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Wilhelm Meisters Lehrjahre

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Wilhelm Meisters Lehrjahre

Artemis & Winkler,

15 Minuten Lesezeit
12 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Von der Vorstellung des Lebens zum wahren Leben: Dies ist der grundlegende deutsche Bildungsroman.


Literatur­klassiker

  • Entwicklungsroman
  • Weimarer Klassik

Worum es geht

Der klassische Bildungsroman

Die Herkunft aus gutem Haus, der Drang zur Selbstverwirklichung, der verschlungene Lebensweg: Wilhelm Meister hat einiges mit seinem Erfinder Johann Wolfgang von Goethe gemeinsam. In die Form eines Romans gepresst, weicht Goethes Lebensschilderung doch stark von dem handlungsgetragenen Schema ab, das man mit dieser literarischen Gattung üblicherweise verbindet. Orte und Zeit der Handlung werden nie genannt; immerhin sind sie konkret genug, um in mancher Hinsicht ein Spiegelbild Deutschlands zur Goethezeit zu erkennen. Die meisten Personennamen wie Mignon, Philine, Serlo, Melina, Jarno oder Aurelie erscheinen so fiktiv, dass man von einer realistischen Erzählung kaum sprechen kann. Das Buch ist eher ein Ideenroman, ein Riesenessay zu den sich überlappenden Themen Theater und Persönlichkeitsentwicklung. Wie „meistert“ man das Leben am besten? Die Antwort auf diese Frage findet Goethes Wilhelm Meister vor allem im Erziehungsideal der aufklärerisch gesinnten Freimaurer. Fazit: Nicht in der (Schauspiel-)Kunst verwirklicht sich das Leben, sondern das Leben selbst ist die Kunst.

Take-aways

  • Wilhelm Meisters Lehrjahre ist der grundlegende deutsche Bildungsroman. Der Begriff wurde später anhand dieses Buches geprägt.
  • Der theaterbegeisterte Wilhelm ist fasziniert davon, Bühnenfiguren Leben einzuhauchen. Später lernt er, dass die eigentliche Kunst das Leben selbst ist.
  • Von klein auf ist Wilhelm vom Puppenspiel begeistert. Als junger Mann auf Geschäftsreise schließt er sich einer Schauspieltruppe an.
  • Dichterisch begabt, glaubt Wilhelm sich auf den Brettern, die die Welt bedeuten, besser entfalten zu können als im Geschäftsleben.
  • Auf seiner Wanderschaft lernt er alle Arten des Theaters kennen, von der Seiltänzerei und Gaukelei bis zum Hoftheater.
  • Immer wieder kreuzen Frauen seinen Weg, mit denen er Liebesverhältnisse hat.
  • Außerdem kümmert er sich um die Kinder Mignon und Felix. Letzterer entpuppt sich später als sein leiblicher Sohn mit Mariane, seiner ersten Liebe.
  • Eine Aufführung des Hamlet unter Wilhelms Regie und Mitwirkung wird ein großer Erfolg.
  • Die „Bekenntnisse einer schönen Seele“, eine Erbauungsschrift einer frommen Adelsdame, beeindrucken ihn als Gegensatz zur effekthascherischen Bühnenkunst.
  • Wilhelm überbringt dem Neffen der Autorin, Baron Lothario, einen Brief und gerät dadurch in einen nach freimaurerischem Muster organisierten Geheimbund.
  • Es stellt sich heraus, dass diese „Turmgesellschaft“ Wilhelms Werdegang im Verborgenen gelenkt hat. Am Ende erhält er seinen Lehrbrief.
  • Goethe legt in dem Roman sein persönliches Programm der Selbstverwirklichung dar und verallgemeinert es literarisch.

Zusammenfassung

Liebe zum Schauspiel und zu Mariane

Wilhelm Meister wächst als Sohn eines wohlhabenden bürgerlichen Handelsherrn auf. Sein Vater hat eine ererbte Kunst- und Naturaliensammlung verkauft und den Erlös in ein Haus investiert, das dem neusten Geschmack entspricht, sowie in eine Handelsgesellschaft, deren Teilhaber er ist. Die reichlich fließenden Erträge bilden das Einkommen der Familie. Nach den Plänen seiner Eltern soll Wilhelm später ebenfalls Geschäftsteilhaber werden.

„(...) man hatte mich dem Handelsstand gewidmet und zu unserem Nachbar auf das Comptoir getan; aber eben zu selbiger Zeit entfernte sich mein Geist nur gewaltsamer von allem, was ich für ein niedriges Geschäft halten musste. Der Bühne wollte ich meine ganze Tätigkeit widmen, auf ihr mein Glück und meine Zufriedenheit finden.“ (Wilhelm, S. 27)

Doch der Sohn hat anderes im Sinn: Seit er im Elternhaus ein Marionettenspiel erlebt hat, ist er dem Theater verfallen. Die kleinen Stücke beflügeln seine Fantasie, er denkt sich das Bühnen- und Theaterleben als etwas besonders Edles und Erhabenes. Als schwärmerischer 20-Jähriger verliebt er sich in die junge Schauspielerin Mariane, die seine Liebe zwar erwidert, aber auch einem Gönner namens Norberg ihre Gunst gewähren muss, um sich ihr Auskommen zu sichern. Wilhelm und Mariane verheimlichen ihre Beziehung – sie wegen ihres offiziellen Geliebten (von dem Wilhelm nichts weiß), er wegen seiner Eltern, die entsetzt wären, wenn sie von seiner Liebe zu einer Gauklerin wüssten.

„Wer nie sein Brot mit Tränen aß, / Wer nie die kummervollen Nächte / Auf seinem Bette weinend saß, / Der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte.“ (der Harfner, S. 121)

Wilhelm sieht nicht den banalen Alltag des Schauspielerberufs, sondern nur das Idealistische daran. Den elterlichen Erwartungen und allen Konventionen zum Trotz plant er, sich der Truppe des bekannten Theaterdirektors Serlo anzuschließen und um Marianes Hand anzuhalten. Heimlich trifft er sich immer wieder mit ihr, wobei ihre alte, vertraute Dienerin Barbara als Kupplerin agiert. Als Wilhelm Mariane eines Tages fragt, ob er nicht vielleicht Vater werde, seufzt sie nur. Dann kann er sie eine Weile nicht sehen, verzehrt sich in Sehnsucht – und beobachtet eines Nachts, wie ein Nebenbuhler Marianes Haus verlässt. Am Boden zerstört, bricht er die Beziehung ab.

Vom Schuldeneintreiber zum Schauspieler

Wilhelm entsagt zugleich auch allen dichterischen und schauspielerischen Ambitionen, verbrennt die Liebesbriefe und Andenken an Mariane und widmet sich zur Freude seines Vaters dem Geschäftsleben. Unterstützt wird er dabei von seinem Jugendfreund Werner, dem Sohn des Geschäftspartners seines Vaters. Um Schulden einzutreiben, muss Wilhelm sich auf eine Reise begeben. Auf dem Rückweg begegnet er einer Artistengruppe, die mit Seiltänzerei und Harlekinaden die Leute auf Marktplätzen unterhält. Wilhelm bleibt an dem Ort und erwirbt vom Anführer der Truppe für 30 Taler das Kind Mignon, das er damit von Misshandlungen freikauft. Mignon, ein zierliches, offenbar sehr zum Seiltanz begabtes Mädchen, trägt meistens Jungenkleider. Sie wird sehr anhänglich, verhält sich Wilhelm gegenüber unterwürfig und ist überaus wissbegierig. Ihrer Sprache nach stammt sie aus Italien – und sie hat großes Heimweh. Eines Morgens stimmt sie schwermütig ein Sehnsuchtslied aus ihrer Heimat an: „Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn?“

„Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn, / Im dunklen Laub die Gold-Orangen glühn, / Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht, / Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht, / Kennst du es wohl? / Dahin! Dahin / Möchte ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn!“ (Mignon, S. 129)

Am selben Ort halten sich auch einige Schauspieler einer aufgelösten Truppe auf, darunter die kokette Philine, die Wilhelm zu verführen versucht. Der hinzugekommene Schauspieler Melina und seine Madame formen mit ihnen eine neue Truppe. Auch ein alter, langbärtiger Harfner stößt dazu, dessen trauriges Spiel Wilhelm fasziniert. Dieser stellt Melina Geld zur Verfügung, um den Theaterfundus des aufgelösten Ensembles aufzukaufen. Er beteiligt sich selbst als Schauspieler an den Proben und verständigt seine Familie in einem kurzen Brief, dass sich seine Rückkehr verzögere.

Theaterdispute in Adelskreisen

Die Truppe trifft auf ein Grafenpaar, das demnächst auf seinem nahe gelegenen Schloss einen Fürsten zu Gast haben wird. Es engagiert die Schauspieltruppe samt Wilhelm, der als „erster Liebhaber“ agieren soll. Wilhelm erhofft sich von dem Aufenthalt Einblicke in die Lebensart höherer Kreise. Die in Aussicht gestellte fürstliche Unterbringung der Truppe erweist sich allerdings als herbe Enttäuschung, sie werden ins alte Schloss abgeschoben.

„Alle Fehler des Menschen verzeih ich dem Schauspieler, keine Fehler des Schauspielers verzeih ich dem Menschen.“ (Jarno, S. 389)

Der Graf lässt wissen, dass er zu Ehren seines Gastes die Verherrlichung eines Fürsten auf der Bühne zu sehen wünsche. Wilhelm wird als Koautor des erst noch zu verfassenden Stückes herangezogen. Er möchte es nicht ganz so allegorisch gestalten, wie der Graf sich das vorstellt, sondern zieht eine zeitgemäßere Form vor. Das Stück wird erfolgreich aufgeführt. Mit Angehörigen der Schauspieltruppe und des gräflichen Hofstaats diskutiert Wilhelm später leidenschaftlich darüber, ob man sich am französischen Theater orientieren solle oder ob auch ein deutsches Nationaltheater denkbar sei. Jarno, ein Offizier aus dem Umfeld des Grafen, weist auf Shakespeare hin. Begeistert stürzt Wilhelm sich auf die Stücke des Engländers.

„Wem die Welt nicht unmittelbar eröffnet, was sie für ein Verhältnis zu ihm hat, wem sein Herz nicht sagt, was er sich und anderen schuldig ist, der wird es wohl schwerlich aus Büchern erfahren, die eigentlich nur geschickt sind, unseren Irrtümern Namen zu geben.“ (Therese, S. 411)

Die Gesellschaft vertreibt sich die Tage mit allerlei Intrigen und Schabernack, bisweilen hart am Rande der Schicklichkeit. Der im Nachäffen und Grimassenschneiden sehr begabten Philine gelingt es, sich als Unterhalterin im Vorzimmer der Gräfin einzunisten. Wilhelm, der öfters zum Vorlesen ebendahin zitiert wird, wechselt bedeutsame Blicke mit der Gräfin; schließlich liegen sie sich plötzlich küssend in den Armen. Kurz vor der Abreise der Schauspieler schenkt die untröstliche Gräfin Wilhelm als Andenken einen Ring, in den eine Haarsträhne eingeflochten ist.

Begegnungen und Bekenntnisse

Friedrich, Wilhelms ehemaliger Bursche, taucht auf und gesellt sich zur Truppe. Der alte Harfner will indes die Schauspieler verlassen: Er sieht sich von einem unerbittlichen Schicksal verfolgt und glaubt Unglück über die Truppe zu bringen. Wilhelm kann ihn jedoch zum Bleiben überreden. Als die Gaukler weiterreisen, werden sie auf einem Rastplatz im Wald von einer Räuberbande überfallen. Wilhelm wird durch einen Schuss verwundet, doch eine „schöne Amazone“ reitet zufällig vorbei und versorgt ihn. Sie beeindruckt Wilhelm nicht zuletzt deshalb, weil sie der Gräfin zum Verwechseln ähnlich sieht. Der Verletzte erhält ein Krankenlager bei einem Pfarrer; Philine, die ihn noch immer umschmeichelt, bleibt bei ihm, während die anderen Schauspieler weiterziehen. Wieder genesen, will Wilhelm endlich seinen alten Traum verwirklichen und zu der Schauspieltruppe von Serlo stoßen. Dort findet er tatsächlich Aufnahme – und Gelegenheit für ausführliche Diskussionen über Shakespeare und das Theater im Allgemeinen. Serlo willigt sogar ein, auch die Truppe um Melina aufzunehmen, von der er eigentlich nichts hält. Der Harfner und Mignon können ebenfalls bei Wilhelm bleiben.

„Die Kunst ist lang, das Leben kurz, das Urteil schwierig, die Gelegenheit flüchtig. Handeln ist leicht, Denken schwer, nach dem Gedanken handeln unbequem.“ (Anfang von Wilhelms Lehrbrief, S. 443)

Wilhelm lernt Serlos Schwester kennen, die unglückliche Schauspielerin Aurelie. Sie erzählt ihm ausführlich von ihrer Liebe zu einem blonden Offizier namens Lothario, der im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg gedient hat. Von diesem Offizier, den sie nicht vergessen kann, scheint auch das hübsche Kind zu stammen, das Aurelie ständig um sich hat, der dreijährige Felix. Eines Nachts erhält Wilhelm Besuch von einer Unbekannten, die als Geist verkleidet zu ihm ins Bett schlüpft. Er schläft mit ihr, ohne zu wissen, wer sie ist. Am nächsten Morgen findet er bloß noch einen Schleier, auf dessen Saum gestickt ist: „Flieh! Jüngling, flieh!“

„Es kann kein Geheimnis bleiben, die Verwirrung ist nicht zu vermeiden. Also denn Geheimnis gegen Geheimnis! Überraschung gegen Überraschung!“ (Jarno, S. 479)

Von Werner erfährt Wilhelm, dass sein Vater gestorben ist. Er hat ein schlechtes Gewissen, ist aber endlich frei, sich vollends dem Theater zu widmen. Er inszeniert eine viel diskutierte, erfolgreiche Hamlet-Aufführung. Philine ist inzwischen ohne Verabschiedung verschwunden – offenbar mit einem Offizier, über den niemand Genaueres angeben kann.

„’Man soll sich‘, fuhr Jarno fort, indem er auf die Rolle sah, ‚vor allem Talente hüten, das man in Vollkommenheit auszuüben nicht Hoffnung hat.‘“ (S. 494)

Aurelie, die schon länger krank ist, stirbt und nimmt Wilhelm das Versprechen ab, Lothario ihren letzten Brief zu überbringen. Der alte Harfenspieler scheint derweil vollends verrückt geworden zu sein: Er hat offenbar das Haus, in dem auch Wilhelm logiert, in Brand gesteckt und das Kind Felix töten wollen. Der wirre Greis wird in die Obhut eines Landgeistlichen gegeben. Von dessen Arzt erhält Wilhelm die „Bekenntnisse einer schönen Seele“ zur Lektüre. Die Erzählung, die ihn tief beeindruckt, ist der autobiografische Bericht einer adligen Dame, die ihr Leben bewusst religiös im Sinne des Pietismus ausgerichtet hat.

In Lotharios Turmburg

Um Aurelies Brief zu überbringen, macht sich Wilhelm auf zum Baron Lothario. Unterwegs begegnet er einem Abbé, den er schon einmal getroffen hat: im Gefolge jener Amazone, die ihn nach dem Raubüberfall gepflegt hat. Lothario lebt in einer verwinkelten Burganlage mit einem hohen Turm. Sie beherbergt, wie Wilhelm bald feststellt, auch große Teile jener Kunstsammlung, die Wilhelms Vater verkauft hat. An einer Wand hängt außerdem ein Bild, das Wilhelm an die Amazone erinnert. Auf der Burg trifft er den Abbé wieder, in Begleitung seines alten Bekannten Jarno. Dieser berichtet ihm von der Gräfin, bei der es sich um Lotharios Schwester handelt. Von Lotharios Arzt, demselben Mediziner, der Wilhelm die „Bekenntnisse einer schönen Seele“ übergeben hat, wird er über den wahnsinnigen Harfner aufgeklärt: Dieser fürchtet sich panisch „vor dem Tod durch einen unschuldigen Knaben“.

„Ja, es lässt sich nicht leugnen, Lothario ist von geheimen Wirkungen und Verbindungen umgeben, ich habe selbst erfahren, dass man tätig ist, dass man sich in einem gewissen Sinne um die Handlungen, um die Schicksale mehrerer Menschen bekümmert und sie zu leiten weiß.“ (Wilhelm, S. 481)

Bei einem Duell wird Lothario verletzt. Wilhelm erhält von Jarno den Auftrag, Lotharios aufdringliche Liebhaberin Lydie vom Krankenbett wegzulocken, und zwar auf das Gut einer Freundin namens Therese. Diese erzählt, sie und Lothario seien einst heftig verliebt gewesen, doch Lothario habe eine Affäre mit ihrer Mutter gehabt, was ihn von Heiratsplänen mit der Tochter abgebracht habe. Zurück auf der Burg, stellt Wilhelm Lothario wegen Aurelie zur Rede. Die habe nie ein Kind von ihm bekommen, verteidigt sich der Baron. Jarno schlägt vor, Wilhelm solle die Kinder Felix und Mignon zu sich holen – und im Übrigen dem Theater entsagen, für das er ja ohnehin kein Talent habe. Also reitet Wilhelm in die Stadt. Er begegnet der alten Barbara und erfährt, dass Felix sein eigener Sohn ist. Mariane ist die Mutter. Deren vermeintliche Untreue stellt sich als Missverständnis heraus: Norberg floh damals aus ihrem Haus, weil sie ihn zurückgewiesen hatte. Bevor Mariane nach der Geburt starb, versuchte sie, Wilhelm zu schreiben, doch Werner hielt all ihre Briefe zurück. In der Folge redete Barbara Aurelie ein, Felix sei Lotharios Sohn.

„’Ich kenne den Wert eines Königreichs nicht‘, versetzte Wilhelm, ‚aber ich weiß, dass ich ein Glück erlangt habe, das ich nicht verdiene und das ich mit nichts in der Welt vertauschen möchte.“ (S. 546)

Wieder in Lotharios Burg, wird Wilhelm in den Turm gebeten. In einer geheimnisvollen Zeremonie erhält er in Anwesenheit von Lothario, Therese und Jarno seinen „Lehrbrief“; der Abbé erklärt Wilhelms Lehrjahre feierlich für beendet.

Die Strippen ziehende Turmgesellschaft

Eines Tages kommt Wilhelms Jugendfreund Werner in geschäftlichen Dingen auf die Burg. Er wirkt farblos, kränklich, eingefallen. Wilhelm widmet sich unterdessen engagiert seinen Vaterpflichten. Um sesshaft zu werden und um den Kindern eine Mutter zu geben, macht er Therese einen Heiratsantrag. Außerdem sucht er Mignon auf, die krank ist und sich seit einiger Zeit in der Obhut von Lotharios zweiter Schwester Natalie befindet. Es folgt Überraschung auf Überraschung: Natalie entpuppt sich als die Amazone, die „schöne Seele“ ist ihre Tante, die Unbekannte in Wilhelms Bett war Philine, die daraufhin mit Friedrich durchbrannte, der wiederum ein Bruder von Natalie, Lothario und der Gräfin ist. Dann meldet sich auch noch Jarno mit Neuigkeiten zu Therese: Sie sei, wie sich herausgestellt habe, gar nicht die Tochter ihrer angeblichen Mutter, was das Ehehindernis zwischen ihr und Lothario aufhebe. Beinahe gleichzeitig eilt Therese selbst herbei, um Wilhelm ihr Jawort zu geben. Sie begrüßt ihn stürmisch – in diesem Moment fasst sich Mignon ans Herz, stürzt hin und stirbt. Jarno weiht Wilhelm in die Geheimnisse der Turmgesellschaft ein, der er, Friedrich und der Abbé angehören. Sie hat das Ziel, ausgewählte Menschen zu beobachten, zu fördern und zur Reife zu führen.

Unterdessen ist Marchese Cipriani angereist, ein Freund der Familie. Er stellt sich als Bruder des Harfners und Onkel Mignons heraus. Dem Abbé erzählt er deren Lebensgeschichte: Mignon war die Tochter des Harfners und entstand aus einer unabsichtlich inzestuösen Beziehung. Diese Beziehung wurde getrennt; Mignon kam, bevor sie entführt wurde, in die Obhut einer anderen Familie, während der Harfner, wahnsinnig geworden, nach Deutschland floh. Mittlerweile ist er wieder zu Verstand gekommen. Als er aber beim Abbé zufällig ein Manuskript mit seiner Lebensgeschichte findet, versucht er sich das Leben zu nehmen, was ihm im zweiten Anlauf auch gelingt. Jarno hat in der Zwischenzeit Lydie seine Hand angeboten, und zusätzlich bahnt sich noch eine Doppelhochzeit an: Lothario will Therese heiraten, aber nur unter der Bedingung, dass Wilhelm seinem Herzen gehorcht und Natalie ehelicht. Das lässt sich dieser gern befehlen.

Zum Text

Aufbau und Stil

Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre besteht aus acht „Büchern“, also Kapiteln, die in bis zu 20 unterschiedlich lange Unterkapitel gegliedert sind. Nicht weiter unterteilt ist das sechste Buch, das die „Bekenntnisse einer schönen Seele“, die Konfession einer Tante von Lothario und Natalie, enthält. Goethe nennt nie einen konkreten Ortsnamen auf der viele Stationen berührenden Reise seines Helden Wilhelm Meister. Die Zeitspanne der Handlung ist in etwa identisch mit der langen Entstehungsdauer des Werkes, die Geschichte umfasst also ca. 20 Jahre.

Dramaturgisch ist das Buch sehr lose aufgebaut: Episode reiht sich an Episode, oft scheinbar unzusammenhängend, vieles wird berichthaft oder als Kommentar des anonymen Erzählers wiedergegeben. Es gibt zahlreiche Einschübe von „Lebensgeschichten“, „Aufzeichnungen“ und intellektuellen Dialogen, und öfters werden Lieder gesungen. Zum Schluss entpuppt sich dieses Mosaik als vielfach verflochtenes Konstrukt; zahlreiche Begebenheiten stellen sich als von der Turmgesellschaft arrangierte Situationen heraus und lassen sich erst im Nachhinein richtig deuten.

Fast im ganzen Roman steht der Austausch von Ideen und Gedanken im Vordergrund. Entsprechend schablonenhaft bleiben die Figuren. Allerdings bereichern sie den kultivierten, unaufgeregten Sprachfluss immer wieder mit emotionalen Ausbrüchen in direkter Rede, in denen der Dramatiker Goethe durchschimmert. Und auch der Lyriker in ihm hat seine Momente: Manche der eingeflochtenen Lieder, z. B. das berühmt gewordene Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn oder Wer nie sein Brot mit Tränen aß, offenbaren seine Meisterschaft in gebundener Sprache.

Interpretationsansätze

  • An Wilhelm Meister veranschaulicht Goethe weniger ein Einzelschicksal als vielmehr den Idealfall eines Bildungswegs. Bildung ist hier im Sinne von Ausbildung aller Anlagen eines Menschen gedacht, nicht als zweckgerichtete Berufsausbildung.
  • Der Bildungsweg Wilhelms ähnelt einer freimaurerischen Initiation. Bereits die Verwendung zentraler freimaurerischer Leitbegriffe wie „Meister“ und „Lehrjahre“ im Titel legt dies nahe. Der Adels- und Gelehrtenkreis um Lothario, die so genannte Turmgesellschaft, trägt denn auch klar die Züge einer Freimaurerloge.
  • Wilhelm ist zunächst aus eigenem Antrieb zur Ausbildung bzw. Weiterentwicklung seiner Persönlichkeit entschlossen. Die Möglichkeit dazu sieht er auf dem Theater, einer repräsentativen Lebensform, die jener des Adels ähnelt. Doch die Lehrjahre gipfeln schließlich im Triumph des Lebens über die Kunst: Nicht auf der Bühne, sondern in selbstloser Tätigkeit erfüllt sich die menschliche Bestimmung.
  • Wilhelm Meister trägt stark autobiografische Züge: Ebenso wie seine Romanfigur fühlte der junge Goethe sich zum Künstler berufen und erlebte zugleich den Aufstieg aus einem wohleingerichteten, aber behäbigen bürgerlichen Umfeld in eine Adelswelt mit hohen geistigen Idealen.
  • Den Frauenfiguren im Roman kommt eine symbolische Rolle zu. So verkörpert Philine die lebensfreudige Sinnlichkeit, während die androgyne Mignon für tiefe Melancholie steht.

Historischer Hintergrund

Die Freimaurerei und die Aufklärung

Die Freimaurerei ist eine eng mit der Aufklärung verbundene Bewegung des 18. Jahrhunderts. Von England ausgehend, fand sie vor allem in West- und Mitteleuropa und in den USA Verbreitung. In Deutschland wurde die erste Freimaurerloge 1737 gegründet. Ihre Mitglieder wurden nach dem Vorbild der mittelalterlichen Bauhütten in Lehrlings-, Gesellen- und Meistergrade eingeteilt. Die Aufnahme erfolgte über bestimmte Riten. Viele bedeutende Fürsten, Politiker, Künstler und Geschäftsleute waren Freimaurer, darunter in Deutschland Friedrich der Große, der preußische Reformpolitiker Karl August von Hardenberg, Gotthold Ephraim Lessing, Christoph Martin Wieland, Joseph Haydn, Wolfgang Amadeus Mozart – und Goethe. Die Freimaurerei ist einem umfassenden Humanitätsideal verpflichtet, das die Werte Wahrheit, Menschenliebe, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit betont und sich gegen alle Arten von Aberglauben, Fanatismus und Totalitarismus wendet. In Friedrich Schillers Ode an die Freude, die Ludwig van Beethoven in seiner Neunten Sinfonie vertont hat, kommt diese Gesinnung besonders emphatisch zum Ausdruck: „Alle Menschen werden Brüder“.

Die Freimaurerei gilt als wesentliche Antriebskraft der Aufklärung im 17. und 18. Jahrhundert und speziell jener revolutionären Epochenumwälzung, als in Amerika und Frankreich gegen den Ständestaat und fremde Bevormundung revoltiert wurde. Sie hatte aber auch immer mit erbitterten Feinden zu kämpfen: Die katholische Kirche etwa spürte, dass sich in der Freimaurerei bedeutende geistige Strömungen und Erkenntnisse sammelten – eine Bedrohung für ihre bisherige Deutungshoheit über das Weltgeschehen. In mehreren Staaten wurde die Freimaurerei denn auch verboten.

Entstehung

Goethe begann 1775 mit der Niederschrift bzw. dem Diktat der Urfassung seines Wilhelm Meister, also im Alter von 26 Jahren, kurz nach seiner Ankunft in Weimar. Die Dienstverpflichtungen in dieser Stadt änderten sein bis dahin nicht gerade geradlinig verlaufenes Leben einschneidend. Zehn Jahre lang arbeitete er – mit Unterbrechungen – an dem Werk, das in dieser Zeit bis zum sechsten Buch gedieh. 1786–1788 war Goethe dann in Italien unterwegs, und erst 1793 nahm er die Umarbeitung und Fortschreibung wieder in Angriff, angetrieben auch von Schillers konstruktiver Kritik am entstehenden Roman.

Die eingeschobenen „Bekenntnisse einer schönen Seele“ gehen auf die Stiftsdame Susanne von Klettenberg zurück, die Goethe 1768 kennen gelernt hatte und deren tiefe Frömmigkeit ihn beeindruckte. Das entsprechende Kapitel markiert eine Zäsur in dem Buch, das übrigens ursprünglich „Wilhelm Meisters theatralische Sendung“ heißen sollte. Dies spürt man bei der Lektüre deutlich: So ist bis zum sechsten Kapitel viel vom Theater und von verschiedenen Formen dieser Kunst die Rede; im Zentrum steht Wilhelms Absicht, sich als Dichter-Schauspieler-Regisseur selbst zu verwirklichen. Nach dem Einschub wird diese Thematik kaum noch berührt.

Wirkungsgeschichte

Ganz anders als Goethes Jugendbestseller Die Leiden des jungen Werther oder als sein Stück Götz von Berlichingen war Wilhelm Meister kein Publikumserfolg. Möglicherweise hatten die Leser eine Art Fortsetzung des Werther-Romans erwartet. Aber das waren die Lehrjahre nun eben nicht, vielmehr waren sie, wie Madame de Staël sagte, „mit geistreichen Erörterungen überfrachtet“. Die Vorwürfe gegen das Buch gingen bis zur „Unsittlichkeit“. Novalis störte sich daran, dass die Schauspielerinnen als Komödiantinnen und nicht als Musen dargestellt seien, und in Wilhelms Entwicklung sah er lediglich eine „Wallfahrt nach dem Adelsdiplom“. Auch der von Goethe in seiner Jugend verehrte Johann Gottfried Herder nahm Anstoß an dem Buch, insbesondere an der koketten, sinnlichen Philine, und konnte nur der Nebenfigur des Harfners etwas abgewinnen. Manch frommer Leser ließ allein die „Bekenntnisse einer schönen Seele“ aufbinden und warf den Rest ins Feuer.

Besondere Bedeutung erlangte das Werk, als der deutsche Universitätsprofessor Johann Carl Simon Morgenstern am Beispiel des Wilhelm Meister den Begriff des Bildungsromans entwickelte. Das Buch gilt bis heute als Paradigma dieser vor allem für die deutsche Literatur bedeutsamen Gattung und erfuhr in diesem Zusammenhang im 19. Jahrhundert eine immer weiter gehende Würdigung und Anerkennung. Romane wie Novalis’ Heinrich von Ofterdingen, Adalbert Stifters Nachsommer und Gottfried Kellers Der grüne Heinrich stehen in der direkten Nachfolge des Wilhelm Meister. Auch eine eigentliche Fortsetzung des Werks existiert: Sie heißt Wilhelm Meisters Wanderjahre, wurde 1821 veröffentlicht und stammt von Goethe selbst.

Über den Autor

Johann Wolfgang von Goethe wird am 28. August 1749 in Frankfurt am Main geboren und wächst in einer gesellschaftlich angesehenen und wohlhabenden Familie auf. Nach dem Privatunterricht im Elternhaus nimmt der 16-Jährige auf Wunsch seines Vaters ein Jurastudium in Leipzig auf, das er 1770 in Straßburg mit dem Lizentiat beendet. Dort macht er die Bekanntschaft von Johann Gottfried Herder und verfasst erste Gedichte. In Frankfurt eröffnet Goethe eine Kanzlei, widmet sich aber vermehrt seiner Dichtung. 1773 publiziert er das Drama Götz von Berlichingen, ein Jahr später den Briefroman Die Leiden des jungen Werther; beide Werke machen ihn berühmt. 1775 bittet ihn der Herzog Carl August nach Weimar; Goethe macht dort eine schnelle Karriere als Staatsbeamter. Nach zehn Jahren Pflichterfüllung am Hof reist er 1786 nach Italien. Diese „italienische Reise“ markiert einen Neuanfang für sein Werk. 1788 kehrt Goethe nach Weimar zurück, veröffentlicht sein Drama Egmont und lernt Christiane Vulpius kennen, mit der er bis zur Heirat 1806 in „wilder Ehe“ zusammenlebt. Nach anfänglichen Differenzen freundet er sich 1794 mit Friedrich Schiller an, in dessen Zeitschrift Die Horen Goethe mehrere Gedichte veröffentlicht. Die beiden Dichter verbindet fortan eine enge Freundschaft, auf der die Weimarer Klassik und ihr an der griechischen Antike orientiertes Welt- und Menschenbild aufbaut. Als „Universalgenie“ zeigt sich Goethe an vielen Wissenschaften interessiert: Er ist Maler, entwickelt eine Farbenlehre, stellt zoologische, mineralogische und botanische Forschungen an, wobei er die Theorie einer „Urpflanze“ entwickelt. 1796 erscheint der Bildungsroman Wilhelm Meisters Lehrjahre, 1808 das Drama Faust I und 1809 der Roman Die Wahlverwandtschaften. Ab 1811 arbeitet Goethe an seiner Autobiografie Dichtung und Wahrheit. Kurz vor seinem Tod vollendet er Faust II. Am 22. März 1832 stirbt er im Alter von 83 Jahren in Weimar. Er gilt bis zum heutigen Tag als der wichtigste Dichter der deutschen Literatur. Sein lyrisches Werk, seine Dramen und Romane liegen als Übersetzungen in allen Weltsprachen vor.

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