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Die Pest

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Die Pest

Rowohlt,

15 min read
10 take-aways
Text available

What's inside?

Eine Epidemie bricht aus – die einzigen Gegenmittel: Verantwortung und Solidarität. 


Literatur­klassiker

  • Roman
  • Nachkriegszeit

Worum es geht

Steht auf und handelt!

Wie lebt es sich in einer Gesellschaft, die von einem Bazillus heimgesucht wird und von der Außenwelt abgeschnitten ist? Und noch wichtiger: Was tun in diesem allzu wirklichkeitsnahen Albtraum? Albert Camus hatte die Geschichte der Pest studiert und die Résistance im besetzten Frankreich durchlebt. Seine Antwort auf die Frage ist einfach und kompliziert zugleich: Steht auf, tut euch zusammen und handelt! Die Pest erzählt von einer Gruppe Männer, die gar nicht erst versuchen, die sinnlose Krankheit zu verstehen, sondern stattdessen Hygieneregeln aufstellen, Kranke isolieren, Verstorbene begraben und ein Heilmittel entwickeln. Wie alle Seuchen geht auch diese Pest irgendwann zu Ende. Doch Camus warnt seine Leser vor falscher Sicherheit: Krankheitserreger wie Totalitarismus, Rassismus oder gedankenloser Opportunismus werden nie ganz verschwinden. Wir müssen uns gegen sie erheben und gemeinsam handeln, um jede wiederkehrende Welle einzudämmen – immer und immer wieder.

Take-aways

  • Der 1947 veröffentlichte Roman Die Pest ist das erfolgreichste Prosawerk von Albert Camus.
  • Inhalt: Erst sterben die Ratten auf den Straßen der algerischen Küstenstadt Oran, dann bricht die Pest aus. Anfangs leugnen alle die Gefahr. Doch als die Stadt abgeriegelt wird und die Fallzahlen in die Höhe schießen, beschließen ein Arzt und sein Freund, freiwillige Sanitätstruppen zu mobilisieren. Nach endlosen verzweifelten Monaten zieht sich die Pest zurück. Familien und Liebende werden wieder vereint und das Leben nimmt seinen gewohnten Gang.
  • Der Roman entfaltet sich auf mehreren Ebenen: als realistischer Bericht über einen Seuchenausbruch, als Sinnbild für aktiven Widerstand gegen Totalitarismus und als Erforschung des Absurden.
  • Camus glaubte, dass wir uns gegen die Absurdität und Sinnlosigkeit des Lebens auflehnen sollten, indem wir diesem durch unser Handeln Sinn verleihen.
  • Er schrieb weite Teile des Romans, während er für die Untergrundzeitung Combat im besetzten Frankreich arbeitete.
  • Die Pest gründet auf dem Glauben des Autors, dass die meisten Menschen anständig sind.
  • Mit seiner Botschaft von Verantwortung und Solidarität traf Camus den Nerv der Nachkriegszeit.
  • Der aus Algerien stammende Autor erhielt 1957 mit nur 44 Jahren den Literaturnobelpreis.
  • Zu Beginn der Covid-19-Pandemie 2020 war Die Pest überall ausverkauft. 
  • Zitat: „Eine Plage ist nicht auf den Menschen zugeschnitten, daher sagt man sich, dass sie unwirklich ist, ein böser Traum, der vorübergehen wird.“

Zusammenfassung

Die Ratten kommen

Oran ist eine ebenso geschäftige wie langweilige Hafenstadt an der Küste Algeriens. Die Menschen hier sind fleißig und oberflächlich, verdienen gern Geld und geben es noch lieber aus. Als Dr. Bernard Rieux eines Tages auf dem Treppenabsatz seiner Praxis über eine tote Ratte stolpert, macht er sich zunächst keine Gedanken. Der alte Concierge Monsieur Michel lehnt sogar kategorisch ab, dass es Ratten im Gebäude geben könne.

Der Doktor bringt seine kranke Frau zum Nachtzug; sie soll sich in einem Sanatorium in den Bergen erholen. Er versichert ihr, dass alles gut werden wird. Um den Haushalt wird sich während ihrer Abwesenheit Rieuxs Mutter kümmern. Im Lauf der nächsten Tage fallen Massen von Ratten in die Stadt ein. Die toten Nager liegen aufgebläht und faulig in den Gassen, die sterbenden spucken Blut und stoßen im Todeskampf spitze Schreie aus.

Als der aus Paris angereiste Journalist Raymond Rambert den Arzt zu den Lebensbedingungen der Araber interviewen möchte, lehnt Rieux ab. Er wisse, dass Rambert ohnehin nicht die Wahrheit schreiben dürfe, und schlägt dem Reporter stattdessen vor, über die Ratten zu berichten. Inzwischen werden an einem Tag 8000 verendete Tiere aufgesammelt und verbrannt.

„Man hätte meinen können, dass die Erde selbst, auf die unsere Häuser gestellt waren, sich von ihrer Ladung Körpersäfte entschlacke, dass sie Furunkel und Eiterwunden an die Oberfläche aufsteigen ließ, die bisher in ihrem Innern gärten.“ (S. 22)

Die Bewohner der Stadt sind alarmiert. Einer von Rieuxs Patienten, ein alter asthmatischer Spanier, der seine Tage damit verbringt, Kichererbsen von einem Topf in den anderen zu füllen, reibt sich die Hände und meint: „Sie kommen raus, man sieht in allen Mülltonnen welche, das ist der Hunger!“ Joseph Grand, ein bescheidener und unterbezahlter Angestellter der Stadtverwaltung, ruft Rieux wegen des gescheiterten Selbstmordversuchs seines Nachbarn Cottard zu sich: Der Mann hat versucht, sich zu erhängen. Er fleht den Doktor an, die Polizei außen vor zu lassen, und verspricht, es nicht wieder zu versuchen. Am selben Tag geben die Abendzeitungen triumphierend das Ende der Rattenplage bekannt. Der Concierge liegt unterdessen mit schmerzhaften Geschwüren, schwarzen Flecken und hohem Fieber im Bett. Zwei Tage später ist er tot.

Unsagbar und ungeheuerlich

Er bleibt kein Einzelfall: Die Ärzte behandeln immer mehr Patienten mit geschwollenen Lymphknoten und hohem Fieber. Rieux stimmt mit seinem älteren Kollegen Dr. Castel überein, dass es sich nur um die Pest handeln könne. Dennoch ist das schwer zu glauben: Ist die Pest nicht ein Relikt aus der Vergangenheit, ein Fluch, der nur arme Menschen und unterentwickelte Länder heimsucht? Rieux sieht Bilder aus dem Mittelalter vor seinem inneren Auge heraufziehen, von Ärzten in grotesken Masken und der Pestmauer in der Provence. Doch so weit muss es ja nicht kommen. Mit den richtigen Maßnahmen sollte man die Seuche in den Griff bekommen, glaubt Rieux.

„Eine Plage ist nicht auf den Menschen zugeschnitten, daher sagt man sich, dass sie unwirklich ist, ein böser Traum, der vorübergehen wird.“ (S. 46)

Kurz darauf wird die Gesundheitskommission einberufen. Der Präfekt und die meisten anderen Ärzte der Stadt scheuen sich, das Ding beim Namen zu nennen. Rieux meint, es sei völlig egal, wie sie die Krankheit bezeichneten. Ihre Aufgabe sei es, Leben zu retten. Von nun an werden an unauffälligen Ecken der Stadt Bekanntmachungen angebracht, auf denen die Bewohner zur Einhaltung der Hygienemaßnahmen angehalten werden. Außerdem sollen sie den Behörden Flohbefall und ungewöhnliche Fieberanfälle melden. Wenn alle sich an die Maßnahmen hielten, so die Botschaft, sei der Spuk schon bald wieder vorbei. Die Absicht ist klar: Bloß keine Panik verbreiten. Doch dann verschlimmert sich die Lage dramatisch. Die Todesfallzahlen wachsen exponentiell, und die Lieferung des Impfstoffs aus Paris verspätet sich. Das Krankenhaus ist so überfüllt, dass Behelfskrankenhäuser in Schulen eingerichtet werden. Schließlich erhält der Präfekt Anweisung aus Paris, den Notstand zu erklären und die Stadt zu schließen.

Eingesperrt in Oran

Der Schritt kommt für alle überraschend. Familien, Freunde und Liebende werden von heute auf morgen auf unbestimmte Zeit voneinander getrennt. Nur Telegramme sind noch erlaubt, ansonsten ist jeder Kontakt mit der Außenwelt verboten. Die eingeschlossenen Bewohner der Stadt wirken stumpfsinnig und passiv; im Hafen dümpeln die Schiffe vor sich hin, der Handel bricht ein. Nur getrunken wird mehr als zuvor: Ein findiger Gastwirt wirbt mit dem Slogan „Guter Wein tötet die Krankheit im Keim“. Doch am unglücklichsten scheinen Menschen wie der Journalist Rambert: Er hat eine geliebte Frau in Paris zurückgelassen und fühlt sich allein und fremd in der Stadt. Er bittet Rieux, die strengen Regeln zu umgehen und ihm aus der Stadt zu verhelfen, doch dieser lehnt ab.

„Aber als die Tore auf einmal geschlossen waren, merkten sie, dass sie alle, auch der Erzähler, in derselben Falle saßen und sich damit abfinden mussten.“ (S. 77)

Nach dem ersten Pestmonat organisiert die Kirche eine Betwoche. Zum Abschluss hält der Jesuitenpater Paneloux eine eifernde Predigt, die er mit einem Paukenschlag eröffnet: „Liebe Brüder, ihr seid im Unglück, liebe Brüder, ihr habt es verdient.“ Er sieht die Pest als gerechte Strafe Gottes, geißelt die Sünder und verheißt jenen Gnade, die reuig auf den rechten Pfad zurückkehren.

„Sie empfanden daher das tiefe Leid aller Gefangenen und Verbannten, mit einer Erinnerung zu leben, die zu nichts nutze ist.“ (S. 84)

In der Stadt wächst die Verzweiflung. Hotelbesitzer klagen über den Niedergang des Tourismus, viele Läden machen dicht. In den Armenvierteln brechen Unruhen aus und Spezialtrupps töten Katzen und Hunde als mögliche Krankheitsüberträger. Zu allem Überfluss greift die Beulenpest auf die Lungen über, sodass der Präfekt neue Maßnahmen verkündet, die Tröpfcheninfektionen verhindern sollen. Eines Abends lädt Grand Rieux in seine kleine Wohnung ein und zeigt ihm die Früchte seines jahrelangen schriftstellerischen Schaffens: Es ist ein einziger Satz über eine Amazone, die durch die Alleen des Bois de Boulogne reitet. Grand ist nie über diese Anfangszeile hinausgekommen, weil er möchte, dass der künftige Verleger bei der Lektüre einmal ausruft: „Hut ab!“

Freiwillige Helfer

Rieuxs Freund Tarrou ein Ortsfremder, der finanziell unabhängig ist – organisiert eine Gruppe Freiwillige, um den völlig überlasteten Ärzten zu helfen. Rieux warnt den Freund, dass seine Chance zu überleben eins zu drei steht. Doch für Tarrou ist das kein Argument. Schon am nächsten Tag stellt er den ersten Sanitätstrupp zusammen, dem bald weitere folgen. Dr. Castel beginnt, an einem Impfstoff gegen die lokale Variante des Pestbazillus zu arbeiten, Grand erstellt Statistiken über die Krankheit, und sogar Pater Paneloux schließt sich den Helfern an.

„Die Menschen sind eher gut als böse, und eigentlich geht es gar nicht um diese Frage. Aber sie sind mehr oder weniger unwissend, und das nennt man dann Tugend oder Laster, wobei das hoffnungsloseste Laster das der Unwissenheit ist, die alles zu wissen vermeint und sich deshalb das Recht nimmt zu töten.“ (S. 150)

Dem verhinderten Selbstmörder Cottard geht es offenbar besser als je zuvor. Da er bereits im Schmuggelgeschäft tätig ist, stellt er Rambert einige seiner Kumpel vor. Sie erklären sich bereit, die Wachen zu bestechen und den Journalisten gegen Zahlung einer stolzen Summe aus der Stadt zu schaffen. Doch immer, wenn es so weit ist, kommt etwas dazwischen. Rambert spielt mit der Idee, doch bei den Hilfstrupps mitzumachen. Als er schließlich erfährt, dass Rieux eine Frau hat, die ein paar hundert Kilometer entfernt in einer Kurklinik ist, entscheidet er sich tags darauf dafür – zumindest für so lange, bis er die Stadt verlassen kann.

Dicker Rauch im Osten

Im August verschärfen sich die Spannungen, als die Pest sich nicht nur in den überfüllten Vorstädten, sondern auch im Stadtzentrum ausbreitet. An den Stadttoren kommt es zu Schusswechseln, und manchen gelingt die Flucht. Die Behörden erklären daraufhin den Belagerungszustand. Pestopfer sterben inzwischen allein und werden ohne Trauerfeiern verscharrt. Als die Särge ausgehen, wirft man die Leichen nach Geschlechtern getrennt in Gruben und bedeckt sie mit Kalk. Obwohl viele Totengräber selbst an der Pest sterben, reißt der Strom an neuen Arbeitskräften nie ab – viele fürchten Elend und Hunger mehr als die Seuche. Ende August wird das alte Krematorium vor den Stadtmauern wieder in Betrieb genommen. Eine ungenutzte Straßenbahnlinie dient dem Transport der Toten zu ihrer Verbrennung. Von nun an legt sich ein ekelerregender Qualm über den Ostteil der Stadt, und die aufgebrachten Bewohner beruhigen sich erst, als es gelingt, den Rauch umzuleiten.

„Nur an Tagen mit starkem Wind erinnerte sie ein von Osten kommender vager Geruch daran, dass sie in einer neuen Ordnung lebten und dass die Flammen der Pest jeden Abend ihren Tribut verzehrten.“ (S. 203)

Cottards Komplizen nehmen erneut mit Rambert Kontakt auf und versichern ihm, dass die Flucht dieses Mal klappen werde. Alle stehen in den Startlöchern. Aber dann besucht Rambert seine sichtlich erschöpften Freunde Tarrou und Rieux im Krankensaal und teilt ihnen mit, dass er bei ihnen bleiben wolle: Wenn er seine Freunde jetzt verließe, müsste er sich schämen – und mit diesem Gefühl könne er nicht unbefangen lieben.

Ein sinnloser Tod

Im Oktober verabreicht Rieux das von Castel entwickelte Serum einem kleinen Jungen, den er als hoffnungslosen Fall einschätzt. Zwar erwacht das Kind aus seiner Apathie, doch damit beginnt ein grausiger, lang gezogener Todeskampf. Der Junge starrt Rieux aus gräulichem Gesicht an und stößt einen lang anhaltenden Schrei aus. Die anderen Kranken im Saal jammern und stöhnen, bis der Schrei leiser wird und ganz verstummt. Rieux ringt um Fassung. An Pater Paneloux gewandt stößt er hervor, dass zumindest dieses Kind unschuldig war. Einige Tage darauf hält Paneloux eine zweite Predigt, in der er mildere Töne anschlägt. Nichts auf Erden sei ungeheuerlicher, als das Leiden und Sterben eines unschuldigen Kindes zu rechtfertigen. Und doch müsse man bedingungslos in Gott vertrauen, denn die Alternative sei schlimmer.

„Man muss alles glauben oder alles leugnen. Und wer unter euch würde es wagen, alles zu leugnen?“ (Pater Paneloux, S. 254)

Kurz nach dieser Predigt stirbt Paneloux selbst an der Pest, nachdem er sich bis zum Schluss geweigert hat, einen Arzt kommen zu lassen. Dann flacht die Kurve im November unerwartet ab, unter anderem weil Castels Serum sich als wirksam erweist. Trotzdem bleibt die Zahl der Toten hoch. Die Armen haben inzwischen nicht mehr genug zu essen. In einigen Stadtteilen kommen sie spontan zu Demonstrationen zusammen und fordern „Brot oder Luft“. In dem städtischen Stadion wird ein Quarantänelager eingerichtet, mit Hunderten Zelten auf dem Spielfeld und Duschen unter den Tribünen.

Tarrous Pest

Eines Abends erzählt Tarrou Rieux von sich: Er kommt aus einer wohlhabenden Familie, der Vater war Oberstaatsanwalt. Doch dann änderte sich sein Leben, nachdem er seinen Vater im Gericht dabei beobachtet hatte, wie er Menschen zum Tode verurteilte. Tarrou wurde zum leidenschaftlichen Gegner der Todesstrafe. Er ging in die Politik und widmete sein Leben dem Kampf gegen das, was in seinen Augen nichts anderes ist als staatlich sanktionierter Mord. Doch irgendwann musste er feststellen, dass auch seine Mitstreiter sich der Todesstrafe bedienten – angeblich um eine Welt zu erschaffen, in der niemand mehr getötet werden müsste. Er verließ die Bewegung mit der Erkenntnis, selbst „verpestet“ gewesen zu sein. Und er beschloss, sich von allen Gesinnungen loszusagen, die Mord als Mittel zum Zweck rechtfertigen. Der einzig mögliche Weg zum Frieden, so Tarrou, führe über das Mitgefühl. Dann schlägt er seinem Freund vor, im Meer schwimmen zu gehen. Für beide ist es ein flüchtiger und glücklicher Augenblick vollkommener Harmonie und Freundschaft.

„Einige Minuten lang schwammen sie im gleichen Takt und mit der gleichen Kraft, einsam, fern von der Welt, endlich von der Stadt und der Pest befreit.“ (S. 292)

Kurz vor Weihnachten steht Grand mit Tränen in den Augen vor einem Schaufenster: Der alte Beamte erinnert sich an frühe und glücklichere Jahre mit seiner jungen Frau, die ihn nach ein paar Jahren unerfüllter Hoffnungen verließ. Er ist verwirrt und hat hohes Fieber. Am selben Abend bittet er Rieux, sein 50-seitiges Romanmanuskript – in dem lediglich der vielfach variierte, noch immer unvollkommene Anfangssatz steht – zu verbrennen. Grand zeigt alle Symptome der Lungenpest, doch zu Rieuxs großer Überraschung wird er wieder gesund. Ungefähr zur selben Zeit werden wieder lebende Ratten gesichtet. Und tatsächlich: Erstmals seit Beginn der Epidemie gehen die Erkrankungszahlen zurück.

Endlich frei

Es ist, als sei die Pest in die Enge getrieben worden und hätte plötzlich an Kraft verloren. Gegen Ende Januar kündigen die Behörden an, die Tore der Stadt in zwei Wochen zu öffnen. An diesem Abend strömen die Menschen zum Feiern auf die Straßen. Auch Rieux und seine Freunde lassen sich für eine Weile in der Menge treiben. Wenig später erkrankt Tarrou. Der Arzt beschließt, ihn entgegen den Vorschriften bei sich zu Hause sterben zu lassen.

„Tarrou hatte, wie er sagte, die Partie verloren. Aber was hatte er, Rieux, gewonnen? Er hatte nur gewonnen, die Pest gekannt zu haben und sich daran zu erinnern, die Freundschaft gekannt zu haben und sich daran zu erinnern, die Zuneigung zu kennen und sich eines Tages daran erinnern zu dürfen.“ (S. 330)

Am nächsten Tag erhält Rieux die Nachricht vom Tod seiner Frau. Dann öffnen sich an einem schönen Februarmorgen die Tore der Stadt. Erstmals seit Monaten können ihre Bewohner wieder in die Welt hinaus – und die Welt zu ihnen hinein. Wie so viele andere wartet Rambert in nervöser Anspannung auf seine Geliebte. Er fürchtet, dass die Pest ihn zu sehr verändert hat, als dass er problemlos an vergangene, glückliche Zeiten würde anknüpfen können. Als sie ihm schließlich in die Arme fällt, weint er. Rieux mischt sich auf seinem Weg in die Vorstadt allein in die feiernde Menge, vorbei an leidenschaftlich umschlungenen Paaren. Sie haben sich nach Liebe gesehnt und diese bekommen – zumindest für einen kurzen Moment, denkt er bei sich. Gibt es etwas Wertvolleres als das?

Die Pest ist tot, es lebe die Pest

Nur einem ist nicht nach Feiern zumute: Cottard hat sich in seiner Wohnung verbarrikadiert und schießt von dort in die Menge. Rieux steht mit Grand zusammen bei den Polizisten, die ihn nicht durchlassen. Als ein Hund auftaucht – der erste, den Rieux seit Monaten zu Gesicht bekommt –, erschießt Cottard das Tier. Die Polizisten nehmen Cottards Fenster von der gegenüberliegenden Seite in Beschuss, stürmen das Gebäude und zerren den schreienden Mann aus dem Gebäude.

„Denn er wusste, was dieser Menge im Freudentaumel unbekannt war und was man in Büchern lesen kann, dass nämlich der Pestbazillus nie stirbt und nie verschwindet, dass er jahrzehntelang in den Möbeln und in der Wäsche schlummern kann, dass er in Zimmern, Kellern, Koffern, Taschentüchern und Papieren geduldig wartet und dass vielleicht der Tag kommen würde, an dem die Pest zum Unglück und zur Belehrung der Menschen ihre Ratten wecken und zum Sterben in eine glückliche Stadt schicken würde.“ (S. 350)

Zuletzt besucht Rieux den alten Spanier. Der Mann füllt immer noch Erbsen um und meint, dass die Menschen immer gleich waren und das Geschehene schon bald vergessen würden. Rieux stimmt ihm zu. Doch durch die Pest hat Rieux gelernt, dass es mehr Gründe gibt, die Menschen zu bewundern als sie zu verachten.

Zum Text

Aufbau und Stil

Der Roman besteht aus fünf Teilen, die dem klassischen Aufbau einer griechischen Tragödie ähneln: Im ersten Teil kommen die Ratten aus den Löchern und erzeugen ein Gefühl böser Vorahnung. Dann bricht die Pest aus. Sie wütet immer schneller und furchtbarer, bis sie im dritten Teil ihren Höhepunkt erreicht. Schließlich gibt es im vierten Teil ein retardierendes Moment, das heißt, das Ende wird hinausgezögert, bevor im fünften Akt die Auflösung folgt und sich die Stadttore öffnen. Erst jetzt gibt der namenlose Erzähler seine Identität preis: Es ist Dr. Rieux. Er behauptet, dass er die Ereignisse so unparteiisch und objektiv wie möglich habe vermitteln wollen, ohne den Beteiligten Gedanken oder Taten anzudichten, die er nicht selbst bezeugen könne. Um seiner teilnahmslosen Perspektive Gewicht zu verleihen, hat er dem Bericht Auszüge aus Tarrous Tagebuch hinzugefügt. Albert Camus pflegt über weite Strecken einen eher distanzierten Stil, der nicht viel von dem Innenleben der Figuren preisgibt. Die so erzeugte Spannung – etwa zwischen ersehnter und unerfüllter Liebe, idealer Nähe und realer Ferne, Wunsch und Wirklichkeit – bleibt bis zum Ende bestehen und erzeugt beim Leser ein Gefühl der Beklommenheit.

Interpretationsansätze

  • Der Roman liefert eine realistische Beschreibung, wie Gesellschaften auf eine tödliche Epidemie reagieren: Zunächst versuchen die Behörden das Problem zu leugnen, dann verkünden sie hastig Gegenmaßnahmen. Manche Menschen hamstern, wuchern und töten, andere entwickeln Solidarität und Mitgefühl.
  • Die Pest ist ein Sinnbild für das besetzte Frankreich während des Zweiten Weltkriegs – oder für eine Gesellschaft, die von einer totalitären Ideologie befallen wird. Laut Camus besteht der größte Fehler darin, zu glauben, dass der Erreger ausgerottet werden könne. Anstatt uns in falscher Sicherheit zu wiegen, sollten wir immer auf eine neue Infektionswelle gefasst sein.
  • Das Buch ist auch eine philosophische Erkundung des Absurden: Menschen finden sich in der schwierigen Situation, einem eigentlich sinnlosen Leben Sinn verleihen zu wollen. Nur wie? Die Antwort: Handeln, Widerstand leisten und so Schritt für Schritt etwas Sinn zurückerobern.
  • Camus war ein vorsichtig optimistischer Humanist und Moralist: Er glaubte, dass die Menschen trotz ihrer vielen Schwächen im Grunde anständig sind. Als überzeugter Anti-Stalinist und Gegner der Todesstrafe war er der Auffassung, dass kein noch so hehrer Zweck jemals unethische Mittel heiligt. Für die französische Linke war er deshalb gegen Ende seines Lebens ein rotes Tuch.
  • Der Roman spiegelt drei Aspekte der Persönlichkeit des Autors wider: Dr. Rieux ist ein resignierter und pflichtbewusster Heiler, der zweckoptimistisch stetig seinen Job macht; Rambert lebt für die Liebe, obwohl er weiß, dass jede Leidenschaft vergeht; Tarrou ist ein frustrierter Idealist, der gegen die Todesstrafe und für Solidarität kämpft.

Historischer Hintergrund

Die französische Résistance

Nach der demütigenden Niederlage im „Blitzkrieg“ Deutschlands gegen Frankreich stand die Nation 1940 unter Schock: Am Pariser Rathaus und am Eiffelturm flatterten Hakenkreuzflaggen, und bis zu 2 Millionen Menschen flohen aus der Hauptstadt. Am 18. Juni rief General Charles de Gaulle seine Landsleute aus einem Londoner BBC-Studio zum nationalen Widerstand auf – gegen Deutschland und das Vichy-Regime unter Marschall Philippe Pétain, das mit den Nazis kollaborierte. Anfangs war die Reaktion verhalten. Die Mehrheit der Franzosen war überzeugt, dass Deutschland den Krieg so oder so gewinnen würde, und viele hatten nichts gegen Pétains autoritäres und antisemitisches Regime einzuwenden. Dennoch weigerten sich einige, das scheinbar Unausweichliche zu akzeptieren. Anfangs versorgten die Widerständler die Alliierten vor allem mit Geheimdienstinformationen und veröffentlichten Untergrundzeitungen. 1941 begann der bewaffnete Widerstand.

Viele junge Franzosen schlossen sich auch deshalb der Résistance an, weil sie sich durch die „horizontale Kollaboration“ entmannt fühlten – ein Euphemismus für die sexuellen Beziehungen zwischen deutschen Männern und französischen Frauen, aus denen geschätzte 200 000 „enfants de boches“ (Deutschenkinder) hervorgegangen sein sollen. Die Widerstandskämpfer organisierten Attentate und sabotierten Fabriken und Eisenbahnlinien. Doch der Tod deutscher Soldaten hatte blutige Vergeltungsmaßnahmen und Massenexekutionen zur Folge, die in der Zivilbevölkerung Misstrauen gegen die Résistance schürten. Zudem nahm die Gestapo viele Widerständler gefangen und „drehte“ sie oft unter schwerer Folter zu Informanten um. Anfangs bestand die Résistance aus vielen Splittergruppen. Doch nach der Besatzung ganz Frankreichs durch deutsche Truppen im November 1942 stellte sie sich geschlossen hinter de Gaulle. Aus Angst vor einer linken Revolution hielt dieser die Kommunisten sorgfältig auf Distanz: Die Befreiung von Paris im August 1944 schrieb er sich ganz allein auf die Fahnen.

Nach 1945 spannen sowohl Gaullisten als auch Kommunisten an der Legende, dass die Mehrheit der Franzosen im Widerstand aktiv gewesen seien. Tatsächlich liegt ihre geschätzte Zahl zwischen 300 000 und 500 000 – bei einer Gesamtbevölkerung von damals fast 40 Millionen.

Entstehung

Als die Deutschen in Paris einmarschierten, arbeitete Albert Camus für die Tageszeitung Paris-Soir. Er floh nach Lyon, wo er eine seiner vielen Freundinnen heiratete, die Pianistin und Mathematikerin Francine Faure. Mit ihr zog er in die algerische Küstenstadt Oran. In der Folgezeit begann er, sich mit der Geschichte der Pest zu beschäftigen, und sammelte Material für seinen nächsten Roman. 1942 reiste er zur Behandlung seiner Tuberkulose in den französischen Gebirgsort Le Panelier. Im benachbarten Dorf Le Chambon half das protestantische Pastorenehepaar Magda und André Trocmé Tausenden Juden, sich vor dem Vichy-Regime zu verstecken und über die Grenze in die Schweiz zu fliehen. Von den Behörden zur Rede gestellt, sagte Trocmé: „Wir wissen nicht, was Juden sind. Wir kennen nur Menschen.“ Vermutlich hat Camus ihm und anderen ein literarisches Denkmal setzen wollen: Der Dorfarzt in Le Chambon war ein Mann namens Rioux.

Der Autor änderte auch seine anfänglich eher verzagten Ideen über das Absurde: An der Sinnlosigkeit des Lebens zu verzweifeln sei sinnlos, so Camus. Vielmehr sollten wir gegen sie aufbegehren, „um gegen die ewige Ungerechtigkeit zu kämpfen, Glück zu schaffen, um sich gegen die Welt des Unglücks aufzulehnen“, wie er in den (fiktiven) Briefen an einen deutschen Freund schrieb. 1943 zog er nach Paris und übernahm den Posten des Chefredakteurs bei der einflussreichen Untergrundzeitung Combat. Seine offizielle Stelle als Lektor bei Gallimard und die Arbeit für den Widerstand ließen ihm nur wenig Zeit für den Roman, und wie üblich nagten die Selbstzweifel an ihm. Kurz vor der Veröffentlichung 1947 klagte er einem Freund, Die Pest sei ein „livre totalement manqué“ – ein absolut misslungenes Buch.

Wirkungsgeschichte

Obwohl der Roman sein erfolgreichstes Prosawerk werden sollte, blieb die offizielle Kritik verhalten. Einige Rezensenten beschrieben die Lektüre als bedrückend, düster und trist. Andere fanden den Roman übertrieben moralinsauer. Simone de Beauvoir störte sich an der Symbolik, die den Vichy-Faschismus als Virus verniedlichte und so die Franzosen aus ihrer Verantwortung befreite. Und Roland Barthes sah darin gar den Ausdruck einer „antihistorischen Ethik“: „Das Böse zeigt manchmal ein menschliches Antlitz“, schrieb er 1955, „aber dieses sagt Die Pest nicht.“ Nach Ansicht anderer Leser ging diese Kritik jedoch am Kern vorbei: der Sehnsucht nach Solidarität und Menschlichkeit in einer als unsinnig empfundenen Wirklichkeit.

Eine Sehnsucht, die im Frühjahr 2020 zu Beginn der Covid-19-Pandemie neu zum Vorschein kam: Die Pest war zeitweise komplett ausverkauft, sowohl im Buchladen als auch auf Internetseiten. Auf Amazon wurden Preise von mehr als 1500 Euro für ein gebrauchtes Exemplar verlangt. Viele lasen das Buch während des Lockdowns offenbar so, wie Camus es von Anfang an empfohlen hatte: nicht nur als Parabel über das von Nazis besetzte Frankreich, sondern auch als Geschichte über die uralten Plagen der Menschheit und unsere Fähigkeit, uns über diese zu erheben. Seine Tochter Catherine Camus antwortete auf die Frage nach dem plötzlichen Käuferansturm, dass die Botschaft ihres Vaters heute drängender sei denn je: „Für das Coronavirus sind wir nicht verantwortlich. Aber wir tragen die Verantwortung dafür, wie wir damit umgehen.“

Über den Autor

Albert Camus wird am 7. November 1913 im nordalgerischen Mondovi geboren. Algerien ist damals eine französische Kolonie. Camus’ Vater ist einfacher Landarbeiter. Der Besuch des Gymnasiums wird Camus nur durch die intensiven Bemühungen eines seiner Lehrer ermöglicht. Bereits als 20-Jähriger heiratet Camus eine aus bürgerlichen Verhältnissen stammende, morphiumabhängige junge Frau. Die Ehe wird jedoch bald wieder geschieden. Der Beginn seiner beruflichen Tätigkeit vom Anfang bis weit in die 1930er-Jahre hinein ist beschwerlich und unstet. Er arbeitet als Lehrer, Journalist, Theaterautor und Schauspieler. Nebenbei schreibt er eine Diplomarbeit in Philosophie. Am Zweiten Weltkrieg kann er aus gesundheitlichen Gründen (Tuberkulose) nicht teilnehmen. 1940 heiratet er erneut. Weil die Zeitung, bei der er arbeitet, verboten wird, kann er in Algerien nicht länger allein seinen Lebensunterhalt bestreiten und siedelt kurzzeitig nach Frankreich über. 1941 kehrt er nach Algerien zurück, aber nicht zuletzt die Arbeit im französischen Widerstand bindet ihn immer stärker an Paris. 1942 erscheinen seine ersten beiden wichtigen Werke: Der Fremde (L’Étranger) und Der Mythos von Sisyphos (Le Mythe de Sisyphe). 1943 wird Camus Lektor bei Gallimard, dem Verlag, dem er Zeit seines Lebens verbunden bleibt. 1947 erscheint der Roman Die Pest (La Peste), durch den Camus auch einem größeren Publikum bekannt wird. 1951 folgt die Essaysammlung Der Mensch in der Revolte (L’Homme Révolté). Camus zählt zu den bedeutendsten literarischen Figuren im Frankreich der Nachkriegszeit. Er und Jean-Paul Sartre gelten als herausragende Vertreter des Existenzialismus, sie sind eine Zeit lang auch persönlich befreundet. Ganz in der Tradition vieler französischer Schriftsteller bezieht Camus in den 1950er-Jahren Stellung zu vielen politischen Fragen: natürlich im Hinblick auf die französische Kolonialpolitik, besonders in Algerien, aber auch zum Beispiel zum Arbeiteraufstand in Ostberlin. Camus ist ein vehementer Gegner der Todesstrafe und gilt in den späten 1950er-Jahren vielen als das literarische Gewissen Frankreichs. 1957 erhält er den Literaturnobelpreis. Am 4. Januar 1960 kommt Camus bei einem Autounfall ums Leben.

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    M. S. vor 2 Jahren
    ... einen eher distanzierten Stil mit T und nicht Sil
    • Avatar
      vor 2 Jahren
      Danke für den Hinweis! Wir haben die Stelle korrigiert.

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