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Witiko

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Witiko

Artemis & Winkler,

15 Minuten Lesezeit
12 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Adalbert Stifters tausendseitiges Epochengemälde: monumentale Geschichtsschreibung im Geist des Biedermeier.


Literatur­klassiker

  • Historischer Roman
  • Biedermeier

Worum es geht

Der beste Mensch des Mittelalters

Witiko ist ein verborgener Klassiker. Von der Kritik weitgehend abgelehnt, hat das Buch nie eine größere Leserschaft erreicht. Dies, obwohl Stifter den Roman als Krönung seines Werks betrachtete. Schon zum Zeitpunkt des Erscheinens wirkte Witiko seltsam unzeitgemäß, der Stoff abseitig, der Stil archaisierend, die Figurenzeichnung extrem idealisierend. Der Titelheld etwa ist eine geradezu übermenschlich gutartige Lichtgestalt. Sein Lebensweg wird mit dem Geschick Böhmens im 12. Jahrhundert verschränkt: Der junge Witiko stellt sich in den Dienst des gewählten und gerechten böhmischen Herzogs und erwirbt sich im Krieg den Ruf eines edlen, großherzigen Mannes. Er steigt zum Lehnsherrn des Böhmerwalds auf und wird vom dortigen Volk als vorbildlicher Führer verehrt. Am Ende steht die Erkenntnis, dass Tugend sich lohnt und die Geschichte sittlichen Gesetzmäßigkeiten unterworfen ist, die letztlich zum Guten führen. Der Weg zu dieser Einsicht ist allerdings ein steiniger: Das handlungsarme, aber ausufernde Biedermeier-Buch ist und bleibt ein harter Brocken, selbst für ausdauernde Leser.

Take-aways

  • Adalbert Stifters Witiko ist einer der bedeutendsten historischen Romane deutscher Sprache.
  • Er schildert das vorbildliche Leben eines Edelmanns im mittelalterlichen Böhmen.
  • Der 20-jährige Witiko, vaterlos und ohne nennenswerten Besitz, reitet nach Prag, auf der Suche nach einem „großen Schicksale“.
  • Unterwegs begegnet er der jungen Bertha, seiner späteren Frau, und dem Adligen Wladislaw, der bald zum Herzog über Böhmen ernannt wird.
  • Witiko besucht die entscheidende Wahlversammlung als einfacher Bote und macht mit klugen Bemerkungen auf sich aufmerksam.
  • Nach der Herzogwahl zieht er sich auf einen bescheidenen Hof im Böhmerwald zurück und teilt das Leben des Volkes.
  • Als einige Adlige rebellieren, muss Witiko Farbe bekennen. Er kämpft für den Herzog.
  • Dieser macht ihn aus Dankbarkeit zum Lehnsherrn des Böhmerwalds.
  • Witiko nimmt mit seinen Truppen auch an Feldzügen des deutschen Kaisers teil. Im Böhmerwald baut er eine Burg und begründet damit ein neues Stammhaus.
  • Das Buch zeigt ein idealisiertes Mittelalter, in dem die Guten aufgrund ihrer Vernunft und Sittlichkeit siegen.
  • Der Roman war ursprünglich als erster Band einer Trilogie geplant, die aber nicht fertiggestellt wurde.
  • An Stifters distanziertem, formalistischem Stil scheiden sich bis heute die Geister.

Zusammenfassung

Auf dem Weg nach Böhmen

Ein junger Mann in ritterlicher Kleidung reitet im Jahr 1138 durch den Bayerischen Wald. Unterwegs trifft er auf ein junges Mädchen und gibt an, auf der Durchreise zu sein: Er suche sein Glück, ein großes Schicksal womöglich. Die beiden unterhalten sich, machen einander Komplimente und stellen sich schließlich vor: Der junge Ritter heißt Witiko und ist 20 Jahre alt, das Mädchen heißt Bertha und ist 16. Witiko will nach Böhmen reiten, wo sich einst sein Urahn, aus Rom kommend, als einer der ersten Christen angesiedelt habe. Er selbst sei der Letzte seines Geschlechts. Bertha nimmt Witiko mit ins Waldhaus ihrer Eltern und stellt ihn vor. Am nächsten Tag setzt er seine Reise fort. Unterwegs schließt er sich einer Gruppe junger Reiter an, mit deren Anführer er lange spricht. Der scharlachrot gekleidete Mann erzählt ihm ausführlich aus der böhmischen Herrschergeschichte und bemerkt scherzhaft, dass er selbst es nicht auf Böhmen, sondern auf die Welt des Vergnügens abgesehen habe. Erst zum Ende des Gesprächs stellt sich heraus, dass Witikos Gegenüber Wladislaw heißt und der Neffe des Herzogs Soběslaw ist, des derzeitigen Herrschers über Böhmen. „So solltest du ernster sein“, sagt Witiko zum Abschied.

Ein riskanter Botendienst

Eineinhalb Jahre sind vergangen. Witiko ist dem Herzog Soběslaw durch sein Geschick und seine edle Gesinnung aufgefallen. Nun liegt der böhmische Herrscher im Sterben. Er sendet Witiko als Boten nach Prag, wo dieser herausbekommen soll, was auf dem dortigen Landtag von adligen und kirchlichen Würdenträgern beschlossen wird. Mithilfe des Bischofs Silvester gelangt Witiko in die zentrale Versammlung. Mehrere Redner plädieren umgehend für die Verhaftung des Boten, denn der Herzog habe sich nicht in die Beratung über seine Nachfolge einzumischen. Doch als Witiko spricht, wendet sich das Blatt. Nicht nur macht er auf die Versammlung einen rechtschaffenen Eindruck, er gibt auch bekannt, dass der Herzog nur Bescheid wissen, keinesfalls aber eingreifen wolle. So wird Witiko als Hörer zugelassen.

„,Dein Glück? hast du das verloren?‘ sagte das Mädchen, ‚oder suchst du ein anderes Glück, als man zu Hause hat?‘ – ,Ja‘, antwortete der Reiter, ,ich gehe nach einem großen Schicksale, das dem rechten Manne ziemt.‘“ (Bertha und Witiko, S. 29)

Im Prinzip hat Soběslaw dem böhmischen Adel bereits zwei Jahre zuvor das Versprechen abgepresst, seinen eigenen Sohn, Prinz Wladislaw, zum Nachfolger zu wählen. Doch in der Prager Versammlung wird Protest erhoben: Das Versprechen sei unter Druck erfolgt, überhaupt sei Soběslaw ein Unterdrücker, sein Sohn zu jung und kein geeigneter Kandidat. Nach langer Diskussion wird schließlich ein anderer zum Nachfolger gewählt: Soběslaws Neffe Wladislaw, ebenjener Reiter, mit dem Witiko bei seinem Einritt nach Böhmen gesprochen hat. Witiko reitet zurück und erstattet Soběslaw Bericht. Der Herzog ersucht seinen Sohn, die Prager Wahl anzuerkennen und sich dem Cousin zu unterwerfen. Kurz darauf stirbt Soběslaw, und tatsächlich wird sein Neffe in Prag zum Nachfolger ernannt. Witiko hat dort eine knappe Unterredung mit dem neuen Herzog, der ihn gern in seinen Diensten sehen würde. Witiko aber bittet ihn, vorerst eigene Wege gehen zu dürfen; er brauche Zeit zur Sammlung. Die wird ihm freundschaftlich gewährt. Herzog Wladislaw heiratet bald darauf Gertrud, die Schwester des Markgrafen von Österreich.

Rückkehr in den Wald

Witiko reitet zurück in den Böhmerwald und kommt im Dorf Oberplan unter, im früheren Haus seiner Mutter. Ein paar Monate teilt er das Leben der Dorfbewohner, dann reitet er aus und besucht einflussreiche Gutsbesitzer und Dorfvorsteher, die sich noch an sein mutiges Auftreten in der Prager Versammlung erinnern. Er lässt sich deren Güter zeigen, lernt ihre Familien kennen und bespricht nebenbei die Lage in Böhmen. Als ehemaliger Bote des verstorbenen Herzogs wird Witiko tendenziell als Kritiker seines Nachfolgers angesehen, obwohl er selbst darauf achtet, nicht vorschnell Stellung zu beziehen. Zuletzt besucht er das kleine Haus des alten Huldrik, das auf dem Land von Witikos Familie steht. Huldrik hat Witiko zuletzt als Kind gesehen und betrachtet ihn als künftigen Heilsbringer für das Land. Er erinnert ihn an die sagenumwobene Herrschaft seines Stammes in früheren Zeiten. Witiko kehrt wieder nach Oberplan zurück, wo er noch ein weiteres Jahr bleibt. Dann wird er von Adligen und Grundbesitzern, die mit dem neuen Herzog unzufrieden sind, zum Gespräch gebeten. Er hört sich ihre Klagen an, nimmt aber keine weitere Einladung mehr an.

Witiko zeigt Flagge

Im Frühjahr 1142 zieht Witiko wieder aus. Böhmens Großgrundbesitzer haben in Mähren mit Konrad von Znaim einen Gegenherzog ernannt und ein Heer versammelt, mit dem sie die Truppen Wladislaws schlagen wollen. Eine Gruppe von Dörflern begleitet Witiko, der sich bald entscheiden muss, auf welche Seite er sich schlagen will. Auf einem verlassenen Hof treffen die Reiter mit anderen Kleinverbänden zusammen, in Erwartung eines Krieges, in dem sie noch nicht Partei ergriffen haben. Nach einigen Tagen kommt Prinz Wladislaw, Sohn des verstorbenen Herzogs und einstiger Nachfolgekandidat, mit einer Schar Ritter vorbei. Er sieht in Witiko, dem ehemaligen Boten seines Vaters, einen natürlichen Verbündeten und fordert ihn auf, gemeinsam gegen den Herzog zu kämpfen. Witiko lässt sich den Grund der Konfrontation erklären – und weist das Ansinnen dann zurück: Die Aufständischen zögen nur aus Eigennutz in den Krieg und verstießen damit gegen ihren Eid der Prager Versammlung. Er, Witiko, werde aufseiten des Herzogs streiten. Voller Zorn reitet Wladislaw weiter. Die Gruppen im Umkreis des Hofs schließen sich Witikos Ansicht an. Gemeinsam ziehen sie am nächsten Tag zum Heerlager des Herzogs. Witiko erwirkt umgehend ein Gespräch mit ihm und wird voller Freude begrüßt.

„(...) ich habe gar keine Meinung, ich erwarte nur die Dinge.“ (Witiko, S. 124)

Kurz vor dem Aufeinandertreffen der Heere senden die Gegner den Adligen Nacěrat aus, um eine friedliche Lösung zu finden. Der Herzog bietet an, alle Aufständischen ohne Strafe ziehen zu lassen. Doch die Gegner beanspruchen die Macht für Konrad von Znaim. Das macht eine Einigung unmöglich, es kommt zur Schlacht. Witiko stellt erneut sein taktisches Geschick und seine Führungsqualitäten unter Beweis, als er mit seinen Leuten aus dem Böhmerwald die Lücken in den Reihen des Herzogs schließt. Nach einem unentschiedenen ersten Kampftag beschließt der Herzog angesichts der zahlenmäßigen Überlegenheit der Feinde, das Heer nach Prag zurückzuziehen.

Unterstützung vom deutschen König

In Erwartung des großen feindlichen Heers schlägt der Herzog seinen Vertrauten in Prag vor, den deutschen König Konrad, den Halbbruder seiner Gattin Gertrud, um Verstärkung zu bitten. Manche haben Bedenken gegen die Präsenz fremder Truppen im Land, aber der Plan wird gebilligt. Herzog Wladislaw reitet mit einigen Getreuen, darunter Witiko, nach Nürnberg. Währenddessen beginnen die Belagerung und der Sturm auf Prag. In Nürnberg sprechen sich die einflussreichen Bischöfe und Herzöge klar für die Unterstützung des böhmischen Herzogs aus. Der König lässt deutsche Truppen entsenden. Auf dem Rückweg nach Prag belauschen Witiko und sein Kamerad Odolen während eines Spähritts eine Zusammenkunft feindlicher Reiter, unter ihnen der aufständische Prinz Wladislaw. Es kommt zum Kampf. Odolen will Wladislaw töten, doch Witiko lässt ihn entkommen. Später gesteht er dies dem Herzog. Das hat Folgen: Zwar darf er sein Schwert für den bevorstehenden Kampf behalten, er wird sich aber wegen seiner Eigenmächtigkeit vor einem Kriegsgericht verantworten müssen.

„(...) weil du Blut und Flammen über das unschuldige Land hervorrufen geholfen hast, da du der Dienstmann eines Aufrührers geworden bist, so werden wir dieses Land im Kampfe verteidigen, so gut oder so schlecht wir es verstehen, die wir vom Walde gekommen“

Vor Prag gibt das Heer Konrads von Znaim angesichts der anmarschierenden königlichen Truppen die Belagerung auf und flieht nach Mähren. Der Herzog und der deutsche König erreichen die Stadt und feiern den Sieg. Nach vier Tagen ziehen sich die Königstruppen nach Deutschland zurück. Nun wird über Witiko Gericht gehalten. Wie sich herausstellt, ließ er die feindlichen Reiter in der Absicht ziehen, dass sie ihren Leuten vor Prag zügig von der Übermacht des nahenden Heeres berichten würden. Damit verhinderte er eine blutige Schlacht. Das Urteil fällt entsprechend milde aus, die strategische Weisheit des spontanen Entschlusses wird anerkannt. Witiko zieht sich mit seinen Leuten in den Böhmerwald zurück.

Nach dem Krieg ist vor dem Krieg

Auf dem Hof seiner Familie wird Witiko von einem einfach gekleideten Reiter besucht. Die beiden ziehen gemeinsam weiter. Auf ihrem Weg übernachten sie im Waldhaus von Berthas Eltern. Als Witiko Bertha wiedersieht, bittet er sie – erfolgreich – um einen Kuss. Wenn er dereinst sein eigenes Haus errichtet und seinen Ruhm erweitert haben wird, wollen die beiden heiraten. Jetzt aber setzt er seine Reise fort. In Passau entlässt er seinen Begleiter in die Obhut des dortigen Bischofs: Es handelt sich bei dem Gefährten um den Mährener Bischof Zdik, der mit den Aufständischen im Zwist liegt und deshalb ins Exil gehen musste. In Passau schifft sich Witiko nach Wien ein. Dort besucht er seine Mutter, die am Hof des Markgrafen von Österreich lebt, den er nun selbst kennen lernt. Den Winter verbringt Witiko wiederum in der Heimat. Er überzeugt die Waldbewohner ringsum, im folgenden Frühling erneut in den Krieg zu ziehen, um die nach Mähren geflohenen Feinde endgültig zu besiegen. Die Waldleute wählen Witiko zum Anführer und teilen ihm mit, dass sie ihn überhaupt gern als Herrscher über den Böhmerwald sehen würden.

Der Feldzug nach Mähren

Im Frühjahr versammelt Witiko seine Streitkräfte und zieht zum Lager des herzoglichen Heeres in Pilgram. Von dort aus geht es in die Schlacht gegen die Truppen der Aufständischen. Die Entscheidung auf böhmischem Boden fällt schnell zugunsten des Herzogs. Die Feinde ziehen sich weiter nach Mähren zurück, die böhmischen Truppen setzen ihnen nach, und Witikos strategisches Gespür verhilft dem Heer des Herzogs zu einem weiteren Blitzerfolg. Die Bewohner der Stadt Znaim ergeben sich, und innerhalb weniger Monate fallen auch die übrigen aufständischen Fürstentümer. Das gesamte Land ist unterworfen, die gegnerischen Führer flüchten ins Ausland. Witiko wird für seinen Einsatz vom Herzog mit ausgedehnten Ländereien im Böhmerwald belohnt. Als neuer Herr des Gebiets kehrt er in den Wald zurück. Bald darauf reitet er zu seiner Mutter, die mittlerweile in Landshut ist, und nimmt sie mit in die Heimat. Dann wählt er den Standort für eine Burg, in der er künftig mit den Seinen leben will. Nach Beginn der Bauarbeiten stattet er Berthas Eltern einen weiteren Besuch ab.

„,Zu dem Guten aber, Witiko, tut Hilfe nicht not; denn das weiß ein jeder Mensch.‘ – ,Und warum tut er es denn nicht?‘ fragte Witiko. – ,Weil er gegen das Wissen handelt, wenn ihn die Lust oder die Schlauheit treibt‘, sagte Silvester.“ (S. 427)

In Prag haben die aufständischen Fürsten – unter Zusicherung freien Geleits – vom Herzog die Möglichkeit erhalten, sich in Anwesenheit des päpstlichen Gesandten Kardinal Guido zu rechtfertigen und Beschwerden gegen das Regime ihres Kriegsgegners vorzubringen. Sie werfen dem Herzog Unterdrückung, Ignoranz, Amtsanmaßung und manches mehr vor. Der Herrscher kann die Kritik jedoch überzeugend entkräften. Anschließend geht Guido mit den Aufständischen ins Gericht. Endlich zeigen sie Reue, geloben Buße und bitten den Herzog um Verzeihung. Er erbarmt sich und erstattet den Fürsten ihren Besitz zurück.

Richtung Italien

Es wird wiederum Frühling. Witiko bewohnt seine neu errichtete Burg, das „Witikohaus“. Bald reitet er zu Berthas Eltern, um seine Braut zu heiraten. Das Paar wird im Böhmerwald vom Volk gefeiert. Danach besuchen die beiden den Herzog in Prag. Im Herbst rebellieren erneut drei Fürsten, darunter Diepold, der Bruder des Herzogs. Doch der Aufstand wird bereits im Keim erstickt, die Fürstentümer werden mit kirchlichem Bann belegt. Diepold bereut und bittet um Gnade. Sie wird ihm ebenso gewährt wie dem aufständischen Wratislaw, den die Reue auf dem Krankenbett überkommt. Nur das Land Konrads von Znaim muss erst verwüstet werden, bevor der Fürst einsichtig wird und sich unterwirft.

„Sie stand, und sah auf Witiko, Witiko sah auf sie. Dann sagte sie: ,Bist du gekommen, Witiko?‘ – ,Ich bin gekommen‘, sagte er.“ (Bertha und Witiko, S. 442)

Endlich scheinen die Zwistigkeiten im Land überstanden zu sein. Gertrud, die Frau des Herzogs, stirbt, ein Jahr später auch der deutsche König Konrad. Herzog Wladislaw unterstützt dessen Nachfolger Kaiser Friedrich 1157 im Feldzug gegen Polen. Im Jahr darauf wird er von Friedrich zum König von Böhmen gekrönt. Als solcher bittet er seine Fürsten, den deutschen Zug gegen das aufständische Mailand zu unterstützen. Es kommt zu einer erhitzten Versammlung, in der viele ein kriegerisches Engagement fern der Heimat ablehnen. Am Ende kann der Herzog allerdings selbst die Skeptiker davon überzeugen, dass der Feldzug die Souveränität Böhmens stärken und dem Volk Ruhm einbringen wird. So kommt es, dass auch Witiko an Kaiser Friedrichs Seite gegen Italien zieht. Die Böhmen werfen schließlich Mailand nieder. Witiko wird nach siegreichem Kampf abermals mit Land beschenkt und kehrt, umjubelter denn je, zu seinen Untertanen in den Wald zurück. Als sich Mailand nach zwei Jahren noch einmal erhebt, zieht er in Friedrichs Gefolge erneut ins Feld und verhilft dem Heer zu einem weiteren Sieg. Seine Untertanen bleiben Witiko über die Jahre zugeneigt, und der König schätzt seinen Rat. 1184 besucht Witiko mit Bertha und seinen Söhnen den Reichstag des deutschen Kaisers in Mainz. Alle regionalen und religiösen Konflikte scheinen überwunden. Der Reichstag wird zu einem Fest der Eintracht und Freundschaft.

Zum Text

Aufbau und Stil

Witiko ist in drei Bände zu vier, drei und vier Kapiteln gegliedert. Die Handlung folgt der historischen Chronologie, das Leben der Titelgestalt wird konsequent in den größeren geschichtlichen Zusammenhang eingeflochten. Dieser Schwenk vom Einzelnen auf das Gesamtpanorama entspricht der literarischen Strategie Stifters. Gemäß dem Autor ist „in historischen Romanen die Geschichte die Hauptsache und die einzelnen Menschen die Nebensache, sie werden von dem großen Strome getragen und helfen den Strom bilden“. Damit wendet sich Stifter bewusst vom damals erfolgreichen Modell des historischen Romans ab. Während etwa bei Walter Scott (Ivanhoe) die beschriebene Epoche nur den Rahmen für die romantischen Abenteuer des Helden abgibt, erzählt Stifter unaufgeregt von einem idealtypischen Protagonisten, dessen Taten beispielhaft für die Geschichte eines Volkes stehen. Es geht um eine Epoche, nicht um eine Einzelfigur. Entsprechend nüchtern und formalistisch ist der Stil. Stifter vermeidet Metaphern und verzichtet darauf, den Blick ins Innere der handelnden Personen zu lenken. „Sie stand, und sah auf Witiko, Witiko sah auf sie“, heißt es einmal. Leidenschaft, Schmerz oder Erregung muss sich der Leser selbst hinzudenken. Altertümliche Ausdrücke („Mitternacht“ statt Norden, „Heumond“ statt Juli) und formelhafte Wiederholungen geben dem Text einen rituellen, fast religiösen Ton. Mit solch stilistischer Strenge verleiht Stifter seinem Stoff etwas Monumentales, und das in voller Absicht: Als Vorbilder für Witiko nannte er die Bibel, die Odyssee und Das Nibelungenlied.

Interpretationsansätze

  • Witiko ist ein historischer Roman in der Form einer freien Nachdichtung. Zwar sind die ranghohen Figuren geschichtlich verbürgt, doch Stifter konstruiert ein politisches Drama, dessen Konflikte sich nicht aus Quellentexten, sondern aus der literarischen Intention des Autors erklären. Trotz zahlreicher Herrscher- und Ortsnamen trägt das Buch letztlich wenig zur Erhellung der böhmischen Geschichte bei.
  • Witiko hat wirklich gelebt – doch viel mehr ist über ihn nicht bekannt. Das macht es Stifter möglich, eine idealtypische Figur zu zeichnen. In seiner schattenlosen Gutartigkeit erscheint Witiko als der perfekte Mensch: eine empfindsame Seele, ein treusorgender Vertrauter, ein engagierter Mitbürger, ein vernünftiger Führer, ein kluger Stratege und ein humaner Staatsmann.
  • Stifter entwirft eine Art rückwärtsgewandte Utopie. Er projiziert eine hoch entwickelte demokratische Kultur ins mittelalterliche Böhmen und erzählt von Königen, Herzogen und Bischöfen, deren Gewissen rein ist und deren Sorge dem Wohl des Volkes gilt.
  • Stifter glaubte an ein übergeordnetes Sittengesetz, das im Lauf der Geschichte wirkt. Dem entspricht die Romanhandlung: Die Uneinsichtigen kriechen zu Kreuze oder werden vernünftig, und der Krieg ist ein notwendiges Übel auf dem Weg zur Vernunft. Eines Tages wird allgemeine Eintracht herrschen – wie am Ende des Buches auf dem Mainzer Reichstag.
  • Witiko enthält indirekte Bezüge zu Stifters Gegenwart. Die Romanhandlung reflektiert sowohl die Unzufriedenheit des Autors mit dem österreichischen Absolutismus als auch seine Ablehnung des Revolutionschaos von 1848. Die – auf den deutschsprachigen Raum begrenzte – Vielvölker-Eintracht des Buches steht in klarer Opposition zum wachsenden Nationalismus zur Zeit Stifters.

Historischer Hintergrund

Österreich zwischen Revolution und Restauration

Auf dem Wiener Kongress 1814/15 besiegelten Europas Herrscherhäuser die Restauration: Nach dem Ende der napoleonischen Kriege wurden die Werte der Französischen Revolution vorläufig ad acta gelegt. Der maßgebliche Politiker des Kongresses, Fürst Metternich, bedeutendster Berater des österreichischen Kaisers Franz I., bestimmte in der Folge auch die Innenpolitik des Reichs. Er etablierte einen Polizeistaat, dessen unzählige Spitzel weiträumig Misstrauen säten, während strenge Zensurmaßnahmen das Aufkommen einer liberalen Öffentlichkeit unterdrückten. Dennoch kam es in Österreich, wie auch in anderen Teilen Europas, 1848 zu einer bürgerlichen Revolution. Der Kaiser wurde gestürzt, Metternich floh ins Ausland. Im August des Jahres wurden sämtliche Untertanenverhältnisse aufgehoben. Doch das Bürgertum scheute schließlich mehr und mehr vor der unwägbaren Dynamik der Revolution zurück. Im November konnten kaisertreue Truppen Wien zurückerobern, im März 1849 wurde der neu gewählte Reichstag wieder aufgelöst. Die in der Zwischenzeit erarbeitete fortschrittliche Verfassung wich der so genannten oktroyierten Verfassung, die bald in eine vom Kaiser dominierte Neuauflage des Absolutismus mündete. Parallel zur Erstickung der österreichischen Rebellion gelang es kaiserlichen Truppen und ihren Verbündeten, Aufstände in Ungarn, Italien und Prag niederzuwerfen, die nicht nur vom Willen nach politischer Freiheit, sondern auch von nationalistischen Forderungen motiviert waren. Oberflächlich schien die Ruhe wieder hergestellt, und doch gingen das Habsburgerreich und der Deutsche Bund langsam ihrem Zerfall entgegen: Ende der 1850er Jahre fiel Italien von Österreich ab, und im Deutschen Krieg 1866 sagte sich auch Preußen von Österreich los.

Entstehung

Bereits 20 Jahre vor Erscheinen von Witiko nahm sich Stifter vor, einen historischen Roman zu schreiben – „damit ich mit ernsteren und größeren Sachen auftrete“, wie er sagte. Nach verschiedenen Vorstudien fand er erst in den 50er Jahren einen geeigneten Stoff: Er wollte dem Geschlecht der Rosenberger aus seiner südböhmischen Heimat eine Romantrilogie widmen. Auf Witiko sollten ursprünglich zwei weitere Bände namens Wok und Zawisch folgen. Doch es vergingen noch etwa zehn Jahre, bis Stifter tatsächlich mit der Niederschrift begann. In der Zwischenzeit publizierte er andere Bücher, etwa Bunte Steine oder Der Nachsommer. Der Autor war zugleich als Schulrat tätig und konnte sich der Schriftstellerei nur jenseits seiner immer lästigeren Beamtenpflichten widmen. Ständig kämpfte er mit Geldproblemen und geriet tiefer und tiefer in die Schuld seines Verlegers, der ihn seinerseits immer nachdrücklicher zur Manuskriptabgabe drängte. Außerdem machten ihm verschiedene, zunehmend schwere Krankheiten zu schaffen. Die Arbeit an Witiko geriet so zu einer physischen und psychischen Belastungsprobe. Erst recht, weil Stifter es als mühsam empfand, seine dichterische Fantasie und idealistische Geschichtsauffassung mit historischer Korrektheit in Einklang zu bringen. Regelmäßige Änderungen und Nachbesserungen waren die Folge. „Was ich von Witiko weggeworfen habe, würde, wenn es gedruckt wäre, sieben bis acht Bände füllen“, schrieb er 1864 an den Verleger. Ein Jahr später, im Frühling 1865, erschien der erste Band des Romans, im Sommer 1866 der zweite und im Herbst 1867 der letzte. Stifter starb wenige Monate danach.

Wirkungsgeschichte

Während Stifter selbst Witiko für sein bedeutendstes Werk hielt, fand das Buch bei Kritik und Publikum kaum Gnade – im Gegensatz zu früheren Publikationen des Autors. In zeitgenössischen Rezensionen wurde die archaisierende Sprache als rückschrittlich, der zeremonielle Stil als monoton und langweilig, die distanzierte, äußerliche Perspektive als leblos bemängelt. Auch die typisierten Figuren überzeugten nicht. In der Neuen Freien Presse etwa schrieb Karl von Thaler, Stifter habe „eine Vorliebe für solche konstruierte Geschöpfe, denen keine sterbliche Schwachheit anklebt. (...) Sie sind kalte, bleiche, regungslose Figuren, sorgfältig gearbeitet und schön drapiert, doch es schlägt kein Herz in ihrer Brust. Wir wundern uns, dass sie sich bewegen und sprechen“. Hinzu kam, dass der Stoff des Romans im zunehmend nationalistisch gesinnten deutschen Sprachraum nicht als patriotisch wertvoll galt. So geriet das voluminöse Buch bald in Vergessenheit.

Wohlwollender begegnete man Stifters Idealisierung des Mittelalters in Krisenzeiten. So schrieb Thomas Mann 1933 nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten, Witiko habe ihm „durch Wochen des schweren Trubels und der Beängstigung so viel Trost und Freude geschenkt“. Ähnlich fiel Bernt von Heiselers Urteil aus, der nach dem Zweiten Weltkrieg von der „Heilkraft“ des Buches sprach, in dem „nur das eine, das Einfache“ verkündet werde, nämlich die Ordnung: „Die Ordnung aber ist es, die uns nottut, sie ist es allein, die uns hilft.“ Offenbar teilten nicht alle Hermann Hesses brutales Verdikt, wonach Witiko ein Buch sei, „in dem geschildert wird, wie sich drei Menschen auf drei Stühle setzen“. Stifters kunstvoll archaisierender Stil ist als literarische Technik erst in den letzten Jahrzehnten angemessen gewürdigt worden. Die idealisierte Geschichts- und Heldenvision aber steht einem Comeback des Großwerks bis heute entgegen.

Über den Autor

Adalbert Stifter wird am 23. Oktober 1805 in Oberplan in Südböhmen geboren, das damals zum Kaisertum Österreich gehört. Als der Junge zwölf ist, stirbt sein Vater durch einen Unfall, die Familie gerät in finanzielle Schwierigkeiten. Stifter ist künstlerisch begabt, entscheidet sich aber für ein Jurastudium, um in den Staatsdienst eintreten zu können. Mit 22 verliebt er sich in die drei Jahre jüngere Fanny Greipl und wirbt viele Jahre um sie. Ohne Erfolg: Als mittelloser Student hat er bei Fanny und ihrer Familie keine Chance. Aus Enttäuschung beginnt er eine Beziehung zu der ungebildeten Putzmacherin Amalie Mohaupt, die er, als Fanny ihn wiederholt abweist, schließlich heiratet; die Ehe ist unglücklich und bleibt kinderlos. Beruflich hat Stifter ebenso wenig Erfolg: Das ungeliebte Studium bricht er nach vier Jahren ab und hält sich von da an mühsam als Hauslehrer über Wasser. In seiner Freizeit dichtet und malt er. Einen ersten literarischen Erfolg erringt er 1840 mit der Erzählung Der Condor. Mit den folgenden Werken, u. a. Die Mappe meines Urgroßvaters (1841) und Bunte Steine (1853), wird er bekannt, aber seine späteren Arbeiten, darunter die Romane Der Nachsommer (1857) und Witiko (1865–1867), stoßen bei Kritikern und Lesern größtenteils auf Ablehnung. Als Pädagoge ist Stifter seiner Zeit voraus, aber auch das bringt ihm mehr Ärger als Erfolg ein. So wird er zwar 1850 zum Schulrat ernannt, kann aber seine Vorstellungen nicht durchsetzen und empfindet das Amt bald als Last. Ein von ihm verfasstes Schulbuch wird abgelehnt und erst nach dem Zweiten Weltkrieg in Bayern verwendet. Er holt zwei Pflegetöchter ins Haus, von denen eine an Tuberkulose stirbt; die andere nimmt sich mit 18 Jahren das Leben. Mit zunehmendem Alter wird Stifter verbittert, depressiv und hypochondrisch. Er erkrankt an Leberzirrhose und im Dezember 1867 an einer schweren Grippe. Am 26. Januar 1868 schneidet sich der Todkranke nachts mit einem Rasiermesser in den Hals und stirbt zwei Tage später. Ob es Selbstmord war oder ein Unfall, ob er an diesem Schnitt starb oder an der Krankheit, konnte nie eindeutig geklärt werden.

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