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Antigone

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Antigone

Artemis & Winkler,

15 min read
12 take-aways
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What's inside?

Sophokles’ klassische Tragödie, die auf grandiose Weise göttliches, staatliches und individuelles Recht miteinander konfrontiert: Antigone muss sterben, weil sie ihren Bruder bestattet.


Literatur­klassiker

  • Tragödie
  • Griechische Antike

Worum es geht

Mustergültige griechische Tragödie

Antigone ist das Beispiel einer mustergültigen Tragödie. Vor knapp 2500 Jahren geschrieben, hat das Stück bis heute nichts von seiner packenden, bewegenden Dramatik eingebüßt. Erstaunlich: Die darin aufgeworfenen Probleme sind nicht nur nachvollziehbar, sondern auch aktuell geblieben. Die tragische Heldin bestattet ihren auf dem Schlachtfeld gefallenen Bruder, obwohl der König – ihr Onkel – das bei Todesstrafe untersagt hat. Der sieht in dem Gefallenen einen Vaterlandsverräter und rechtfertigt seine Gnadenlosigkeit mit der Staatsräson. Antigone hingegen glaubt ihr Handeln durch göttliche Gebote legitimiert und geht deshalb guten Gewissens in den Tod. Am starrsinnigen König erfüllt sich schließlich eine furchtbare Weissagung: Sein Sohn und seine Ehefrau begehen aus Gram Selbstmord. Die Unerbittlichkeit des Schicksals, das die Götter über die Menschen verhängen, ist ein wichtiges Motiv der Antigone. Sophokles benutzt es, um vor dem anmaßenden Gebrauch der Macht zu warnen. Zugleich appelliert er an die Kraft des menschlichen Verstandes – gegenüber dem offenbaren Unrecht ebenso wie angesichts des dunklen Schicksals.

Take-aways

  • Antigone ist eines der berühmtesten Stücke der abendländischen Theatergeschichte.
  • Der Stoff entstammt der griechischen Mythologie und ist eine Episode aus dem Sagenkreis um das Herrscherhaus von Theben.
  • Antigone gehört einer unglückseligen Familie an: Sie ist die Tochter von Ödipus, der einst seinen Vater erschlug und seine Mutter heiratete.
  • Antigones Brüder Eteokles und Polyneikes sind in einer Schlacht gefallen.
  • Polyneikes gilt als Landesverräter, weshalb König Kreon, Antigones Onkel, sein Begräbnis verbietet.
  • Entgegen Kreons Erlass bestattet Antigone ihren Bruder und beruft sich dabei auf göttliche Gebote.
  • Kreon verurteilt Antigone zum Tod: Die Aufrechterhaltung der staatlichen Ordnung verlange bedingungslosen Gehorsam gegenüber dem Gesetz.
  • Obwohl Kreon wiederholt ermahnt wird, seine starre Haltung zu überdenken, lenkt er erst ein, als es zu spät ist.
  • Antigone erhängt sich, Kreons Sohn ersticht sich, und auch seine Gattin begeht Selbstmord. So ereilt den Herrscher der göttliche Zorn, der ihm vorhergesagt worden ist.
  • Das Stück entwickelt sich im Wechselspiel zwischen dramatischen Episoden und kommentierenden Liedern des Chors.
  • Die Unabsehbarkeit und Unentrinnbarkeit des Schicksals sind zentrale Motive des Dramas.
  • Sophokles gilt neben Aischylos und Euripides als einer der großen Dramatiker des klassischen Griechenland.

Zusammenfassung

Eine vom Schicksal geschlagene Familie

Antigone und ihre Schwester Ismene treten aus dem Königspalast von Theben, um allein miteinander zu sprechen. Sie sind beide Töchter des Ödipus, jenes unglückseligen thebanischen Herrschers, der unwissentlich seinen Vater tötete und seine Mutter zur Frau nahm. Nachdem er sein Schicksal entdeckt, sich geblendet und Theben verlassen hatte, ging die Macht an seine Söhne Eteokles und Polyneikes über. Da Eteokles jedoch bald die Herrschaft für sich allein beanspruchte, zog Polyneikes, im Bund mit Thebens Feinden, gegen seine Heimatstadt in den Krieg. Dieser Feldzug scheiterte; Polyneikes und Eteokles brachten sich auf dem Schlachtfeld gegenseitig um. Über Theben herrscht nun Kreon, der Bruder von Ödipus’ Mutter und Ehefrau – und somit der Onkel der beiden gefallenen Brüder sowie ihrer Schwestern Antigone und Ismene.

„(...) den Bruder werd’ ich selbst / begraben. Schön ist mir nach solcher Tat der Tod. / Von ihm geliebt, lieg’ ich bei ihm, dem Lieben, dann, / die fromm gefrevelt hat (...)“ (Antigone, S. 13)

Polyneikes, der als Vaterlandsverräter gilt, liegt noch tot auf dem Schlachtfeld vor den Toren der Stadt, während sein Bruder Eteokles, der Verteidiger des Vaterlands, bereits in allen Ehren beerdigt worden ist. Antigone beklagt das schwere Schicksal, das Zeus über ihre Familie verhängt hat. Und nun, so deutet sie an, drohe ihr neues Unglück. Denn Kreon hat verfügt, dass Polyneikes nicht bestattet werden darf; Vögel und Hunde sollen seine Leiche auffressen. Wer gegen den Erlass verstößt, dem droht die Todesstrafe.

Eine gesetzlose Ehrensache

Antigone allerdings denkt nicht daran, Kreons Gebot zu befolgen. Als Polyneikes’ Schwester sieht sie sich dazu verpflichtet, ihren Bruder zu bestatten, und sie erwartet eine ähnlich entschiedene Haltung auch von Ismene. Die hingegen hat vor, sich dem königlichen Befehl zu fügen – aus Willfährigkeit und Schwäche. Es sei sinnlos und gefährlich, sich der Macht entgegenzustellen, meint sie. Antigone kritisiert die Laschheit ihrer Schwester und beruft sich auf die göttlichen Gebote, Ismene wiederum wirft Antigone selbstmörderischen Starrsinn vor – wobei sie zugeben muss, dass ihr die Furchtlosigkeit ihrer Schwester imponiert.

„Vieles ist ungeheuer, nichts / ungeheuerer als der Mensch.“ (Chor, S. 29)

Die Frauen gehen ab, und die Ältesten von Theben treten als Chor auf. Feierlich erinnert der Ältestenrat an den soeben überstandenen Krieg, ruft zur Siegesfeier auf und heißt den neuen Herrscher Kreon willkommen. Dieser hat den Rat kurzfristig einberufen. In seiner ersten Ansprache verteidigt er die umstrittene Entscheidung, Eteokles und Polyneikes exemplarisch ungleich zu behandeln. Er sieht darin den Kern seiner Staatsauffassung verdeutlicht: Wer die Interessen und Gesetze der Stadt missachtet, hat keine Gnade zu erwarten; Ruhm und Ehre gelten dagegen demjenigen, der das Vaterland über alles stellt – auch über die eigenen Angehörigen.

Größe und Gefahr des Menschengeschlechts

Aufgeregt tritt ein Bote hinzu. Er berichtet, dass Polyneikes kurz zuvor, in offenem Affront gegen des Königs Befehl, notdürftig bestattet worden ist. Vom Täter fehlt jede Spur. Der Chorführer legt nahe, es handle sich womöglich um eine gottgewollte Tat. Das bringt Kreon in Rage. Er vermutet den Widersacher unter den Wächtern des Leichnams. Diese hätten sich bestimmt von Feinden der neuen Ordnung für den Gesetzesbruch bezahlen lassen. Kreon droht dem Boten, der selbst einer dieser Wächter ist, mit dem Tod für den Fall, dass er den Täter nicht umgehend herbeibringt.

„Es zeigt die schroffe Art des schroffen Vaters sich / im Kinde: Übeln sich zu fügen weiß sie nicht.“ (Kreon über Antigone, S. 37)

Der Chor beschwört das besondere Los und die Größe des Menschen innerhalb des Weltgefüges: Der Mensch trotzt dem Meer, er pflügt die Erde, er fängt Vögel und Fische und zwingt andere Tiere ins Joch; er hat zu sprechen und zu denken gelernt, kann Staaten führen und sich vor Unwettern in Sicherheit bringen, sogar gegen Krankheiten weiß er Abhilfe; seine schier unerschöpfliche Erfindungsgabe befähigt ihn zum Besten – aber auch zum Bösen. Wer Gesetze und Götter ehre, sei wohlgelitten; Frevler dagegen, so der Chor, gehörten aus der Gemeinschaft ausgeschlossen.

Die Täterin sieht sich im Recht

Der Wächter kehrt mit einer Gefangenen zurück: Antigone. Er hat sie festgenommen, als sie ein zweites Mal das Bestattungsritual an ihrem Bruder vollziehen wollte. Kreon lässt sich den Tathergang ausführlich schildern, bevor er Antigone selbst zu einer Stellungnahme auffordert. Sie gesteht die Tat ohne Umschweife. Auch gibt sie zu, wissentlich gegen Kreons Gebot gehandelt zu haben. Sie sieht sich an göttliches Recht gebunden, und das gilt ihr mehr als menschliche Gesetze. Die Aussicht auf den sicheren Tod schmerzt sie weniger als die Vorstellung, den Bruder ohne Grab liegen zu lassen.

„Es läuft nichts / im Menschengeschick jahrelang frei von Unheil.“ (Chor, S. 45)

Der Chorführer erkennt in Antigones schroffem Gebaren die Haltung ihres verdammten Vaters Ödipus wieder. Kreon kündigt an, ihren frechen Übermut umgehend zu brechen. Trotz Blutsverwandtschaft – immerhin ist Antigone seine Nichte – werde sie dem Todesurteil nicht entgehen. Er lässt auch Ismene suchen, weil er in ihr eine Anstifterin vermutet. Antigone drängt unterdessen auf eine rasche Vollstreckung der Strafe, lässt aber zugleich keinen Zweifel daran aufkommen, dass sie sich nach wie vor im Recht sieht. Der Ältestenrat, so sagt sie, teile sicher ihre Auffassung, nur hätten dessen Mitglieder eben Angst vor dem Tyrannen. Kreon hält ihr vor, sie würde ihren „guten“ Bruder schänden, indem sie den „bösen“ mit einer Bestattung ehre. Doch Antigone beruft sich erneut auf ihre Pflicht gegenüber den Toten, die ihr mehr bedeutet als jedes irdische Verbot.

Kreon lässt sich nicht erweichen

Ismene tritt auf. Kreon verlangt ihr Geständnis – und sie bekennt sich mitschuldig. Antigone aber verwahrt sich gegen diese überraschende Solidaritätsgeste ihrer Schwester: Jetzt brauche sie deren Beistand nicht mehr. Ismene versucht nun, Kreon umzustimmen, sie erinnert daran, dass Antigone seinem Sohn Haimon zur Braut versprochen ist. Doch Kreon bleibt hart: Antigone müsse sterben, eine neue Braut werde sich schon finden. Er lässt die beiden Frauen abführen. Der Chor besingt das ewige Leid des thebanischen Herrschergeschlechts, in dem sich über Generationen hinweg die Unglücksfälle häufen, weil die unbarmherzigen Götter es so verfügt haben. Immer wieder keime zwar Zuversicht auf, doch am Ende siege der Tod. Das sei freilich menschliches Los: Niemand lebe lange Zeit ohne Unglück. Die Hoffnung, so der Chor, lasse uns gerne etwas anderes glauben, aber sie schieße stets über das Ziel hinaus, man verbrenne sich die Finger an ihr. Mitunter würden die Götter mit den Menschen ein besonders böses Spiel treiben, indem sie ihnen manch grausames Unrecht auch noch als gute Tat erscheinen ließen.

„Wenn ich schon im eignen Haus / Zuchtloses fördre, wagt sich’s draußen dreist hervor. / Wer sich im Kreis des Häuslichen als fester Mann / bewährt, der zeigt sich auch im Staate stets gerecht.“ (Kreon, S. 49)

Haimon betritt die Szene. Kreon befürchtet, sein Sohn werde als Antigones Bräutigam womöglich um deren Leben flehen. Also setzt er auch ihm noch einmal sein Todesurteil auseinander. Er sieht sich, selbst gegenüber Mitgliedern der eigenen Familie, an die Maßgaben seines Erlasses gebunden. Wäre er nicht hart und konsequent auch gegen die Seinen, würden ihn die Bürger kaum als Führer dulden. Regelüberschreitungen müssten gnadenlos bestraft werden; nur so könne man für Gehorsam sorgen, und ohne umfassenden Gehorsam sei kein Staat zu lenken. Haimon schätzt den Vater außerordentlich und will ihm nicht widersprechen. Aber er plädiert für mehr Flexibilität und Weisheit in des Königs Urteil. Insgeheim, so scheint es ihm, sei das Volk auf Antigones Seite. Als kluger Herrscher solle Kreon darauf Rücksicht nehmen und seinen eisernen Kurs korrigieren. Der König aber will weder auf die Stimme des Jüngeren noch auf jene der Masse hören. Da droht ihm Haimon schließlich: Falls Kreon Antigone töten lasse, wolle er sich selbst umbringen. Doch der König ist nicht zu erweichen. Nach dem zornigen Abgang seines Sohnes erklärt er, dass er Antigone in einem Felsengrab verhungern lassen will.

Antigone geht dem Tod entgegen

Der Chor besingt die unberechenbare Macht des Eros. Dessen Unwiderstehlichkeit – für Götter wie für Menschen – habe ursprünglich den Bruderzwist zwischen Eteokles und Polyneikes heraufbeschworen und treibe immer wieder auch Vernünftige zur schrankenlosen Raserei. Antigone wird aus der Stadt hinausgeführt, ihrem künftigen Grab entgegen. Sie beklagt ihr Unglück, der Chor zeigt Mitleid. Die Ältesten verstehen die Motive von Antigones Rechtsbruch, üben aber zugleich Kritik an ihrem eigensinnigen Anrennen gegen die Macht. Dieses Beharren auf ihrem eigenen Gesetz habe sie letztlich in den Tod geführt. Unterdessen kehrt Kreon zurück und mahnt zur raschen Vollstreckung des Urteils. Antigone klagt ein letztes Mal über ihr tragisches Schicksal: Ohne Hochzeit, ohne Ehe, ohne Kinder müsse sie nun aus dem Leben scheiden – für die Befolgung heiliger Gebote. Einziger Trost sei ihr, dass sie im Totenreich ihren Vater, ihre Mutter und ihre Brüder wiedersehen werde. Der Chor zeigt sich abermals gerührt, Kreon jedoch nicht. Er lässt Antigone endgültig abführen. Das veranlasst den Chor, andere Fälle aus der mythischen Vorgeschichte ins Gedächtnis zu rufen, die Parallelen zum aktuellen Unglück aufweisen. Auch an die unerbittliche Gewalt des Schicksals wird noch einmal erinnert, dem nach menschlichem Ermessen nicht zu entkommen ist.

Ein blinder Seher sorgt für Einsicht

Da tritt der blinde Seher Teiresias auf. Er bringt eine Botschaft für Kreon. Dieser ist im Prinzip geneigt, jedem Ratschluss des Sehers zu folgen, denn bisher waren Teiresias’ Hinweise immer hilfreich und trafen die Wahrheit. Der Blinde warnt den König ohne Umschweife: Sein Geschick stehe auf Messers Schneide. Kreon erschaudert. Die Götter, so hat Teiresias festgestellt, nähmen keine Opfergaben mehr aus Theben an, denn die Opferstätten seien von den Vögeln und Hunden besudelt, die Polyneikes’ Leichnam zerrissen hätten. Teiresias mahnt den König, seinen irrigen Erlass gegen den eigenen Neffen schleunigst zu korrigieren. Aber der Herrscher sträubt sich und bezichtigt den Seher, bestochen zu sein; ein schändlicher Lügner sei er. Und doch kann Kreon nicht aufhören, dem Seher zuzuhören. Der prophezeit ihm einen baldigen Todesfall in der eigenen Familie – eine Rache der Götter für einen doppelten Frevel: den Toten unter den Lebenden zurückzuhalten und die Lebende zu den Toten zu schicken.

„Doch keinen schändet’s, mag er noch so weise sein, / wenn er noch lernt und nicht den Bogen überspannt. / Du siehst es bei des Gießbachs wilder Flut: Solang / der Baum sich biegt, bewahrt er seine Zweige sich; / doch sperrt er sich, so kommt er samt der Wurzel um.“ (Haimon zu Kreon, S. 51)

Nachdem Teiresias empört gegangen ist, weist der Chorführer den König darauf hin, dass der Seher sich bisher nie getäuscht habe. Kreon ist nachhaltig erschüttert. Zum ersten Mal erwägt er einzulenken. Er fragt den Chorführer offen um Rat, und dieser antwortet ihm ganz direkt: Lass Antigone frei und bestatte Polyneikes. Noch immer zaudert der Herrscher. Der Chorführer insistiert: Wenn Kreon nicht unverzüglich handle, so treffe ihn womöglich schon bald das göttliche Strafgericht. Endlich gibt Kreon schweren Herzens nach, vor allem um den fatalen Folgen seines Tuns noch zu entkommen. So schnell wie möglich will er nun Antigone befreien und ihren Bruder in Würde begraben.

Die Wende kommt zu spät

Da die Gefahr nun gebannt scheint, ruft der Chor Thebens Schutzgott Dionysos an und bittet ihn, mitsamt seinem Gefolge für eine läuternde, orgiastische Feier in die Stadt einzuziehen. Doch bald unterbricht ein Bote die Hymne und meldet den Selbstmord von Kreons Sohn Haimon. Kreons Frau Eurydike tritt hinzu und bittet den Boten, seine furchtbare Neuigkeit genauer auszuführen. Dieser erzählt nun, wie er mit Kreon und dessen Gefolge zunächst Polyneikes bestattete und dann Antigones Felsengrab entgegeneilte. Antigone jedoch war nicht mehr zu helfen; sie hatte sich mittlerweile selbst erhängt. Zu ihren Füßen kauerte der jammernde Haimon. Als der Vater ihn erschrocken rief, zog er sein Schwert und wollte den Herrscher erschlagen. Doch Kreon floh – und Haimon rammte sich daraufhin das Schwert selbst in die Brust.

„Doch des Schicksals Gewalt ist / unentrinnbar streng: / Ihr kann kein Reichtum und kein Kampf, / kein fester Turm und, meergepeitscht, / kein dunkles Seeschiff sich entziehen.“ (Chor, S. 65)

Eurydike verlässt wortlos die Szene und verschwindet im Palast. Der Bote und der Chorführer fürchten, dass auch sie womöglich vor Trauer sterben will. Unterdessen kehrt Kreon zurück, die Leiche seines Sohnes in den Armen. Bitterlich klagt er über seinen unglückseligen Starrsinn und seinen Unverstand. Zu spät!, wirft der Chor ihm vor. Und schon kommt ein weiterer Bote hinzu und meldet Kreon auch den Selbstmord seiner Frau. Das Tor des Palasts öffnet sich; Eurydike ist tot am Altar zu sehen. Der Bote teilt dem Herrscher mit, dass seine Frau ihn einen Kindermörder nannte, bevor sie starb. Kreons Klage kennt nun kein Maß mehr. Er wünscht sich seinen eigenen Tod – doch der Chorführer bescheidet ihn, dass er über sein Geschick nicht weiter zu bestimmen habe. Der Chor warnt noch einmal davor, gegen Göttergebote zu verstoßen. Er preist die Besonnenheit als höchstes Gut und tadelt den anmaßenden Stolz.

Zum Text

Aufbau und Stil

Sophokles’ Antigone ist ein Beispiel der klassischen griechischen Tragödienform, die der Autor, der neben Aischylos und Euripides als einer der drei großen griechischen Dramatiker gilt, selbst gefestigt hat. Jede Tragödie der damaligen Epoche war zum Zeitpunkt ihrer Präsentation Teil einer Tetralogie aus jeweils drei Tragödien und einem Satyrspiel. Mit einem solchen „Paket“ traten die Autoren zum jährlichen Dichterwettstreit an. Während Aischylos seine drei Tragödien meist als inhaltlich zusammenhängende Trilogie entwarf, wiesen die einzelnen Stücke bei Sophokles eine größere Unabhängigkeit auf.

Das dramatische Geschehen entwickelt sich einerseits zwischen den handelnden Personen, andererseits zwischen den Personen und dem Chor. Dieser tritt auch immer wieder mit Liedern hervor, die nicht direkt in den Gang der Ereignisse eingebunden sind, sondern die Handlung kommentieren, deuten und historisch verorten. Gesprochene Episoden und gesungene Passagen wechseln sich regelmäßig ab. Eine Besonderheit bei Sophokles ist, dass er dem Chor eine konkrete Rolle zuweist: die des Ältestenrats der Stadt. So kann der Chor unmittelbar in die Handlung einbezogen werden und direkt mit einzelnen Figuren diskutieren. Diese strukturelle Besonderheit ist typisch für die gewachsene Bedeutung, die Sophokles dem Menschen im Verhältnis zu den Göttern einräumt. Ein herausragendes Stilmittel des Stücks ist dessen metrische Vielfalt: Zu Sophokles’ Zeit konnte der Dichter verschiedene Versmaße gezielt für Anspielungen benutzen; bestimmte Rhythmen lösten konkrete Assoziationen aus. Heute ist das nur noch für Spezialisten verständlich.

Interpretationsansätze

  • Kreon und Antigone verkörpern zwei gegensätzliche Modelle der Rechtsauffassung. Der König appelliert an die Staatsräson, der unbedingt Folge zu leisten sei, Antigone dagegen fühlt sich lediglich an ihr Gewissen bzw. an die ungeschriebenen göttlichen Gebote gebunden.
  • Beide, Kreon und Antigone, haben Recht und Unrecht zugleich; dem Stück liegt kein simples Gut-Böse-Schema zugrunde. Beide Protagonisten verhalten sich starrsinnig und verbissen. In Kreons Staat mangelt es an Menschlichkeit – aber mit lauter Einzelgängern wie Antigone wäre kein Staat zu machen.
  • Im Mittelpunkt des Geschehens steht das unausweichliche Schicksal. Zur Tragik des Menschen gehört, dass er das Schicksal zwar erfahren, aber letztlich nicht verstehen kann.
  • Der menschliche Verstand erscheint als zweischneidiges Schwert: Er kann zur Erkenntnis dienen oder aber zur Einbildung verführen. In Antigone wird mehrfach auf die Fähigkeit zur Besinnung verwiesen. Gleichzeitig zeigt das Stück wiederholt die Grenzen des Verstands auf.
  • Das problematische Verhältnis von menschlichem und göttlichem Maß wird hinter dem konkreten Konflikt sichtbar. Der Mensch muss einsehen, dass am göttlichen Willen nicht zu rütteln ist. Doch je tiefer seine Einsicht reicht, umso weniger mag er sich damit zufriedengeben. Sein Nachdenken über Moralität und Gerechtigkeit wird immer komplexer – während sich die Götter für diesen irdischen Diskurs nicht zu interessieren scheinen.

Historischer Hintergrund

Die Blütezeit Athens

Im fünften vorchristlichen Jahrhundert erlebte das antike Griechenland seine klassische Epoche. Athen entwickelte sich zum einflussreichsten Stadtstaat der Region. Außenpolitisch verhalf der attisch-delische Seebund der Stadt zur Vormachtstellung im Ägäischen Meer, innenpolitisch gelangte die Demokratie zur Reife. Zum nötigen Selbstbewusstsein war Athen nach einem Doppelsieg über die Perser in den Jahren 480/479 v. Chr. gekommen. Die Partner im kurz darauf gegründeten Seebund waren Athen gegenüber tributpflichtig. Auf diese Weise nahm die Stadt die nötigen Mittel ein, um sich mithilfe eines gewaltigen Bauvorhabens auch repräsentativ in Szene zu setzen: Von 467 an entstand die Athener Akropolis. Die Staatsmänner Ephialtes und Perikles entmachteten den vom Adel dominierten Areopag als entscheidendes staatliches Organ zugunsten der Volksversammlung. Darin waren alle männlichen Bürger gleichberechtigt vertreten. In dieser Zeit begannen die so genannten Sophisten eine Rolle zu spielen: freie Lehrer, die den Bürgern und ihren Söhnen eine umfassende Ausbildung anboten. Neben der Vermittlung rhetorischer Fähigkeiten gaben sie auch Anstöße in philosophischer Richtung. Die griechische Philosophie hatte etwa 100 Jahre zuvor mit den Vorsokratikern begonnen. Während der Blütezeit der attischen Demokratie war die Beschäftigung mit Grundfragen der menschlichen Existenz und mit elementaren Konzepten der Naturwissenschaft keine Seltenheit mehr. Das griechische Theater, das parallel dazu zur Blüte gelangte, widmete sich mitunter den gleichen Fragen, wenn auch vor einem anderen, stärker religiös verankerten Hintergrund.

Entstehung

Zu den konkreten Entstehungsbedingungen der Antigone sind keine Daten überliefert. Man weiß jedoch, dass Sophokles’ Ernennung zum Strategen im Samischen Krieg (441–439 v. Chr.) auf den Erfolg des Stücks zurückgehen soll. Daher ist dessen Erstaufführung mit einiger Sicherheit auf die Jahre 443 oder 442 v. Chr. zu datieren. Antigone wurde, wie alle Tragödien der damaligen Zeit, im Rahmen der „Großen Dionysien“ auf die Bühne gebracht, mehrtägigen Feierlichkeiten zu Ehren des Gottes Dionysos. Innerhalb dieses Rahmens hatte sich die tragische Gattung über einen Zeitraum von wenigstens 100 Jahren langsam weiterentwickelt. Thespis, dem mutmaßlichen Erfinder der Tragödie im sechsten Jahrhundert v. Chr., wird die Einführung eines ersten Schauspielers zugeschrieben, der mit dem Chor in einen Dialog treten konnte. Aischylos, Sophokles’ berühmter Vorläufer, stellte ihm später einen zweiten Schauspieler zur Seite, Sophokles selbst sorgte schließlich für einen dritten. So emanzipierte sich die dramatische Handlung Stück für Stück von den gesungenen, chorischen Elementen der Aufführung. In einem wichtigen Punkt blieben die Werke allerdings an das religiöse Ritual gebunden, aus dem sie entstanden waren: Sie wurden nur ein einziges Mal aufgeführt. Jedes Jahr bewarben sich verschiedene Autoren um Aufführungsrechte. Der höchste Staatsbeamte – zuständig für die Durchführung der Dionysien – wählte drei Bewerber aus und teilte ihnen je einen Chor für die Einstudierung ihrer Tetralogie zu. Im Verlauf der Feierlichkeiten entschied eine zehnköpfige Jury dann über den jeweiligen Jahressieger. Dieses Ausscheidungsprinzip spornte die Autoren an, den meist aus dem Mythos bekannten Stoffen immer neue Seiten und dramatische Effekte abzugewinnen. Auch im Fall der Antigone darf man davon ausgehen, dass Sophokles nicht der Einzige war, der das Thema bearbeitet hat.

Wirkungsgeschichte

Antigone gehört zu denjenigen Stoffen der Weltliteratur, die wieder und wieder aufgegriffen und variiert worden sind. Das mag z. T. mit der Herkunft des Stoffes aus der griechischen Mythologie zu tun haben, die insgesamt für die westliche Kulturgeschichte von zentraler Bedeutung ist. Doch letztlich hat vor allem Sophokles’ dramatische Zuspitzung der Sage zum Epochen übergreifenden Erfolg des Stoffes geführt. Schon in Aristoteles’ Poetik – dem ersten bedeutenden Werk, das die Tragödie als Gattung behandelt – wird nicht nur Sophokles, sondern auch die Antigone erwähnt. Später nahmen sich sowohl römische als auch klassische französische Dramatiker des Stoffes an. In Deutschland wurde das Stück zunächst von dem Barockdichter Martin Opitz, später auch von Friedrich Hölderlin übersetzt. Georg Friedrich Wilhelm Hegel verwies in mehreren seiner philosophischen Werke auf den beispielhaften Charakter des Dramas. 1917 brachte Walter Hasenclever eine gegen Krieg und Tyrannei gestimmte Antigone auf die Bühne. Zur einflussreichsten Bearbeitung wurde aber Jean Anouilhs Antigone aus dem Jahr 1942. Anouilh nahm entscheidende Neugewichtungen der Figuren vor: Kreon wird vom skrupellosen Herrscher zum Verteidiger des Lebens und des „kleinen Glücks“, während Antigone ebendies zutiefst verachtet und deshalb den Tod ersehnt. In Bertolt Brechts Die Antigone des Sophokles von 1948 wird die Titelheldin erneut zur Rebellin gegen Willkürherrschaft; Bezüge zum Dritten Reich sind klar erkennbar. 1963 siedelte Rolf Hochhuth seine Novelle Die Berliner Antigone ebenfalls in der NS-Zeit an.

Über den Autor

Sophokles wird 497 oder 496 v. Chr. im Dorf Kolonos nahe Athen geboren. Um seine Gestalt ranken sich zahlreiche Legenden. Verlässliche biografische Daten über den Verlauf seines für die damalige Zeit relativ langen Lebens sind aber nur wenige überliefert. Sein Vater Sophillos ist ein reicher Waffenhersteller, und Sophokles erhält eine gute Ausbildung. Wegen seiner Statur, seiner athletischen Geschicklichkeit und seiner herausragenden musikalischen Fähigkeiten führt er als Jugendlicher angeblich den Dankgesang anlässlich des griechischen Sieges über die Perser in der Seeschlacht von Salamis im Jahr 480 v. Chr. an. 471 oder 470 v. Chr. reicht er seine ersten vier Dramen für den Wettkampf der Dichter bei den Dionysosfesten ein und belegt auf Anhieb den zweiten Platz. 468 v. Chr. gewinnt er zum ersten Mal diesen Wettkampf – und das auch noch im direkten Vergleich mit dem berühmten Aischylos. Vom Alter und von seinen Überzeugungen her steht Sophokles zwischen Aischylos und Euripides, dem letzten der drei großen Dichter. Bei Aischylos lernt Sophokles nach eigenem Bekunden das Stückeschreiben. Er verfasst gut 130 Dramen, von denen jedoch nur sehr wenige erhalten sind, u. a. die thebanische Trilogie Antigone, König Ödipus und Ödipus auf Kolonos. In den Jahren 443/442 v. Chr. wird Sophokles zu einem der Schatzmeister des attischen Seebundes bestimmt. Im Samischen Krieg bekleidet er gemeinsam mit dem Staatsmann Perikles, mit dem er befreundet ist, das offizielle Amt eines Strategen, das er auch später noch zeitweise ausübt. 413/412 v. Chr. ist er Mitglied der oligarchischen Regierung, die Athen nach der katastrophalen militärischen Niederlage der Athener auf Sizilien zeitweise regiert. Um das Jahr 406 v. Chr. stirbt Sophokles in seiner Heimatstadt, ohne je eine der zahlreichen Berufungen an einen auswärtigen Königshof angenommen zu haben. Es wird berichtet, er sei an einer Weintraube erstickt – der Wahrheitsgehalt dieser Anekdote ist jedoch umstritten.

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    P. F. vor 6 Jahren
    Gute Zusammenfassung! Auch immer sehr interessant ist die Lebensgeschichte der Autoren.

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