Pierre Corneille
Der Cid
Tragische Komödie in fünf Aufzügen
Reclam, 2007
¿De qué se trata?
Corneilles Meisterstück über die Macht von Liebe und Ehre – noch immer hoch spannend und tief bewegend.
- Drama
- Französische Klassik
Worum es geht
Liebe und Ehre kreuzen die Waffen
Darf man auf die Liebe seiner Braut rechnen, wenn man deren Vater umgebracht hat? Kann man den Mörder seines Vaters heiraten, ohne die eigene Ehre aufzugeben? Pierre Corneilles Der Cid stellt ein klassisches tragisches Dilemma vor und führt es fast bis zum bitteren Ende aus – auf einer atemberaubenden Achterbahnfahrt der Verwicklungen, Argumente und Gefühle. Der Ehrbegriff, der diesem Stück aus dem 17. Jahrhunderts zugrunde liegt, hat sich natürlich längst überlebt. Aber die Meisterschaft, mit der Corneille den Stoff organisiert, die furiosen Dialoge, in denen einander widersprechende Energien und Grundsätze großer Seelen aufeinanderprallen – all das liest man auch heute noch voller Begeisterung und Anteilnahme. Über Spaniens Nationalhelden erfährt man im Stück nicht viel. Dafür flicht der Autor eine Verteidigung der absolutistischen Monarchie ein, die von den damaligen Machthabern positiv aufgenommen wurde. Nach dem phänomenalen Publikumserfolg brachen einige neidische Konkurrenten Corneilles eine hässliche Debatte über die Regeltreue des Cid vom Zaun. Inzwischen hat das Stück alle kleinliche Kritik meilenweit hinter sich gelassen: Es zählt unangefochten zu den Meisterwerken des klassischen Dramas.
Take-aways
- Eine Tragödie mit gutem Ende: Der Cid war ein Bühnenhit des 17. Jahrhunderts.
- Inhalt: Der Ritter Rodrigo und die Adlige Chimene lieben sich, werden aber durch Rachepflichten gegeneinander aufgebracht. Um die Ehre seines Vaters zu retten, muss Rodrigo den von Chimene töten, woraufhin Chimene wiederum verpflichtet ist, Rodrigos Tod zu fordern. Als Rodrigo zum Kriegshelden wird, lassen sich Ehre und Liebe versöhnen.
- Die Ehre ist das zentrale Thema: Das Stück folgt der fatalen Dynamik des Rachegebots.
- Auch die Liebe hat sich dem Ehrgefühl zu beugen. Lieben darf man nur den Unbefleckten.
- Der wunderbar zugespitzte Konflikt und die geschliffene Sprache machen aus dem Cid nach wie vor ein spannendes und bewegendes Stück.
- Der Cid ist ein Bewusstseinsdrama. Die Tragödie wird aus dem Inneren der Figuren entwickelt.
- Mit der Figur des Königs unterstützte Corneille den aufkommenden Absolutismus in Frankreich.
- Der Cid geht auf ein spanisches Drama über den gleichnamigen kastilischen Nationalhelden zurück.
- Der Erfolg des Stücks provozierte eine heftige Debatte über vermeintliche Verstöße des Autors gegen traditionelle Dramengebote.
- Zitat: „Ich tat dir weh – und musst’ es, denn nur so allein / Lösch ich die Schande und kann deiner würdig sein.“
Zusammenfassung
Eine erfreuliche Vermählung bahnt sich an
Chimene, die Tochter von Don Gomez, erhält im Gespräch mit ihrer Vertrauten und Freundin Elvire eine wunderbare Nachricht: Don Gomez favorisiert als Bräutigam für seine Tochter denjenigen jungen Adligen, in den sie sich ohnehin unsterblich verliebt hat: Don Rodrigo. So sehr freut sich Chimene über die Nachricht, dass ihr Elvire noch einmal ausführlich von der Unterredung mit Don Gomez berichten muss. Dieser hat neben Chimenes Wunschkandidat Rodrigo auch den jungen Granden Don Sancho als Bräutigam in Betracht gezogen. Vor allem jedoch hat er über Rodrigo als idealen Schwiegersohn gesprochen. Chimenes Freude ist riesig. Nur kurz wird sie gebremst von der Furcht vor einem unverhofften, tückischen Schicksalsschlag.
„Ein Zwiespalt ist es, der, unlösbar, mich zerreißt – / Das Herz, das liebende, will anders als der Geist.“ (Infantin, S. 7)
Die Infantin, Tochter des Königs Ferdinand von Kastilien, sehnt sich nach einem Treffen mit Chimene. Voller Ungeduld erwartet sie die Neuigkeiten über deren Verbindung mit Rodrigo. Ihre Begleiterin Leonor wundert sich über die ungestüme Neugier. Die Infantin erinnert sie daran, dass sie selbst die beiden miteinander bekannt gemacht und stets auf eine Vermählung hingearbeitet habe. Leonor glaubt dennoch, bei ihrer königlichen Freundin ein stilles Leiden über das sich anbahnende Glück zu entdecken. Nicht zu Unrecht: Tatsächlich ist auch die Infantin in Liebe zu Rodrigo entbrannt. Nur verbietet es ihr Stand, einen Ritter zu heiraten; ihr Gatte müsste schon ein Prinz oder ein König sein. Die Infantin hat das Band zwischen Chimene und Rodrigo geflochten, um sich selbst damit jede weitere Sehnsucht zu verbieten. Sie hofft, wieder Frieden zu finden, wenn die Ehe erst geschlossen ist.
Eine Ohrfeige mit furchtbaren Folgen
Der König ist auf der Suche nach einem Erzieher für seinen Sohn. Im Rat gibt er seine Entscheidung bekannt: Die ehrenvolle Aufgabe fällt dem alten Don Diego zu, Rodrigos Vater. Chimenes Vater Don Gomez, der als Favorit für das Amt gegolten hat, ist erzürnt. Im Gespräch mit Diego macht er seinem Ärger Luft, bezeichnet sich selbst als einzig richtige Wahl und bedauert den groben Irrtum des Königs. Diego, deutlich älter als sein Konkurrent, versucht abzuwiegeln und das Gespräch auf ein erfreulicheres Terrain umzulenken: Er hält im Namen seines Sohnes um Chimenes Hand an. Doch Gomez findet nicht aus seinem Ärger heraus. Der jüngere Ritter wirft dem Älteren vor, in so hohem Alter die Erziehung des Prinzen nicht mehr aktiv – auf dem Schlachtfeld – begleiten zu können. Don Diego streicht seine Besonnenheit und seine legendären Leistungen heraus, der jüngere preist im Gegenzug immer unverschämter seine letzten Heldentaten als Feldherr. Im Verlauf des erbitterten Wortwechsels kommt es zu einer furchtbaren Provokation: Gomez gibt Diego eine Ohrfeige, die dieser, vom Alter geschwächt, nicht mit dem Schwert zu parieren vermag.
„Unlösbar klafft ein Zwiespalt hier. / Dem Vater bin ich wie der Liebe gleich verpflichtet. / Räch ich den Vater, ist mein Liebesglück vernichtet. / Und räche ich mich nicht, werd ich verächtlich ihr.“ (Rodrigo, S. 13)
Gedemütigt bleibt Diego zurück, von Gomez als Greis verlacht. Entehrt mag er nicht weiterleben, doch für die Rache fehlt ihm die Kraft. Schließlich bittet Diego seinen Sohn Rodrigo, an seiner Stelle zu handeln: Nur durch dessen Sieg im Zweikampf mit Gomez wäre Diegos Ehre wiederhergestellt. Rodrigo hadert mit seinem Schicksal: Gerade noch schien der Weg frei für die Ehe mit der geliebten Chimene – und plötzlich soll er deren Vater töten? Die Ehre gilt ihm viel, doch die Liebe nicht weniger. Am Ende entscheidet er sich, der Bitte seines Vaters Folge zu leisten: Auch als einer, der die Ehre seiner eigenen Familie nicht zu verteidigen wüsste, wäre er Chimenes nicht würdig.
Tod dem designierten Schwiegervater
Der Grande Don Arias versucht Gomez zum Einlenken zu bewegen. Gomez soll, wie es sich gehört, dem König Gehorsam zeigen und eine Strafe akzeptieren, mit der sich die Ehrverletzung am Hof beilegen ließe. Doch Gomez mag sich dem Willen des Herrschers nicht einfach unterwerfen. Seine Verdienste um das Königreich seien groß genug, damit man ihm auch eine Eigenwilligkeit gestatten könne. Das sieht Arias anders: Letztlich sei auch Gomez nur ein Vasall wie andere; der König schulde ihm keinen Gefallen. Gomez gerät erneut in Wut: Seinen Heldentaten verdanke sich des Königs Reich vor allem, und folglich hänge es von ihm ab. Arias geht unverrichteter Dinge davon, Gomez bleibt unversöhnt zurück.
„Weint, meine Augen, weint! Hin sank mein halbes Leben! / Die andre Hälfte war’s, die ihm den Tod gegeben. / Und nun verlangt die Pflicht, ich müsste Rache üben / Für die, die ich verlor, an der, die mir geblieben.“ (Chimene, S. 30)
Rodrigo tritt auf und fordert Gomez zum Duell. Der nimmt die Aufforderung zunächst nicht ernst und streicht stattdessen Rodrigos Qualitäten als künftiger Schwiegersohn heraus. Doch als der vermeintliche Bräutigam partout auf dem Kampf besteht, lässt Gomez sich hinreißen. Schließlich weiß auch er, dass Rodrigo nicht weiterleben mag, wenn die Ehre seines Vaters befleckt bleibt.
„Und mag auch noch so groß die Macht der Liebe sein, / Entscheidend bleibt für mich doch nur die Pflicht allein. / Rodrigo ist mir lieb, mein Herz bleibt ihm geneigt, / Doch geh ich fest den Weg, den mir die Ehre zeigt.“ (Chimene, S. 30)
Die Infantin versucht derweil, die verzweifelte Chimene zu beruhigen: Noch sei nicht alles verloren, der Streit der Väter werde vom König bestimmt bald beigelegt. Um in der Zwischenzeit das Schlimmste zu verhindern, schlägt die Infantin vor, Rodrigo einstweilen festzusetzen. Als sie jedoch einen Pagen aussenden will, erfährt sie, dass die Rodrigo und Gomez bereits zum Zweikampf ausgezogen sind.
Ein Rächer gebiert den nächsten
Im Zwiegespräch mit Leonor beichtet die Infantin ihre intimsten Gedanken. Ihre Fantasie schießt abermals über das standesgemäß Erlaubte hinaus: Sollte Rodrigo gegen Gomez siegen, so malt sie sich aus, dann dürfte Chimene ihn nicht mehr heiraten. Er dagegen könnte als Held Königreiche erobern und käme dann womöglich doch als Gatte für sie selbst infrage.
„Ich tat dir weh – und musst’ es, denn nur so allein / Lösch ich die Schande und kann deiner würdig sein. / Getilgt ist nun der Fleck und rein des Vaters Ehr’, / In deiner Hand allein liegt mein Geschick nunmehr.“ (Rodrigo zu Chimene, S. 33)
Der König berät sich unterdessen mit Arias und Sancho. Er ist verärgert über Gomez’ Uneinsichtigkeit und hält ihn nicht mehr dafür geeignet, weiterhin als Erwählter des Herrschers an der Spitze der Streitkräfte zu stehen. Noch eine andere Sorge bedrückt den König: Vor der Küste wurden zehn Maurenschiffe gesichtet. Offenbar wollen sie das Reich in eine Schlacht zwingen.
„Soll deines Opfermuts der meine würdig sein, / So darf auch ich gleich dir das Äußerste nicht scheun. / Um meiner wert zu sein, hast du mich tief versehrt. / Ich fordre deinen Tod – und bin so deiner wert.“ (Chimene zu Rodrigo, S. 34)
Der Grande Don Alonso überbringt dem König und den beiden anderen Granden die Nachricht von Gomez’ Tod. Der König äußert Verständnis für Rodrigos Rache, bedauert aber zugleich den Verlust eines ruhmreichen Feldherrn. Fast gleichzeitig stürzen Chimene und Diego herein. Chimene verlangt die Todesstrafe für den Mörder ihres Vaters – damit ihr Verlust gerächt und die königliche Autorität gewahrt sei. Diego hält die Rachetat seines Sohnes für gerechtfertigt. Sollte der Herrscher ihn dennoch bestrafen wollen, so sollte er ihn, den Vater, töten. Er selbst habe schließlich nach Rache verlangt, und Rodrigo könne dem Reich mit seiner Stärke noch viel Gutes tun.
Tod dem Geliebten – der Ehre zuliebe
Rodrigo trifft in Chimenes Haus auf Elvire. Er möchte sich Chimenes Rache direkt stellen und ist bereit, von ihrer Hand zu sterben. Doch Elvire schickt ihn weg: Chimenes Ehre stehe auf dem Spiel, wenn der Mörder ihres Vaters in ihrem Haus gesehen werde. Bald kehrt Chimene mit Sancho nach Hause zurück, der ihr anbietet, gegen Rodrigo anzutreten, um den Tod ihres Vaters zu rächen. Chimene vertröstet ihn. Sie will das Urteil des Königs abwarten. Mit Elvire allein, beklagt sie verzweifelt ihr Los: Sie müsse, um ihre Ehre zu retten, ihren Geliebten töten. Dann aber wolle sie gleich auch an seiner Seite sterben.
„Die rasche Sühnetat will ich dir gern verzeihn, / Auch wird ganz Spanien dem Retter Fürsprech sein. / Der Rachepläne muss Chimene sich entschlagen. / Ich kann nichts weiter für sie tun, als sie beklagen.“ (König zu Rodrigo, S. 44)
Rodrigo tritt hinzu und bietet Chimene an, jetzt gleich ihre Rache an ihm zu vollziehen, doch Chimene weist ihn ab. Sie mag sich in ihrer Rachepflicht vom geliebten Feind nicht helfen lassen. Gemeinsam beklagt das verhinderte Paar die Zwänge des Ehrgefühls. Beide scheiden indes in der Überzeugung, dass Chimenes tödliche Rache an ihm unausweichlich ist. Rodrigo begegnet anschließend seinem Vater. Dieser ist heilfroh, den Sohn überhaupt noch lebend anzutreffen. Diego drängt ihn, die Truppen anzuführen, die sich gleich den Mauren entgegenwerfen müssen. Ein schneller Sieg, so Diego, könnte Rodrigo die Gnade des Königs eintragen und Chimenes Rachegelüsten einen Riegel vorschieben.
Der Sieg gegen die Mauren zwingt zum Umdenken
Rodrigo hat die Mauren vernichtend geschlagen und wird von ihnen nun voller Ehrfurcht „der Cid“ genannt, was so viel wie „Herr“ heißt. Das spanische Volk sieht ihn als Retter des Reichs an. Chimene befürchtet, dass im Siegestaumel die Stimme der Pflicht – ihrer Rachepflicht – kein Gehör mehr findet. Tatsächlich erklärt ihr kurz darauf die Infantin, dass der Racheplan nun anders zu bewerten sei: Mit der Tötung Rodrigos würde das ganze Land bestraft werden. Sie bittet Chimene daher, das Wohl des Volkes über ihr eigenes zu stellen. Unterdessen überschüttet der König den siegreichen Rodrigo mit Lob. Seinem Heldenmut allein habe er den Fortbestand der Krone zu verdanken. Die tödliche Rache Chimenes will nun auch der König nicht mehr dulden.
„Du widersetzt dich, klagst, doch allen Klagen fern, / Fügt sich dein Herz, wenn jetzt Rodrigo siegt, ihm gern. / So murre denn nicht mehr, füg dich dem süßen Joch. / Wer auch der Sieger sei, dein Gatte wird er doch.“ (König zu Chimene, S. 50)
Nachdem Rodrigo ausführlich den Hergang der Schlacht geschildert hat, wird dem König Chimenes Besuch angekündigt. Der Herrscher bittet Rodrigo, den Saal zu verlassen. Dann führt er Chimene für einen Augenblick hinters Licht: Er verkündet ihr, Rodrigo sei im Kampf gefallen, sie möge sich also freuen, denn der tote Vater sei nun gesühnt. Chimene bricht vor Bestürzung fast zusammen – ein klares Zeichen für den König und die anwesenden Granden, dass sie Rodrigo nach wie vor liebt. Doch als Chimene hört, dass Rodrigo doch noch am Leben ist, besteht sie trotz allem auf Genugtuung. Sie ruft alle Ritter auf, Rodrigo in ihrem Auftrag zu töten; wem es gelinge, dem gebe sie sich als Gattin hin. Der König versucht Chimene klarzumachen, dass der Tod ihres Vaters durch Rodrigos Sieg bereits gesühnt sei. Dem widerspricht allerdings sogar Rodrigos Vater: Es wäre für das Volk ein schlechtes Zeichen, wenn sein Sohn sich so einfach aus der Affäre ziehen könnte. So gesteht der König Chimene zu, einen einzigen Ritter gegen Rodrigo antreten zu lassen. Sancho meldet sich freiwillig. Der König beschließt zudem, dass der Sieger des Kampfes mit Chimene vermählt werde. Würde also Sancho verlieren, fiele die Rächerin an Rodrigo.
Die Liebe ist nicht kleinzukriegen
Rodrigo trifft auf Chimene, um sich zu verabschieden. Im Kampf mit Sancho will er sterben – damit die Geliebte ihre Rache erhält. Darauf ist sie nicht vorbereitet. Sie bittet ihn, aufrecht zu kämpfen, um seiner eigenen Ehre willen. Die stünde außer Frage, antwortet Rodrigo. So legt Chimene nach: Könne er, der sie liebe, etwa wollen, dass sie nach dem Kampf in Sanchos Hände falle? Der Fingerzeig, den Rachekampf doch bitte als Eroberungskampf zu nutzen, um sie als Braut davontragen zu können, ist so unübersehbar, dass Chimene errötet.
„Geh, führe deine Sache! / Du kämpfst für mich und stillst damit auch meine Rache. / Und glüht wie ehedem dein Herz für mich so heiß – / Sei Sieger in dem Kampf. Chimene ist der Preis. / Leb wohl! Du sollst nicht sehn, wie ich vor Scham erröte.“ (Chimene zu Rodrigo, S. 53)
Die Infantin beklagt abermals ihr Los. Rodrigo erscheint ihr zwar erreichbarer denn je, und nach seinem Sieg gegen die Mauren darf er nun womöglich als würdiger Gatte für sie gelten. Sie sieht aber auch eine erneute Verbindung des entzweiten Paares näherkommen. Während sie ihrer Liebe entsagen muss, weil die Ehre des Königshauses es verlangt, scheint zwischen Rodrigo und Chimene letztlich doch die Liebe über alle Rachepflichten den Sieg davonzutragen. Leonor beruhigt sie: Durch die Anordnung des Königs sei Rodrigo entweder bald tot – oder verheiratet. Damit habe die Versuchung für die Infantin endlich ein Ende. Die glaubt sich zwar noch zu allerlei Schlichen befähigt, doch will sie es nun gut sein lassen. An der reinen, unzerstörbaren Liebe zwischen Rodrigo und Chimene möchte sie nicht mehr rühren.
Gutes Ende mit schlechtem Gewissen
Elvire gegenüber hadert Chimene noch mit ihrer heimlichen Hoffnung auf Rodrigos Sieg. Sie zweifelt, ob sie damit ihre Pflicht zur Rache nicht doch vernachlässige. Elvire ärgert sich über so viel Verblendung: Statt den vom König gewiesenen Weg zu begrüßen, mit dem ihr die Ehre und Rodrigo zugleich erhalten blieben, sei sie offenbar allzu sehr ins Leid vernarrt. Da tritt Sancho mit seinem Schwert hinzu. Chimene glaubt Rodrigo gefallen und beschimpft den vermeintlichen Sieger, obwohl sie ihn doch selbst in den Kampf geschickt hat.
„Sei ohne Sorgen, nichts ficht deine Ehre an, / Dein Ruf ist unbefleckt und deine Pflicht getan. / Dein Vater ist gerächt, Rodrigos Sühne waren / Die vielen siegesreich bestandenen Gefahren.“ (König zu Chimene, S. 60)
Der König kommt mit seinen Granden. Chimene gesteht ihm offener denn je ihre Liebe zu Rodrigo und fleht ihn an, sie von der ursprünglichen Verabredung zu entbinden. Statt Sancho zu heiraten, will sie ihr Leben lieber in einem Kloster beenden. Der König beruhigt sie: Rodrigo lebt. Er hat über Sancho gesiegt, ihn allerdings verschont. Nun solle sie sich aber dem Ehebund mit ihm nicht mehr verschließen. Den gleichen Wunsch äußert die Infantin, die schließlich mit Rodrigo selbst hinzutritt. Der bittet Chimene abermals um ihr Urteil. Er verneigt sich vor ihr, bereit, zur Not den Todesstoß aus ihrer Hand zu empfangen. Sie bittet ihn aufzustehen – auch wenn sie ihn, mit ihrem Gewissen in Konflikt, noch immer nicht als Gatten akzeptieren mag. Der König gibt ihr Zeit. Er schickt Rodrigo auf einen Eroberungsfeldzug gegen die Mauren. Nach seiner glorreichen Rückkehr, so hoffen alle, wird das Glück des Cid mit Chimene endlich möglich sein.
Zum Text
Aufbau und Stil
Der Cid ist eine Tragikomödie in fünf Akten. Die französische „tragicomédie“ des 17. Jahrhunderts enthielt nicht zwingend komische Elemente. Sie unterschied sich von der Tragödie im engeren Sinn vor allem dadurch, dass sie nicht mit dem Tod der Protagonisten endete. Einen heiteren Ausgang wie Der Cid hatte sie aber gewöhnlich dennoch nicht. Das Stück ist, den damaligen Gepflogenheiten gemäß, zum größten Teil in Alexandrinerversen verfasst, die sich paarweise reimen. Die Handlung entwickelt sich Schlag auf Schlag und wird bis zum Schluss von einer enormen Spannung getragen. Die Monologe vibrieren geradezu vor innerer Zerrissenheit der Hauptfiguren. Von der anfänglichen Ohrfeige abgesehen wird Gewalt nicht offen gezeigt, sondern, wie es der Schicklichkeitsgrundsatz verlangt, nur über Botschaften und Berichte auf die Bühne getragen. Die Figuren drücken sich, ihrem Stand entsprechend, gewählt aus. Darüber hinaus spickt Corneille seine Dialoge mit einem breiten Arsenal dialektisch-moralischer Abwägungen. Das ebenso rasante wie scharfzüngige Hin und Her der Argumente und Bedenken erhöht abermals das Tempo des Stücks. Corneille zwängt die Handlung überdies ins klassische 24-Stunden-Korsett. Ein derartig geraffter Verlauf der Ereignisse scheint allerdings kaum plausibel.
Interpretationsansätze
- Der Ehrbegriff und seine Abgründe bilden das zentrale Thema des Stücks. Die Verletzung der Ehre setzt die tragische Handlung in Gang. Verschiedene Versuche, die einmal verlorene Ehre wiederherzustellen, ziehen schlimme Konsequenzen nach sich. Darüber, dass man den Ehrbegriff nicht infrage stellen darf, sind sich die Hauptfiguren weitgehend einig. Die Ehre gilt unangefochten als Kern der menschlichen Persönlichkeit. Das gnadenlose Rachegebot bei verletzter Ehre provoziert den Cid allerdings auch zum Ausruf: „Unmenschlich Ehrgefühl!“
- Die Liebe steht dem Ehrgefühl scheinbar als alternative Kraft des Herzens gegenüber. Tatsächlich jedoch wird sie der Ehre klar untergeordnet. Chimene und Rodrigo versichern einander mehrfach, dass sie als Partner für den anderen nur infrage kämen, wenn ihre Ehre unbefleckt sei. Entsprechend zeigen sie stets viel Verständnis für den Racheplan ihres Geliebten – selbst wenn ihr liebendes Herz dabei leidet.
- Obwohl das individuelle Ehrempfinden allerhöchstes Ansehen genießt, muss es sich im Ernstfall der Staatsräson beugen. Nach Rodrigos Sieg gegen die Mauren wirkt Chimenes Racheplan plötzlich wie ein Affront gegen das Gemeinwohl. Das Land mag seinen Helden nicht mehr opfern. Die verletzte Ehre einer Einzelnen muss dahinter zurücktreten.
- Der König nimmt sich gegen Ende des Stücks heraus, das im Allgemeinen geltende Recht nach eigenem Gutdünken und im Sinn einer weiseren persönlichen Entscheidung abzuwandeln. An der positiven Darstellung dieses fragwürdigen Verhaltens lässt sich Corneilles Verteidigung des absolutistischen Monarchen ablesen. Das Stück zeigt zwar auch, dass der Herrscher seine Macht oft den Heldentaten seiner Untertanen verdankt. Doch leitet sich aus dieser Mithilfe keinerlei Mitspracherecht ab.
- Der Cid ist ein Bewusstseinsdrama. Die tragische Dynamik verdankt sich keinem äußeren Anstoß, sondern entspringt dem Inneren der Menschen, die ihre Haltungen sich selbst und anderen gegenüber nachvollziehbar zu machen wissen. Obwohl das Stück von Leidenschaften handelt, werden verschiedene Standpunkte mit den Mitteln der Vernunft verteidigt.
Historischer Hintergrund
Der beginnende Absolutismus
In den 30er Jahren des 17. Jahrhunderts wurde Frankreich von Ludwig XIII. regiert. Sein Sohn Ludwig XIV., der berühmte „Sonnenkönig“, ging später als herausragender Vertreter des europäischen Absolutismus in die Geschichte ein. Doch bereits der Vater versuchte, eine absolute, letztlich unanfechtbare Machtposition im Staat einzunehmen. Einen energischen Zugriff auf die Staatsgewalt bewies er schon in Jugendjahren. Nachdem er als Neunjähriger gekrönt worden war, ließ er mit 16 die Interimsregentin Maria de’ Medici – seine eigene Mutter – in die Verbannung schicken und deren wichtigsten Berater ermorden. Mit Maria de’ Medicis Rückkehr an den Hof vier Jahre später gewann der von ihr geförderte Kardinal Richelieu zunehmend an Einfluss. Als Erster Minister von Ludwig XIII. wandte er sich allerdings bald auch gegen die Königinmutter und arbeitete nun an vielerlei Fronten für die Stärkung des Monarchen. Durch die Belagerung von La Rochelle gelang es Richelieu 1628, den unbotmäßigen Hugenotten ihre letzte eigene Bastion zu nehmen. Zwei Jahre später brach er die Macht des Adels, der sich mehrheitlich gegen den König hatte auflehnen wollen. Dieser schickte seine Mutter abermals in die Verbannung, diesmal lebenslang. Richelieu drängte den Einfluss des katholischen Klerus im Staat zurück und wusste Frankreich auch im europäischen Machtpoker – vor allem gegen Spanien – besser zu positionieren. Als großer Förderer der Künste rief Richelieu zudem die berühmte Gelehrtenvereinigung Académie française ins Leben.
Historisch gesehen verschwindet König Ludwig XIII. fast im Schatten seines berühmt-berüchtigten Beraters. Der Regent selbst war, seiner Machtstellung zum Trotz, von eher schüchternem Charakter, tief religiös und haderte gelegentlich mit Richelieus brutalen Maßnahmen. Letztlich aber stand er im Namen seiner Stellung zu allen politischen Härten. Einer seiner Aussprüche lautete: „Ich wäre kein König, leistete ich mir die Empfindungen eines Privatmannes.“
Entstehung
Der Cid entstand im Jahr 1636. Corneille lebte nach wie vor hauptsächlich in seiner Heimatstadt Rouen, hatte sich aber in Paris längst als Autor von Theaterstücken einen Namen gemacht. Ein Jahr zuvor war er sogar von der rechten Hand des Königs, Kardinal Richelieu, gegen die Zahlung einer monatlichen Pension in eine Gruppe von fünf Autoren berufen worden, die gemeinsam auf Anregung des Kardinals Stücke von hohem Rang und politischem Nutzen verfassen sollte. Nachdem er an zwei Werken mitgewirkt hatte, verließ er die Gruppe allerdings wieder – die kollektive Arbeit verlief nicht nach seinem Geschmack. Parallel hatte Corneille begonnen, sich mit spanischer Literatur auseinanderzusetzen. Er entschloss sich, Guillén de Castros Historiendrama Die Jugendtaten des Cid als Grundlage für ein eigenes Werk zu benutzen. De Castro hatte in seinem Stück auf einen Romanzenzyklus über Spaniens legendären Nationalhelden El Cid zurückgegriffen. Der Cid, ein kastilischer Ritter des 11. Jahrhunderts namens Rodrigo Díaz de Vivar, war eine schillernde militärische Führerfigur, die christlichen wie maurischen Herren diente. Während de Castro verschiedene Bausteine bekannter Cid-Legenden in sein Stück montierte, ging es Corneille weniger um die historische Heldengestalt als um das dramatische Gerüst der Vorlage. Er übernahm zwar den zentralen inneren Konflikt des spanischen Werks, optimierte jedoch die Struktur des Stücks und verzichtete auf eine klare geschichtliche Verortung des Stoffs. Der Cid wurde um die Jahreswende 1636/37 uraufgeführt.
Wirkungsgeschichte
Das Stück war von Anfang an ein phänomenaler Erfolg auf den Theaterbühnen. Der König erhob sogar Corneilles Vater in den Adelsstand, wodurch der Sohn als adlig geboren galt. Das Stück löste allerdings nicht nur Begeisterung, sondern fast zeitgleich auch eine heftige Debatte aus, die so genannte „Querelle du Cid“. In ihr stritten verschiedene Dramatiker und Literaturexperten über Wert und Unwert von Corneilles umjubeltem Werk. Die Vorwürfe waren vielfältig: Der Cid sei zu großen Teilen ein Plagiat; er verstoße gegen die Schicklichkeit; vor allem aber verletze er die drei Einheiten des klassischen Dramas (die des Ortes, der Zeit und der Handlung), u. a. weil sich das Geschehen unmöglich innerhalb von nur 24 Stunden entwickeln könne. Corneille wusste sehr wohl, dass manche Kritik von purem Neid beflügelt war, und schrieb ein hochmütiges Verteidigungsgedicht, in dem er schamlos die eigenen Talente herausstrich. Das brachte seine Gegner noch mehr auf. Schließlich wurde die gerade gegründete Académie française um ein Gutachten gebeten. Deren Mitglied Jean Chapelain erstellte im Auftrag von Kardinal Richelieu eine Expertise und gab Ende 1637 das Urteil ab: Ein Verstoß gegen die Gebote des klassischen Dramas liege sehr wohl vor, ein Plagiat dagegen nicht. Der im Grunde kleinliche Streit tat dem Siegeszug des Cid keinen Abbruch. Inzwischen gilt das Stück als dramatisches Meisterwerk der französischen Klassik. In Frankreich ist es Kernbestand der Schullektüre. Corneille zählt zusammen mit Jean Racine und Molière zum Dreigestirn der französischen Klassik. Er beeinflusste direkt oder indirekt viele spätere Dramatiker, auch außerhalb Frankreichs, z. B. Friedrich Schiller.
Über den Autor
Pierre Corneille wird am 6. Juni 1606 in Rouen geboren. Sein Vater ist Jurist, und auch der Sohn absolviert nach der Jesuitenschule zunächst ein Jurastudium. Mit 22 Jahren beginnt er am höchsten Gericht der Normandie zu arbeiten. Parallel versucht er sich als Autor von Gedichten und Theaterstücken. 1629 bietet Corneille dem Kopf einer Theatergruppe, die sich für ein Gastspiel in Rouen aufhält, seine Komödie Mélite an. Das Stück wird erfolgreich in Paris aufgeführt. Von nun an schreibt Corneille regelmäßig neue Werke für die Gruppe, meist Komödien aus der Pariser Gesellschaft, in der sich der Autor nun immer häufiger bewegt. 1635 wird Corneille, inzwischen ein anerkannter Dramatiker, in ein Gremium von fünf Autoren gewählt, die für den Superminister Kardinal Richelieu gemeinsam moralisch wertvolle Stücke erarbeiten sollen. Er verlässt die Arbeitsgruppe nach kurzer Zeit und kann bald darauf mit Le Cid (Der Cid) seinen größten Bühnenerfolg feiern. Die z. T. heftige Kritik an dem Stück vonseiten neidischer Kollegen und akademischer Regelwächter führt zur so genannten „Querelle du Cid“. Corneille zieht sich nach Rouen zurück und legt erst 1640 mit Horace ein neues Stück vor. In den folgenden Jahren bringt er meist streng klassisch gebaute Tragödien heraus, oft mit verdeckten Bezügen zur aktuellen Politik. 1647 wird er in die Académie française aufgenommen. Corneille, der insgesamt rund 35 Stücke schreibt, gelingt es in der Folge mal mehr, mal weniger, die Gunst des Publikums wie auch die der Pariser Machthaber zu gewinnen. Von den 1660er Jahren an wird er langsam vom neuen Starautor Jean Racine in den Schatten gestellt. Corneille stirbt, noch immer hoch angesehen, am 1. Oktober 1684.
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