Timothy Snyders pointierte Streitschrift ist persönlich motiviert, doch sachlich fundiert. Der subjektive Antrieb des Autors stammt aus seiner Leidenserfahrung: Drei Monate lang lag er in fünf verschiedenen Krankenhäusern. Die dort teilweise grassierende Nachlässigkeit brachte ihn in Lebensgefahr. Den objektiven Bezugsrahmen seiner nachvollziehbaren Empörung liefern die fatalen Schwächen des US-Gesundheitssystems, deren Ursachen Snyder scharfsichtig analysiert und zu deren Behebung er konkrete Vorschläge liefert.
Die USA sind ein krankes Land mit einer kranken Bevölkerung.
US-Bürger sind im Durchschnitt weniger gesund als die Bürger anderer Industrieländer. Ein Drittel ist fettleibig. Fast jeder zweite US-Amerikaner geht nicht zum Arzt, weil er es sich nicht leisten kann. Die Lebenserwartung ist niedriger als die in 23 Ländern Europas. Sie ist niedriger als die in Kanada, Japan, Südkorea, aber auch als die Lebenserwartung in Chile, im Libanon oder in Costa Rica. 1980 starben Amerikaner ein Jahr früher als Menschen in Ländern mit vergleichbarem Wohlstand. 2020 waren es vier Jahre. Das alles hat politische, wirtschaftliche und soziale Ursachen. Und es verweist auf größere Missstände: Im schlechten Gesundheitszustand der Bevölkerung spiegeln sich die Schwächen der US-Gesellschaft.
Wie schlecht das US-Gesundheitswesen funktioniert, hat das staatliche Versagen in der Coronakrise gezeigt.
Das Coronavirus breitete sich in den USA lange unerkannt aus. Dann versäumte es die Regierung, Tests zu beschaffen. Ende Februar 2020 waren erst 352 Tests durchgeführt worden – Südkorea hatte zum selben Zeitpunkt bereits 75 000 Personen getestet. Es rächte sich, dass die...
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