Lange hieß es, dass alle Emotionen weltweit erkannt und verstanden werden. Sie seien jedem Menschen gleichermaßen angeboren. Mit dieser Theorie der universellen Emotionen, der schwere methodische Fehler zugrunde liegen, räumt die renommierte Emotionsforscherin Lisa Feldman Barrett auf. Sie zeigt, dass Emotionen konstruierte Kategorien sind, die erlernt werden. Jede Kultur kennt also ihre eigenen Emotionen. Um Klischees zu überwinden, Rechtssprechung fairer zu gestalten und Menschen zu mehr emotionaler Intelligenz zu verhelfen, braucht es einen Paradigmenwechsel.
Viele glauben, Emotionen anderer Menschen an ihren Gesichtern ablesen zu können.
Spätestens seit Platon glauben die meisten Menschen, dass Emotionen bestimmte Charakteristika aufweisen. Erzählt beispielsweise jemand bewegt und mit zitternder Stimme von einem traurigen Ereignis, dann wird im Gehirn der „Trauer-Schaltkreis“ mit verschiedenen körperlichen Reaktionen angeregt und die Zuhörenden fangen womöglich an zu weinen. Vergleichbare Schaltkreise – so die klassische Auffassung – gibt es auch für Wut, Angst, Glück, Überraschung und andere Emotionen. Diese lassen sich anhand charakteristischer Gesichtsausdrücke und anderer Reaktionen des Körpers vermeintlich eindeutig identifizieren – quasi so, als hätte jede Emotion ihren eigenen Fingerabdruck. Sicherheitsmitarbeitende auf Flughäfen sind daher geschult, potenziell gefährliche Personen anhand ihrer Mimik und ihrer Körpersprache zu erkennen.
Die falsche Vorstellung von universellen Emotionen ist ein Resultat falscher Forschungsmethoden.
Die Vorstellung, jede Emotion hätte einen Fingerabdruck, hält wissenschaftlichen Überprüfungen nicht stand. Dennoch hält sie sich hartnäckig. Grund dafür ist...
Lisa Feldman Barrett lehrt Psychologie an der Northeastern University in Boston sowie Psychologie und Radiologie an der Harvard Medical School und dem Massachusetts General Hospital. Sie ist in der Grundlagenforschung über Emotionen und Affekte tätig und hat die Society for Affective Science mitbegründet.
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