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Was ist Aufklärung?

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Was ist drin?

Kants zeitloser Appell an die Menschen, ihren Verstand zu gebrauchen.


Literatur­klassiker

  • Philosophie
  • Aufklärung

Worum es geht

Was ist Aufklärung?

Als Immanuel Kant 1784 seinen Aufsatz Was ist Aufklärung? schrieb, war er sich bewusst, dass sein Zeitalter noch alles andere als aufgeklärt war. Er gab sich jedoch optimistisch: Die vom ihm propagierte Bewegung werde sich im Lauf der Geschichte durchsetzen. Und heute? Leben wir in einem aufgeklärten Zeitalter? Das Prinzip der Autonomie, mit dem Kant gegen die Willkür des absolutistischen Staates propagierte, ist weithin anerkannt, doch religiöser Fundamentalismus bedroht die aufklärerischen Werte nach wie vor. Das Internet bietet grenzenlosen öffentlichen Raum für Informations- und Wissensaustausch, in dem jeder nach Belieben räsonieren kann. Aber sind wir deswegen schon aufgeklärter, freier und in unseren Handlungen autonomer als die Menschen vor 200 Jahren? Oder sind wir uns der Fremdbestimmung und der ideologischen Zwänge, denen wir unterliegen, nur weniger bewusst? Kants eindringlicher Appell, sich aus selbst verschuldeter Unmündigkeit zu befreien, ist noch immer ein hervorragender Anlass, vermeintliche Gewissheiten kritisch zu hinterfragen.

Take-aways

  • Zwischen 1784 und 1796 veröffentlichte Immanuel Kant mehrere Aufsätze in der Berlinischen Monatsschrift.
  • In dem berühmtesten davon, Was ist Aufklärung?, appelliert Kant an die Kraft der Vernunft und gibt seine Definition von Aufklärung.
  • Inhalt: Die Geschichte ist ein fortschreitender Prozess der Aufklärung, der schließlich in der Selbstbefreiung des Menschen mündet. Faulheit und Bequemlichkeit, Glaubens- und Gewissenszwänge stehen dem Fortschritt im Weg. Die Menschen müssen in die Lage versetzt werden, autonom zu handeln und sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen.
  • Kant setzte nicht auf Revolutionen, sondern auf Wandel durch Vernunft.
  • Anders als Rousseau, der von einem idealen vorgesellschaftlichen Zustand ausging, glaubte Kant an die zunehmende Vervollkommnung der Gesellschaft.
  • Der preußische König Friedrich II. war für Kant ähnlich wie für Voltaire das Vorbild eines aufgeklärten Monarchen.
  • Mit seiner Forderung nach staatlicher Neutralität in Glaubens- und Gewissensfragen war Kant einer der Begründer des politischen Liberalismus.
  • Während die Philosophen Horkheimer und Adorno 1947 die Aufklärung für gescheitert erklärten, ist sie für andere wie Jürgen Habermas nach wie vor ein unvollendetes Projekt.
  • Bis heute gilt Was ist Aufklärung? als das Manifest der Aufklärungsbewegung in Deutschland.
  • Zitat: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.“

Zusammenfassung

Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht

Die Menschen, die einzigen vernünftigen Lebewesen auf Erden, folgen zwar nicht bloß ihrem Instinkt, wie es die Tiere tun. Dennoch wirkt ihr Handeln, oberflächlich betrachtet, plan- und ziellos. Viele werden von Dummheit und Eitelkeit, Bosheit und Zerstörungswut angetrieben. Und doch scheint es, als habe die Geschichte der Menschheit einen geordneten Gang und folge einem vernünftigen Plan. So wie das Wetter sich zwar nicht vorherbestimmen, im Rückblick aber doch eine gewisse Ordnung erkennen lässt, so tritt im Handeln der einzelnen Menschen und der Völker – so chaotisch und ungeregelt es auf den ersten Blick auch erscheinen mag – doch eine Gesetzmäßigkeit zutage.

„Der Mensch ist ein Tier, das, wenn es unter anderen seiner Gattung lebt, einen Herrn nötig hat.“ (S. 10)

Die Natur, die ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten folgt und nichts ohne Absicht tut, hat in jedem Individuum den Keim der Vernunft angelegt. Damit dieser sich vollständig entwickeln kann, bedarf es des Unterrichts und der Übung. In der kurzen Lebensspanne, die dem Einzelnen zur Verfügung steht, wird die Vernunft niemals zu ihrer vollen Entfaltung kommen. Dennoch wächst sie und steigert sich, indem eine Generation ihr Wissen und ihre Erfahrung an die nächste weitergibt. Die Natur hat dem Menschen selbst das Werkzeug in die Hand gegeben, seine Lebensumstände stets zu verbessern. Nicht das Wohlbefinden steht dabei im Vordergrund, sondern die mühselige Arbeit an sich selbst, von der erst die Nachkommen profitieren. Der einzelne Mensch mag sein Vernunftpotenzial niemals ganz ausschöpfen, die Gattung Mensch aber vervollkommnet sich stetig von einer Stufe zur nächsten. Wäre es nicht so, müsste man annehmen, die Natur triebe nur ein albernes Spiel mit uns.

„Aus so krummem Holze, woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts ganz Gerades gezimmert werden.“ (S. 10)

Der Mensch sucht die Gesellschaft anderer; zugleich aber meidet er sie. Andere Menschen setzen seinem selbstsüchtigen Treiben Widerstand entgegen, und dadurch fühlt er sich behindert. Doch Zwietracht und Wettstreit sind nützlich, denn sie reißen ihn aus seiner natürlichen Lethargie und setzen neue Energie in ihm frei: Er will herrschen, sich gegenüber anderen behaupten und seine Position in der Rangordnung verbessern. Erst in der Gemeinschaft und in der Konkurrenz mit anderen entwickelt der Mensch sein Talent und seinen Geschmack, erst in der Gesellschaft lernt er, sich zu disziplinieren. So arbeitet er an sich, überwindet den Naturzustand und wird zu einem sittlichen Wesen.

„Wir sind zivilisiert bis zum Überlästigen, zu allerlei gesellschaftlicher Artigkeit und Anständigkeit. Aber uns für schon moralisiert zu halten, daran fehlt noch sehr viel.“ (S. 14)

Allerdings können die Menschen in wilder Freiheit nicht lange zusammenleben. Sie brauchen notwendigerweise äußeren Zwang, um sich nicht gegenseitig im Weg zu stehen und sich frei entfalten zu können. Um den egoistischen Neigungen des Menschen Grenzen zu setzen, bedarf es eines Herrn, dem alle gehorchen. Das Problem ist nur: Jedes Oberhaupt, sei es eine einzelne Person oder eine Gruppe, wird irgendwann seine Herrschaft missbrauchen. Das liegt in der Natur des Menschen, der nun einmal alles andere als perfekt ist. Den Ausweg bietet eine bürgerliche Verfassung, der sich alle Mitglieder einer Gemeinschaft unterwerfen.

Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen.“ (S. 20)

Ebenso wie die Menschen im Naturzustand, so befinden sich auch die Staaten anfangs in einem gesetzlosen Zustand von Freiheit. Aufrüstung, Krieg und Zerstörung treiben sie schließlich dazu, sich im Umgang mit anderen Staaten Regeln zu unterwerfen und einem Völkerbund beizutreten, um Ruhe und Sicherheit zu haben. So zerstörerisch Kriege auch sind, haben sie doch einen Sinn, denn sie führen letztlich zu einem stabilen Gleichgewicht. Damit vollendet sich der Plan der Natur, den Menschen nach und nach in einen weltbürgerlichen Zustand zu überführen, in dem er die Anlagen seiner Gattung optimal entfalten kann. Im stetigen Fortschritt besteht die ursprüngliche Bestimmung der menschlichen Natur.

Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?

Aus Faulheit und Feigheit verharrt ein großer Teil der Menschheit im Zustand der Unmündigkeit. Es ist bequem, die Verantwortung abzugeben und wichtige Entscheidungen anderen zu überlassen. Das kluge Buch, der weise Seelsorger, der kundige Arzt – sie alle nehmen uns die Mühe ab, selbst zu denken. Die meisten Menschen, vor allem Frauen, werden von früher Kindheit an bevormundet, eingeschüchtert und vor den Gefahren eigenständigen Handelns gewarnt. So aber werden sie nie aus ihren Fehlern lernen. Aus diesem Zustand der Unmündigkeit herauszutreten und sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, fällt uns schwer. Eine Revolution ist kein Ausweg: Sie beseitigt zwar Unterdrückung und despotische Herrschaftsverhältnisse, doch anstelle der alten Vorurteile pflanzt sie schon bald neue in die Köpfe der Menschen.

„Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“ (S. 21)

Den einzigen Weg aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit bietet Aufklärung – und die erfordert Freiheit, genauer: die Freiheit, sich in der Öffentlichkeit seines eigenen Verstandes zu bedienen. Gewiss gibt es Einschränkungen: Staatsbedienstete müssen sich an Vorschriften halten und Regierungsbeschlüssen Folge leisten; nur so ist das Funktionieren des Gemeinwesens überhaupt gewährleistet. Ein Offizier im Dienst darf nicht lange über Befehle grübeln, sondern muss sie einfach ausführen. Als Privatmann freilich sollte er über Sinn und Zweck von Beschlüssen nachdenken und auch Fehler benennen dürfen. Ein Bürger muss seine Abgaben leisten, sonst wird er zu Recht bestraft. Es sollte ihm jedoch erlaubt sein, laut über Ungerechtigkeiten nachzudenken. Ein Geistlicher muss die Ideen seiner Kirche vor Schülern und vor der Gemeinde vertreten. Als Gelehrter aber hat er das Recht, ja sogar die Pflicht, die Öffentlichkeit auf Fehlentwicklungen aufmerksam zu machen und dadurch vielleicht zu Verbesserungen beizutragen.

„Der Probierstein alles dessen, was über ein Volk als Gesetz beschlossen werden kann, liegt in der Frage: ob ein Volk sich selbst wohl ein solches Gesetz auferlegen könnte.“ (S. 24)

Ein Herrscher hat nicht das Recht, seinen Untertanen Denkvorschriften zu machen und ihre Texte zu zensieren. Die Aufklärung zu behindern, bedeutet, ein heiliges Menschenrecht zu verletzen. Gegenwärtig sind die Menschen zwar noch nicht überall, etwa in Fragen der Religion, in der Lage, ohne jede äußere Anleitung selbst zu denken, doch Fortschritte sind spürbar. Der verehrungswürdige Monarch Friedrich II. etwa gewährt seinen Untertanen vollkommene Religions- und Gewissensfreiheit und beweist damit, dass die Freiheit des Denkens keineswegs Sicherheit und Frieden in einem Staat gefährdet. Der aufgeklärte Geist breitet sich gegen alle Widerstände aus. Das Volk, das frei zu denken lernt, wird irgendwann auch frei handeln. Die Regierungen werden erkennen, dass es in ihrem eigenen Interesse liegt, die Menschenwürde zu achten und Untertanen nicht wie Sklaven zu behandeln. Die Aussichten sind gut: Wir leben zwar noch nicht in einem aufgeklärten Zeitalter, wohl aber in einem Zeitalter der Aufklärung.

Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte

Über die Anfänge der Geschichte des Menschen lässt sich nur spekulieren. Die ersten Menschen folgten ihrem Instinkt, doch schon bald regte sich die Vernunft und sie wurden sich ihres Unterschieds zu den Tieren bewusst. Anders als diese waren sie nicht an eine einzige Lebensweise gebunden, sondern konnten frei darüber entscheiden, wovon sie sich ernährten und mit wem sie sich fortpflanzten. Während die Tiere bei der Partnerwahl nur ihren Trieben folgen, löste sich der Mensch dank seiner Vernunft von der rein sinnlichen Begierde und lernte tiefere, dauerhafte Zuneigung zu empfinden. Er entwickelte sich zu einem sittlichen Wesen, das die Fähigkeit zur Liebe sowie einen Sinn für Schönheit und Anstand besitzt. In einem nächsten Schritt gelang es ihm, den Blick über den Moment hinaus in die Zukunft zu richten. Und schließlich begann der Mensch zu begreifen, dass alles in der Natur seinem Willen unterworfen ist und ihm zu dienen hat. So macht er sich zum Herrn über die Natur und die Tiere – nicht aber über andere Menschen. Denn alle vernünftigen Wesen sind gleichberechtigt und keiner – ganz egal welche Talente er besitzt oder welchen Rang er einnimmt – hat das Recht, andere zu seinen Zwecken einzusetzen. Der Prozess der Kultivierung, in dem der Mensch sich aus den Fesseln des Instinkts befreit und durch Vernunft in den Stand der Freiheit gelangt, ist unumkehrbar.

„Wenn denn nun gefragt wird: Leben wir jetzt in einem aufgeklärten Zeitalter? so ist die Antwort: Nein, aber wohl in einem Zeitalter der Aufklärung.“ (S. 26)

Die Menschen stöhnen zwar oft über ihr Schicksal, sie sollten jedoch erkennen, dass die Menschheit sich stetig verbessert, und bereitwillig ihren eigenen Beitrag dazu leisten. Das größte Übel ist der Krieg, und das nicht nur wegen der Zerstörung, die er anrichtet: Die Staaten bieten all ihre Kraft auf, um sich gegen äußere Gefahren zu rüsten, und vernachlässigen darüber die innere Entwicklung. Gleichzeitig aber ist der Krieg, solange sich die Menschheit noch auf einem niedrigen Stand der Kultur befindet, ein Motor für die ständige Weiterentwicklung. Wir träumen von einem Leben ohne Sorgen und voller Genuss, doch die Vernunft erinnert uns daran: Erst durch stetige Selbstverbesserung erhält das Leben seinen Wert.

Was heißt: sich im Denken orientieren?

Die menschliche Vernunft sucht eine Erklärung für die zweckmäßige Ordnung aller Dinge in der Welt. Das natürliche Bedürfnis der Vernunft nach Orientierung im Denken rechtfertigt, etwas subjektiv anzunehmen, wofür es objektiv keinen Beweis gibt: die Existenz Gottes. Zwischen Glauben und Spekulation einerseits und der Vernunft andererseits gibt es so etwas wie den „Vernunftglauben“, mit dessen Hilfe wir uns im Raum des Übersinnlichen orientieren. Dieser Vernunftglaube ist die Voraussetzung dafür, dass wir bestimmte Erscheinungen auf die Existenz eines höheren Wesens zurückführen können, ohne gleich in Schwärmerei oder Aberglauben zu verfallen. Freigeister und selbst ernannte Genies, die jede Autorität ablehnen, schaden nur. Das regel- und gesetzlose Denken führt letztlich zur Zerstörung der Denkfreiheit, denn es veranlasst den Staat, das Denken durch Gesetze zu reglementieren. Wirkliche Denkfreiheit dagegen hat nichts mit Schwärmerei oder Erleuchtung zu tun; vielmehr unterwirft sich die Vernunft den Gesetzen, die sie sich selbst gibt. Wer nun aber behauptet, die Freiheit, zu sprechen und zu schreiben, könne uns zwar genommen werden, nicht aber die Freiheit, zu denken, der übersieht etwas Wesentliches: Denken ist kein eigenbrötlerischer Akt, sondern bedarf der Öffentlichkeit und des Austauschs mit anderen.

Das Ende aller Dinge

Die Vorstellung, dass sich die Menschen am Ende aller Tage vor dem Jüngsten Gericht verantworten müssen, ist ein Vernunfturteil, ein Produkt unserer eigenen Vernunft, jedoch kein unumstößliches Dogma. Als Vernunfturteil ist die Idee des Jüngsten Tages durchaus von praktischem Nutzen: Sie veranlasst den Einzelnen zur Gewissensprüfung und zu moralischem Handeln. Allerdings taugt sie – anders als von Theologen behauptet – nicht zum Dogma und besitzt keine objektive, beweisbare Gültigkeit. Kein Mensch kennt sich selbst so gut, dass er entscheiden könnte, ob er seinen sittlichen Lebenswandel seinem guten Charakter oder dem günstigen Schicksal verdankt. Auch können wir nur über unseren gegenwärtigen moralischen Zustand, nicht aber über den zukünftigen in einer wie auch immer gearteten Ewigkeit urteilen.

„Die Menschen arbeiten sich von selbst nach und nach aus der Rohigkeit heraus, wenn man nur nicht absichtlich künstelt, um sie darin zu erhalten.“ (S. 26)

Es wäre wünschenswert, die Pflicht zu moralischem Handeln nicht bloß aus der Tradition und der christlichen Lehre abzuleiten, sondern die praktische Vernunft dahinter zu erkennen. Statt Dogmen zu verbreiten, sollten die Theologen zur Vervollkommnung des Gemeinwesens beitragen. Im Idealfall würde das Volk nicht deshalb moralisch handeln, weil eine Autorität es ihm befiehlt, sondern weil es in seinem eigenen Interesse liegt. Das Christentum – das sollten seine Kritiker nicht vergessen – hat etwas Liebenswürdiges; es leitet auf sanfte Weise zu sittlichem Verhalten an. Was wir aus Liebe für andere tun, tun wir mit Freude und aus ganzem Herzen und erfüllen so gerne unsere moralischen Pflichten. Was der Verstand den Menschen als Lebensmaxime vorgibt, tun sie aus Liebe freiwillig. Wie also bringt man den Menschen zu einem guten Lebenswandel? Das Christentum täte gut daran, sich auf seinen sanften Geist zu besinnen und eine liberale Haltung an den Tag zu legen, statt Zwang auszuüben und sich auf Autorität – und sei es die göttliche – zu berufen.

Verkündigung des nahen Abschlusses eines Traktats zum ewigen Frieden in der Philosophie

Um seine Gesundheit und das innere Gleichgewicht zu bewahren, braucht der Mensch neben der praktischen Vernunft die Philosophie. Diese reißt ihn aus seiner Lethargie – sofern sie nicht in starre Dogmen verfällt oder aber sich in sinnlosem Skeptizismus ergeht. Allein die kritische Philosophie, die keine starren Systeme erbaut oder ins Blaue hinein theoretisiert, sondern durch Vernunftarbeit zu moralisch-praktischen Verhaltensprinzipien gelangt, belebt den Geist und entfaltet so ihre heilsame Wirkung. Die wahre Philosophie ist Weisheitslehre: Sie leitet den Menschen zur Befolgung moralischer Gesetze aus freiem Willen an und bekämpft die Lüge.

Zum Text

Aufbau und Stil

Immanuel Kant schrieb zwischen 1784 und 1796 mehrere Aufsätze für die Berlinische Monatsschrift; sie sind in diesem Band versammelt. Den Ausgangspunkt dieser kürzeren Schriften bildet jeweils eine aktuelle Streitfrage oder die Neuerscheinung eines Buches. Immer wieder nimmt Kant Bezug auf Äußerungen und Texte von Zeitgenossen, die ihn zum Widerspruch herausfordern. Ohne Kenntnis der gesamten Kontroverse ist die Lektüre daher nicht gerade leicht. Trotzdem schälen sich aus diesen scheinbar unsystematischen, schnell hingeworfenen Diskussionsbeiträgen deutlich allgemeine Grundsätze der Kant’schen Philosophie heraus. Kants Sprache ist nüchtern und mathematisch-präzise, jedes Wort sitzt an seinem Platz. Die verschachtelten und oftmals von langen Einschüben unterbrochenen Sätze, die deutlich unter dem Einfluss des Lateinischen stehen, wirken auf den heutigen Leser hölzern und steif. Dennoch: Bei aller preußischen Korrektheit und stilistischen Geschraubtheit spürt man in jedem Satz die gedankliche Schärfe und logische Strenge, die Kant zu einer Waffe im Kampf gegen Unwissenheit und Dummheit gemacht haben.

Interpretationsansätze

  • Aufklärung“ war im späten 18. Jahrhundert ein Modewort, das schon erheblich von seiner ursprünglichen Schlagkraft verloren hatte. Kants Aufsatz Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? von 1784 ist vor diesem Hintergrund ein leidenschaftliches Plädoyer, das noch einmal die Werte der frühen Aufklärung und den Geist von John Locke sowie der französischen Enzyklopädisten heraufbeschwört.
  • Der sich ankündigenden Französischen Revolution stand Kant zwar mit Sympathie gegenüber, in seiner Schrift aber spricht sich der Königsberger Philosoph, der persönlich Ruhe und Ordnung schätzte und den Staat als oberste Aufklärungsinstanz betrachtete, gegen den radikalen Umsturz und für einen langsamen evolutionären Prozess aus.
  • Anders als Jean-Jacques Rousseau, der von einem idealen, vorgesellschaftlichen Zustand ausgeht, sieht Kant in der Gesellschaft kein notwendiges Übel, sondern die Voraussetzung für die Selbstvervollkommnung der menschlichen Gattung: Nur in der Gemeinschaft entfalte das Individuum ein moralisches Bewusstsein, gebe sich Regeln und erziehe sich selbst zur Freiheit. Für Kant ist der Mensch an sich kein soziales Wesen: Seine natürliche Beschränkung bringt ihn aber dazu, sich mit anderen zusammenzutun, seine egoistischen Triebe zu überwinden und selbsttätig zur Verbesserung der menschlichen Gattung beizutragen.
  • Der Idealtyp des „mündigen Menschen“ war für Kant der autonome Bürger, der über seinen Körper und sein Eigentum frei verfügte. Personen, die sich in einem sozialen Abhängigkeitsverhältnis befanden, wie Frauen und Minderjährige, Dienstboten, unfreie Bauern und Tagelöhner, waren von seinem Aufklärungskonzept ausgeschlossen.
  • Kants gesamte Philosophie ist dem praktischen Denken verpflichtet. Nicht nur die Wissenschaft, auch das Handeln soll auf einem festen philosophischen Fundament ruhen. Philosophie bedeutet bei Kant nicht Erkenntnis um ihrer selbst willen, sondern hat immer einen lebenspraktischen Nutzen.

Historischer Hintergrund

Die Aufklärung in Deutschland

Bis ins frühe 18. Jahrhundert herrschte die Auffassung vor, in der Geschichte erfülle sich ein göttlicher Heilsplan. Dann traten die Aufklärer auf den Plan und setzten den Menschen als autonom handelndes Subjekt, das seine Welt selbst gestaltet, in den Mittelpunkt der Geschichte. Sie waren überzeugt, der Mensch könne sich vernünftige Ziele setzen und sich aus eigener Kraft aus Unwissenheit, Abhängigkeit und Bevormundung befreien. In diesem Licht erschienen die Ereignisse der Vergangenheit als ein fortschreitender Prozess, der allmählich zum Sieg von Freiheit und Vernunft führen würde. Um falsche Gewissheiten und Aberglauben zu entlarven und das Vernünftige ans Tageslicht zu befördern, setzten die Aufklärer auf die breite Öffentlichkeit. Gemeinsam über politische und religiöse Fragen zu reflektieren, zählte in ihren Augen zu den Grundrechten des Bürgers. Durch Bildung und praktisches Wissen sollten die Menschen befähigt werden, eigenständig zu handeln und ihr Leben selbst zu gestalten. Zeitschriften und Bücher, die sich im 18. Jahrhundert explosionsartig vermehrten, trugen das „Licht der Aufklärung“ in die Salons, Bürgerhäuser und Wirtsstuben.

Einig waren sich die Aufklärer darin, dass Aufklärung Meinungs-, Presse und Gewissensfreiheit erfordere. In den meisten kleineren deutschen Fürstentümern herrschten bis ins späte 18. Jahrhundert jedoch Zensur und Konfessionszwang. Eine Ausnahme bildete Preußen unter der Regentschaft von Friedrich II., der neben Kant auch dem französischen Philosophen Voltaire als Musterbeispiel eines aufgeklärt-absolutistischen Herrschers galt. Danach hatte der Fürst als erster Diener seines Staates die Pflicht, für die Wohlfahrt seiner Untertanen zu sorgen, zugleich aber besaß er das Recht, von ihnen Gehorsam zu verlangen. In religiösen Fragen durfte der Staat seinen Bürgern dagegen keine Vorschriften machen, solange sie ihrer staatsbürgerlichen Pflicht nachkamen. Glaubens- und Gewissensfreiheit sollte keine Gnade, sondern eine Selbstverständlichkeit sein.

Die deutschen Aufklärer stimmten in ihrer Forderung nach Autonomie und Mündigkeit überein und betonten, die Menschen müssten zur Selbstbefreiung angeleitet werden. Statt auf Revolution setzten sie auf einen evolutionären Prozess, auf Wandel durch Vernunft. Anders als in England, Frankreich und den Niederlanden, wo die Aufklärung sich dem Kampf gegen religiösen Dogmatismus und kirchliche Bevormundung verschrieb, vertrauten die deutschen Aufklärer auch in Fragen der Religion auf Reformen. Im Unterschied zu den atheistischen französischen Aufklärern beschäftigten sie sich eingehend mit der Gottesfrage und dem Verhältnis von Glaube und Vernunft. Gottvertrauen und Vernunft, Rationalität und Empfindsamkeit schlossen sich in ihren Augen nicht aus.

Entstehung

Mit seinem öffentlichen Vorschlag, bei der Eheschließung auf den Segen der Kirche zu verzichten, erregte der Journalist und Mitherausgeber der Berlinischen Monatsschrift Johann Erich Biester 1783 die Gemüter. Drohte da nicht im Namen der Aufklärung die Zerstörung christlicher Werte? In derselben Zeitschrift beklagte der Pfarrer Johann Friedrich Zöllner einen Mangel an Klarheit dieses Begriffes: „Was ist Aufklärung? Diese Frage, die beinahe so wichtig ist, als: was ist Wahrheit, sollte doch beantwortet werden, ehe man aufzuklären anfinge!“ Damit löste er eine Debatte aus. Neben anderen Autoren versuchten auch Moses Mendelssohn und Kant eine Antwort auf diese Frage zu finden. Kants Beitrag erschien in der Dezembernummer der Berlinischen Monatsschrift von 1784. Auch spätere Aufsätze des Königsberger Professors für Philosophie wurden erstmals in dieser Zeitschrift publiziert, die sich unter Duldung Friedrichs II. als Hauptorgan der Aufklärung verstand. Nach dessen Tod 1786 verschärfte sein Nachfolger Friedrich Wilhelm II. allerdings die Zensurbestimmungen, denen auch ein Aufsatz Kants zum Opfer fiel.

Wirkungsgeschichte

Ebenso wie Mendelssohns leidenschaftliches Plädoyer für Toleranz stieß auch Kants Aufsatz Was ist Aufklärung? zunächst auf geringe Resonanz: Der Leserkreis der Zeitschrift beschränkte sich auf engagierte Aufklärer und eine Handvoll gebildeter Bürger. Umso größer war die Nachwirkung dieser kleinen Schrift Kants, der schon zu Lebzeiten als wichtigster Philosoph der Aufklärung galt. Bis heute versteht man Was ist Aufklärung? als das Manifest der Aufklärungsbewegung in Deutschland. Der Aufsatz regte zahlreiche Schriftsteller und Philosophen zu eigenen Gedanken an, darunter Friedrich Schiller und Friedrich Nietzsche. Im 20. Jahrhundert erklärten Max Horkheimer und Theodor W. Adorno in ihrer berühmten Dialektik der Aufklärung, dass die Aufklärung gescheitert sei. Doch ungeachtet aller Kritik übt Kants Aufsatz immer noch eine starke Anziehungskraft auf die zeitgenössische Philosophie aus. Mit seiner Forderung nach staatlicher Neutralität in Glaubens- und Gewissensfragen war Kant einer der Begründer des politischen Liberalismus, auf dessen Tradition sich u. a. der amerikanische Philosoph John Rawls berief. Für Jürgen Habermas und viele andere Denker ist die Aufklärung nach wie vor ein unvollendetes Projekt.

Über den Autor

Immanuel Kant wird am 22. April 1724 in Königsberg (dem heutigen Kaliningrad) geboren und wächst in bescheidenen Verhältnissen auf. Seine Erziehung ist stark von den Überzeugungen seiner tiefreligiösen Eltern geprägt. Nach seiner Gymnasialzeit an einer pietistischen Schule studiert Kant u. a. Mathematik, Naturwissenschaften, Theologie und Philosophie in Königsberg. 1746 verlässt er nach dem Tod seines Vaters die Universität und wird, auch um seine Geschwister ernähren zu können, Hauslehrer bei wohlhabenden Familien in der Umgebung von Königsberg. Durch seine Kontakte zum Adel erlernt er gehobene Umgangsformen. Nach seiner Rückkehr an die Universität promoviert und habilitiert er mit Veröffentlichungen aus dem Bereich der Astronomie und Philosophie. Seine Vorlesungen an der Universität erfreuen sich großer Beliebtheit. Trotzdem bewirbt er sich 1758 vergeblich um die vakant gewordene Stelle eines Professors für Logik und Metaphysik in Königsberg. Angebote einer Professur aus Jena und Erlangen lehnt er aus Verbundenheit zu seiner Heimatstadt ab. Erst 1770 wird er in seinem Wunschbereich Professor in Königsberg, später auch zeitweise Rektor der Universität. Während der knapp 30 Jahre an der Universität führt Kant ein streng geregeltes Leben. Seine Tagesabläufe sind exakt durchgeplant, die Königsberger können die Uhr nach Kants Tagesprogramm stellen. 1781 veröffentlicht er die Kritik der reinen Vernunft, die erste seiner drei Kritiken. Weil seine Thesen weitgehend auf Unverständnis stoßen oder gar nicht erst beachtet werden, veröffentlicht er 1787 eine zweite, veränderte Fassung dieser ersten Kritik. 1788 folgt die Kritik der praktischen Vernunft und 1790 die Kritik der Urteilskraft. In der Zwischenzeit setzen sich Kants Ideen durch: Zu seinen Lebzeiten gibt es bereits über 200 Schriften zu seinen Werken, und selbst Normalbürger diskutieren seine Ideen beim Friseurbesuch. Am 12. Februar 1804 stirbt Kant, inzwischen weltberühmt, in seiner Heimatstadt Königsberg, angeblich mit den Worten: „Es ist gut.“

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