine junge, sportliche Frau auf, die sein Interesse weckt. Er spricht sie an und bittet, sie auf dem Heimweg begleiten zu dürfen. Es stellt sich heraus, dass sie dasselbe Ziel haben – sie ist die Frau des Professors, die er nicht erkannt hat. Roland schämt sich für den Fauxpas und hofft, dass sie ihrem Mann nichts sagen wird. Und tatsächlich schweigt sie.

Eine kühle Ehe

Die seltsame Begebenheit weckt erneut Rolands Neugier: Er beginnt, das Leben des Paares genauer zu beobachten, und bemerkt ihr kühles Verhältnis. Sie sind nie herzlich oder angespannt, sondern immer auf Distanz und jeder für sich sonderbar einsam. Der Professor hat kaum Freunde oder auch nur Kontakte außerhalb der Universität, er hat nie Besuch, sondern vergräbt sich außerhalb seiner Vorlesungen zu Hause – wo er wiederum kaum mit seiner Frau spricht. Roland bemerkt einen Schatten, ein Geheimnis zwischen den beiden, das er nicht genau benennen kann. Sie ist deutlich jünger als er, vielleicht 35 Jahre alt, sportlich, lebenslustig und extravertiert – in allem das Gegenteil ihres Gatten. Roland fragt sich, wie die beiden jemals zusammenfinden konnten und was sie seit 15 Jahren zusammenhält.

„Nur dies erneute sich täglich: ich litt glühend an seiner Nähe und frostete an seiner Ferne, immer enttäuscht an seiner Verhaltenheit, von keinem Zeichen beruhigt, von jeder Zufälligkeit verwirrt.“ (über den Professor, S. 63)

Roland versteht sich gut mit der Frau und lacht viel mit ihr, doch er fühlt sich noch stärker angezogen von der melancholischen, geheimnisvollen Aura des Professors. Dessen düstere Schwermut steht in krassem Gegensatz zu Rolands jugendlichem Lebenshunger. Roland wünscht, er könnte irgendwie helfen, wird mit seinen Versuchen jedoch zurückgewiesen. Das Verhalten des Professors ist undurchschaubar.

„Sie sind wirklich ein Kind, ein dummes Kind, das nichts merkt und nichts sieht und nichts weiß. Aber es ist besser so – sonst würden Sie noch unruhiger sein.“ (die Frau zu Roland, S. 65)

Unterbrochen wird dieses Auf und Ab in ihrer Beziehung von Ausflügen des Professors. Er verschwindet plötzlich, manchmal mitten in der Nacht, ohne jemandem zu sagen, wohin, und kehrt Tage später ohne ein Wort der Erklärung zurück. Man will ihn in Gasthäusern in anderen Städten oder in den Straßen Berlins gesehen haben, doch niemand weiß etwas über den Auslöser oder den Zweck dieser Ausflüge.

Das große Projekt

Eines Abends sitzen Lehrer und Schüler zusammen und sprechen über Shakespeare. Roland fragt den Professor, warum er sein Werk über das Globe Theatre nie geschrieben habe. Der antwortet, er habe den Zeitpunkt versäumt und habe nun nicht mehr die Ausdauer für ein so großes Unterfangen. Roland bietet an, der Professor könne ihm diktieren. Nach einigem Zögern erklärt dieser sich einverstanden. Sie treffen sich nun jeden Abend nach dem Essen zur gemeinsamen Arbeit an der Abhandlung. Der Professor taucht ganz in die Materie ein und hält glühende Vorträge, die Roland stenografiert und im Anschluss vorliest.

„So geschah, daß wir beide aus wirrem, gemeinsamen Haß etwas taten, das wie Liebe sich gebärdete: aber indes unsere Körper sich suchten und ineinanderdrängten, dachten wir beide, sprachen wir beide immer wieder und immer nur von ihm.“ (über die Frau und Roland, S. 94)

Roland versinkt völlig in dieser neuen Welt – auch seine Freizeit widmet er dem gemeinsamen Projekt. Seine Mitstudenten und andere Lehrende meiden ihn, seine Gesundheit leidet unter den langen Stunden am Schreibtisch und er bricht mehrfach zusammen. Die Frau des Professors bemerkt, wie abgekämpft er ist, und bittet ihn, es doch ruhiger angehen zu lassen, doch Roland will davon nichts hören. Manisch sucht er nach Anerkennung und einem Zeichen der Zuneigung seitens des Professors, der sich indes umso kühler abwendet, je leidenschaftlicher Roland seine Hingabe zeigt. Roland ist selbst nicht klar, worauf er hofft und wartet, und das unstete Verhalten des Professors verletzt ihn immer mehr.

Nähe und Zurückweisung

Nach vier Monaten – die Ferien stehen kurz bevor – ist der große Moment gekommen: Der Professor diktiert die letzten Sätze des ersten Bandes. Roland ist stolz und sonnt sich in den gerührten, zärtlichen Blicken seines Lehrers. Zum Dank und um den Tag zu feiern, bietet dieser ihm das Du an. Sie wollen zusammen eine Flasche Wein trinken, und als Roland den Raum verlässt, um einen Korkenzieher zu holen, trifft er vor der Tür die Frau, lauschend. Sie sprechen nicht, doch Roland fühlt sich von ihrem drohenden Blick verfolgt. Als er zurückkehrt, kann er den Abend nicht mehr genießen. Der Professor ist endlich bereit, sich zu öffnen, ihm Einblick in sein Leben zu geben, doch Roland muss ablehnen. Er geht und lässt seinen Lehrer enttäuscht und verbittert zurück.

„Hier aber schlug ein Mensch sich mir auf in äußerster Nacktheit, hier zerriß sich einer die innerste Brust, gierig bereit, das zerhämmerte, vergiftete, verbrannte, vereiterte Herz zu entblößen.“ (über den Professor, S. 102)

Danach liegt er lange wach – endlich war die Lösung des Rätsels zum Greifen nah! Doch die Chance scheint verstrichen. Viel später hört er Schritte vor der Tür: Der Professor will mit ihm sprechen. Er erklärt, dass sie das Duzen doch bleiben lassen sollten, weil Distanz wichtig sei. Roland fühlt die Ablehnung wie eine Ohrfeige. Am Vormittag erfährt er, dass der Professor zu einem seiner Ausflüge ausgebrochen ist. Roland kann seine quälende Verwirrung nicht länger für sich behalten und weint sich bei der Frau aus. Er hat das Gefühl, dass sie alles versteht – seine Gefühle und das launische Verhalten ihres Mannes, doch sie bleibt ihm eine Erklärung schuldig und rät zur Ablenkung.

„Es war ein Kuß, wie ich ihn nie von einer Frau empfing, ein Kuß, wild und verzweifelt wie ein Todesschrei. Der zitternde Krampf seines Leibes ging in mich über.“ (über den Professor, S. 111)

Am Abend betrinkt sich Roland und sucht Streit. Als er den nicht findet, beschließt er, ein Bordell aufzusuchen, doch er verläuft sich. Schließlich geht er nach Hause. Am nächsten Morgen unternimmt er zusammen mit der Frau des Professors, einem befreundeten Dozenten und dessen Verlobter einen Ausflug zum See. Die Spannung zwischen ihm und der Frau wächst, und als sie abends nach Hause zurückkehren, schlafen sie miteinander. Sie gesteht ihm, dass ihr Mann sie seit Jahren nicht berührt hat, und Roland hofft, dass sie ihm nun das Geheimnis enthüllt, obwohl er sie für diese Indiskretion zugleich verabscheuen würde.

Das Geständnis

Am nächsten Tag schämt er sich so sehr für das Geschehene, dass er beschließt, zu fliehen. Er packt schon seine Sachen, als der Professor zurückkehrt. Der wirkt verstört und fragt Roland, ob ihm jemand etwas über ihn erzählt habe, das ihn dazu treibe, das Haus zu verlassen. Als Roland verneint, bittet der Professor ihn, am Abend zu ihm zu kommen, damit sie zum Abschied einmal offen miteinander sprechen können. Er ahnt, dass seine Frau der Auslöser für Rolands Entscheidung ist.

Roland erwartet am Abend einen Wutausbruch, doch der Professor erklärt, dass seine Frau frei sei, zu tun, was sie möchte. Er ist nicht überrascht, dass sie sich in ihn verliebt hat – schließlich liebe er selbst Roland ja auch. Roland ist wie gelähmt, vollkommen überrascht von der Offenbarung und unfähig, zu reagieren. Auf einmal ergibt alles einen Sinn – das wechselhafte Verhalten, die Zurückweisung und die langen Blicke. Der Professor ist erleichtert, endlich die Wahrheit sagen zu können und sich nicht mehr verstellen zu müssen. Er erzählt, wie er sich als Schüler von einem anderen Jungen angezogen fühlte und wie er abgewiesen, verhöhnt und ausgeschlossen wurde. Wie er als Student in Berlins dunklen Straßen seiner Lust nachgab und sich am Tag hinter einer Maske verbarg. Wie er schließlich seine Frau kennenlernte und sich für kurze Zeit zu ihr hingezogen fühlte – lange genug, um auf ein anderes Leben zu hoffen. Wie sich die Hoffnung zerschlug und sie nebeneinanderher zu leben lernten. Und schließlich, wie er immer wieder die Flucht ergriff, um in der Anonymität der Großstadt seine Bedürfnisse zu stillen. Er hat sich immer zweiteilen müssen zwischen Lust und Zuneigung, geistiger und körperlicher Nähe. Und dann, als er sich bereits mit seinem Schicksal abgefunden hatte, trat Roland in sein Leben, voller Überschwang und ohne zu ahnen, was er in seinem Gegenüber auslöste.

Roland erkennt, dass er nun endlich die Wahrheit erfährt, nach der er sich immer gesehnt hat. Der Professor sagt Lebwohl und küsst ihn innig und verzweifelt. Danach bittet er Roland, zu gehen. Sie sehen sich nie wieder und schreiben sich auch nicht. Das Werk wird nie veröffentlicht. Roland wird nie einen anderen Menschen mehr lieben.

Zum Text

Aufbau und Stil

In der Novelle Verwirrung der Gefühle entfaltet Stefan Zweig eine Begebenheit, die das Leben seiner Hauptfigur entscheidend geprägt hat und auf die dieser an seinem 60. Geburtstag zurückblickt. Von der ersten Begegnung mit dem namenlosen Anglistikprofessor bis zu dem Abend, an dem sich ihre Wege trennen, vergehen nur wenige Monate. Die Geschehnisse werden aus der Perspektive des jungen Studenten erzählt – mit allen Höhen und Tiefen, die diese turbulente Phase seines Lebens mit sich bringt. Das führt dazu, dass der Leser genau wie Roland lange Zeit über die wahren Gefühle des Professors im Unklaren bleibt; gerade diese unvollständige Information erzeugt Spannung. Zweigs Sprache ist lebendig, poetisch, voller Metaphern, die Rolands Gefühlschaos zu greifen versuchen. Immer neue Vergleiche und sprachliche Bilder sollen die „unausdenkbaren Tiefen des irdischen Gefühls“ in Worte fassen. Die Begriffe „Sexualität“ oder gar „Homosexualität“ fallen nie – dennoch sind viele Szenen von so eindeutiger Symbolik durchzogen, dass der aufmerksame Leser schon vor der Lebensbeichte des Professors ahnt, welches Geheimnis dieser verbirgt.

Interpretationsansätze

  • Im Mittelpunkt der Novelle steht die tragische Liebesgeschichte der beiden Hauptfiguren: der unerfahrene Roland auf der einen Seite, der seine schwärmerische Zuneigung zum Professor nicht zu deuten weiß; auf der anderen Seite der alternde Lehrer, der seine Sexualität zeitlebens verbergen musste; dazwischen die Frau des Lehrers als Teil einer unkonventionellen Dreiecksbeziehung. Erst am Ende wird die Ursache für die Konflikte aufgelöst, und der Leser wird mit Sigmund Freuds Frage konfrontiert: „Warum kann der Mann die physische Liebe des Mannes nicht annehmen, wenn er sich auch psychisch aufs Stärkste an ihn gebunden fühlt?“
  • Die unterdrückte Sexualität des Professors und die Auswirkungen auf seine Psyche sind ein zentrales Motiv der Erzählung – von seiner Schreibblockade bis zu seinen Stimmungsschwankungen ist am Ende alles von diesem Punkt her zu verstehen. In der eindringlichen Schilderung seiner Qualen liegt zugleich eine Anklage gegen eine heuchlerische Gesellschaft, die ihn zu diesem Doppelleben zwingt.
  • Der Untertitel „Private Aufzeichnungen des Geheimrates R. v. D.“ gibt dem Leser das Gefühl, eine Lebensbeichte zu lesen, die eigentlich nicht für die Augen der Öffentlichkeit bestimmt ist. Auch auf der Handlungsebene interessieren glatte Lebensgeschichten die Hauptfigur nicht, sondern Dichtung à la Shakespeare, die die „Kellergewölbe“ und „Wurzelhöhlen“ des Lebens entdeckt.
  • Eine zusätzliche Ebene ergibt sich, wenn die Figuren über Literatur sprechen. Die Begeisterung für Shakespeare und für das lebendige Fühlen seiner Werke, bevor man sie analysiert, spiegeln sich in dem unmittelbaren Erleben Rolands und seinem langsam einsetzenden Verstehen. Die Hinweise zur Interpretation Shakespeares lassen sich auf die Novelle selbst anwenden. Überhaupt ist die Erzählung angefüllt mit Anspielungen und Querverweisen zu unzähligen literarischen Werken – von Homer über Schiller bis zu Walt Whitman.

Historischer Hintergrund

Österreich nach dem Ersten Weltkrieg

Das Ende des Ersten Weltkriegs bedeutete zugleich das Ende der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn. Das ehemals riesige Staatsgebiet schrumpfte auf einen Bruchteil zusammen, nachdem Teile Böhmens, Mähren, Schlesien und Südtirol an andere Staaten gefallen waren. Im November 1918 gründete sich der neue, zunächst „Deutschösterreich“ genannte Staat als demokratische Republik. Bestrebungen, ihn dem Deutschen Reich anzuschließen, unterbanden die Alliierten und legten 1919 nicht nur ein Unabhängigkeitsgebot, sondern auch den Namen „Republik Österreich“ fest. Pläne, sich anderen Staaten anzuschließen, scheiterten auch in den folgenden Jahren. Der Wegfall des ökonomisch starken Böhmens machte sich in Österreich schnell bemerkbar.

1918 gab es Konflikte in Kärnten: Die slowenische Bevölkerung Südkärntens suchte Anschluss zum neuen Königreich Jugoslawien, das schließlich Südkärnten besetzte. Eine Volksabstimmung sollte die Zugehörigkeitsfrage endgültig beantworten. Die Bevölkerung stimmte für den Verbleib in Österreich. Mit den beiden Verträgen von 1919 bzw. 1920 wurde auch das deutschsprachige Westungarn als Bundesland Burgenland der Republik angeschlossen. 1920 erhielt die junge Demokratie eine eigene Verfassung, die Kompromisse zwischen Zentralismus und Föderalismus fand und die vor allem das Parlament stärkte. Infolge der Gebietsverluste, von Reparationszahlungen und der Hyperinflation steckte das Land jedoch in einer tiefen wirtschaftlichen Krise, die erst 1924 mit der Währungsreform endete.

Entstehung

Die Novelle Verwirrung der Gefühle entstand im Sommer 1925. Stefan Zweig arbeitete in Zell am See an der Erzählung, die er als „unziemlich schwer“ beschrieb. Es sind mehrere Überarbeitungsstufen des Manuskripts erhalten, die Einblicke in die Arbeitsweise des Autors geben. Die Novelle erschien erstmals 1926 (vordatiert auf 1927) zusammen mit zwei anderen Erzählungen. Elf Jahre später erschien eine deutlich revidierte Fassung im ersten Band der Gesamtausgabe von Zweigs Werken.

Die Novelle hat immer wieder Anlass zu Spekulationen über biografische Elemente gegeben. Klar ist, dass Zweig seine Figuren aus Versatzstücken zusammengesetzt hat, die zum Teil aus eigener Erfahrung und zum Teil aus Berichten anderer übernommen sind. Zweig hat 1902 in Berlin studiert und nach eigener Aussage – in seinen Erinnerungen Die Welt von Gestern – dort ausschweifende Monate verlebt. Im selben Werk gesteht er seine glühende Verehrung für den belgischen Dichter Emile Verhaeren und den ebenfalls deutlich älteren Romain Rolland. Für beide war er als Übersetzer tätig und sorgte dafür, dass ihre Werke einem größeren Publikum bekannt wurden.

Wirkungsgeschichte

Verwirrung der Gefühle wurde vom Publikum, vor allem aber von Zweigs Schriftstellerkollegen, begeistert aufgenommen. Sigmund Freud, mit dem Zweig seit 1908 in Briefkontakt stand, lobte die Offenheit, mit der Zweig an ein schwieriges Thema heranging. Zweig antwortete Freud, dass er selbst und die ganze Literatur Freud viel zu verdanken hätten, vor allem einen neuen, mutigeren Umgang mit psychologischen Themen. Zweigs Kollege Franz Werfel erklärte in einem Brief: „Noch niemals ist die Homosexualität tragischer, feiner und versöhnender geschildert worden.“ Arthur Schnitzler äußerte sich verhaltener, sah Zweigs ausufernden Stil aber dennoch als „die wahrscheinlich einzige künstlerische Möglichkeit, das kühne Problem zu meistern.“ Für Maxim Gorki war gerade dies die Stärke der Novelle; er meinte, dass Zweigs „Stil beinahe jene wundervolle Plastizität, Strenge und Kraft erreicht, die ich nur bei Leo Tolstoi antreffe.“

Dieser starke Fokus auf Zweigs Entscheidung, ein tabuisiertes Thema anzugehen, ist natürlich historisch einzuordnen. Die Forschung der letzten Jahrzehnte hat sich auf andere Aspekte der Novelle konzentriert, etwa auf die Rückbezüge auf das elisabethanische Theater und die Beziehung zwischen dem Professor und seiner Frau. Auch wurden zahlreiche Querverweise etwa zu den Werken von Thomas Mann, Heinrich von Kleist oder Theodor Fontane herausgearbeitet.

Die Novelle wurde 1981 mit Michel Piccoli und Gila von Weitershausen verfilmt und später mehrfach für die Bühne adaptiert.

Über den Autor

Stefan Zweig wird am 28. November 1881 in Wien geboren; die Familie ist jüdischer Herkunft. Der Junge wächst in großbürgerlichem Milieu auf und erhält eine umfassende humanistische Bildung. Er studiert Philosophie, Germanistik und Romanistik in Wien und Berlin. Schon früh betätigt sich Zweig als Schriftsteller, Übersetzer und Herausgeber, bereits 1901 erscheint mit Silberne Saiten sein erster Gedichtband. Nach der Promotion 1904 unternimmt er zahlreiche Auslandsreisen, die ihn bis nach Amerika und Indien führen. 1920 heiratet er Friderike von Winternitz. Den aufkommenden Nationalsozialismus betrachtet er als Humanist und Pazifist zwar mit Sorge, entscheidet sich aber für eine weitgehend unpolitische Haltung. Dass diese Zurückhaltung unangebracht ist, bekommt er schon bald zu spüren: Als die Nationalsozialisten 1933 die Bücher unliebsamer Autoren verbrennen, sind auch Zweigs Werke darunter. Im Zuge der wachsenden politischen Unruhen in Österreich und unter dem zunehmenden Einfluss der Nationalsozialisten wird das Haus Zweigs 1934 nach Waffen durchsucht. Daraufhin entschließt er sich zur Emigration nach England – ohne seine Frau. In London beginnt er eine Beziehung mit seiner Sekretärin Lotte Altmann. Diese heiratet er 1939, nachdem er sich ein Jahr zuvor von Friderike hat scheiden lassen. Angesichts der zunehmenden militärischen Erfolge der Nazis fühlt sich Zweig auch in England nicht mehr sicher. 1940 emigriert er in die USA, ein Jahr später nach Brasilien. Zusammen mit Lotte lebt er in Petrópolis, in der Nähe von Rio de Janeiro. Das Grauen des Zweiten Weltkriegs und der Siegeszug der Nationalsozialisten erschüttern ihn so sehr, dass er zunehmend an Depressionen leidet. Schließlich nimmt er sich gemeinsam mit seiner Frau am 23. Februar 1942 das Leben. Zu Zweigs wichtigsten Werken zählen die Schachnovelle (1942), die Erzählungen Brennendes Geheimnis (1911) und Verwirrung der Gefühle (1927), der Roman Ungeduld des Herzens (1938) und die Autobiografie Die Welt von Gestern (postum 1942 erschienen).

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