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Zwei Abhandlungen über die Regierung

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Zwei Abhandlungen über die Regierung

Suhrkamp,

15 Minuten Lesezeit
12 Take-aways
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Was ist drin?

John Lockes Einfluss reicht weit: Politische Gewaltenteilung, Sicherung des Privateigentums und bürgerliche Freiheit haben wir seiner Staatstheorie zu verdanken.


Literatur­klassiker

  • Philosophie
  • Frühe Neuzeit

Worum es geht

Grundpfeiler der Demokratie und des Liberalismus

Die moderne Gesellschaft hat John Locke (1632-1704) einiges zu verdanken. Die Ideen des englischen Philosophen, Pädagogen und Staatstheoretikers sind die Prinzipien und Grundfesten jeder Demokratie geworden: Gewaltenteilung, Souveränität des Volkes und Wahrung des Privateigentums. Locke wendet sich in seinen Zwei Abhandlungen über die Regierung gegen das um 1700 nicht nur in Frankreich sehr populäre Modell der absolutistischen Monarchie. Besonders polemisiert er gegen Sir Robert Filmer und dessen Schrift Patriarcha or The Natural Powers of Kings (erschienen 1680). Locke setzt diesem ausgesprochenen Monarchisten ein liberales Verständnis des Zusammenspiels von Volk und Regierung entgegen. Im Zentrum von Lockes Liberalismus steht die individuelle Freiheit und damit die Ablehnung jedweder autoritären Einmischung. Der Liberalismus wendet sich gegen staatliche Gängelung, wobei freilich die Notwendigkeit des - demokratisch legitimierten - staatlichen Gewaltmonopols zur Wahrung der Freiheit nicht infrage gestellt wird. Lockes Gedankengut fiel im Zeitalter der Aufklärung auf fruchtbaren Boden; es findet sich sowohl in der Unabhängigkeitserklärung der USA von 1776 als auch in der französischen Verfassung von 1791 wieder. Locke kann somit als Urvater des Liberalismus angesehen werden.

Take-aways

  • Das Buch Zwei Abhandlungen über die Regierung ist John Lockes wichtigster Text zur Staatstheorie und die Grundschrift des politischen Liberalismus.
  • Locke richtet sich gegen die Idee eines absoluten Herrschers "von Gottes Gnaden" und spricht sich für eine vom Volk eingesetzte Regierung aus.
  • Im "Naturzustand" ist jeder Mensch frei und unabhängig: Das Streben nach persönlichem Glück und der Erwerb von Eigentum durch Arbeit sind selbstverständlich.
  • Mit der Einführung von Geld als Tauschmittel wird diese natürliche Ordnung zerstört.
  • Um Leben und Eigentum besser zu schützen, geben die Menschen ihr Recht auf vollständige Selbstentfaltung auf und schließen sich zu einem Staatswesen zusammen.
  • Die staatliche Gewalt muss geteilt und dem Volk unterstellt werden.
  • Die Legislative als höchste Instanz im Staat verfasst Gesetze, die allgemein verbindlich, klar formuliert und jedermann zugänglich sein müssen.
  • Die Exekutive (der König oder eine gewählte Regierung) wacht über die Einhaltung der Gesetze und ist dabei selbst an sie gebunden.
  • Falls Legislative oder Exekutive gegen das Volk arbeiten und das Eigentum oder gar Leib und Leben der Bürger angreifen, hat das Volk das Recht, die Regierung abzusetzen.
  • Locke postuliert eine liberale Gesellschaftsordnung, im Gegensatz zu Hobbes, der Sicherheit für alle nur in der Unterordnung unter einen absoluten Herrscher garantiert sieht.
  • Leben, Freiheit und Eigentum bezeichnet Locke als unveräußerbare Rechte. Für ihn sind die Menschen vor dem Gesetz gleich, jedoch ungleich in vieler anderer Hinsicht, auch was das Eigentum betrifft.
  • Lockes Werk beeinflusste die Autoren der französischen Verfassung nach der Revolution von 1789 sowie diejenigen der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776.

Zusammenfassung

Der Herrschaftsbegriff

Es fängt an in der Bibel: Gott verleiht Adam die Macht über alle niederen Tiere auf Erden, doch hat er damit nicht den Menschen einbezogen. Adam und seine Nachkommen, d. h. auch die heutigen Könige und Herrscher, haben kein nachweisbares von Gott verliehenes Herrschaftsrecht. Im Gegenteil: Monarchen regieren häufig nach eigenem Gutdünken. Vorschriften und Gesetze sind nur für ihre Untertanen bindend. Eine solche Herrschaft ist rein willkürlich und entspricht keinesfalls der Natur des Menschen. Denn eine gerechte Gesellschaft kann es nur dann geben, wenn sich ihr alle Individuen freiwillig unterordnen und Gesetzgebung sowie Vollstreckung an getrennte, vom Volk gewählte Instanzen übertragen.

Die erste Phase des Naturzustands

Im ursprünglichen Naturzustand sind alle Menschen gleich, frei und unabhängig. Niemand ist der Herrschaft eines anderen unterworfen. Die Gaben Gottes wie Früchte, Wasser und niedere Lebewesen dienen allen als Nahrung. Ein jeder darf nehmen, was er zum Leben braucht, ohne jedoch einem anderen etwas zu entwenden, weil alle die gleiche Pflicht zur Selbsterhaltung haben. Das Streben nach Glück ist damit für alle legitim. Außerdem kann sich jeder Privateigentum schaffen, indem er sich die von Gott gegebenen Gaben durch Arbeit aneignet. Das ist sogar lobenswert, denn damit trägt er auch zur Versorgung aller bei. Wer beispielsweise ein Feld bestellt, erzeugt ein Vielfaches an Getreide davon, was ein naturbelassenes Feld tragen würde. Jeder darf aber nur so viel Früchte und Fleisch nehmen, wie er selbst verbrauchen kann. Etwas verderben zu lassen ist Frevel und daher strafbar.

„Das Eigentum des Menschen an den Geschöpfen war aus seinem Recht begründet, von jenen Dingen Gebrauch zu machen, die für sein Dasein notwendig oder nützlich waren.“ (S. 136)

Wenn ein Individuum jemandem Schaden an Leib oder Besitz zufügt, ist es das Recht des Angegriffenen, sich zu wehren, indem er den Täter nach eigenem Ermessen bestraft. Strafen dienen dabei auch der Abschreckung, denn ein Diebstahl ist ein gefährlicher Eingriff in die natürliche Ordnung. Wenn das Verbrechen nach Meinung des Geschädigten besonders ruchlos ist, ist es auch legitim, den Täter zu töten. So kann ein Mensch jeden bestrafen, der die ungeschriebenen Gesetze verletzt. Denn im Naturzustand ist jedes Individuum Richter und Vollstrecker zugleich.

Die zweite Phase des Naturzustands

Was man sich durch Arbeit zu eigen gemacht hat, kann man gegen die Güter der anderen eintauschen. Da aber viele Waren schnell verderben, sammelt, jagt oder produziert jeder nur kleine Mengen. Jetzt geht die Naturgesellschaft einen entscheidenden Schritt weiter: Durch ein Abkommen der Menschen wird haltbaren Gegenständen wie Gold, Silber, Edelsteinen und letztendlich Geld ein Wert beigemessen, den sie an sich nicht besitzen, der aber Grundlage für den Handel ist. Dadurch wird es möglich, eine größere Menge Früchte zu ernten und diese für Geld zu verkaufen. Der Gewinn kann nicht vergehen oder verfaulen, wie es bei zuvor eingetauschten Waren der Fall war. Darüber hinaus kann er zum Erwerb aller möglichen Dinge benutzt werden. Da man durch die Anhäufung von Gold niemandem etwas wegnimmt, ist diese Art, Privateigentum zu erwerben, legitim. In der Folge erwirbt der Fleißige mehr Besitz als der Faule, da er mehr Land bebaut oder mehr Wild erlegt. Denn: Reiche Ernte bringt jetzt auf jeden Fall Gewinn.

„Die natürliche Freiheit des Menschen liegt darin, von jeder höheren Gewalt auf Erden frei zu sein.“ (S. 213)

Deshalb werden die Landflächen, die ein Einzelner bewirtschaftet, größer, und jeder eignet sich so lange Land an, bis schließlich alles verteilt ist. Als Folge ist nicht nur alles Land in Privatbesitz, die Verteilung des Privateigentums ist auch in nie gekanntem Maße ungleich. Mancher hat ein viel besseres Stück Land als sein Nachbar, der, vom Neid getrieben, ihm dieses wegzunehmen versucht. Der durch Arbeit rechtmäßige Besitzer kann sein Land nicht in Frieden bestellen und macht sich seinerseits daran, den Widersacher zu strafen. Auf diese Weise wird ein sehr gefährlicher und unsicherer Zustand erreicht. Niemand kann in Frieden leben und sich nach dem göttlichen Gesetz selbst erhalten. Zornige Opfer von Übergriffen töten Diebe, wobei sie als direkt Betroffene härter und rachsüchtiger vorgehen als Außenstehende, die sich aus Trägheit und Faulheit nicht darum kümmern. Die Folge: Straftäter werden von Fall zu Fall unterschiedlich bestraft.

Die bürgerliche Gesellschaft

In diesem chaotischen Zustand, wo ein jeder in Angst um sein Leben und sein Eigentum ist, sind die Menschen bereit, ihre zwei wichtigsten Rechte zugunsten eines besseren Schutzes aufzugeben: das Recht, sich selbst nach eigener Vorstellung zu erhalten, und das Recht, einen Übeltäter nach Gutdünken zu bestrafen. Doch niemand kann ohne seine Einwilligung der Herrschaft eines anderen unterworfen werden. Nur wenn jeder Mensch freiwillig seine naturgemäße Freiheit aufgibt, kann aus der Gemeinschaft aller ein politischer Körper und damit eine bürgerliche Gesellschaft entstehen. Wenn sich Menschen zu einem Staatswesen zusammenschließen, erreichen sie gegenüber dem Naturzustand eine höhere Ebene: Gemeinsam können sie den Chaoszustand überwinden und ihr Leben und ihr Eigentum besser schützen. Jeder Einzelne unterstellt dazu seinen Willen der Gemeinschaft.

„Der vollkommene Zustand der Sklaverei ist nichts anderes als der fortgesetzte Kriegszustand zwischen einem rechtmäßigen Eroberer und einem Gefangenen.“ (S. 214)

Fortan gilt deshalb immer der Wille der Mehrheit. Höchstes Ziel der bürgerlichen Gemeinschaft ist der Schutz ihrer Mitglieder und deren Privateigentums gegen Gefahren von außen. Den Mitgliedern der neuen Gemeinschaft entsteht durch die Aufgabe ihrer Grundrechte kein Verlust: Indem sie ihre Rechte in die Gemeinschaft einbringen, können sie ruhiger leben und im Bedarfsfall die Gemeinschaft um Hilfe bitten. Und da jeder an der Schaffung von Gesetzen mitarbeiten kann (Legislative), entsteht so statt der Blutrache ein System der Gerichtsbarkeit. Die Gesetze, die die Gemeinschaft bzw. die von ihr autorisierten Individuen verabschieden, finden stets gleiche Anwendung.

Die Mitgliedschaft in der bürgerlichen Gesellschaft

Ein Einzelner wird nur dann Mitglied in der bürgerlichen Gesellschaft, wenn er diesen Wunsch ausdrücklich kundtut. In diesem Fall erkennt er die demokratisch gewählte Herrschaft ohne Zweifel an und ist selbst ein vollwertiges Mitglied der Gemeinschaft. Wenn jemand seine Zugehörigkeit nicht ausdrücklich erklärt, aber friedlich im Herrschaftsgebiet einer Regierung lebt, so kann man von einer stillschweigenden Zugehörigkeit ausgehen. Sein Besitz wie auch seine körperliche Unversehrtheit unterliegen daher ebenfalls dem Schutz der Gemeinschaft. Erwirbt jemand durch Erbe oder Ankauf ein Stück Land in einem anderen Herrschaftsgebiet, so unterwirft er sich dadurch stillschweigend dessen Regierung. Auf der anderen Seite steht es ihm jedoch frei, das Land wieder zu verkaufen. Er ist dann nicht mehr an die Herrschaft der Regierung gebunden und kann seiner Wege gehen. In der bürgerlichen Gesellschaft sind, wie im Naturzustand, alle Menschen gleich. Ein Großkaufmann hat nicht mehr Rechte als der kleinste Bauer. Wer aber überhaupt kein Eigentum besitzt, ist kein Mitglied der Gesellschaft, da er ihr nichts zu bieten hat.

Gleiche unter Gleichen

Der Mensch ist ein freies, vernunftbegabtes Wesen und unterwirft sich einer Herrschaft nur, wenn er es selbst will. Die Eltern entscheiden nur so lange für ein Kind, bis es in der Lage ist, selbst vernünftig zu handeln. Zwar muss das Kind die Eltern als seine Erzeuger, die es aufgezogen haben, lebenslang ehren, und die kindliche Rücksichtnahme verlangt, dass es ihnen im Alter hilft, doch untersteht es nicht der Herrschaft der Eltern, sondern ist ein freier Mensch. Ebenso ist die Frau nicht dem Manne untertänig. Steht ein freies Individuum bei einem anderen in Lohn und Brot, so ist es nur so lange Knecht, wie es für den anderen Arbeiten verrichtet. Nur durch einen gegenseitigen Vertrag billigt es dem Arbeitgeber für eine vereinbarte Zeitdauer ein gewisses Maß an Herrschaft zu. Anders liegt der Fall bei Kriegsgefangenen: Sie stehen unter absoluter Herrschaft ihres Herren und sind damit Sklaven. Sie haben jedes Recht auf Selbstbestimmung und Eigentum verwirkt und können nicht Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft werden.

Die Legislative

Die Gesetzgebung liegt bei einem Gremium, das von den Mitgliedern der Gemeinschaft gewählt wird. Demnach kann es niemals eine Legislative ohne Zustimmung des Volkes geben. Da die Legislative auf dem Willen des Volkes beruht, müssen ihr alle unbedingten Gehorsam entgegenbringen. Keinen Gehorsam verdienen dagegen Regeln, die vom Volkswillen abweichen oder die von irgendeinem fremden Herrscher aufgestellt wurden. Da das Individuum in der Gesellschaft zwei Grundrechte aufgibt (absolute Freiheit und Blutrache), hat die Legislative insgesamt nicht mehr Macht als die Gesetze im Naturzustand. Daraus leitet sich ab, dass das oberste Gesetz der Erhaltung der Gemeinschaft dient. Dies steht sogar über der gesetzgebenden Autorität, deren Gründung erst der zweitwichtigste Schritt ist.

„Obwohl das Gesetz der Natur für alle vernunftbegabten Wesen klar und verständlich ist, werden die Menschen doch durch ihr eigenes Interesse beeinflusst.“ (S. 278)

Was ist also der Zweck der Legislative? Erstens: Die Gesetze müssen feststehend sein und öffentlich bekannt gemacht werden. Auf diese Weise wird die Macht der Herrschenden beschränkt, da sie nicht nach Gutdünken eigene Regeln und Maßnahmen ergreifen können, denen das Volk nicht zugestimmt hat. Die Mitglieder der Gesellschaft können in geordneten Verhältnissen leben und haben genaue Kenntnis ihrer Pflichten. Zweitens: Durch die Gesetze muss klar geregelt sein, dass die Herrschenden dem Volk nicht sein Eigentum oder Teile davon wegnehmen können, denn sonst hätten ja die Menschen, die sich mit ihrem Besitz in die Gemeinschaft eingebracht haben, das Gegenteil von dem erreicht, was sie wollten. Drittens: Es müssen Steuern gezahlt werden, um die Gemeinschaft zu erhalten, doch dürfen diese nur mit Zustimmung der Mitglieder erhoben werden. Andernfalls würde das Recht des Eigentums wiederum verletzt. Schließlich darf die Legislative nicht von den gewählten Personen auf andere übertragen werden.

Die Exekutive

Da der Mensch stets nach Macht strebt, ist es sinnvoll, Legislative und Exekutive zu trennen. Sonst könnte derjenige, der ein Gesetz erlässt und es gleichzeitig vollstreckt, das Urteil zum eigenen Vorteil sprechen oder gar Gesetze nach eigenem Gutdünken erlassen. Die Legislative ist die höchste Instanz, denn nur als solche kann sie Gesetze verordnen, die von allen akzeptiert und befolgt werden. Da diese Gesetze immer nach dem gleichen Maßstab und unverzüglich vollstreckt werden müssen, ist es sinnvoll, dass die Exekutive ein ständiges Gremium ist, während sich die Mitglieder der Legislative nicht laufend zu treffen brauchen.

„Das große und hauptsächliche Ziel, weshalb Menschen sich zu einem Staatswesen zusammenschließen und sich unter eine Regierung stellen, ist also die Erhaltung ihres Eigentums.“ (S. 278)

Neben der exekutiven gibt es noch die föderative Gewalt, die dann auf den Plan tritt, wenn ein Gesetz nach außen hin zum Schutz der Gemeinschaft angewendet wird, wenn es also z. B. um Krieg oder Frieden oder um Bündnisse mit anderen Staaten geht. Exekutive und föderative Gewalt liegen in einer Hand, da sonst der Wille des Volkes nach innen und außen unterschiedlich vollstreckt würde. Wo die Legislative noch keine Gesetze oder Verordnungen erlassen hat, obliegt es der Exekutive, zum allgemeinen Wohl eine prärogative Macht, also eine Art "Notstandsrecht" auszuüben. Dies gilt auch, wenn im Sinne der Erhaltung der Gemeinschaft manche Urteile - streng nach Gesetz vollstreckt - zu hart ausfallen würden. Die Prärogative kann somit ohne Beachtung der Gesetze Straftäter begnadigen und sie entscheidet in allen rechtlichen Grauzonen. Solange das Wohl der Gemeinschaft dabei im Vordergrund steht und niemand zu Schaden kommt, ist die Prärogative eine legitime Macht. Denn da das Volk Legislative und Exekutive selbst gewählt hat, hat es bereits zugestimmt, dass die Herrschenden in Grenzfällen nach eigenem Gusto handeln, wobei sie auch gelegentlich gegen bestehende Gesetze entscheiden können.

„Wer immer die Legislative oder höchste Gewalt eines Staatswesens besitzt, ist verpflichtet, nach festen, stehenden Gesetzten zu regieren und nicht nach Beschlüssen des Augenblicks.“ (S. 281)

Wenn aber die Regierung ihren Spielraum gegen den Willen des Volkes ausnutzt und es willkürlich beherrscht oder sogar knechtet, gibt es dafür keinen Richter auf Erden. Das Volk hat dann keine andere Möglichkeit als eine höhere Instanz, nämlich den Himmel anzurufen - oder sich gegen die Willkürherrschaft aufzulehnen.

Zerfall der bürgerlichen Gesellschaft

Wird die Gemeinschaft durch einen Krieg unterworfen, so wird sie in ihren Grundfesten erschüttert und zerfällt. Der Eroberer nimmt den Besitz der Menschen und unterjocht sie, sodass es ihr natürliches Recht ist, die fremde Macht abzuschütteln. Die Individuen gleiten in diesem Fall zurück in den Naturzustand, womit sie auch ihre Grundrechte, sich selbst zu erhalten und Gegner zu bestrafen, zurückerhalten.

„Niemand kann eine Gewalt haben, der Gesellschaft Gesetze zu geben, es sei denn aufgrund ihrer eigenen Zustimmung und Autorität, die ihr von ihren Gliedern verliehen wurde.“ (S. 283)

Auch durch innere Erschütterungen kann das Staatswesen vernichtet werden. Der schwerwiegendste Fall ist die Änderung der Legislative. Wenn die Regierung willkürlich Gesetze erlässt, hat sie die höchste Macht im Staat an sich gerissen, ohne dass sie vom Volk dazu autorisiert wurde. Wenn die Regierung die Legislative an der Ausführung der ihr übertragenen Aufgaben hindert, indem sie ihr verbietet, Versammlungen abzuhalten, oder bei der Gesetzgebung eingreift, handelt sie ebenfalls frevelhaft. Ebenso, wenn die Herrschenden den Zeitpunkt für Wahlen und die Anzahl der Wahlberechtigten nach eigenem Ermessen ändern oder wenn sie zum eigenen Vorteil das Land einer fremden Macht übergeben, deren Herrschaft das Volk niemals zugestimmt hat. Zudem kann ein Staatswesen zerfallen, wenn die Exekutive aus Trägheit bestehende Gesetze nicht vollstreckt und damit der Anarchie Tür und Tor öffnet. In solchen Fällen ist es Pflicht, sich gegen die Ordnung aufzulehnen.

Zum Text

Aufbau und Stil

Die Zwei Abhandlungen über die Regierung sind in ihrer Bedeutung höchst unterschiedlich. In der ersten Abhandlung, die den programmatischen Titel Aufdeckung der falschen Prinzipien und Widerlegung der Begründung der Lehre Sir Robert Filmers und seiner Nachfolger trägt, wendet sich Locke mit viel Polemik gegen die Behauptung Filmers, Gott habe Adam die Gewalt über alle anderen Lebewesen gegeben und daraus ließe sich die Legitimität einer absolutistischen Monarchie ableiten, die in Erbfolge weitergegeben werde. Locke wendet sich also gegen die Idee der "Herrschaft von Gottes Gnaden". Aufbau und Stil entsprechen dem für heutige Leser etwas langatmig wirkenden Schema der scholastischen Beweisführung: Mithilfe der Bibel oder bedeutender Schriften antiker Philosophen und Kirchenväter werden die eigenen Thesen untermauert. Die zweite Abhandlung, die für Lockes Staatstheorie weit bedeutender ist, trägt den Titel: Über den wahren Ursprung, die Reichweite und den Zweck der staatlichen Regierung. Hierbei handelt es sich um den bedeutendsten Grundtext des liberalen politischen Denkens überhaupt. Im Vorwort weist Locke darauf hin, dass dies lediglich Anfang und Schluss eines viel umfangreicheren Werkes sei, das aber größtenteils verloren gegangen sei.

Interpretationsansätze

  • Lockes Definition des Naturzustands unterscheidet sich von der Sichtweise des Thomas Hobbes (1588-1679): Hobbes sieht darin den Kampf aller Individuen gegen alle, Locke hingegen einen Zustand der absoluten Freiheit der Menschen, die durch das Naturrecht davon abgehalten werden, sich gegenseitig Schaden zuzufügen.
  • Für Hobbes ist einzig ein absoluter Herrscher in der Lage, Sicherheit vor den brutalen Mitmenschen und vor einem Bürgerkrieg zu garantieren. Für Locke reichen demokratisch legitimierte Prozesse und Gesetze aus. So weist er der zivilen Gesellschaft den Weg.
  • Locke spricht sich für Gleichheit vor dem Gesetz, aber Ungleichheit des Besitzes aus. Ungleichverteilung von Wohlstand ist für ihn der natürliche Zustand einer freiheitlichen Gesellschaft.
  • Locke schafft mit seiner Idee der Gewaltenteilung (Exekutive und Legislative) die Grundlage einer freiheitlich-demokratischen Staatsordnung. Ein halbes Jahrhundert später schlägt Montesquieu die Jurisdiktion (Gerichtsbarkeit) als dritte Gewalt im Staat vor.
  • Der Legislative spricht Locke die größte Macht im Staat zu: Wenn ein Gesetz beschlossen ist, gibt es nichts mehr daran zu rütteln. Die Exekutive erscheint so als nachrangige Staatsfunktion.
  • Wenn die Regierung das Volk bestiehlt oder ihm Schaden zufügt, hat es nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht zur Revolution.
  • Lockes Gedanken waren für die damalige Zeit radikal. Erst 86 Jahre später wurden sie in den USA und 99 Jahre später in Frankreich (Französische Revolution) Realität.

Historischer Hintergrund

Von der Monarchie zum Parlamentarismus

Das 17. Jahrhundert war die Zeit des Absolutismus. In den meisten europäischen Ländern hatten Könige oder Fürsten die absolute Macht. England war eine Ausnahme: Hier gab es ein Parlament, das allerdings lange Zeit nur eine Versammlung königstreuer Untertanen war. Im Lauf des 17. Jahrhunderts wurde es jedoch immer stärker. Der Streit mit dem König eskalierte, ein Bürgerkrieg war die Folge, und 1649 beschloss das Parlament, den besiegten und abgesetzten König hinrichten zu lassen. Auf einen Schlag war England somit formal eine Republik - allerdings eine sehr fragile, denn mit Oliver Cromwell schwang sich schon bald ein neuer starker Mann zum Alleinherrscher auf. Bereits wenige Jahre später, nach dem Tod Cromwells, sah man ein, dass es vielleicht besser wäre, die Monarchie wiederherzustellen, um im Land Ruhe einkehren zu lassen. Und so holte man den Thronerben Karl II. Stuart aus dem französischen Exil zurück und installierte ihn als neuen König.

1688 wurde das politische System Englands ein weiteres Mal vollkommen neu definiert. Jakob II. hatte 1685 den Thron bestiegen und machte sich durch seine prokatholische Politik immer mehr Feinde. Im Juli 1688 baten Jakobs Gegner Wilhelm III. von Oranien, einen Protestanten aus Holland, um Hilfe. Im November des gleichen Jahres landete dieser mit einer Armee an der englischen Küste und zwang Jakob II. zur Flucht. Dieser unblutige Umsturz erhielt im Nachhinein den Namen "Glorious Revolution". Man bot Wilhelm die Krone Englands unter einer Bedingung an: Er müsse ein Papier unterschreiben, das die Rechte des Parlaments stärke. Wilhelm akzeptierte und wurde 1689 zum König gekrönt. Das Dokument, das er unterschrieben hatte, wurde als "Bill of Rights" allgemeines Gesetz. Es regelte u. a. die Zustimmungspflicht des Parlaments bei Gesetzen und Steuern, garantierte die parlamentarische Redefreiheit, schuf ein Petitionsrecht und Geschworenengerichte. Damit vollbrachte England den Übergang von der autokratischen Herrschaft zur parlamentarischen Monarchie.

Was in diesen 40 Jahren (zwischen 1649 und 1689) in England geschah - das Volk als Souverän, die Trennung der Gewalten, der Schutz der individuellen Freiheit und des Eigentums und vor allem die Regulierung der Gesellschaft durch formale Gesetze und nicht durch willkürliche Erlasse eines Herrschers -, war entscheidend für die weitere Entwicklung der westlichen Zivilisation. Aber noch fehlte es an einer Theorie, die dies alles erklärte. Diese schuf als Erster John Locke mit seinen Zwei Abhandlungen über die Regierung.

Entstehung

John Locke galt schon zu Lebzeiten als bedeutender Philosoph, besonders nach Erscheinen seines Hauptwerks An Essay Concerning Human Understanding (Ein Versuch über den menschlichen Verstand) im Jahr 1690. Erst Anfang des 18. Jahrhunderts wurde bekannt, dass auch die Two Treatises of Government (Zwei Abhandlungen über die Regierung) aus seiner Feder stammten, denn aus Angst vor Repressalien hatte er die Schrift 1690 anonym veröffentlicht. Der politische Hintergrund zu Lockes Zeiten war brisant: England wurde zwischen Monarchie, Bürgerkrieg und Parlamentarismus hin- und hergerissen. Locke wandte sich vehement gegen das "Gottesgnadentum" der Monarchisten und entwickelte ein Staatsmodell, das als liberal bezeichnet werden konnte.

Wirkungsgeschichte

Lockes Ideen beeinflussten zuerst die französischen Aufklärer. Die Idee eines Gesellschaftsvertrags findet sich in den Werken von Jean-Jacques Rousseau wieder. Rousseau entwarf selbst einen Gesellschaftsvertrag (Contrat social), welcher die politische Ordnung durch Vereinbarungen vorsah. Charles de Montesquieu propagierte genau wie Locke die Gewaltenteilung, um dem Machtmissbrauch eines Herrschers Schranken zu setzen. Seine bis heute gültige Variante der Gewaltenteilung setzt sich zusammen aus Legislative (gesetzgebende Gewalt), Exekutive (ausführende Gewalt) und Jurisdiktion (richterliche Gewalt). In Deutschland konnte Locke nie das Ansehen erreichen wie etwa in Frankreich: Seine bürgerliche Philosophie erschien den Deutschen zu bäuerisch und plump. Lockes Buch wurde denn auch in England, Frankreich und den USA weitaus öfter nachgedruckt als in Deutschland.

Besonders im jungen Amerika fielen Lockes Ideen auf fruchtbaren Boden. Thomas Jefferson schrieb in die amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776: ,,Folgende Wahrheiten erachten wir als selbstverständlich: dass alle Menschen gleich geschaffen sind; dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten ausgestattet sind; dass dazu Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören; dass zur Sicherung dieser Rechte Regierungen unter den Menschen eingesetzt werden, die ihre rechtmäßige Macht aus der Zustimmung der Regierten herleiten; dass, wenn immer irgendeine Regierungsform sich als diesen Zielen abträglich erweist, es Recht des Volkes ist, sie zu ändern oder abzuschaffen und eine neue Regierung einzusetzen und diese auf solchen Grundsätzen aufzubauen und ihre Gewalten in der Form zu organisieren, wie es ihm zur Gewährleistung seiner Sicherheit und seines Glückes geboten zu sein scheint." Lockes Ideen sind hier fast Wort für Wort politische Realität geworden.

Über den Autor

John Locke wird am 29. August 1632 in Wrington, Somerset geboren. Durch gute Beziehungen seines Vaters kann Locke 1647 in die angesehene Westminster School eintreten und lernt dort Griechisch, Latein, Hebräisch, Rhetorik, Politik und Logik. 1652 erhält er ein Stipendium für ein Studium am Christ Church College in Oxford, wo er der scholastischen Erziehung der Zeit entsprechend in Logik, Metaphysik und den klassischen Sprachen unterwiesen wird. Locke hält diese Fächer zwar für Zeitverschwendung, doch legt er 1656 den Bachelor of Arts und 1658 den Magister Artium ab. Er bleibt als Tutor am College und studiert nun die Fächer, die ihn wirklich interessieren: Naturwissenschaften und Medizin. 1660 verfasst er die Schrift Rechte der Obrigkeit in Glaubensangelegenheiten, in der er erörtert, wodurch sich eine Staatsgewalt legitimiert. In diesem Zusammenhang beschäftigt er sich in den folgenden Jahren intensiv mit dem Naturrecht, das damals Grundlage jeder politischen Theorie ist. 1667 wird Locke Leibarzt von Lord Anthony Ashley Cooper, dem späteren Grafen von Shaftesbury, und steigt dadurch in die "High Society" auf. Nach der Absetzung Shaftesburys geht Locke ins holländische Exil, wo er den größten Teil der Zwei Abhandlungen über die Regierung verfasst. 1691 kehrt er bereits krank nach England zurück, wo ihm König Wilhelm III. von Oranien ein Amt im Handelsministerium gibt. Er lebt und arbeitet im Landhaus von Freunden in Oates, in der Nähe von London. Am 18. Oktober 1704 stirbt Locke.

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