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Zeit und Freiheit
Buch

Zeit und Freiheit

Paris, 1889
Diese Ausgabe: Europäische Verlagsanstalt, 2012 Mehr

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Literatur­klassiker

  • Philosophie
  • Moderne

Worum es geht

Zeit als inneres Erleben

In seinem 1889 erschienenen Hauptwerk Zeit und Freiheit holt der junge Henri Bergson zu einem Rundumschlag gegen Positivismus, Rationalismus und vor allem gegen Kants mechanistischen Zeitbegriff aus. Was wir als Zeit erleben, so die provokante These des französischen Philosophen, ist tatsächlich ein Konstrukt unseres Bewusstseins. Unser zur Abstraktion fähiger Verstand ordnet Gefühle und Empfindungen, als handelte es sich dabei um Gegenstände im Raum. In Wirklichkeit aber fließen Bewusstseinsströme ineinander und färben psychische Zustände auf unser gesamtes Innenleben ab. Dieses ständige Werden und Vergehen ist nach Bergson die wahre Zeit, die sich weder messen noch mit dem Verstand analysieren, sondern nur intuitiv erfassen lässt. Unter der Kruste unseres oberflächlichen Ichs lagert ein tieferes Ich, das es zu entdecken gilt. Ohne ins Esoterische zu verfallen, weist Bergson auf die Grenzen unseres Intellekts hin und fordert, dass wir uns auf das innere Erleben konzentrieren, statt wie Automaten zu funktionieren. Sein Werk übte großen Einfluss auf Philosophie und Literatur der Moderne aus.

Zusammenfassung

Qualitative Veränderungen von inneren Gefühlen

In der Philosophie wie auch in unserer Alltagssprache wenden wir quantitative Begriffe auf innere Zustände an. Wir sagen, ein Körper sei größer oder kleiner als ein anderer, und ebenso sprechen wir von Empfindungen oder Gefühlen, die stärker oder schwächer sind als andere. Im Hinblick auf den Raum sind Größenunterschiede klar definiert: Der größere Raum ist derjenige, der den kleineren enthält. Wie aber soll man sich das bei Gefühlen vorstellen? Ist in dem intensiveren Gefühl bereits das weniger intensive inbegriffen, so wie in der größeren Zahl die kleinere enthalten ist? Müssen wir, um eine intensive Empfindung zu haben, zuvor die weniger intensiven verspürt haben? Dass die äußere Ursache, die zu einer Empfindung führt, nicht messbar ist, lassen wir außer Betracht. Wie selbstverständlich gehen wir davon aus, dass das Ziehen eines Zahnes schmerzhafter ist als das Ausziehen eines Haares.

Das Grundproblem ist, dass wir für verschiedene Intensitäten eines Gefühls denselben Begriff gebrauchen. Besonders deutlich wird das bei jenen Empfindungen, die gar keiner äußeren Einwirkung bedürfen. Da ist beispielsweise zunächst ein...

Über den Autor

Henri Bergson wird am 18. Oktober 1859 als Sohn des jüdischen Komponisten Michal in Paris geboren. Während seiner Schulzeit wird er für eine mathematische Problemlösung ausgezeichnet. Er beschließt, Literatur und Philosophie zu studieren und besucht von 1877 bis 1881 die berühmte Pariser École normale supérieure. Nach dem Examen in Literatur legt er die Prüfung für eine Gymnasialprofessur in Philosophie ab. Dieses Fach unterrichtet er in den folgenden Jahren, zunächst in Angers, dann in Clermont-Ferrand. Neben seiner Lehrtätigkeit widmet er sich seinen philosophischen Schriften. Sein erstes Hauptwerk ist der 1889 als Teil seiner Promotion an der Sorbonne entstandene Essay Zeit und Freiheit (Essai sur les donnés immédiates de la conscience). Als zweites Hautpwerk gilt das 1896 erschienene Materie und Gedächtnis (Matière et mémoire)Das dritte, Schöpferische Entwicklung (L’Evolution créatrice), erscheint 1907 und bringt Bergson internationalen Ruhm ein. Sein viertes Hauptwerk ist Die beiden Quellen der Moral und der Religion (Les deux sources de la morale et de la réligion, 1932). 1890 kann Bergson nach erfolgreicher Habilitation an ein Pariser Gymnasium wechseln. Zwei Jahre später heiratet er und wird Vater einer Tochter. 1900 erscheint sein Essay Das Lachen (Le rire), der sich mit einer Theorie des Komischen beschäftigt und großen Einfluss auf den Symbolismus haben wird. Bergson erhält einen Lehrstuhl am renommierten Collège de France, wird in die Académie française aufgenommen und hält unter anderem Vorträge in Oxford und Cambridge. Im Ersten Weltkrieg übernimmt er verschiedene diplomatische Missionen, deren wichtigste darin besteht, den US-Präsidenten Wilson zur Unterstützung Frankreichs im Krieg gegen Deutschland zu bewegen. 1927 erhält er den Nobelpreis für Literatur. In seinen letzten Lebensjahren leidet Bergson an einer rheumatischen Erkrankung und lebt zurückgezogen. Obwohl er sich dem katholischen Glauben verbunden fühlt, lässt er sich 1940, nachdem auch in Frankreich antisemitische Tendenzen zunehmen, demonstrativ als Jude eintragen und gibt damit alle Titel, Mitgliedschaften und Auszeichnungen auf. Henri Bergson stirbt am 4. Januar 1941 in Paris.


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