Ernest Hemingway
Der alte Mann und das Meer
Rowohlt, 2005
What's inside?
Hemingways Triumph: Sein letztes Buch wurde ein Meisterwerk und eine nobelpreisgekrönte Weltsensation.
- Novelle
- Moderne
Worum es geht
Parabel über den Daseinskampf des Menschen
Der alte Mann, sein Boot, der ihn bewundernde Junge, das Meer, ein paar Wolken, zwei, drei Fische, die verspeist werden, der große Fisch, mit dem er drei Tage hindurch kämpft, und schließlich die Haie - das sind nahezu alle Beteiligten dieser weltberühmten Erzählung. Hemingways letztes vollendetes Werk war ein Triumph über seine Kritiker, die ihn nach einigen Misserfolgen schon für literarisch tot erklärt hatten. Die sofort um sich greifende Begeisterung für Der alte Mann und das Meer war in den Jahren nach dem Erscheinen 1952 so groß, dass das Buch sogar in der Begründung für den Literaturnobelpreis erwähnt wurde, den Hemingway zwei Jahre später erhielt. Mit sparsamen Mitteln schildert der Autor den einsamen, dreitägigen Kampf eines vom Glück verlassenen alten Fischers mit einem großen Fisch. Unter Aufbietung aller Kräfte, aller Erfahrung und allen Geschicks gewinnt der alte Mann schließlich den Kampf - doch dann kommen die Haie ... Eine sehr bewegende Lektüreerfahrung!
Take-aways
- Mit Der alte Mann und das Meer triumphierte Hemingway nach langer Schaffenskrise über seine Kritiker, die ihn schon aufgegeben hatten.
- Hemingway schrieb mit erzählerischer Leichtigkeit eine vollendete und gültige Parabel über das menschliche Dasein.
- Der alte kubanische Fischer Santiago wagt sich nach 84 Tagen ohne Fang erneut aufs Meer. Diesmal hat er Glück; ein besonders großer Fisch beißt an.
- Doch der Fisch schluckt den Köder nicht, sondern zieht den Fischer in seinem Boot weit aufs Meer hinaus.
- Unter Aufbietung all seiner Erfahrung kämpft Santiago zwei Tage und Nächte lang gegen das Tier.
- Schließlich ermüdet der Fisch, der alte Mann harpuniert ihn und vertäut ihn an der Außenseite des Bootes.
- Auf der Rückfahrt reißen Haie immer größere Stücke aus dem Fischkadaver.
- Der alte Mann wehrt sie mit Harpunenstichen und Hieben ab, doch er unterliegt der Übermacht.
- Völlig erschöpft schleppt er sich am Strand in seine Hütte; am Boot hängt nur noch das Skelett des Fisches.
- Santiago hat zwar den Kampf gegen die Haie verloren, aber er hat sich und allen anderen bewiesen, dass er nach wie vor ein großer Fischer ist.
- Hemingway zeigt: Selbst in größter Not weiterzukämpfen und durchzuhalten machen Wert und Würde eines Menschen aus.
- Zwei Jahre nach der Veröffentlichung der Novelle erhielt der Autor den Nobelpreis.
Zusammenfassung
Vom Glück verlassen
Seit 84 Tagen wird Santiago, ein alter kubanischer Fischer, vom Pech verfolgt, denn er hat in dieser Zeit keinen einzigen Fisch gefangen. Auch wenn der alte Mann als armer Witwer kaum Bedürfnisse hat und keine Familie ernähren muss, sind 84 Tage ohne Fang eine traurige Bilanz, denn sie sind noch schlimmer als Armut, sie bedeuten: nichts haben. Die übrigen Fischer bedauern den alten Mann im Stillen, halten sich aber fern. Nur der Junge Manolin, den der alte Mann schon als Fünfjährigen mit hinaus aufs Meer genommen hat, liebt und bewundert ihn. Manolin kommt jeden Abend an den Strand und hilft dem alten Mann mit dem Boot, dem Mast, dem Segel, den Leinen, der Harpune. Mit ihm hinauszufahren haben die Eltern dem Jungen aber inzwischen verboten: Es klebt zu viel Pech an dem alten Mann und seinem Boot. Auch Santiago möchte, dass der Junge lieber bei den anderen in deren Glücksboot mitfährt. Sie machen reichen Fang.
Baseball und Löwen in Afrika
Der Junge gibt dem alten Mann am Abend im Strandrestaurant ein Bier aus. Er erzählt von vergangenen Zeiten. Manolin drängt Santiago förmlich auf, ihm frische Köder für den folgenden Tag besorgen zu dürfen, der ein besonders guter zu werden verspricht: sei es weil die 85 eine Glückszahl ist, sei es weil die Strömungen jetzt im September für große Fische günstig sind. Bevor sich der Junge wegen der frischen Köder mit dem Käscher an den Strand aufmacht, unterhalten sich die beiden über die Ergebnisse und Aussichten der amerikanischen Baseball-Ligen, ein wichtiges Thema für den alten Mann, der Joe DiMaggio, einen der berühmtesten Baseball-Spieler aller Zeiten, sehr bewundert. Santiago hat gehört, dass Joe DiMaggio der Sohn eines Fischers sei, und er fühlt sich diesem Spieler tief verbunden.
„Er war ein alter Mann, der allein in einem kleinen Boot im Golfstrom fischte, und er war jetzt vierundachtzig Tage hintereinander hinausgefahren, ohne einen Fisch zu fangen.“ (S. 7)
Der Junge sorgt dafür, dass der alte Mann wenigstens eine warme Abendmahlzeit zu sich nimmt, die er ihm aus dem Strandrestaurant in die Fischerhütte bringt. Der Wirt hat freiwillig eine Flasche Bier dazugegeben. Manolin hat sich bei diesem bereits im Namen des alten Mannes bedankt. So erspart er ihm eine Demütigung. Der Junge ermahnt sich, für Santiago in Anbetracht des herannahenden Winters noch ein Hemd, eine Decke, Schuhe sowie Seife und ein Handtuch aufzutreiben. Das einzige Hemd des alten Mannes ist schon zu oft mit Flicken ausgebessert worden. Beim gemeinsamen Essen unterhalten sie sich weiter über amerikanische Baseball-Größen. Der Junge sagt, für ihn sei der alte Mann der größte aller Fischer. Als es vollends dunkel ist, verabschiedet sich Manolin und Santiago legt sich schlafen. Er träumt von seiner Jugendzeit. Seine ersten Fahrten als Fischer führten ihn bis vor die Küste Afrikas, wo er die großartige Landschaft bewunderte und wo er Löwen beobachtete, die in der Dämmerung bis an die Ufer kamen und wie junge Katzen spielten.
Der 85. Tag
Früh am nächsten Morgen, noch in der Dunkelheit, machen Santiago und Manolin das Boot klar und trinken zusammen einen Kaffee. Dann rudert der alte Mann hinaus, genauso wie die anderen Fischer, die man nicht sehen, sondern nur hören kann. Der alte Mann hat sich vorgenommen, an diesem Tag weit hinauszufahren, in der Hoffnung, dass ihm das Meer dort, wo die Thunfisch- und Albacoreschwärme ziehen, einen großen Fang beschert. Er hofft darauf eher wie auf eine Gabe, die ihm das Meer gewährt, als wie auf eine Beute, die dem Meer abgerungen werden muss, so wie es die jüngeren Fischer sehen, die sich teilweise schon mit Motorbooten und Schleppnetzen ausgerüstet haben.
„Alles an ihm war alt bis auf die Augen, und die hatten die gleiche Farbe wie das Meer und waren heiter und unbesiegt.“ (S. 8)
Als die Sonne aus dem Meer empor und immer höher steigt, ist der alte Mann an der gewünschten Stelle. Er wirft seine Leinen mit den Ködern ins Wasser und richtet sie aus. Er weiß, dass er sein Handwerk beherrscht und nichts falsch macht. Was er nun noch benötigt, ist Glück - das, was ihm an vielen vergangenen Tagen gefehlt hat. Währenddessen beobachtet er die Vögel, die Wasseroberfläche, die fliegenden Fische, das Plankton, die Wolkenformationen. All das kann er "lesen" und Vermutungen über die Position von Fischen anstellen. Er greift zu den Riemen und rudert langsam weiter. Die eigentliche Küstenlinie ist inzwischen außer Sicht geraten, nur noch die Hügelkuppen blinken aus der Ferne herüber. Der alte Mann beobachtet einen über der Wasseroberfläche kreisenden Vogel, der ihm einen Thunfischschwarm anzeigt, und es gelingt ihm, einen kleinen Zehnpfünder einzuholen. Doch das ist noch nicht der Fang, auf den er eigentlich hofft.
„Er träumte nicht mehr von Stürmen oder von Frauen, noch von großen Ereignissen, noch von großen Fischen, noch Kämpfen und Kraftproben, noch von seiner Frau. Er träumte jetzt nur noch von Orten und Gegenden und von den Löwen am Ufer.“ (S. 25)
Santiago beginnt Selbstgespräche zu führen, wobei ihm bewusst ist, dass es unter Fischern nicht als Tugend gilt, überflüssige Worte zu machen. Er spricht mit sich über das Leben im Meer, die schönen, aber giftigen Nesselquallen, die verschiedenen Schildkrötenarten, denen wegen ihres bisweilen skurrilen Verhaltens und ihres langen Lebens etwas Mystisches anhaftet. Der alte Mann erteilt sich förmlich die Erlaubnis zu Selbstgesprächen, da er weiß, dass er keineswegs verrückt ist und dass die reichen Fischer stattdessen in ihren Booten einfach das Radio einschalten und den Baseballberichten lauschen.
Der Kampf mit dem Fisch
Plötzlich spürt Santiago ein Zupfen und Rucken an einer Leine. Er weiß sofort: Ein großer Fisch frisst an den Ködern, aber den Haken hat er noch nicht verschluckt. Der alte Mann hält die Leine zwischen Daumen und Zeigefinger und spürt, was unten vorgeht. Es dauert eine geraume Weile, der Fisch nagt nur die Köder ab, und der alte Mann betet, er möge auch den Thunfischkopf mit dem Haken schlucken. Dann ist es so weit. Der Fisch, offenbar ein Marlin, hat den Köder im Maul, schwimmt damit von dannen und zieht das Boot an der Leine mit sich. Jetzt erst kommt die Kunst und Erfahrung des alten Fischers wirklich zur Geltung. Santiago muss nun mit großem Geschick der Leine nachgeben, sie aber gleichzeitig einigermaßen straff halten, damit der Fisch, der sich aller Voraussicht nach noch lange bewegen kann, den Köder nicht durch panische Bewegungen wieder verliert. Der Köder mitsamt dem Haken sollte tiefer in seinen Schlund wandern und das Tier irgendwann töten.
„Der alte Mann war sich darüber klar, dass er weit hinaus wollte, und er ließ den Geruch des Festlandes hinter sich und ruderte in den sauberen frühmorgendlichen Geruch des Meeres hinaus.“ (S. 29)
Immer weiter zieht der Fisch das Boot in gerader Linie aufs offene Meer hinaus. So geht es stundenlang, bis es Nacht wird. Der alte Mann hat nichts als eine kleine Wasserflasche dabei und den frisch gefangenen Thunfisch. Im Moment ist seine Aufgabe nicht schwer, er muss nur die über seinen Rücken einigermaßen gespannte Leine in der Hand behalten und wachsam sein, falls sich die Spannung verändert, um dann richtig zu reagieren. Er muss durchhalten. Auch der Fisch will anscheinend nicht aufgeben. Es ist ein Zweikampf ebenbürtiger Gegner, der sich lange hinzieht.
„Ich kann es so lange aushalten wie er, dachte er. Und im ersten Dämmerlicht lief die Leine hinaus und hinunter ins Wasser.“ (S. 58)
Der Fisch wird einfach nicht müde. Über Nacht wird der Rücken des alten Mannes steif, seine linke Hand verkrampft sich völlig zu einer Klaue. Er muss die Sitzposition wechseln, abwarten, bis sich die Hand von selbst allmählich wieder entkrampft; sie soll einsatzbereit sein, wenn der Endkampf mit dem Fisch, das Einholen beginnt. Santiago zwingt sich, den rohen Thunfisch zu essen, um bei Kräften zu bleiben. Mit der freien Hand schneidet er Streifen herunter und kaut sie sorgfältig. Ein kleiner Vogel kommt zwischendurch angeflogen und hockt sich, so weit vom Festland entfernt, erschöpft auf die Leine, an der der Fisch zieht. Wolken türmen sich auf, aber der Fischer erkennt, dass sich kein Orkan zusammenbraut. Der Winkel der Leine verändert sich und der Fisch kommt hoch. Er springt, und der alte Mann erkennt, wie riesig und herrlich das Tier ist.
Die Entscheidung
Die zweite Nacht auf See bricht an. Der alte Mann erinnert sich, wie er als junger Mensch einmal bei einem beinahe 24 Stunden währenden Wettbewerb im Armdrücken über einen Farbigen obsiegte, und wie Joe DiMaggio trotz eines schmerzenden Knochensporns im Fuß vollkommene Schläge ausführte. Ein Flugzeug zieht hoch am Himmel vorüber, das Plankton phosphoresziert im Meer, Santiago legt mehrere Gebetsgelübde ab. Er verspeist eine Makrele, die er zwischendurch gefangen hat. Dann, am Ende der Nacht, wird der Fisch unruhig. Santiago weiß: Er muss ziehen, bis das Tier stirbt.
„Die Wolken türmten sich jetzt unter dem eindringenden Passatwind, und er blickte geradeaus und sah eine Schar von Wildenten, die sich über dem Wasser gegen den Himmel abzeichneten, und er wusste, dass man auf See niemals allein war.“ (S. 67)
Früh am dritten Tag beginnt der Fisch zu kreisen, ein sicheres Zeichen, dass es mit ihm zu Ende geht. Auch der alte Mann sieht schon schwarze Punkte vor den Augen, jedes Körperteil schmerzt ihn, vor allem die Hände, die von der Leine ganz zerschnitten sind. Der Junge ist nicht da, um ihm zu helfen, aber nun muss der Endkampf ausgefochten werden, die Hakenwunde im Maul des Fisches darf sich nicht erweitern, damit er sich nicht befreien kann.
„Aber ich muss zuversichtlich sein, und ich muss mich des großen DiMaggio würdig zeigen, der immer alle Dinge vollkommen tut, selbst mit dem Schmerz von Knochensporn im Hacken.“ (S. 75)
Die Kreise werden immer enger, der Fisch kommt in Reichweite. Noch ist er nicht tot, er muss erst noch durch einen Stoß mit der Harpune getötet werden. Der Fisch, so viel ist klar, kann nicht mehr viele Wendungen aushalten, aber auch der alte Mann ist am Ende seiner Kräfte. Nur einer von den beiden kann in diesem Kampf siegen. Beinahe freiwillig kommt der Fisch schließlich längsseits und empfängt den perfekt platzierten Harpunenstoß des alten Mannes. Das Tier ist viel zu groß um es an Bord zu nehmen; Santiago muss es außen am Boot vertäuen. Dann kann er den Mast aufrichten, das Segel setzen und heimwärts fahren, es weht ein anhaltend guter Wind.
Die Haie
Der erste Hai kommt bereits nach einer Stunde. Er hat die Blutwolke des Fisches im Wasser gewittert. Es ist ein schneller Makohai, ein eleganter Räuber. Der alte Mann sieht ihn kommen und ist gewappnet. Als der Mako mit aufgesperrtem Rachen von hinten angreift, stößt Santiago ihm die Harpune zwischen die Augen ins Gehirn. Der Hai geht unter, nicht ohne noch ein großes Stück aus dem Schwanz des Fisches herausgerissen zu haben.
„Wie vielen Menschen wird er als Nahrung dienen, dachte er. Aber sind sie’s wert, ihn zu essen? Nein, natürlich nicht. Es gibt niemand, der’s wert ist, ihn zu essen, wenn man die Art seines Verhaltens und seine ungeheure Würde bedenkt.“ (S. 84)
Santiago hat die Haiattacke wie einen Angriff auf sich selbst empfunden, die Tötung wie einen Akt der Notwehr. Doch in diesem Meer sind nicht nur Aasfresser unterwegs; alle töten um zu leben, die großen Fische fressen die kleinen, auch der alte Mann ist Teil des Systems. "Fischen tötet mich und erhält mich am Leben", erkennt er. Aber auch was der Junge für ihn während seiner Pechsträhne tut, erhält ihm am Leben. Einerseits schmerzt den alten Mann die Wunde des toten Fisches wie eine eigene, andererseits reißt er sich auch selbst Stücke von dem Fisch ab und kaut das delikate Fleisch. Er schätzt das Gewicht des Tiers und rechnet sich aus, was der Fang auf dem Fischmarkt einbringen würde - genug, damit es für den Winter reicht.
„Die Leine zog hinaus und hinaus und hinaus, aber sie lief jetzt langsamer, und er zwang den Fisch, sich jeden Zentimeter zu erkämpfen.“ (S. 93)
Zwei Stunden später kommen weitere Haie. Die Harpune geht verloren. Der alte Mann bindet sein Messer an einen Ruderschaft und sticht den Haien in die Augen, versucht den Knorpel um das Gehirn zu spalten. Aber jedes Mal reißen die Räuber etwas vom Fleisch des Fisches mit in die Tiefe. Schließlich zerbricht auch die Messerklinge. Dem alten Mann bleibt nichts anderes übrig, als sich der Haie mit Hieben zu erwehren. Er schwingt die Ruder wie Knüppel und drischt auf die Köpfe der Haie ein. Weil der Fisch ihn so weit aufs Meer hinausgezogen hat, ist auch der Rückweg lang. Die nächste Nacht bricht herein und es kommen immer neue Haie. Der alte Mann schätzt, dass bereits die Hälfte des Fangs verloren ist. Immerhin wird das Boot dadurch leichter und kann schneller fahren. Santiago kann die Haie nur noch zu vertreiben versuchen, aber irgendwann ist von dem Fisch nichts mehr übrig. Zum Schluss bleiben sogar die Haie aus.
Rückkehr an den Strand
Mitten in der Nacht erreicht Santiago das Ufer. Niemand ist da, um ihm zu helfen, und so schleppt er todmüde Mast und Segel den Strand hinauf und fällt ins Bett. Die anderen Fischer, die wegen schlechten Wetters am nächsten Morgen nicht ausfahren können, bewundern das immer noch am Boot hängende Skelett des Fisches wegen seiner Größe. Manolin kümmert sich um den alten Mann und besorgt ihm Kaffee, aber es dauert eine Weile, bis er zu sich kommt. Sogar die Küstenwache hat nach ihm Ausschau gehalten. Es wird noch einige Zeit dauern, bis der alte Mann sich erholt hat, und inzwischen sorgt der Junge für das Nötigste. In den Tagen der Abwesenheit des alten Mannes hat er selbst auf den anderen Booten guten Fang gemacht, doch er ist nunmehr entschlossen, wieder mit Santiago hinauszufahren. Dieser wehrt zunächst ab, denn er habe immer noch kein Glück. Doch obwohl er letztlich von den Haien besiegt wurde, ist dem Jungen klar, dass er von dem Meisterfischer noch viel lernen kann.
Zum Text
Aufbau und Stil
Die Novelle ist mit knapp 140 Seiten in der deutschen Ausgabe ein denkbar "kurzes, aber nicht kleines Meisterwerk", wie ein Kritiker schrieb. Angesichts dieser Kürze gibt es auch keine weiteren Unterteilungen in Kapitel. Die Geschichte ist klar und kompakt, sowohl in ihrem linearen Aufbau wie in ihrem lapidaren Stil, für den Hemingway berühmt ist und den er hier, in seinem letzten Werk, noch einmal mit großer Meisterschaft vorführt. Geschildert wird der heroische Kampf eines einfachen Mannes mit einem Naturwesen, einem wilden Tier, ein Kampf, bei dem es für beide Kontrahenten um Leben und Tod geht. Derartige Auseinandersetzungen bezeichnet man gemeinhin als "episch", im Gedanken an die großen Heldenepen, die in der abendländischen Kultur am Anfang der erzählenden Literatur stehen. In Der alte Mann und das Meer nimmt der Kampf mit dem Fisch den größten Teil der Novelle ein. Die Grundstruktur der Handlung - ein einsamer alter Mann in einem winzigen Boot inmitten des Ozeans im Kampf mit Naturgewalten - unterstreicht die epische Dimension und steigert die Vorgänge ins großartig Symbolische. Vor diesem Hintergrund kann ein ohnedies nüchterner Erzähler wie Hemingway auf jegliches ausschmückende und ausdruckssteigernde Sprachmittel verzichten. Das innere und äußere Drama kommt aus sich selbst heraus voll zur Geltung und erhält auf ganz natürliche Weise seinen symbolhaften Charakter.
Interpretationsansätze
- Im Mittelpunkt der Erzählung steht ein einfacher Mann. Hemingway nennt ihn nur selten beim Namen, bezeichnet ihn meistens, wie im Titel, als "der alte Mann". Er ist also ein "Jedermann", sein Schicksal soll allgemein gültigen Wert haben.
- Es geht in diesem Buch nicht um alltägliche Komplikationen beim Fischfang: Die Kulisse der Naturgewalten, das hohe Alter des Fischers und seine schwierige Situation rücken das Geschehen sofort in die Kategorie eines Kampfes um die nackte Existenz.
- Der alte Mann führt einen heroisch-tragischen Kampf: Er gewinnt und verliert zugleich. In der Verteidigung seiner ökonomischen Existenzgrundlage unterliegt er, da ihm die Beute von den Haien geraubt wird, aber er ist ein moralischer Sieger, weil er bis zuletzt nicht aufgibt. Santiago sagt es selbst: "Man kann vernichtet werden, aber man darf nicht aufgeben."
- Durch die Verwendung elementarer Urbilder, wie Wasser, Einsamkeit, ritterlicher Zweikampf, heimtückischer Angriff von Seeungeheuern (Haie), erreicht Hemingway die beeindruckende Symbolik seiner Parabel.
- Die Einfachheit des Lebens des alten Mannes kann als Gleichnis für die existenzielle Situation des Menschen gesehen werden: Die Welt ist fast ein Nichts (nur Meer, Himmel und ein Stück Strand), der Mensch verlassen und einsam und nur auf sich gestellt. Er wird ständig mit der Angst vor dem Tod und der Vernichtung konfrontiert. Wie sich ein Mensch in dieser Situation bewährt, macht seine Würde aus.
- Hemingway aktualisiert die christlichen Kardinaltugenden Glaube, Liebe, Hoffnung: Der alte Mann entschließt sich zur Ausfahrt, im Glauben an sich selbst und in der Hoffnung auf das Glück dieses Tages. Er liebt und achtet seinen Gegner, den riesigen Fisch. Wegen seiner menschlichen Werte wird der alte Mann von seinem treuesten Freund, dem Jungen, wiedergeliebt.
Historischer Hintergrund
Nachkriegszeit in USA und Kuba
In den 1930er Jahren steckten die Vereinigten Staaten in einer tiefen ökonomischen Krise, der Großen Depression. Erst Franklin D. Roosevelts "New Deal", ein staatliches Programm für Wirtschafts- und Sozialaufbau, bahnte ab 1933 einer nachhaltigen Veränderung den Weg. 1941 folgte der Kriegseintritt der USA, zunächst gegen Japan. 1943 griffen die Amerikaner auch auf dem europäischen Kriegsschauplatz ein und sicherten den Sieg der Alliierten gegen Nazideutschland. Die Erfordernisse des Krieges begünstigten in den USA die Entwicklung einer technisch enorm leistungsfähigen Wirtschaft.
Nach dem Krieg wurden Millionen von GIs über staatliche Weiterbildungsprogramme reintegriert. Günstige Kredite für Eigenheime, Ackerland, Firmengründungen und weitere Verbesserungen im Sozialsystem sorgten für eine prosperierende Mittelklasse, und es kam erstmals auch in den USA zu Massenwohlstand. Hand in Hand mit dem Aufblühen der Vorstädte florierte die Autokultur. Die Kraft der amerikanischen Wirtschaft war auch in Europa durch den Marshall-Plan deutlich zu spüren.
Für Lateinamerika gab es keinen Marshall-Plan. Der "Hinterhof" der USA wurde von großen US-Firmen wie etwa United Fruit ausgebeutet, oft in Zusammenarbeit mit den lokalen Machthabern. Auch Kuba war in dieser Zeit fest in amerikanischer Hand, ein Eldorado der aufblühenden Freizeitindustrie. Amerikanische Millionäre bauten sich dort luxuriöse Villen; Hotels, Glücksspiel und Prostitution wurden von Mafiabanden aus Chicago betrieben. Erst Fidel Castro machte diesem Treiben 1959 auf radikale Weise ein Ende. Die Bevölkerung indes hatte nicht viel davon und blieb sehr arm.
Entstehung
Das Vorbild für den alten Fischer Santiago lieferte ein kubanischer Fischer namens Gregorio Fuentes, der ursprünglich von der kanarischen Insel Lanzarote stammte. Zwischen Hemingway und Fuentes bestand eine tiefe Freundschaft; Santiagos Traumerlebnisse vor der afrikanischen Küste dürften aus Fuentes’ Jugenderinnerungen stammen. Hemingway lernte den Fischer kennen, als er ab 1940 auf Kuba lebte, und der Kubaner wurde der Kapitän von Hemingways Boot "Pilar". Fuentes starb 2002 im Alter von 104 Jahren; angeblich hat er Der alte Mann und das Meer niemals gelesen.
Für die Schilderung des Fischfangs griff Hemingway auf jahrzehntelange eigene Erfahrungen als begeisterter Jäger und Hochseefischer zurück. Den Kern der Geschichte hatte er bereits Mitte der 1930er Jahre in einem im Esquire erschienen Essay konzipiert. Mit Der alte Mann und das Meer befreite er sich aus einer langjährigen Schaffenskrise.
Wirkungsgeschichte
Diese Erzählung bedeutete für Hemingway einen Neuanfang als Schriftsteller, auch wenn er danach kein Werk mehr vollendet hat. Depressiv veranlagt und verhöhnt von der Kritik, die ihm nicht mehr zutraute, ein Buch auf dem Niveau seiner früheren Texte zu schreiben, gelang ihm hier ein kleines Meisterwerk, das breite Anerkennung fand und sofort zu einem sensationellen Welterfolg wurde. Der "alte Mann" (Hemingway war 53 Jahre alt) hatte es noch einmal allen gezeigt. Für dieses Buch erhielt er 1953 den angesehenen Pulitzerpreis und im Jahr darauf für sein Gesamtwerk, jedoch unter besonderer Betonung von Der alte Mann und das Meer, den Literaturnobelpreis. Mit seiner zentralen Aussage, auch im Moment der schlimmsten Niederlage, in der tiefsten Bedrängnis seine Würde nicht zu verlieren, traf das Buch den Nerv der Zeit, das Lebensgefühl einer allen äußeren, metaphysischen Sinngebungen gegenüber zutiefst skeptischen Generation.
Der alte Mann und das Meer wurde 1958 fürs Kino (mit Spencer Tracy als Santiago) und 1990 fürs Fernsehen (mit Anthony Quinn) verfilmt. Hemingways lakonischer Stil, seine an der reinen Wiedergabe des Geschehens orientierte Erzählweise galten einer ganzen Generation von Schriftstellern der Nachkriegszeit als vorbildhaft, sowohl in Amerika als auch in Europa. Alle wollten wie Hemingway schreiben, beispielsweise der damals junge Siegfried Lenz.
Über den Autor
Ernest Hemingway ist nicht nur als einer der bedeutendsten und erfolgreichsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts bekannt, sondern auch wegen seines abenteuerlichen und teilweise glamourösen Lebens. Geboren am 21. Juli 1899 im amerikanischen Bundesstaat Illinois als Sohn eines Landarztes und einer Opernsängerin, lernt er schon als Kind von seinem naturbegeisterten Vater das Jagen und Angeln. Die Liebe zur Natur und das raubeinige Naturburschenimage, das er später kultiviert, rühren aus dieser Zeit. Seine berufliche Laufbahn beginnt er als Lokalreporter in Kansas City, und die Herkunft vom journalistischen, faktenorientierten Schreiben ist mitbestimmend für Hemingways typischen Stil. Am Ersten Weltkrieg nimmt er freiwillig als Sanitäter teil, nach dem Krieg schließt er sich in Paris einer Gruppe von Schriftstellern und Künstlern um Gertrude Stein an. Die Winter 1925 und 1926 verbringt er im österreichischen Montafontal, wo er den Roman The Sun Also Rises (Fiesta) schreibt, der 1926 erscheint und mit dem ihm sein literarischer Durchbruch gelingt. Hemingway bleibt auch Reporter und Kriegsberichterstatter, so im Griechisch-Türkischen Krieg 1922, im Spanischen Bürgerkrieg 1936–1939 und im Zweiten Weltkrieg. 1940 erscheint For Whom the Bell Tolls (Wem die Stunde schlägt). 1954 erhält er den Nobelpreis für die Novelle The Old Man and the Sea (Der alte Mann und das Meer, 1952). Hemingway sucht oft ganz bewusst die Nähe zu Gefahr, Abenteuer, Risiko; er liebt die Großwildjagd in Afrika und den Stierkampf und überlebt zwei Flugzeugabstürze. Seine Bücher schreibt er meist unter enormem psychischem Druck. Wie viele Schriftsteller seiner Zeit ist er alkoholkrank. Er sucht den Lebensgenuss in vollen Zügen, leidet aber auch unter Depressionen. Ernest Hemingway heiratet viermal und hat drei Söhne; die berühmteste Ehe ist die dritte mit Martha Gellhorn, einer ebenfalls bedeutenden Reporterin und Schriftstellerin. Mit ihr zusammen lebt er ab 1940 auf Kuba. In Idaho setzt Hemingway nach längerer Krankheit seinem Leben am 2. Juli 1961 durch einen Gewehrschuss selbst ein Ende – ähnlich wie bereits sein Vater und wie später seine Enkelin Margaux.
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