Georg Wilhelm Friedrich Hegel
Wissenschaft der Logik
Suhrkamp, 2017
What's inside?
Die objektive Wahrheit und unser subjektives Denken sind ein und dasselbe.
- Philosophie
- Deutscher Idealismus
Worum es geht
Die Wirklichkeit der Vernunft
Kaum 20 Jahre nachdem Kants kritische Philosophie die übermütigen Höhenflüge der abstrakten Spekulation in die Schranken gewiesen hatte, setzte Hegel zum großen Gegenschlag an. Was in der Phänomenologie des Geistes nur angedacht war, formulierte er in der Wissenschaft der Logik minutiös aus: Die Wirklichkeit ist vernünftig und die Vernunft ist Wirklichkeit, das Denken und die objektive Wahrheit sind ein und dasselbe. In zwei umfassenden Bänden entfaltet Hegel seine berühmte Dialektik und mit ihr nichts weniger als das absolute Wissen vom Standpunkt Gottes. Ein zu großes Unterfangen, selbst für Hegel: Unzufrieden mit der Originalfassung, versuchte er in den letzten Jahre seines Lebens, das Herzstück seiner Philosophie klarer und verständlicher zu formulieren – ohne Erfolg. Das Buch, das alle Fragen hätte klären sollen, hat eine widersprüchliche und kontroverse Auslegungsgeschichte nach sich gezogen. Dennoch ist dieser gigantische Wurf ein Meilenstein der Philosophiegeschichte, dessen Bedeutung und Einfluss kaum zu überschätzen ist.
Take-aways
- Die Wissenschaft der Logik ist das philosophische Hauptwerk G. W. F. Hegels.
- Inhalt: Die wissenschaftliche Logik soll das Denken in seiner objektiven Struktur und Wahrheit darstellen. Die Methode dafür ist die Dialektik, als die logisch notwendige Selbstentfaltung des Geistes im Begriff. Die Logik besteht deshalb aus drei Lehren: der Lehre vom Sein, deren Negation in der Lehre vom Wesen sowie der Synthese beider in der Lehre vom Begriff.
- Das Buch hat mehrere philosophische Strömungen wie den Existenzialismus und den Marxismus geprägt.
- Es wurde zwischen 1812 und 1816 in Nürnberg verfasst und veröffentlicht.
- Hegel fand die Originalfassung zu unklar und überarbeitete sie während seiner letzten vier Lebensjahre. Fertig wurde allerdings nur der erste Band.
- Logik bedeutet für Hegel nicht das richtige Schließen, sondern die notwendige Struktur des Denkens.
- Die Wissenschaft der Logik ist eine umfassende Widerlegung Immanuel Kants.
- Hegel versucht darin, das Freiheitsideal der Aufklärung mit naturwissenschaftlichem Determinismus und dem religiösen Gefühl einer kosmischen Einheit zu verbinden.
- Heute ist die komplexe Argumentation Hegels in vielen Punkten umstritten.
- Zitat: „Die Logik ist (…) das System der reinen Vernunft, das Reich des reinen Gedankens (…). Dieses Reich ist die Wahrheit, wie sie ohne Hülle an und für sich selbst ist. Man kann sich deswegen ausdrücken, daß dieser Inhalt die Darstellung Gottes ist (…).“
Zusammenfassung
Einleitung
In den letzten 25 Jahren hat die Philosophie eine radikale Veränderung erfahren. Das metaphysische Denken der Ontologie, Theologie und Kosmologie wurde durch die kritische Philosophie Kants völlig diskreditiert. Auch die Logik hat ihre traditionelle Bedeutung als Schule des Denkens eingebüßt. Sie wird zwar noch unterrichtet, aber nicht mehr als praktisch nützlich angesehen. Es bedarf daher einer völligen Neugründung der Metaphysik – als logische Wissenschaft. Die Methode dieser Wissenschaft kann nur die Dialektik sein, also jene Bewegung des Geistes, die die Entwicklung der Begriffe selbst nachvollzieht und zur Darstellung bringt. Dies hat die Phänomenologie des Geistes gezeigt. Ziel der Wissenschaft der Logik ist es, das Denken in seiner Gesamtheit und seiner notwendigen Entwicklung zu erfassen. Dazu gilt es, die traditionell völlig formale und inhaltsleere Logik mit Inhalt zu füllen, wodurch der Begriff zum eigentlichen Gegenstand wird und sich durch die Bewegung des Begriffs die Struktur der wahren und objektiven Wirklichkeit und Vernunft gleichsam aus der Perspektive Gottes enthüllen kann. Im Folgenden sollen die drei Seiten des Absoluten untersucht werden: das Sein, das Wesen und der Begriff.
Die Lehre vom Sein: Qualität, Quantität und Maß
Dem reinen, unmittelbaren Sein fehlt jegliche Bestimmung, jegliche Konturierung in sich selbst oder gegen anderes. Es ist daher nichts, völlige Inhaltsleere. Das Sein und das Nichts formen eine Einheit, bleiben aber unterschieden. Deshalb bilden sie eine Bewegung, in der ständig das eine ins andere übergeht: das Werden. Das Resultat dieser Bewegung des Werdens ist das Dasein, ein Etwas. Im Etwas verbinden sich Sein und Nichts, Realität und Negation, denn jedes Etwas ist nur durch seine Beziehung zu anderen Etwas bestimmt. Es ist das, was es ist, dadurch, dass es das, was es nicht ist, nicht ist – es ist vom Anderen durch seine Grenze unterschieden, durch die es sich gegen die Übergriffe seiner Umwelt schützen und erhalten kann. Insofern das Dasein deshalb an das verwiesen ist, was es nicht ist (seine Negation), ist es notwendig endlich und vergänglich.
„Die völlige Umänderung, welche die philosophische Denkweise seit etwa fünfundzwanzig Jahren unter uns erlitten (…), hat bisher noch wenig Einfluß auf die Gestalt der Logik gehabt.“ (Bd. 1, S. 13)
Wenn aber alles Dasein radikal endlich ist und fortwährend untergeht, wird unverständlich, wie es zur Erfahrung von Identität und Kontinuität in der Welt und in uns selbst kommen kann. Das Gesamtsystem allen Daseins, selbst von keinem weiteren Außen abhängig, ist das Unendliche. In der Perspektive des Unendlichen gehen die Dinge über und nicht unter: Sie werden aufgehoben. Das bedeutet, dass etwas, das endet, nicht zu nichts wird, sondern in dem Etwas, das an seine Stelle tritt, als Moment erhalten bleibt. Insofern der unendliche Prozess von Werden und Vergehen, Geburt und Tod nach dem Prinzip der aufhebenden Negation vor sich geht, zeigt er sich als Notwendigkeit, in der alles Dasein (durch die Aufhebung) kausal verknüpft ist. Das Unendliche, in dem alles Endliche aufgehoben ist, stellt das wahrhafte, qualitative Sein dar.
„Die Logik ist (…) das System der reinen Vernunft, das Reich des reinen Gedankens (…). Dieses Reich ist die Wahrheit, wie sie ohne Hülle an und für sich selbst ist. Man kann sich deswegen ausdrücken, daß dieser Inhalt die Darstellung Gottes ist (…).“ (Bd. 1, S. 44)
Sein ist als solches unendliches Fürsichsein aus allem Endlichen und Negativen zu sich selbst zurückgekehrt. Als Fürsichsein verliert es alle qualitative Bestimmung und wird reine Quantität, ein Eins. Dadurch wird das Sein gleichgültig, seine Grenze radikal verschiebbar. Reine Quantität ist der kontinuierliche Strom der Ausdehnung, in dem beliebig Einschnitte gemacht werden können: Materie, Licht, Raum und Zeit, ja sogar das Ich. In diesem Strom lassen sich konkrete Einheiten, Quanten oder Zahlen, definieren, die sich gegen andere Quanten absetzen und durch diese bestimmbar sind. Da Quanten jedoch völlig qualitätslos sind, kann jedes Quantum beliebig definiert werden, seine Grenze und Größe ist ständig veränderbar und ist nur durch eine andere Größe bestimmbar, sodass eine endgültige Bestimmung der Quanten ins Unendliche aufgeschoben bleibt. Die Zahlen überschreiten sich in einem unendlichen Progress. Dadurch verliert sich das Quantum zwar einerseits in seinem Anderen, doch wenn man diese Negativität als die spezifische Qualität des Quantums erkennt, kehrt das Quantum wieder zu sich selbst zurück. Es ist nun qualitativ bestimmt, als Relation, als quantitatives Verhältnis zu anderen Quanten, und darin ist die Quantität mit der Qualität wieder vereint – gemeinsam bilden sie das Maß.
„In diesem Dialektischen (…) und damit in dem Fassen des Entgegengesetzten in seiner Einheit oder des Positiven im Negativen besteht das Spekulative.“ (Bd. 1, S. 52)
Auf einer höheren Ebene ist somit die Qualität wiedergekehrt, nun aber in Einheit mit der Quantität. Die Veränderung der Quantität führt zu einer Veränderung der Qualität, zu einem unendlichen Progress, der jedoch in der Stabilität des Maßes verankert bleibt. Hier kommt nun die Kategorie des Substrats in den Blick. Etwas dauert unter allen Veränderungen fort. Dieses Etwas, die Materie, ist als indifferent zu bestimmen, also als seinen jeweiligen Zuständen gegenüber gleichgültig. Letztlich zeigt das Dasein, das fortwährende Übergehen des Qualitativen und Quantitativen, selbst an, dass ihm ein Substrat zugrunde liegt. Die Veränderungen relativieren sich zu Zustandsänderungen einer gleichbleibenden Grundlage, des Seins als Indifferenz. Sie entpuppen sich als relative Setzungen und nicht als selbstständig Seiendes.
Die Lehre vom Wesen: Existenz, Erscheinung und Wirklichkeit
Das Wesen ist das Resultat aus der Bewegung des Seins und deshalb das Substrat, der Grund oder eben die Wahrheit des Seins. Angesichts des Wesens sinkt das bisher betrachtete unmittelbare Sein zum Unwesentlichen, zum bloßen Schein herab. Das Wesen erscheint erst im Hinausgehen über das unmittelbare Dasein, in dessen erster Negation: der Reflexion. Als Bestimmung der Reflexion, als Denkgesetz, wird traditionell der Satz von der Identität bzw. der Verschiedenheit genannt. Wie gezeigt, kann das Sein aber weder als bloß selbstidentisch noch als radikal verschieden gedacht werden, sondern muss als Einheit beider Momente erscheinen: Ein Dasein erfährt seine Bestimmung durch einen Gegensatz, einen negativen Bezug auf ein anderes Dasein. Das Positive und Negative gehören also wesensmäßig zueinander, sie setzen und bestimmen sich gegenseitig, wie Licht und Finsternis, Wahrheit und Irrtum oder Gut und Böse. Der Widerspruch ist somit die wesentliche Bestimmung der Reflexion, nicht Identität und Unterschied. Im Widerspruch gründet alles Leben, Handeln und Bewegen. Mit dieser Erkenntnis muss alle Philosophie beginnen.
„Das Sein, das unbestimmte Unmittelbare ist in der Tat Nichts und nicht mehr noch weniger als Nichts.“ (Bd. 1, S. 83)
Alles Dasein hat einen Grund, es ist nicht einfach Unmittelbares, sondern stets Vermitteltes, Gesetztes. Doch dieses Verhältnis zum Grund weist einen Widerspruch auf: Der Grund muss anders sein als das Begründete, darf aber nicht nur zufällig mit ihm verbunden sein, sondern muss ihn notwendig bedingen. In den Naturwissenschaften dominiert das Modell eines bloß formellen Grundes, das heißt, die Begründung eines Phänomens muss selbst durch eine weitere Begründung begründet werden – ein unendlicher Regress. Die Gesetze der Naturwissenschaften sind daher bloß empirisch-zufällig und keine absolut notwendigen Gesetze. Der absoluten Notwendigkeit nähert man sich erst, wenn man alles Dasein in seinem systematischen Zusammenhang betrachtet. Dann erscheint alles Dasein als kausal miteinander verbunden. Diese Totalität nennen wir Wirklichkeit. In ihr ist alles vermittelt, doch sie selbst ist nicht vermittelt. Die Wirklichkeit ist unmittelbar, grundlos – und daher die Wiederkehr des unmittelbaren Seins, diesmal jedoch als Existenz. In der Existenz ist das Wesen nicht hinter dem Dasein verborgen, sondern selbst Dasein. Das Wesen offenbart sich im Dasein, es erscheint.
„Aufheben hat in der Sprache den gedoppelten Sinn, daß es soviel als aufbewahren, erhalten bedeutet und zugleich soviel als aufhören lassen, ein Ende machen. (…) Etwas ist nur insofern aufgehoben, als es in die Einheit mit seinem Entgegengesetzten getreten ist (…)“ (Bd. 1, S. 114) “
Nun ist das Sein nicht mehr bloß zufällig und unmittelbar, sondern begründet und notwendig. Es wird daher zur Erscheinung, denn im Dasein selbst erscheint nun sein Wesen, der Grund seines Seins. Sein als Erscheinung ist deshalb Gesetztsein, es verweist auf einen Grund und hört auf, bloß unmittelbar zu sein. Das veränderbare Dasein ist in einem gleichbleibenden Wesen verankert, seinem Gesetz. Auf dieser Ebene sind das Wesen und seine Erscheinung noch getrennt, denn das veränderliche Dasein ist vom gleichbleibenden Gesetz unterschieden. Von dieser Art sind die empirischen Naturgesetze; ihnen fehlt die notwendige wesenhafte Verbindung zwischen Dasein und Gesetz, also ihre negative Bezogenheit aufeinander. Wahr wird die Erscheinung erst, wenn sie als wesentliches Verhältnis der erscheinenden und der wesentlichen Welt erkannt ist. Das wesentliche Verhältnis ist zunächst das des Ganzen zu seinen Teilen: Jedes hängt existenziell vom anderen ab. Außerdem lässt sich diese enge Verbindung als die Äußerung einer zugrunde liegenden Kraft oder gar als Beziehung zwischen einem Inneren und einem Äußeren denken. So hört das wesentliche Verhältnis auf, bloß Beziehung zu sein, und wird substanziell und wirklich.
„Dies Übergehen des Qualitativen und des Quantitativen ineinander geht auf dem Boden ihrer Einheit vor, und der Sinn dieses Prozesses ist nur (…) das Zeigen oder Setzen, daß demselben ein (…) Substrat zugrunde liegt, welches ihre Einheit sei.“ (Bd. 1, S. 444)
Die Wirklichkeit ist die vollständige Manifestation des Wesens, die vollendete Einheit von Existenz und Wesen, der Veränderung enthoben. In der Wirklichkeit drückt sich das Wesen unmittelbar im Dasein aus. Das hat eine Veränderung des Möglichen zur Folge: Das Mögliche ist nicht mehr einfach alles Beliebige, sondern hängt nun von den real existierenden Umständen ab. Es muss – als reale Möglichkeit – ein Resultat dieser Wirklichkeit sein. Das führt zur realen Notwendigkeit, denn ein bestimmter Zustand der Wirklichkeit macht bestimmte Resultate notwendig und schließt andere mögliche Ereignisse aus. Diese Notwendigkeit ist aber noch nicht an sich notwendig, denn sie hängt vom zufälligen Vorhandensein einer bestimmten Ausgangssituation der Wirklichkeit ab. Erst wenn man den Zufall als Teil der notwendigen Struktur der Wirklichkeit denkt, als Teil der Notwendigkeit, gelangt man zur absoluten Notwendigkeit. Die absolute Notwendigkeit ist die Substanz der zufälligen Erscheinungen des Lebens.
Die Lehre vom Begriff
Der Begriff ist die Einheit von Sein und Wesen, Unmittelbarkeit und Reflexion. Da er, als ihr Resultat, beide aufhebt, verändern Sein und Wesen im Begriff ihre bisher entwickelte Bedeutung. Im Begriff erlangt das sinnliche Dasein dadurch, dass es gedacht und begriffen wird, Objektivität und Wahrheit. Erst indem das sinnlich Wahrnehmbare auf seinen Begriff gebracht wird, erlangt das konkrete Dasein Wahrheit. Das beste Beispiel für den Begriff ist das Ich, die vollkommene Selbstidentität des Selbstbewusstseins. Das Ich wird nicht von Veränderungen der Welt verändert, bleibt also streng allgemein, ist aber selbst nur ein Ich unter vielen anderen, also besonders. Das Ich ist der daseiende Begriff. Deshalb lässt sich der Begriff erfassen, indem die Denkweise des Ichs, die Begriffe, Urteile und Schlüsse umfasst, untersucht wird. Dies ist also der Ort in der logischen Wissenschaft, an dem die traditionelle formale Logik ihren Platz findet.
Subjektivität und Objektivität
Zunächst ist der Begriff nur etwas Innerliches, etwas, das das Ich denkt, ohne Bezug zur Wirklichkeit. Dabei ist der Begriff als einfacher Name völlig unterbestimmt – er muss zum Urteil erweitert werden, um Aussagekraft zu erlangen. Als Urteil besteht der Begriff in der Verbindung eines Subjekts mit einem Prädikat in der Form: S ist P. Doch krankt das Urteil noch daran, dass die Verbindung zwischen Prädikat und Subjekt zufällig und nicht notwendig begründet ist. Die Notwendigkeit der Verbindung von Subjekt und Prädikat wird erst im apodiktischen Urteil erlangt, in dem ein Drittes, ein Mittelglied, die notwendige Zugehörigkeit von S und P sicherstellt. Aus dem Urteil wird ein Schluss, der einen Übergang zur Wirklichkeit und zur Allgemeinheit herstellt: Der behauptete Sachverhalt soll objektiv wahr sein. Die oberflächlichste Wahrnehmung der Objektivität ist der Mechanismus: Hier sind die Elemente eines Objekts und seine Bewegungsgesetze rein äußerlich bestimmt. Einen internen Zusammenhang erlangen sie im Chemismus, doch vollständige Eigenständigkeit und damit wahre Objektivität erreichen sie erst in der Teleologie.
Die Idee
Die Idee ist die Einheit von Begriff und Realität, die wahre Objektivität. Alles Erfahrbare, das dem Begriff nicht entspricht, ist bloße Erscheinung, zwar wahrnehmbarer Sinneseindruck, aber ohne bleibende Wahrheit. Unmittelbar ist die Idee das Leben, zunächst als bewusstes Leben des Individuums, das seine Umwelt formt und sich selbst dadurch objektiviert, das sich aber auch selbst noch zur höchsten Stufe der Objektivität übersteigen und in der Gattung aufheben muss. In dieser überzeitlichen Dimension der Gattung tritt der Geist auf, als das Erkennen der wahren Objektivität, als das, was wahrhaft sein soll – die absolute Idee, die Leben und Erkennen, Theorie und Praxis vereint. Sie teilt sich in Natur und Geist auf, um sich so selbst zu erfassen. Kunst und Religion sind zwei Weisen der Idee, sich selbst zu erkennen, doch die ihr angemessenste Weise ist die Philosophie, insbesondere die logische Wissenschaft. Diese Wissenschaft hat nun gezeigt, dass die Bestimmung der absoluten Idee nicht in einem Inhalt, sondern in ihrer Allgemeinheit als Form liegt. Diese Form des sich selbst wissenden Begriffs ist die Dialektik, wie sie die Wissenschaft der Logik praktiziert. Die Dialektik erhält somit jene Tragweite zurück, die ihr im Denken der Moderne völlig abgesprochen worden ist. Sie muss aber auch anders verstanden werden als bisher, nämlich als Erhaltung des Positiven im Negativen sowie als Aufhebung dieses Gegensatzes in einem Dritten, der die Einheit seiner Glieder, ihre Vermittlung und ihre Wahrheit darstellt.
Zum Text
Aufbau und Stil
Die Wissenschaft der Logik ist in zwei Bände aufgeteilt: „Die objektive Logik“ und „Die subjektive Logik“. Der erste Teil enthält allerdings wiederum zwei Bücher, „Die Lehre vom Sein“ und „Die Lehre vom Wesen“, wodurch die scheinbare Zweiteilung des Werkes zerfällt und die für Hegel allgegenwärtige Dreiteilung sichtbar wird. Somit besteht die Wissenschaft der Logik eigentlich aus drei Lehren, nämlich des Seins, des Wesens und des Begriffs. Die Lehre vom Sein macht den ersten Band aus, während die Lehren vom Wesen und vom Begriff den zweiten Band bilden. Der dialektische Dreischritt These-Antithese-Synthese organisiert das gesamte Buch. Jedes der drei Bücher ist in drei Abschnitte gegliedert, die je drei Kapitel umfassen, die wiederum aus je drei Unterkapiteln bestehen. Jede dieser Textebenen vollzieht eine dialektische Bewegung, weshalb die Überschriften stets aus einfachen Begriffen bestehen. So gliedert sich die Lehre vom Sein in die drei Abschnitte Qualität, Quantität und Maß, die in ihrer Dialektik das Sein ergeben und ihrerseits aus dialektischen Bewegungen resultieren, die von den entsprechenden Unterkapiteln nachgezeichnet werden. Stilistisch macht Hegel in der Wissenschaft der Logik seinem Ruf alle Ehre: Die Sprache ist höchst abstrakt und schwer zugänglich. Eine Reihe von Wortschöpfungen wie „Fürsichsein“, „Ansichsein“ usw. sowie das weitgehende Fehlen anschaulicher Beispiele machen die Lektüre zu einer Herausforderung. Viele Wendungen der komplexen Argumentation beschäftigen die Forschung bis heute.
Interpretationsansätze
- Gegen den philosophischen Trend der Zeit stellt Hegels Werk den letzten Versuch einer Wiederherstellung der Metaphysik dar. Die bereits durch Kant begonnene Kritik der Metaphysik wurde nach Hegel durch Nietzsche, Marx oder Heidegger noch weitaus stärker vorangetrieben.
- Vor allem bezieht sich Hegel auf Kants kritische Philosophie. Gegen Kants Abgrenzung einer Welt der Erscheinungen von einer der menschlichen Erkenntnis niemals zugänglichen Welt „an sich“ will Hegel nachweisen, dass Erscheinung und „Ding-an-sich“ ein und dasselbe sind, dass wir also sehr wohl die objektive Wahrheit der Welt erkennen können.
- Ebenfalls bezieht sich Hegel auf den Monismus Spinozas. Allerdings ist Spinoza nicht – wie Kant – ein Gegenspieler Hegels, vielmehr kann er als direkter Vorläufer Hegels angesehen werden.
- In seiner Verwendung des Begriffs der Logik folgt Hegel seinem Hauptgegner Kant. Auf diesen geht die Bedeutungsverschiebung zurück, wonach Logik nicht mehr bloß die Regeln des richtigen Schließens, sondern die notwendige Struktur des Denkens bezeichnet.
- Die für Hegels Denken grundlegende Figur des Geistes entstammt der Gedankenwelt des Christentums. Im Konzept des Geistes, der im Dasein Wirklichkeit wird, verbindet Hegel die platonische Ideenwelt der Antike mit dem christlichen Glauben an das Fleischwerden der Wahrheit in der menschlichen Welt.
- Die zentrale Einsicht in die Wirklichkeit der Vernunft hat bis heute höchst unterschiedliche Auslegungen erfahren. Die konservativen Rechtshegelianer sehen darin die Begründung, dass die bestehenden politischen Verhältnisse bereits vernünftig sind, während die progressiven Linkshegelianer darin eine Aufforderung sehen, die wahre Vernunft erst zu realisieren.
Historischer Hintergrund
Die Spätaufklärung in Deutschland
Das Denken der späten Aufklärung um 1800 war geprägt von zahlreichen Erschütterungen: die Französische Revolution, die literarische Revolte des Sturm und Drang sowie die philosophische Revolution durch Immanuel Kant. Die Generation Hegels stand zwischen den Forderungen einer Ethik der Autonomie und einer religiösen Sehnsucht nach Einheit mit Natur und Kosmos sowie zwischen der mechanistisch-kausalen Naturwissenschaft, die überkommene Vorstellungen einer göttlichen Kosmologie entzauberte, und der modernen Vorstellung vom Subjekt, die Selbstbestimmung und Freiheit zur authentischen Selbstverwirklichung forderte. Die Auflösung dieser Konflikte fiel je nach Land unterschiedlich aus. In Frankreich etwa war das Vertrauen in die menschliche Wirkmacht ungleich größer als in Deutschland, das infolge seiner enormen territorialen Zersplitterung sozioökonomisch wie kulturell hinter Frankreich zurücklag. Auch stand in Deutschland, ähnlich wie in England, der Glaube nicht so radikal der Aufklärung entgegen wie in Frankreich. Der vorherrschende Pietismus, der die innere Glaubensstärke des Einzelnen und ein gutes Herz für wichtiger erachtete als die institutionellen Strukturen der Kirche, fand im Denken Kants oder Gotthold Ephraim Lessings eine überraschend problemlose Synthese mit der Aufklärung. Auch der Rationalismus von Gottfried Wilhelm Leibniz, die dominierende Philosophie im Deutschland des 18. Jahrhunderts, strebte die Vereinigung von Deismus, Kosmologie und der neu entdeckten Freiheitsliebe an.
Entstehung
Als Napoleons Truppen 1806 Jena besetzten und Hegel gezwungen war, die Stadt zu verlassen, erlebte seine gerade aufstrebende akademische Karriere (ebenso wie seine Begeisterung für die Französische Revolution) einen jähen Bruch. In Jena war er Professor gewesen und hatte sein erstes Hauptwerk, die Phänomenologie des Geistes, publiziert. Nun zog er für ein Jahr nach Bamberg; 1808 siedelte er nach Nürnberg um. Dort lebte er in bescheidenen Verhältnissen, immerhin wurde er Rektor des Ägidiengymnasiums. In dieser Zeit verfasste er sein zweites großes Hauptwerk, die Wissenschaft der Logik. Es erschien in drei Teilen 1812, 1813 und 1816. Bis zur Mitte der 1820er-Jahre war diese Ausgabe bereits vergriffen, Hegel entschied sich aber gegen eine Neuauflage, da er dieses Herzstück seines philosophischen Systems noch einmal gründlich überarbeiten wollte. Doch so schnell kam er nicht dazu. 1818 wurde er an die Universität Berlin berufen und setzte seine akademische Karriere fort. In seinen Vorlesungen drängten sich die Zuhörer, und Hegel erfreute sich selbst in der hohen Politik großer Beliebtheit. Doch die vielen Verpflichtungen und Arbeiten an anderen Publikationen verzögerten die Wiederaufnahme der Wissenschaft der Logik. Unter dem Eindruck seines fortschreitenden Alters nahm er schließlich doch noch das große Projekt in Angriff und widmete die letzten vier Jahre seines Lebens der Überarbeitung der Wissenschaft der Logik und dem Ziel, die „Unvollkommenheit“ in Gedanke und Darstellung der Originalausgabe auszubügeln. Am 7. November 1831 war erst die Überarbeitung des ersten Bandes abgeschlossen. Hegel verfasste ein neues Vorwort, in dem er resigniert feststellte, dass sein Unterfangen, die erhoffte Klärung des Inhalts und Verbesserung der Verständlichkeit, erfolglos geblieben war. Dieses Vorwort war Hegels letzter fertiggestellter Text, genau eine Woche später verstarb der Philosoph in Berlin.
Wirkungsgeschichte
Der erste Band der Überarbeitung erschien ein Jahr nach Hegels Tod 1832 bei Cotta. Zwischen 1834 und 1835 wurde die Wissenschaft der Logik im Rahmen einer Werkausgabe erneut aufgelegt. Der überarbeitete erste Band wurde dabei neben dem originalen zweiten Band publiziert. Diese Edition ist die bis heute gültige und wird auch in der Hegel-Gesamtausgabe bei Suhrkamp beibehalten. Dass sich bereits kurz nach Hegels Tod die Rezeption in zwei politisch entgegengesetzte Lager aufteilte (die sogenannten Links- und Rechtshegelianer), verdeutlicht die bis heute anhaltende Vielfalt und Widersprüchlichkeit der Deutung Hegels. Ungeachtet dieser Schwierigkeiten ist die Wirkmacht seines Werkes unumstritten. Vor allem in seiner linkshegelianischen Deutung durch Karl Marx oder Ludwig Feuerbach prägte Hegels Hauptwerk die politische Theorie und Praxis des 19. und 20. Jahrhunderts: Lenin empfahl dem Proletariat die Hegel-Lektüre, und die Kritische Theorie Theodor W. Adornos und Max Horkheimers ist ohne Hegel nicht denkbar. In den 1930er-Jahren inspirierte die Wissenschaft der Logik, vermittelt durch die Vorlesungen Alexandre Kojèves, eine ganze Generation französischer Intellektueller: Neben den Existenzialisten Jean-Paul Sartre, Albert Camus und Simone de Beauvoir zählten Maurice Merleau-Ponty, Jacques Lacan und Hannah Arendt zu den regelmäßigen Hörern. Der politische Philosoph Alain Badiou plädierte in jüngster Zeit für eine Wiederentdeckung der Wissenschaft der Logik und Slavoj Žižek stellte sie in den Mittelpunkt seines umfangreichen Werks Weniger als Nichts (2012).
Über den Autor
Georg Wilhelm Friedrich Hegel wird am 27. August 1770 in Stuttgart geboren. Der pietistische, strenggläubige Vater sieht für seinen Sohn eine theologische Ausbildung vor. Nach der Lateinschule wechselt der junge Hegel ans Stuttgarter Gymnasium. Er ist ein ausgezeichneter Schüler. 1788 tritt er ins Tübinger Stift ein. Fünf Jahre studiert er hier Theologie und Philosophie, schließt Freundschaft mit Friedrich Hölderlin und Friedrich Schelling und genießt das Studentenleben. Am Ende des Studiums steht seine Entscheidung: Er will kein Priester werden. Während Kollege und Freund Schelling schnell reüssiert und mit 23 Jahren schon eine Professorenstelle erhält, plagt sich Hegel ab 1793 als Privatlehrer in Bern und anschließend in Frankfurt am Main. 1801 kommt er nach Jena, wo Schelling und später auch Goethe seiner Karriere auf die Sprünge helfen. 1805 erhält er seine erste unbesoldete Professur in Jena, die sich nur aus Hörergeldern speist. In Jena erblicken sowohl die Phänomenologie des Geistes als auch sein unehelicher Sohn das Licht der Welt. Nach dem Einmarsch der Franzosen flieht Hegel aus Jena. Sein Weg führt über Bamberg nach Nürnberg, wo er die Leitung des Ägidiengymnasiums übernimmt. Hier erscheint sein Werk Die Wissenschaft der Logik (1812 bis 1816). 1811 heiratet er Marie von Tucher, mit der er drei Söhne hat. Eine weitere Durchgangsstation zum großen Durchbruch stellt Heidelberg dar: 1816 nimmt er an der dortigen Universität die Professur für Philosophie an und veröffentlicht die Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1817). Schließlich folgt er Fichte auf den Lehrstuhl an der Humboldt-Universität zu Berlin. Hier avanciert er zum „preußischen Staatsphilosophen“ und hält Vorlesungen in überfüllten Hörsälen. Sein Ruf breitet sich in ganz Europa aus. Hegel stirbt am 14. November 1831 in Berlin an der damals dort grassierenden Cholera.
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