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Die Brüder Karamasow

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Die Brüder Karamasow

Artemis & Winkler,

15 mins. de lectura
12 ideas fundamentales
Texto disponible

¿De qué se trata?

Perfektes Verbrechen, Familiendrama, Justizirrtum – manche sagen, dies sei Dostojewskis Meisterwerk.


Literatur­klassiker

  • Roman
  • Realismus

Worum es geht

Verbrechen und Strafe

In seinem letzten großen Roman schildert Dostojewski einen äußerst vertrackten Mordfall, gefolgt von einem spektakulären Kriminalprozess. Doch es handelt sich um alles andere als einen ordinären Krimi: Die Schilderung der Ereignisse, die zu dem Verbrechen und all seinen Folgen führen, ist durchzogen von langen Abschweifungen und Nebenhandlungen, in denen Fragen über Gott und die Welt (wörtlich zu verstehen) erörtert werden, vor allem in zahlreichen Gesprächen zwischen den Protagonisten. Im Hintergrund bietet der dialoglastige Roman eine äußerst differenzierte Analyse der damaligen russischen Gesellschaft und ihrer Probleme aus Dostojewskis Sicht. Die Familie Karamasow steht gewissermaßen stellvertretend für ganz Russland, ihre einzelnen Mitglieder und etliche Nebenfiguren repräsentieren bestimmte Facetten der russischen Gesellschaft. Schließlich sind die vier Brüder Karamasow auch Manifestationen des Bösen, entsprechend dem philosophischen Konzept, das Dostojewskis Denken zugrunde lag. Alles in allem ein geniales Werk, dessen mehr als 1000 Seiten man allerdings nicht spielend leicht bewältigt.

Take-aways

  • Die Brüder Karamasow ist Dostojewskis letzter Roman und gilt als die Summe seines Schaffens.
  • Der alte Karamasow, Vater von vier Söhnen, die er völlig vernachlässigt hat, wird umgebracht.
  • Von Eifersucht und Geldgier getrieben, scheint Dmitrij der Mörder seines Vaters zu sein.
  • Seine Brüder Aljoscha, ein Klosternovize, und Iwan, ein Intellektueller, versuchen ihm in den Tagen vor dem Prozess beizustehen.
  • Der vierte Bruder, Smerdjakow, ist ein uneheliches Kind des Vaters und wird von den anderen drei kaum als Familienmitglied akzeptiert.
  • Dmitrij wird schuldig gesprochen und zu 20 Jahren Zwangsarbeit in Sibirien verurteilt.
  • Der wahre Täter ist jedoch Smerdjakow. Weil er sich erhängt, kann er Dmitrij nicht entlasten.
  • Mit faszinierender psychologischer Doppelbödigkeit lotet Dostojewski nicht nur seine Charaktere aus, sondern auch die gesamte russische Gesellschaft.
  • Fast jede Figur bewegt sich im moralisch-psychologischen Grenzbereich ihrer Existenz.
  • Der Roman ist auch eine philosophische Erörterung des Charakters des Bösen.
  • Mit dem Starez Sosima, Aljoschas Mentor, präsentiert Dostojewski eine urchristlich geprägte Gegengestalt zur moralischen Verkommenheit seiner Zeit.
  • Die berühmte Binnenzählung „Der Großinquisitor“ ist ein besonderes literarisches Meisterstück und ein Schlüsseltext der Religions- und Kirchenkritik.

Zusammenfassung

Die Leiden der Karamasows

Die Familie Karamasow ist alles andere als ein Musterbeispiel des russischen Landadels. Das liegt vor allem am Vater Fjodor Karamasow, einem unerträglichen Schwätzer, Schmarotzer und Schürzenjäger, der seine Frauen systematisch in die Verzweiflung getrieben hat. Seine vier Söhne stammen von drei verschiedenen Müttern: Die erste Ehefrau und Mutter von Dmitrij Karamasow kam ebenfalls aus dem Landadel und brannte mit einem Seminarlehrer nach St. Petersburg durch, wo sie später im Elend starb. Die zweite, sehr junge Ehefrau, Mutter von Iwan Karamasow und Aljoscha Karamasow, war eine verschüchterte Waise, die bei einer despotischen Generalswitwe aufgewachsen war. Die Heirat mit Fjodor bedeutete für sie nicht die erhoffte Erlösung, sondern nur neue Pein. Sie entwickelte sich zu einer Hysterikerin, verlor schließlich den Verstand und verstarb nach acht Jahren Ehe. Um keinen seiner Söhne kümmert sich Fjodor Karamasow in irgendeiner Weise. Sie wurden sofort ins Gesindehaus abgeschoben, zu dem kinderlosen Diener Grigorij und seiner Frau Marfa. Ein weitläufiger Verwandter der ersten Ehefrau Karamasows mit Wohnsitz in Paris nahm sich nach einiger Zeit der Erziehung Dmitrijs an und steckte ihn in ein Internat. Iwan und Aljoscha wurden drei Monate nach dem Tod ihrer Mutter von der Generalin abgeholt und einem engagierten Pädagogen in Moskau in Obhut gegeben. Den vierten Sohn, Smerdjakow Karamasow, hat Fjodor mit der Dorfnärrin Lisaweta gezeugt, die bei der Geburt starb. Das illegitime Kind wurde ebenfalls ins Gesindehaus gebracht und arbeitete später im Haus Karamasow als Koch und Diener. Smerdjakow wird nicht als vollwertiges Familienmitglied betrachtet.

„Mithin besaß er die Gabe, eine besondere Liebe zu sich zu erwecken, sozusagen von Natur, ungekünstelt und unmittelbar.“ (über Aljoscha, S. 30)

Als junge Männer gehen die drei legitimen Brüder Karamasow sehr unterschiedliche Wege. Dmitrij schlägt eine nicht besonders ehrenvolle Offizierslaufbahn ein: Er duelliert sich und macht Schulden wegen Spiel und Frauen. Obwohl weniger ordinär als sein Vater, lässt er ebenfalls gern die Puppen tanzen. Der begabte Iwan beißt sich durch ein selbst finanziertes Universitätsstudium und veröffentlicht u. a. einen Artikel über die kirchliche Gerichtsbarkeit, der großes Aufsehen erregt. Der wegen seiner beinahe naiven Menschenfreundlichkeit allseits beliebte Aljoscha hatte als Kind ein Schlüsselerlebnis, die einzige wirklich konkrete Erinnerung an seine Mutter: Als er ein kleiner Junge war, streckte sie ihn einmal in einem hysterischen Anfall einer Muttergottesikone in ihrem Zimmer entgegen. Aljoscha bricht ein Jahr vor dem Abschluss das Gymnasium ab und lebt als Novize in einem Kloster seiner Heimatstadt, vor allem unter der Obhut des betagten, gebrechlichen Starez Sosima. Dieser ist ein Einsiedlermönch mit einer kleinen, ergebenen Gefolgschaft, der von der bitterarmen Landbevölkerung als Wunderheiler, ja fast als lebender Heiliger verehrt und auch von den Städtern respektiert wird. In seiner Klause findet ein turbulentes Treffen aller Karamasows statt: Der Starez soll in einem Streit zwischen dem Vater und Dmitrij um dessen mütterliche Erbschaft vermitteln. Das Gespräch artet aber in einen Disput um Iwans denkwürdigen Zeitungsartikel aus, dann in einen Streit um die Kurtisane Gruschenka Swetlowa und endet in einem Eklat. Der in weltlichen Dingen unerfahrene Aljoscha gerät dadurch unwillkürlich zwischen alle Stühle.

Iwan und Aljoscha lernen sich kennen

Während der Vater nach einem Zeichen der Gunst von Gruschenka schmachtet und der Starez im Sterben liegt, begegnen sich die Brüder Iwan und Aljoscha in einem Gasthaus und besprechen noch einmal die jüngsten Ereignisse. Der Altersunterschied zwischen den beiden beträgt vier Jahre, und da sie sich bei Beginn von Iwans Universitätsstudium aus den Augen verloren haben, wollen sie die Gelegenheit nutzen, sich erneut kennen zu lernen. Sie kommen wieder auf Iwans Zeitschriftenartikel zu sprechen und es entspinnt sich eine lange Diskussion über Gott und die Welt. Dabei ist es Iwan, der seine Auffassung der Religion gegenüber dem frommen Klosterbruder Aljoscha differenziert darlegt. Im Kern geht es dem weltlich geprägten, intellektuellen Iwan um die Frage, wie man Gott, oder genauer: Gottes Gerechtigkeit, in einer Welt erkennen kann, die voll von Elend, Bosheit und Gemeinheit ist. Als Beispiel führt er vor allem Kriegsberichte über haarsträubende, grausame Folterungen an unschuldigen Kindern, teilweise vor den Augen ihrer Mütter, an. Außerdem gibt er den Inhalt einer Novelle mit dem Titel „Der Großinquisitor“ wieder, die er geschrieben hat.

Die Legende vom Großinquisitor

In dieser Erzählung lässt er im 15. Jahrhundert den leibhaftigen Jesus Christus im vom Rauch der Ketzerverbrennungen erfüllten Sevilla erscheinen. Auf dem Marktplatz begegnet Jesus dem Großinquisitor, einem hageren, 90-jährigen Greis. Dieser lässt ihn verhaften und ins Gefängnis stecken. Dort besucht er ihn in der Zelle und befragt ihn nach dem Grund für sein Wiedererscheinen, worauf er aber keine Antwort erhält. Daraufhin legt der Großinquisitor Jesus dar, dass er kein Recht habe, das Werk der Kirche zu stören. Denn es sei nunmehr die Kirche, die die Menschen zum Heil führe, indem sie ihnen die Freiheit, die Jesus ihnen geschenkt habe, wieder abgenommen habe. Diese Freiheit sei für die Masse der Menschen doch nur eine Bürde, die sie nicht tragen könnten. Um des Glückes der Menschen willen, die nicht nur Freiheit, sondern auch Brot und Erlösung von ihren Sünden wollten, würden alle, die sich gegen diese Führung und Herrschaft der Kirche auflehnten, zu Recht verbrannt. Jesus erwidert nichts. Er hört nur aufmerksam zu und küsst den Großinquisitor zum Schluss auf den Mund. Dieser lässt ihn gehen – mit der Ermahnung, niemals wiederzukommen.

Der Tod des Starez

Aljoscha kehrt in sein Kloster zurück, um seinem verehrten Starez in den letzten Stunden nahe zu sein. Aus Aufzeichnungen über dessen Leben wird deutlich, dass Starez Sosima als junger Kadett die Ausschweifungen des Lebens durchaus kennen gelernt hat. Weil er fälschlicherweise des Mordes an einer geliebten Frau bezichtigt worden war und weil er einmal ein intensives Erlebnis der Natur als Gottes Schöpfung hatte, wandte er sich von der Welt ab und widmete sich einem Leben in Barmherzigkeit und Demut als einer Form praktizierten Christentums. Dieses Leben hat ihm den Ruf eines Heiligen eingetragen. Vor seinem Sterben ermahnt er Aljoscha zu dessen Überraschung, dem Kloster zu entsagen und sich als Christ in der Welt zu bewähren. Kurz nach Sosimas Tod breitet sich intensiver Verwesungsgeruch in der Zelle aus. Da man von jüngst verstorbenen Heiligen als Zeichen ihrer Gottesnähe aber besonderen Wohlgeruch erwartet, erregt dies bei allen in Stadt und Kloster sehr viel Aufsehen. Aljoscha bleibt von dem Aufruhr nicht unbeeindruckt und verlässt nach einigem Zögern tatsächlich das Kloster.

Dmitrij in finanzieller Bedrängnis

Noch immer warten sowohl der Vater Fjodor als auch Sohn Dmitrij auf ein Zeichen von Gruschenka. Fjodor hat ihr als Geschenk sogar 3000 Rubel in Aussicht gestellt. Dem leichtsinnigen Dmitrij fehlen genau 3000 Rubel, die er händeringend aufzutreiben sucht. Diese Summe hatte er einige Zeit vorher von seiner Verlobten Katerina Werchowzewa erhalten, um das Geld deren Not leidenden Verwandten zu überbringen. Stattdessen fuhr er mit Gruschenka in den Nachbarort Mokroje und gab dort – eigenen Aussagen zufolge – das ganze Geld für ein riesiges Gelage aus, natürlich um Gruschenka zu beeindrucken. Sie aber ließ sich dafür von ihm seinerzeit „nur ein Füßchen küssen“. Im Grunde möchte Dmitrij die Unterschlagung wieder rückgängig machen. Deswegen hat er seinen Vater um den Betrag angegangen. Aus diesem Grund ist auch die Aussprache beim Starez anberaumt worden: Dmitrij glaubt nämlich, ein Recht auf das Geld aus seinem mütterlichen Erbe zu haben, das der Vater verwaltet. Aber Fjodor hat bisher nichts herausgerückt. Dmitrij besitzt praktisch keine Kopeke mehr. Halb wahnsinnig vor Verzweiflung rennt er in der Stadt von einem zum anderen, in der Hoffnung, sich die Summe leihen zu können: zu Gruschenkas ehemaligem geizigem Gönner, zu einem betrunkenen Bauern, zu einer angeblich wohlhabenden Dame – umsonst. Wie von Sinnen, kehrt er nachts zum väterlichen Haus zurück, mit dem Vorsatz, Fjodor zu töten und dessen für Gruschenka bestimmtes Briefchen mit den 3000 Rubeln an sich zu nehmen. Erst in letzter Sekunde lässt er von seinem Vorhaben ab. Auf der nächtlichen Flucht aus dem Garten läuft ihm der Diener Grigorij über den Weg. In seiner Verwirrung schlägt Dmitrij ihn nieder.

Der Mord

Obwohl auch er sich verletzt hat und blutüberströmt ist, gelingt es Dmitrij sich von seinem Hauswirt sowie einem Bekannten nochmals zehn Rubel zu leihen. Gruschenka ist nämlich an ebenjenem Tag wieder nach Mokroje gefahren, um sich mit einem polnischen Offizier zu treffen, den sie liebt und der ihr fünf Jahre zuvor die Ehe versprochen hat. Dieser ist nun aus Sibirien aufgetaucht. Trotz der fortgeschrittenen Stunde kann Dmitrij einen Kolonialwarenhändler zur Lieferung von Champagner, Wein, Pasteten und Bonbons nach Mokroje überreden und lässt für sich selbst sofort anspannen. Nach wilder Fahrt langt er in dem Wirtshaus an, wo schon einmal ein Gelage mit Gruschenka stattfand. Gruschenka ist da – und sie langweilt sich mit ihrem Polen, der eine billige sibirische Perücke trägt. Dmitrij lässt die erste Kiste Champagner auspacken und vom Wirt Musik sowie Tanz- und Gesangsmädchen auftreiben. Karten werden hervorgeholt, Bauern erscheinen zum Gaffen, die Nacht schreitet voran. Es wird tatsächlich ein trunkenes Gelage, man bezichtigt sich gegenseitig der Trickserei beim Spiel. Plötzlich erscheinen ein Staatsanwalt, ein Untersuchungsrichter, ein Kommissar, weitere Amtspersonen und Polizisten. Fjodor Karamasow ist erschlagen worden, und Dmitrij wird verdächtigt. In einem langen Verhör werden die Vorgänge der Nacht und die gesamte Vorgeschichte minutiös rekonstruiert. Dmitrij gibt vieles zu, aber seinen Vater will er nicht getötet haben. Seine Motive werden wohl verstanden, aber die Herkunft des Geldes kann er nicht schlüssig erklären. Er behauptet, einen Monat zuvor nur die Hälfte der 3000 Rubel Katerinas ausgegeben zu haben, den Rest habe er in einem Brustbeutel verwahrt und am heutigen Abend verwendet. Doch diese Erklärungen nützen Dmitrij nichts: Er wird verhaftet.

Der Prozess

In den zwei Monaten bis zum Prozesstag liegen die Nerven aller Beteiligten blank. Trotz vieler Indizien steht die Täterschaft Dmitrijs nicht eindeutig fest, manche mögen nicht daran glauben und wollen ihn auf die eine oder andere Weise retten: Es gibt medizinische Sachverständige, die seine Unzurechnungsfähigkeit bezeugen sollen, Fluchtpläne und Selbstbezichtigungen. Die Frage nach der Unzurechnungsfähigkeit ist schnell erledigt, denn das würde voraussetzen, dass Dmitrij der Täter war, was gerade die ihm Wohlgesinnten abstreiten. Aljoscha bastelt am Fluchtplan. Die beiden Selbstbezichtiger sind Iwan und Smerdjakow. Dmitrij hatte den ungeliebten Halbbruder Smerdjakow bei den Verhören bereits als möglichen Vatermörder ins Spiel gebracht, dieser Vermutung war jedoch wenig Glauben geschenkt worden. Iwan führt nun mehrere Gespräche mit dem immer frecher werdenden Smerdjakow. Im dritten Gespräch offenbart Smerdjakow gegenüber Iwan tatsächlich seine Täterschaft, schildert genau den Hergang des Mordes am Vater und zeigt zum Beweis 3000 Rubel vor. Zur Verzweiflung seines Gegenübers führt Smerdjakow zu seiner Rechtfertigung Gedankengut aus früheren Gesprächen mit Iwan an, denen zufolge sich Gott in der modernen Zeit erledigt habe und also „alles erlaubt“ sei. Smerdjakow wusste, dass auch Iwan seinen Vater hasste und ihn am liebsten tot gesehen hätte. Iwan selbst sieht sich nun als Anstifter und eigentlichen Mörder hinter seinem „Werkzeug“. Kurz nach seinem Geständnis, am Abend vor dem Prozess, erhängt sich Smerdjakow. Er kann deshalb als Zeuge zur Entlastung Dmitrijs nicht mehr aussagen.

„Es gibt keine Tugend, wenn es keine Unsterblichkeit gibt.“ (Iwan, S. 98)

Der Mordfall hat in ganz Russland Aufsehen erregt. Der Prozess kündigt sich als sensationelles Spektakel an. Aus St. Petersburg und Moskau sind namhafte Persönlichkeiten angereist, vor allem Juristen, die die Auseinandersetzung zwischen dem Staatsanwalt und dem von Katerina engagierten berühmten Verteidiger miterleben wollen. Die teilweise außerordentlich herausgeputzten Damen im Publikum erwarten sich viel von der Konfrontation der beiden als Zeuginnen geladenen Rivalinnen, Gruschenka und Katerina. Alle Fakten und Hintergründe werden noch einmal erörtert. Dmitrijs Anwalt gelingt es, die wichtigsten Belastungszeugen auf die eine oder andere Weise in ihrer Glaubwürdigkeit zu erschüttern. Doch der verwirrte Auftritt Iwans bringt Katerina dazu, in einer zweiten Aussage einen Brief vorzuweisen, den Dmitrij in betrunkenem Zustand seinerzeit im Wirtshaus in Mokroje an sie geschrieben hat. Darin enthüllt er seinen Tatplan. Der Staatsanwalt hält daraufhin ein leidenschaftliches, ausgewogenes Plädoyer, in dem er in der Familie Karamasow auch das gegenwärtige Russland widergespiegelt sieht. Der Verteidiger kann das Blatt nicht mehr wenden. Die Geschworenen – Kleinbürger der Stadt – befinden den Angeklagten für schuldig. 20 Jahre Zwangsarbeit in Sibirien für Dmitrij sind die Folge.

Zum Text

Aufbau und Stil

Der Roman ist als Bericht eines namenlosen Ich-Erzählers aus einem Abstand von 13 Jahren verfasst. Entsprechend wird die Handlung von der Zeit der Romanniederschrift zurück ins Jahr 1866 verlegt. Ort der Handlung ist eine namenlose Kleinstadt, die „typisch für Russland“ sein soll. Der Erzähler wendet sich zwar manchmal direkt an den Leser, tritt aber weitgehend zurück. Er resümiert gelegentlich das Vorgefallene, charakterisiert bisweilen kurz die Figuren, manchmal auch ihre Empfindungen und Gedanken wie ein allwissender Erzähler. Im Wesentlichen bereitet er aber immer die Szenen für die Dialogauftritte vor. Außerdem enthält der Roman als eingeschobene Texte die „Aufzeichnungen aus dem Leben des Starez Sosima“, die vorgeblich aus Aljoschas Feder stammen, sowie die kompakte, kaum von dialogischen Passagen unterbrochene Wiedergabe der Erzählung „Der Großinquisitor“ aus dem Mund von Iwan – ein besonderes literarisches Meisterstück, das manche gar als prophetische Vorausahnung der Sowjetherrschaft gelesen haben. Die eigentliche Handlungszeit ist extrem gedehnt: Auf Hunderten von Seiten werden die wenigen Tage vor dem Vatermord und vor dem Prozess beschrieben. Die Dialogpassagen sind teilweise stark mit intellektuellen Erörterungen oder auch mit emotionalen Ausbrüchen befrachtet. Die symbolischen und allegorischen Deutungsebenen dieses vordergründig realistischen Romans sind sehr komplex.

Interpretationsansätze

  • Die Brüder Karamasow sowie ihr Vater Fjodor und einige Nebenfiguren sind typische Repräsentanten des geistigen und gesellschaftlichen Lebens in Russland zur Zeit Dostojewskis.
  • Der Vater, ein verantwortungsloser Wucherer und Wüstling, steht für den völligen moralischen Verfall der damaligen Gesellschaft.
  • Die vier Brüder verkörpern sich steigernde Facetten des Bösen: Diese reichen von der hilflosen, aber ahnungsvollen Mitwisserschaft Aljoschas über den Hass Iwans bis zum konkreten Tatplan Dmitrijs und zur Ausführung Smerdjakows.
  • Dostojewskis Figuren sind mehrdimensional: Entgegen allem äußeren Anschein ist und bleibt Dmitrij grundehrlich, dem Leichnam des heiligen Starez entströmt intensiver Verwesungsgeruch, dem atheistischen Iwan erscheint der Teufel, und Fjodors Ermordung könnte Dmitrijs Tat, aber auch die eines anderen sein.
  • Der Starez Sosima steht für ein bodenständiges, demütiges Christentum, möglichst ohne ausgeprägte kirchliche Bindung. Darin sieht Dostojewski das Heil für Russland.
  • Dostojewski übt Kritik am westlichen aufklärerischen Denken. Es ist in seinen Augen gottlos und zeigt, zu welchen mörderischen Konsequenzen der Verfall des Gewissens führt. Eine Welt ohne den Glauben an Gott und an eine unsterbliche Seele wäre sinnlos und für den Menschen unerträglich.
  • Die Brüder Karamasow ist Dostojewskis letztes Werk und Summe seines Denkens. In ihm vertieft er die Thematik von Schuld und Sühne – so der Titel eines anderen berühmten Romans des Dichters.

Historischer Hintergrund

Aufklärung und russischer Realismus

Unter Zar Nikolaus I. (1796–1855), während Dostojewskis Jugend, war Russland vom übrigen Europa isoliert wie der spätere Sowjetstaat, nur mit umgekehrten politischen Vorzeichen: extrem konservativ, ja reaktionär, einschließlich Zensur – ein regelrechter Polizeistaat. Trotzdem erlebte das Land eine erste geistige Blüte. Die Intelligenz opponierte und stellte gewisse Freiheitsforderungen. Unter Zar Alexander II., der von 1855 bis 1881 regierte, wurde Russland, nach den Maßstäben der Zeit, ein Reformstaat: wirtschaftlich, teilweise politisch und geistig. 1861 wurde die Leibeigenschaft aufgehoben. Aufklärerisches Denken, im Untergrund längst vorbereitet, drängte nun an die Oberfläche. Auch das Rechtswesen wurde reformiert; dies zeigt sich in Dostojewskis Roman deutlich an dem außerordentlich fairen Prozess gegen Dmitrij (wenngleich er mit einem Justizirrtum endet).

Dostojewski war ein Vertreter des russischen Realismus (etwa von 1830 bis 1880). Dabei handelte es sich um eine literarische Strömung, die versuchte, die gesellschaftliche Realität und deren prägende Wirkung auf den menschlichen Charakter wirklichkeitsgetreu abzubilden, also ohne Überhöhung oder Stilisierung. In den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts war die russische Literatur noch hauptsächlich von der Romantik geprägt. Gegen 1840 trat der Realismus, vor allem in Prosawerken, als Reaktion auf die Romantik hervor. Die russischen Schriftsteller schrieben nun vermehrt über brennende soziale und politische Themen und Probleme, weil sie meinten, dass die Literatur das wirkliche Leben unsentimental darstellen sollte.

Entstehung

Die Anfänge der Entstehung von Dostojewskis Hauptwerk reichen bis in die Zeit von Schuld und Sühne zurück, d. h. bis in die späten 1860er Jahre. Dostojewski arbeitete also ungefähr 20 Jahre lang mit unterschiedlicher Intensität daran. Viele Themen und Motive kehren in seinen großen Romanen immer wieder: Verbrechen, Gewalt, Schuld, Sühne, das Böse und das Gute, Gott, Gerechtigkeit, Gewissen, Christentum. Dostojewski war keineswegs ein stiller Poet. Sein eigentlicher Hauptberuf war Journalist. So fieberhaft wie er Romane schrieb, so rastlos verfasste er Artikel und gründete er Zeitschriften, darunter auch eine, deren einziger Autor er selbst war. Dostojewski befasste sich intensiv mit den Fragen seiner Zeit und nahm an den intellektuellen Diskussionen teil, die sich gerade auch mit philosophisch-politischen Fragen (Nihilismus, Anarchismus, Sozialismus) befassten, die er in seinen Romanen erörterte.

Darüber hinaus las Dostojewski intensiv die zeitgenössische Romanliteratur, natürlich die Russen, aber auch Honoré de Balzac, Stendhal, Victor Hugo und George Sand. Er bewunderte Schiller, den er im Roman wiederholt zitiert. So wälzte Dostojewski als einer der führenden Intellektuellen Russlands über viele Jahre den Stoff immer wieder um, bis er ihn in die Form seines Hauptwerkes goss – das immer noch spürbar heterogen ist. Im Übrigen war dieses Buch nur als Auftakt zu einem zweiten, noch umfangreicheren Band geplant, in dem vor allem das weitere Leben Aljoschas geschildert werden sollte. Dieses Vorhaben hat der Tod verhindert.

Wirkungsgeschichte

Dostojewskis erste Veröffentlichungen waren gefeierte Anfangserfolge. Danach erlebte er beruflich wie privat extreme Höhen und Tiefen. Mit seinen großen Romanen (ab 1871) stellte sich jedoch anhaltender literarischer Ruhm ein. Erfolg und Wirkung der Brüder Karamasow erlebte er nicht mehr, da er im Erscheinungsjahr des Romans starb.

Das monumentale Werk hat viele Schriftsteller beeinflusst: russische natürlich, aber auch englischsprachige (Theodore Dreiser, James Joyce, Thomas Wolfe, Truman Capote) und deutsche. Das Teufelsgespräch in Thomas Manns Doktor Faustus ist eine bewusste Parallele zur Teufelserscheinung Iwans.

Ein großer Dostojewski-Verehrer war auch Albert Camus, der die Brüder Karamasow in seinem Werk Der Mensch in der Revolte ausführlich erörtert. Für Camus wie für andere Denker des Existenzialismus war immer die Frage wichtig, wie sich der Mensch in Extremsituationen bewährt. Die ausweglose Lage, in die die Dostojewski’schen Romanfiguren hineingeraten, sahen sie als solche Situationen am moralischen Rand der menschlichen Existenz.

Der Roman Die Brüder Karamasow wurde dramatisiert, vertont und mehrfach verfilmt.

Über den Autor

Fjodor M. Dostojewski wird am 11. November 1821 als zweites von acht Kindern in einem Moskauer Armenhospital geboren. Nach einer Jugendzeit in ärmlichen Verhältnissen tritt er 1838 gemeinsam mit seinem Bruder in die St. Petersburger Militärakademie ein. Hier zeigt sich bereits sein schriftstellerisches Talent. Nach Abschluss des Studiums wird Dostojewski 1843 im Kriegsministerium angestellt. Dort hält es ihn aber nicht lange: Trotz massiver finanzieller Probleme quittiert er den Dienst bereits ein Jahr später. Sein Ziel: Schriftsteller zu werden. Sein Erstling, der Briefroman Arme Leute (1846), macht ihn schlagartig berühmt. Die intensive Arbeit an weiteren Werken und die Versagensangst führen zu ersten epileptischen Anfällen. 1849 wird er wegen Mitgliedschaft im revolutionären Petraschewski-Kreis, einer Art Geheimbund, zum Tod verurteilt. Buchstäblich in letzter Sekunde, bereits auf dem Richtplatz, wird er jedoch vom Zaren begnadigt und zu vier Jahren Zwangsarbeit sowie vier Jahren Militärdienst verurteilt. Während der Zeit in Sibirien bekehrt er sich zum christlichen Glauben. 1854 lernt er Marja Dimitrijewna kennen, die er 1857 heiratet. Nach Beendigung des Militärdienstes kehrt er 1859 nach Moskau zurück. Die Aufzeichnungen aus einem Totenhaus, eine Beschreibung seiner Verbannung nach Sibirien, erscheinen 1861 in der von Dostojewski gegründeten Zeitschrift Vremja. Im nächsten Jahr unternimmt er seine erste Europareise und ein Jahr darauf die zweite. Dostojewski ist ein Spieler, der sich wegen seiner Sucht hoch verschuldet. Nach der dritten Europareise erscheint 1866 der Roman Schuld und Sühne in der Zeitschrift Russkij vestnik. Der Roman Der Spieler wird im selben Jahr veröffentlicht. Bis 1871 reist Dostojewski auf der Flucht vor seinen Gläubigern durch Europa und hält sich unter anderem in Florenz auf, wo er seinen Roman Der Idiot verfasst. Die Romane Die Dämonen (1871) und Die Brüder Karamasow (1879) werden große Erfolge. Am 9. Februar 1881 stirbt Dostojewski in St. Petersburg an den Folgen seiner Epilepsie und einem chronischen Lungenleiden.

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