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Wilhelm Meisters Wanderjahre

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Wilhelm Meisters Wanderjahre

oder die Entsagenden

Insel Verlag,

15 Minuten Lesezeit
12 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Der Weg zur Meisterschaft: Verzwickt und verschlungen präsentiert sich Goethes zweiter Wilhelm-Meister-Roman.


Literatur­klassiker

  • Roman
  • Weimarer Klassik

Worum es geht

Goethes Meister-Werk?

Wilhelm Meisters Wanderjahre geben bis heute so manches Rätsel auf. Das wusste auch Goethe selbst: „Es gehört dieses Werk übrigens zu den incalculabelsten Productionen, wozu mir fast selbst der Schlüssel fehlt“, meinte er einmal zu Eckermann. Dabei ist die Haupthandlung des Romans schnell zusammengefasst: Wilhelm Meister reist, einem Gelübde folgend, mit seinem Sohn Felix durch die Lande, um dem Filius eine umfassende Ausbildung angedeihen zu lassen; kein Dritter soll die beiden längere Zeit begleiten und nirgends dürfen sie mehr als drei Tage verweilen. Das klingt nach Tempo. In der Tat, wären da nicht die weitschweifigen Erzählerkommentare, Novelleneinlagen, Briefe, Gegenbriefe und Spruchsammlungen, würde der Roman (wenn man ihn überhaupt so nennen kann) sicher schneller ans Ziel kommen. Aber das Buch endet nicht, ohne zuvor einen ganzen Berg von Altersweisheit des 70-jährigen Goethe über dem Leser aufgehäuft zu haben. Die Zeitgenossen waren nicht sonderlich angetan. Immerhin verdankt die Literaturwissenschaft dem Werk bis heute ergiebige Forschungsprojekte.

Take-aways

  • Goethes Roman Wilhelm Meisters Wanderjahre ist die Fortsetzung von Wilhelm Meisters Lehrjahre.
  • Das Buch ist ein typisches Alterswerk Goethes: vielschichtig, komplex und schwierig.
  • Wilhelm Meister begibt sich mit seinem Sohn Felix auf Wanderschaft. Kein Dritter soll sie längere Zeit begleiten und sie wollen jeweils nur drei Tage an einem Ort verweilen.
  • Unterwegs begegnen sie dem Paar Joseph und Maria, das sie in das Kloster St. Joseph einlädt.
  • Nach einem Besuch bei Wilhelms altem Freund Montan geraten sie in ein Schloss und treffen dort die beiden Schwestern Juliette und Hersilie. In die zweite verliebt sich Felix.
  • Die bislang ziellose Wanderung erhält nun eine Richtung: Die Schlossbewohnerinnen geben Wilhelm den Auftrag, ihre Tante Makarie sowie ihren Vetter Lenardo aufzuspüren.
  • Nachdem diese Aufgabe erledigt ist, folgt gleich die nächste: Von Lenardo wird Wilhelm aufgefordert, nach dem Mädchen Valerine zu suchen, dem Lenardo sich verpflichtet fühlt.
  • Wilhelm bringt Felix in die „pädagogische Provinz“, eine Erziehungsanstalt, die für die weitere Ausbildung des Sohnes sorgen soll.
  • Dem Vater wird klar, dass er seine Bildungsreise beenden will, um etwas gesellschaftlich Sinnvolles zu tun. Er macht eine Ausbildung zum Wundarzt.
  • Sein neuer Beruf kommt ihm schon bald zugute: Er rettet dem liebestrunkenen Felix nach einem Unfall das Leben.
  • Die Haupthandlung wird immer wieder durch Briefe, Abschweifungen, Tagebucheinträge, Aphorismen und Novellen unterbrochen.
  • Der Roman stieß bei Goethes Zeitgenossen auf Ablehnung und Verwunderung. Bis heute müht sich die Goethe-Forschung mit seiner Auslegung ab.

Zusammenfassung

Neue und alte Freunde

Wilhelm Meister ist mit seinem Sohn Felix im Gebirge unterwegs. Dort begegnen sie einem sonderbaren Paar: Der Mann ist mit Zimmermannszeug angetan und heißt Joseph, seine Frau Maria. Die beiden laden Wilhelm und Felix in ihr Haus ein. Wilhelm, der von ihnen fasziniert ist, nimmt die Einladung an. Felix begleitet die beiden sofort zu ihrem Haus, während sein Vater noch einmal in die Gebirgsherberge zurückkehrt. Hier schreibt er seiner geliebten Natalie einen Brief und berichtet ihr von seinem Entschluss, sich auf Wanderschaft zu begeben. Dann macht auch er sich auf zum Haus von Joseph und Maria, einem teilweise zerfallenen Kloster namens St. Joseph. Er wird freudig empfangen und erfährt die Geschichte des Paars: Joseph übernahm die Bewirtschaftung des Klosters von seinem Vater, er erlernte den Beruf des Zimmermanns und verteilte oftmals Spenden seiner Mutter an Bedürftige im Gebirge. Bei einem solchen Spendengang traf er auf eine ohnmächtige Frau, deren Mann offenbar Opfer eines Überfalls geworden war. Sie war in anderen Umständen, weshalb Joseph sie in die Obhut der befreundeten Elisabeth brachte. Dort gebar sie einen Jungen und erfuhr vom Tod ihres Mannes. Joseph, der Gefühle für die verwitwete Mutter entwickelte, begann die Rolle eines Pflegevaters wahrzunehmen. Schließlich heirateten die beiden.

„Von Natur aus besitzen wir keinen Fehler, der nicht zur Tugend, keine Tugend, die nicht zum Fehler werden könnte.“ (Makarie, S. 130)

Obwohl es Wilhelm bei dem Paar gut gefällt, bleibt er einem Gelübde treu, das er abgelegt hat: Er will auf seiner Wanderschaft nirgends länger als drei Tage verweilen. Da sein alter Freund Jarno in der Nähe als einsiedelnder Geologe lebt – unter dem Namen Montan –, möchte er ihm einen Besuch abstatten. Felix überredet ihn, einen fremden Jungen namens Fitz, den er sich zum Spielkameraden auserkoren hat, als Begleiter mit auf die Wanderschaft zu nehmen. Dank dessen Hilfe finden sie Montan schnell. Wilhelm und Montan führen tiefgründige Gespräche, u. a. über die Ausbildung von Felix. Als sie sich wieder trennen, entschließt sich Fitz, bei Montan zu bleiben. Er verspricht aber, die beiden Wanderer nach einiger Zeit wieder zu treffen.

Schicksale werden vorbestimmt

Wilhelm und Felix lassen sich von einem Boten führen. Ihr Ziel ist ein riesiges Schloss, das sie in der Ferne erblicken. Unterwegs findet Felix in einer Felsspalte ein kostbar aussehendes Kästchen, das er seinem Vater übergibt. Bevor sie am schroffen Schlossberg angelangt sind, taucht Fitz wieder auf. Er kenne eine Abkürzung, über die man direkt in den Schlossgarten gelange. Der Bote trennt sich von ihnen, während sie ein düsteres Gewölbe betreten. Als sie im Dunkel verschwunden sind, schließen sich Gitterstäbe hinter ihnen und sie sind gefangen; nur Fitz kann gerade noch fliehen. Wilhelm und Felix werden aufs Schloss geführt, wo sich die Gefangennahme aufklärt: Die Falle war gegen diebische Arbeiter gerichtet, die Bäume von den Plantagen des Schlossherren entwendet haben. Die beiden Wanderer werden im Schloss freundlich aufgenommen und machen die Bekanntschaft der Schwestern Hersilie und Juliette. Felix fühlt sich zu Hersilie hingezogen und verbringt einige schöne Stunden mit ihr. Doch für Vater und Sohn heißt es bald wieder Abschied nehmen, denn der Schwur, nicht länger als drei Tage an einem Ort zu verweilen, soll weiter Bestand haben. Wilhelm verspricht den Gastgebern, Kontakt zu deren Tante Makarie und dem Vetter Lenardo aufzunehmen.

Einschub: „Wer ist der Verräter?“

Erzählt wird nachfolgend die Geschichte von Lucidor und Lucinde. Lucidors Zukunft ist vorherbestimmt: Er soll Oberamtmann werden und Julie, eine der beiden Töchter des bisherigen Oberamtmanns, ehelichen. Doch Lucidors Herz gehört der anderen Tochter, Lucinde. Die ist allerdings Antoni versprochen. Lucidor will ihr seine Liebe gestehen, doch er verpasst einige Gelegenheiten dazu. So plant er, zu einem Freund zu flüchten, um der Vermählung mit der Ungeliebten zu entgehen und das künftige Glück von Lucinde nicht zu zerstören. Doch auch die Flucht gelingt nicht. Zu seiner Überraschung muss Lucidor feststellen, dass sein Schwiegervater in spe, der Oberamtmann, von seiner Liebe zu Lucinde erfahren hat. Dieser hat in Verabredung mit Lucidors Vater einen „Tausch der Töchter“ vorbereitet. Wie Lucidor von Julie erfährt, sind seine lautstarken Monologe, die er in der Einsamkeit seines Gastzimmers im Schloss gehalten hat, von der Familie belauscht worden – und damit hat er ungewollt alle über seine Liebe zu Lucinde ins Bild gesetzt. So kommt es, dass Antoni und Lucidor mit den jeweils geliebten Oberamtmann-Töchtern glücklich werden.

Diverse Verwandte

Wilhelm und Felix treffen bei Tante Makarie ein. Hier machen sie die Bekanntschaft der Archivarin Angela und des Hausfreundes, eines alten Astronomen. Während sich Felix mit Angela und anderen Frauenzimmern vergnügt, lässt sich Wilhelm vom Astronom in die Wunder der Gestirne einweisen. Am dritten und letzten Tag ihres Besuchs trifft Wilhelm noch einmal die Tante, der er wie aufgetragen von der Familie aus dem Schloss berichtet. Dann reden sie über einen Traum, den Wilhelm von Makarie gehabt hat. Zum Abschied reicht sie ihm einen Brief, den er dem Neffen Lenardo übergeben soll.

„Wenn man einmal weiß, worauf alles ankommt, hört man auf, gesprächig zu sein.“ (Montan, S. 267)

Lenardo freut sich über die guten Nachrichten von seiner Familie. Besonders begierig ist er, von dem „nussbraunen Mädchen“ Valerine zu hören. Lenardo hat ihr versprochen, sich bei seinem Oheim für sie und ihren Vater einzusetzen, damit er die Pachtschulden der Familie erlasse. Doch vor einer langen Reise durch Europa konnte er nichts mehr für das Mädchen und seinen Vater tun, weshalb ihn seither Schuldgefühle plagen. Wilhelm allerdings hat von dem Mädchen gehört und beruhigt Lenardo: es gehe ihr gut und sie sei mit einem Gutsbesitzer verheiratet. Lenardo bittet ihn zunächst, Valerine aufzusuchen und nach ihr zu schauen, um ihm dann Bericht zu erstatten. Doch dann entschließt er sich spontan, Wilhelm vor der Rückkehr in den Schoß der Familie zu Valerine zu begleiten.

Zukunftsweisende Entscheidungen

Bald schon erreichen sie das Anwesen des Gutsbesitzers, den Valerine geheiratet haben soll und werden herzlich von ihm empfangen. Die Hausherrin ist nicht da, deshalb führt der Herr seine Gäste selbst über das Gut. Dabei bedankt er sich bei Lenardo herzlich für die Hilfe, die er Valerine habe zuteil werden lassen. Dieser wird bei so viel Dankbarkeit stutzig. Als Valerine dann endlich erscheint, bekommt er einen Schreck: Es handelt sich um eine Verwechslung; Valerine ist nicht das gesuchte „nussbraune Mädchen“, das er fälschlicherweise unter diesem Namen in Erinnerung hatte. Durch geschicktes Nachfragen erfährt Wilhelm, dass dessen Schicksal nicht sehr freudig war: Zusammen mit seinem Vater musste es die Pfändung und den Auszug hinnehmen.

„Alles Gescheite ist schon gedacht worden, man muss nur versuchen, es noch einmal zu denken.“ (S. 287)

Auf Anraten eines Freundes von Lenardo bringt Wilhelm seinen Sohn Felix in die „pädagogische Provinz“, eine Art Kloster, in dem zahlreiche Kinder auf unterschiedlichen Bildungsstufen erzogen werden. Nach ihrer Erziehung werden sie aus der Provinz entlassen und dem öffentlichen Leben übergeben. Wilhelm lässt sich diese pädagogische Einrichtung ausführlich erklären und übergibt seinen Felix dann vertrauensvoll in die Obhut der Erzieher. Beim Abschied wird Wilhelm mitgeteilt, dass er auf die Ankündigung eines großen Festes in etwa einem Jahr warten solle; dann könne er zurückkehren und überprüfen, auf welcher Bildungsstufe sein Sohn angelangt sei.

Einschub: „Der Mann von funfzig Jahren“

Während Wilhelm seine Suche nach der „wahren“ Valerine fortsetzt, wird die Geschichte eines Majors erzählt, der nach einer langen Reise zu seiner Familie zurückkehrt. Seine Nichte Hilarie, die eine Verbindung mit seinem Sohn Flavio eingehen soll, scheint nach Aussage ihrer Mutter, der Schwester des Majors, verwirrt zu sein: Sie hat ihr Herz an einen anderen verloren – nämlich an den Major selbst. Dieser fühlt sich durch die Sache sonderbar verändert und beginnt sogar mit einer Verjüngungskur. Sorgen bereitet ihm nur sein Sohn, der doch Hilarie versprochen ist. Als der Major aber erfährt, dass Flavio sich in eine schöne Witwe verliebt hat, freundet er sich mehr und mehr mit dem Gedanken an, Hilarie selbst zu heiraten. In dieser prekären Situation wendet sich die Majorsschwester Rat suchend an eine ihrer Vertrauten: Makarie. Als Flavio einmal von der Witwe zurückkommt, ist seine Beziehung zu dieser älteren Frau zerstört. Stattdessen kommen er und Hilarie sich näher – in Abwesenheit des Majors. Der Vater kehrt zurück und muss einsehen, dass die beiden ein Paar sind. Ein anonymer Brief lockt ihn in das Posthaus des nahe gelegenen Städtchens. Dort trifft er auf die Witwe, die ihm die Briefe seiner Schwester an Makarie zeigt. Deren Ratschläge haben zum Ende der Beziehung zwischen Flavio und der Witwe geführt.

Wilhelms Entschluss

Wilhelm teilt Lenardo postalisch mit, dass er die wahre Valerine gefunden habe und es ihr gut gehe. Nachdem er den Brief abgesandt hat, begibt er sich wieder auf Wanderschaft. Er ist mit einem neuen Weggefährten unterwegs, einem Maler. Während sie durch die Gegend streifen, fasst Wilhelm den Entschluss, dass er Hilarie und die schöne Witwe treffen möchte. Tatsächlich finden sie die Frauen – die wie Wilhelm „Entsagende“ sind und momentan darauf verzichten, eine Beziehung zum anderen Geschlecht zu leben. Zu viert verbringen sie wundervolle Tage am und auf dem Lago Maggiore. Als das Ende der Zusammenkunft naht, kommt es zu einer rührseligen Verabschiedung. Wilhelm macht sich auf den Weg zu seiner geliebten Natalie.

„Der Mensch muss bei dem Glauben verharren, dass das Unbegreifliche begreiflich sei; er würde sonst nicht forschen.“ (S. 306)

Als Wilhelm seinen Zögling in der pädagogischen Anstalt aufsucht, um sich nach dessen Bildungsstand zu erkundigen, lässt er sich dort vieles erklären und nimmt mit Interesse am Geschehen teil. Während eines Festes begegnet er seinem alten Freund Montan, der ihm ein paar gute Ratschläge gibt. Als sich ihre Wege wieder trennen, hat Wilhelm sich entschieden, dass er seine Talente sinnvoll zum Wohl der menschlichen Gemeinschaft einsetzen will; er beschließt Wundarzt zu werden. Durch einen Brief von Hersilie erfährt er, dass sein Sohn Felix ihr eine Liebeserklärung geschickt hat.

Das geheimnisvolle Kästchen

Wilhelm kommt bei seiner fortgesetzten Wanderschaft an einem Gasthaus vorbei, in dem er Unterkunft findet. Nach der ersten Nacht wird er zum Mittagessen geladen. Überraschend begegnet er dort Lenardo und Friedrich, Natalies Bruder. Erneut erhält Wilhelm einen Brief von Hersilie. Dieses Mal berichtet sie ihm, dass man einen Schlüssel gefunden habe, der wohl zu dem Kästchen passe, das von Felix entdeckt worden sei und das Wilhelm mit sich führe. Hersilie möchte, dass Vater und Sohn mit dem Kästchen zu ihr kommen, damit es geöffnet werden kann. Allerdings hat Wilhelm das Kästchen nicht mehr bei sich – er hat es schon vor seiner Abreise an einem sicheren Ort deponiert.

„Wenn ich nun sage: ‚Trachte jeder, überall sich und andern zu nutzen!‘, so ist dies nicht etwa Lehre noch Rat, sondern der Ausspruch des Lebens selbst.“ (Lenardo, S. 391)

Wilhelm hat sein Medizinstudium aufgenommen. In Gesellschaft seiner neuen und alten Freunde im Wirtshaus erzählt er von seiner Ausbildung. Lenardo reicht ihm darauf Teile seiner Tagebuchaufzeichnungen, aus denen hervorgeht, wie Lenardo seinerseits eine handwerkliche Tätigkeit erlernt hat. Die Freunde verlassen das Wirtshaus, um sich in der Welt umzusehen und ihre Fähigkeiten zum Wohle der Gesellschaft einzusetzen. Hersilie wendet sich erneut an Wilhelm und teilt ihm mit, dass sie durch Zufall im Besitz des Kästchens sei, dieses aber erst öffnen wolle, wenn er und Felix einträfen.

Ein tragisches Ende wird verhindert

Das Wirtshaus, in dem Wilhelm Lenardo und Friedrich getroffen hat, wird von einem jungen Reiter besucht. Der wundert sich, dass keine Gäste dort sind. Der anwesende Amtmann gibt ihm zu verstehen, dass vor Kurzem alle ausgezogen seien, darunter auch Wilhelm Meister. Dieser sei zum Fluss aufgebrochen, weil er seinen Sohn besuchen wolle und anschließend noch ein Geschäft zu erledigen habe. Kaum hat der Reiter dies vernommen, macht er sich wieder eiligst davon. Nach ihm erscheint im Gasthaus noch ein Bote, der ein Paket und einen Brief für Wilhelm hat. In dem Schriftstück erzählt Hersilie, wie Felix bei ihr aufgetaucht ist und sich in seiner Verliebtheit zu einem Kuss hat verleiten lassen. Zunächst erwiderte sie ihn, stieß den Jüngling dann jedoch von sich und befahl ihm, nicht wieder bei ihr zu erscheinen. Daraufhin verließ Felix verzweifelt den Ort des Geschehens und drohte, sich umzubringen.

„Das ist nun das Traurige der Entfernung von Freunden, dass wir die Mittelglieder, die Hülfsglieder unserer Gedanken, die sich in der Gegenwart so flüchtig wie Blitze wechselseitig entwickeln und durchweben, nicht in augenblicklicher Verknüpfung und Verbindung vorführen und vortragen können.“ (Wilhelm an Natalie, S. 273)

Wilhelm, der von dem Brief nichts weiß, fährt mit einem Kahn auf dem Fluss, um zu seinem Sohn zu gelangen. In der Ferne entdeckt er einen Reiter, der eilig herantrabt. Fast im gleichen Augenblick löst sich eine Erdschicht am Ufer, und der Reiter stürzt vom Pferd kopfüber ins Wasser. Den Schiffsleuten gelingt es, den Mann ans Ufer zu ziehen. Da er völlig leblos ist, wird Wilhelm als gelernter Wundarzt sofort aktiv. Es gelingt ihm, den verunglückten Reiter ins Leben zurückzuholen – es ist Felix. Als dieser erwacht und in seinem Retter seinen Vater erkennt, weint er und umarmt ihn. Schließlich erholt sich Felix von seinen Strapazen und schläft ein. Wilhelm, der in ihm sein Ebenbild entdeckt, wacht an seiner Seite.

Zum Text

Aufbau und Stil

Die Fachwelt ist sich nicht darüber einig, ob man Wilhelm Meisters Wanderjahre überhaupt einen Roman nennen kann – zumindest im Rahmen des traditionellen Romanbegriffs. Im Laufe der Zeit wurde das Werk als Archivroman, Zeitroman, Gesellschaftsroman oder auch als „längere Erzählung mit eingestreuten Novellen“ bezeichnet. Goethe betrachtete das Werk offenbar selbst nicht mehr als Roman: Die erste Version trug noch diese Bezeichnung, sie wurde aber in der Fassung letzter Hand vom Dichter höchstpersönlich getilgt. Der Protagonist des Buchs muss sich an zwei Regeln halten: Er darf nicht länger als drei Tage irgendwo verweilen, und kein Dritter darf ihn und seinen Sohn längere Zeit begleiten. Diese Restriktionen bedingen einen beständigen Fluss, der die Bewegungen und Begegnungen der Hauptperson nicht erlahmen lässt. Die Haupthandlung um Wilhelm und Felix wird durch mehrere lange Briefwechsel, Aphorismen, zwei Spruchsammlungen, Novellen und Binnenerzählungen unterbrochen; entsprechend disparat und gelegentlich verwirrend ist die Struktur. So staunt man beispielsweise nicht schlecht, wenn Wilhelm die Figuren aus der scheinbar unabhängigen Erzählung „Der Mann von funfzig Jahren“ plötzlich persönlich kennt. Goethe lässt das Geschehen durch einen souveränen Erzähler vortragen, der es oftmals in ironischer Distanz kommentiert oder der sich direkt an den Leser wendet und beispielsweise darauf hinweist, dass er bestimmte weitschweifige Details besser verschweige. Die komplexe Struktur des Werks sorgt dafür, dass die Wanderjahre mit erhöhter Aufmerksamkeit und evtl. einigen bereitliegenden Sekundärtexten gelesen werden müssen.

Interpretationsansätze

  • Der Untertitel des Romans „Die Entsagenden“ nimmt Bezug auf ein Thema, das Goethe auch andernorts, z. B. in seiner Autobiografie Dichtung und Wahrheit, zur Sprache bringt: den Verzicht auf niedere menschliche Regungen zugunsten höherer Werte. Wilhelm Meister selbst ist das Paradebeispiel: Er entsagt seiner Geliebten und sucht auf seiner ruhelosen Wanderschaft nach umfassender Bildung.
  • Goethe formuliert im Roman ein Lob des Handwerks: Nicht nur stellt er einzelne Handwerkerfiguren – unter ihnen am deutlichsten den „heiligen Joseph“ gleich zu Beginn – in ein günstiges Licht, er macht auch aus Wilhelm selbst einen Handwerker: Statt der geplanten allseitigen Bildung lässt dieser sich zum Wundarzt ausbilden – um der Gesellschaft nützlich zu sein. Eine Absage an das Gelehrtendasein im Elfenbeinturm.
  • Die Ausbildung von Felix besorgt die „pädagogische Provinz“, über die ganze Bände an Sekundärliteratur existieren. Goethe verwendete für das System der Kindererziehung Gedanken von Rousseau, Pestalozzi und Philipp Emanuel von Fellenberg, aber auch Motive aus Platons Staat: Der antike Philosoph entwirft darin einen dreistufigen Erziehungs- und Ausleseprozess, der die drei Kasten des Staates (Arbeiter/Handwerker, Wächter/Krieger, Philosophen/Herrscher) anhand von Prüfungen definiert.
  • Um der zerrissenen Struktur des Werkes Herr zu werden, kamen einige Interpreten auf die Idee, Wilhelms Wanderschaft in unterschiedliche Bezirke einzuteilen, mit denen unterschiedliche Themenstellungen korrespondieren. So beinhaltet z. B. der „St.-Josephs-Bezirk“ Elemente einer utilitaristischen Religiosität (die Kirche wird zum Wohnraum), der Bezirk der pädagogischen Provinz hingegen befasst sich mit dem Thema der progressiven Sozialisation.

Historischer Hintergrund

Gesellschaftliche Umbrüche in Preußen und Europa

Zwischen Goethes beiden Wilhelm-Meister-Romanen, den Lehrjahren (1795/96) und den Wanderjahren (1821), liegt buchstäblich eine Zeitenwende: die endgültige Auflösung des noch aus dem Mittelalter stammenden Feudalismus in Europa, die Zeit der Revolutionen und Restaurationen, der Industrialisierung und der sich langsam umgestaltenden Sozialordnung. Nicht zu vergessen die Napoleonischen Kriege: Goethe selbst konnte dem großen Eroberer Europas am Rande des Erfurter Fürstenkongresses 1808 höchstpersönlich die Hand schütteln, und Napoleon verlieh ihm sogar das Kreuz der Ehrenlegion. 1806 hatte das das Heilige Römische Reich Deutscher Nation mit der Abdankung des Kaisers aufgehört zu bestehen. Im selben Jahr war die preußisch-sächsische Armee in der Doppelschlacht bei Jena und Auerstedt von Napoleon vernichtend geschlagen worden und französische Soldaten hatten Goethes Wahlheimatstadt Weimar geplündert. Reformer wie Freiherr vom Stein und Staatskanzler Karl August von Hardenberg sahen in dem Zusammenbruch der alten Ordnung eine Chance zum Neuanfang. 1807 begann mit dem Edikt zur Bauernbefreiung eine Reihe von Sozialreformen in Preußen, welche die ehemals absolute Macht des Adels stark einschränkten. Doch die Reformen dauerten nicht lange an: Die Restauration brach über Europa herein. In Frankreich regierte Ludwig XVIII., als hätte es nie eine Französische Revolution gegeben. Auf dem Wiener Kongress 1814/15 wurde Europa neu geordnet. In Preußen sorgten 1819 die Karlsbader Beschlüsse für böses Blut: Zensur und Verbote ließen Preußen in den so genannten Vormärz schlingern – auf direktem Kurs in die Revolution von 1848.

Entstehung

Goethe hat an seinem Altersroman Wilhelm Meisters Wanderjahre recht lange und in unterschiedlichen Etappen gearbeitet, worauf vielleicht die disparate Struktur des Werks zurückzuführen ist. Bereits kurz nach dem Abschluss von Wilhelm Meisters Lehrjahre tauchte 1796 im Briefwechsel mit Friedrich Schiller die Idee einer Fortsetzung auf. Diese packte Goethe aber erst 1807 an: Am 17. Mai vertraute er seinem Tagebuch an, dass er mit der Niederschrift begonnen habe. Mehrere der eingestreuten Erzählungen und Novellen erschienen zunächst unabhängig; erst 1821 lag die erste Buchfassung vor. Damit war Goethe – teilweise aufgrund der herben Kritik – aber nicht zufrieden: Er schrieb das Werk um, vervollständigte und ergänzte es, sodass es 1829 als völlig neue Fassung letzter Hand herauskam. Im Gespräch mit seinem Vertrauten Johann Peter Eckermann gestand Goethe: „Es gehört dieses Werk übrigens zu den incalculabelsten Productionen, wozu mir fast selbst der Schlüssel fehlt.“ Eckermann griff nach Goethes Tod in den Text ein. Sein Kommentar: „Den Gang des Romans sah man durch eine Menge rätselhafter Sprüche unterbrochen, deren Lösung nur von Männern vom Fach (...) zu erwarten war und die allen übrigen Lesern, zumal Leserinnen, sehr unbequem fallen mussten.“ Eckermann entfernte diese Teile und stellte 1837 eine eigene Version vor, die schließlich sogar Vorbild der Weimarer Ausgabe wurde.

Wirkungsgeschichte

Die Rezeption der ersten Fassung der Wanderjahre von 1821 wurde durch ein skurriles Ereignis überschattet: Zeitgleich mit Goethes Roman kam ein anonymes Buch mit identischem Titel und ähnlichem Personal heraus. Noch dazu wurde Goethe darin offen angefeindet. Der Meister schäumte vor Wut, vor allem weil einige Zeitgenossen meinten, die falschen Wanderjahre seien erheblich amüsanter und sogar geistreicher als das Original. Goethe musste einige Rezensenten nachdrücklich darauf hinweisen, dass sie sich nicht zu ausführlich mit dem Konkurrenzwerk beschäftigten. Die Goethe-Gegner – und davon gab es viele in der Literaturszene – rieben sich die Hände. 1822 wurde der anonyme Verfasser bekannt: Es war Johann Friedrich Wilhelm Pustkuchen, ein evangelischer Geistlicher. Der Hass der Goethe-Anhänger entlud sich auf ihn und der empörte Meister selbst betitelte den Konkurrenten als „Schuft“, „Laus“ und „Gezücht“.

Auch als Goethe 1829 seine zweite Fassung der Wanderjahre ablieferte, wollte sich der Erfolg nicht einstellen. Weder die Romantiker noch die Vertreter des Biedermeier konnten mit Goethes „Weisheitsbuch“ etwas anfangen. Anhänger der literarischen Bewegung des Jungen Deutschland kritisierten das Werk als unausgegoren. Einer von ihnen, Theodor Mundt, hielt die Wanderjahre „auch in ihrer jetzigen Gestalt noch für ein unausgearbeitetes Fragment, das nur in einzelnen Partien mehr oder weniger ausgebildet und vollendet erscheint“. Vor allem Goethes politische Interesselosigkeit wurde moniert. Immerhin wurden die Teile des Werks, die sich mit gesellschaftlichen Veränderungen beschäftigten (u. a. der Mechanisierung der Weberei), von sozialistischen Autoren aufgegriffen. Noch Thomas Mann bezeichnete die Wanderjahre 1945 als ein „hoch-müdes, würdevoll sklerotisches Sammelsurium“. In der literaturwissenschaftlichen Goethe-Forschung wurden mehrere Versuche unternommen, das Werk auszudeuten und hinter dessen Geheimnisse zu kommen. Sie dauern bis heute an.

Über den Autor

Johann Wolfgang von Goethe wird am 28. August 1749 in Frankfurt am Main geboren und wächst in einer gesellschaftlich angesehenen und wohlhabenden Familie auf. Nach dem Privatunterricht im Elternhaus nimmt der 16-Jährige auf Wunsch seines Vaters ein Jurastudium in Leipzig auf, das er 1770 in Straßburg mit dem Lizentiat beendet. Dort macht er die Bekanntschaft von Johann Gottfried Herder und verfasst erste Gedichte. In Frankfurt eröffnet Goethe eine Kanzlei, widmet sich aber vermehrt seiner Dichtung. 1773 publiziert er das Drama Götz von Berlichingen, ein Jahr später den Briefroman Die Leiden des jungen Werther; beide Werke machen ihn berühmt. 1775 bittet ihn der Herzog Carl August nach Weimar; Goethe macht dort eine schnelle Karriere als Staatsbeamter. Nach zehn Jahren Pflichterfüllung am Hof reist er 1786 nach Italien. Diese „italienische Reise“ markiert einen Neuanfang für sein Werk. 1788 kehrt Goethe nach Weimar zurück, veröffentlicht sein Drama Egmont und lernt Christiane Vulpius kennen, mit der er bis zur Heirat 1806 in „wilder Ehe“ zusammenlebt. Nach anfänglichen Differenzen freundet er sich 1794 mit Friedrich Schiller an, in dessen Zeitschrift Die Horen Goethe mehrere Gedichte veröffentlicht. Die beiden Dichter verbindet fortan eine enge Freundschaft, auf der die Weimarer Klassik und ihr an der griechischen Antike orientiertes Welt- und Menschenbild aufbaut. Als „Universalgenie“ zeigt sich Goethe an vielen Wissenschaften interessiert: Er ist Maler, entwickelt eine Farbenlehre, stellt zoologische, mineralogische und botanische Forschungen an, wobei er die Theorie einer „Urpflanze“ entwickelt. 1796 erscheint der Bildungsroman Wilhelm Meisters Lehrjahre, 1808 das Drama Faust I und 1809 der Roman Die Wahlverwandtschaften. Ab 1811 arbeitet Goethe an seiner Autobiografie Dichtung und Wahrheit. Kurz vor seinem Tod vollendet er Faust II. Am 22. März 1832 stirbt er im Alter von 83 Jahren in Weimar. Er gilt bis zum heutigen Tag als der wichtigste Dichter der deutschen Literatur. Sein lyrisches Werk, seine Dramen und Romane liegen als Übersetzungen in allen Weltsprachen vor.

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    p. l. vor 7 Jahren
    Jarno ist Montan