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Theorie der ethischen Gefühle

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Theorie der ethischen Gefühle

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Viele wissen es nicht: Adam Smith, der Autor von „Der Wohlstand der Nationen“ und Begründer der Nationalökonomie, war vor allem Moralphilosoph. Dies ist sein ethisches Hauptwerk.


Literatur­klassiker

  • Philosophie
  • Aufklärung

Worum es geht

Über Wesen und Herkunft der Moral

Warum halten wir bestimmte Handlungen oder Absichten für richtig und empfinden andere als unmoralisch? Adam Smith, den die meisten nur wegen seiner ökonomischen Schriften kennen, hat sich mit solchen moralphilosophischen Fragen lange Zeit vor seinem Durchbruch als Wirtschaftswissenschaftler beschäftigt. In seinem ersten großen Werk, Theorie der ethischen Gefühle, das ihn mit einem Schlag berühmt machte, vertritt er die Ansicht, dass alle Menschen mit einer natürlichen Fähigkeit geboren werden, die es ihnen erlaubt, sich in die Lage anderer Menschen zu versetzen: die Sympathie. Mit ihrer Hilfe gelingt es zu beurteilen, was Recht und Unrecht ist. Smith stellt sich einen "unparteiischen Zuschauer" vor, der alle unsere Handlungen von einem externen Standpunkt aus betrachtet und sozusagen unser Gewissen darstellt. Der Autor geht im Buch den ganzen Katalog der Tugenden durch und liefert eine regelrechte Affektlehre mit all den Gefühlsregungen, denen er das Prädikat "schicklich" oder "unschicklich" geben kann. Die Theorie der ethischen Gefühle ist in einer leicht verständlichen Sprache geschrieben und steht zu Unrecht im Schatten des Wohlstands der Nationen. Will man Smith wirklich verstehen, sollte man unbedingt beide Werke kennen.

Take-aways

  • Die Theorie der ethischen Gefühle ist das moralphilosophische Hauptwerk Adam Smiths, der heute vor allem als Begründer der Nationalökonomie bekannt ist.
  • Der schottische Philosoph untersucht darin den Ursprung und die Funktionsweise unseres moralischen Empfindens.
  • Der Schlüsselbegriff ist die Sympathie: die Fähigkeit, mit anderen Menschen im Geist den Platz zu tauschen und ihre Gefühle nachzuempfinden.
  • Jeder von uns erwartet von seinen Mitmenschen, dass sie an seinen Empfindungen teilhaben.
  • Wenn wir das Verhalten anderer billigen, stellen wir eine Übereinstimmung mit dem unsrigen fest.
  • Wir stellen uns vor, dass ein unparteiischer Zuschauer uns und unsere Handlungen beobachtet und beurteilt. Er ist unser Schiedsrichter und unser Gewissen.
  • Es gibt soziale Affekte (wie z. B. Güte), die von vielen Menschen gebilligt, und unsoziale Affekte (wie z. B. Zorn), die überwiegend abgelehnt werden.
  • Wir billigen meist nur solche Taten, die aus sittlichen Motiven unternommen werden.
  • Gerechtigkeit gehört zu den wichtigsten Stützpfeilern der menschlichen Gesellschaft und insbesondere des Rechtsstaates.
  • Meist erscheinen uns nützliche Dinge als schön, denn die Nützlichkeit ist ein gutes Kriterium zur Beurteilung von Gegenständen und Handlungen.
  • Smiths Moraltheorie war anfangs ein großer Erfolg, geriet aber nach seinem späteren Werk Der Wohlstand der Nationen etwas in Vergessenheit.
  • Die Frage, ob sich seine beiden Hauptwerke widersprechen oder ob sie einander ergänzen, wird bis heute diskutiert.

Zusammenfassung

Sympathie

Mitleid mit Armen und Elenden fühlt selbst der rohste Mensch. Tatsächlich sind wir alle mit der Fähigkeit ausgestattet, das Unglück unserer Mitmenschen mitzufühlen. Wenn unser Bruder auf der Folterbank liegt, können wir seine Schmerzen zwar nicht wirklich spüren, denn wir können nichts empfinden, was unsere Sinne nicht wahrnehmen, aber mit Hilfe unserer Einbildungskraft können wir seinen Schmerz nachvollziehen. Wird jemandem gegen das Bein getreten, greifen wir uns an das eigene; sehen wir aussätzige Bettler auf der Straße, fängt es bei uns an zu jucken, so als besäßen wir selbst die Geschwüre. Aber nicht nur Unglück und Elend, auch Freude und Glück können wir nachempfinden. Das Wort, das beides umschreibt, ist die Sympathie. Es bezeichnet unser Mitgefühl mit jeder Art von Affekten (Gefühlen, Leidenschaften) anderer Menschen. Jedoch interessieren uns nicht nur die Affekte selbst, sondern auch die Gründe dafür: Warum ist ein Mensch traurig, zornig, fröhlich, glücklich? Mitunter fühlen wir Affekte, die der andere Mensch gar nicht wahrnimmt, z. B. wenn er sich unmöglich benimmt, es selbst nicht merkt und wir Scham empfinden. Oder wenn eine Mutter um das Leben ihres Kindes bangt, welches selbst vermutlich nichts weiter als Schmerz fühlt, aber keine Zukunftsangst. Wir empfinden sogar Mitgefühl für die Toten, obgleich diesen jeglicher Affekt gänzlich abgeht.

Die Schicklichkeit von Affekten

Genauso wie wir Sympathie für andere empfinden, erwarten wir diese auch von ihnen. Anteilnahme befreit uns von einem Teil der Last und wir empfinden Menschen, die uns diese vorenthalten, als roh und kalt. Dabei ist es für uns erheblich wichtiger, dass andere an unserem Kummer teilhaben als an unserer Freude. Letzteres vergeben wir gern, Ersteres ungern. Ebenso verhält es sich mit der Liebe und ihrem Gegenstück, dem Hass: Es ist nicht weiter schlimm, wenn Freunde unsere Freunde nicht mögen, aber wir nehmen es ihnen übel, wenn sie unsere Feinde nicht hassen. Wann beurteilen wir nun die Affekte eines anderen Menschen als berechtigt? Das ist immer dann der Fall, wenn unsere eigenen Gemütsbewegungen mit denen des anderen übereinstimmen, wir also Sympathie mit ihm empfinden. Lacht er über den gleichen Witz wie wir, müssen wir zugeben, dass die Pointe komisch war. Ist der andere aber z. B. einem Dritten böse, der ihn beleidigt hat, wobei wir die Beleidigung nicht ernst nehmen können, so werden wir auch seinen Groll nicht verstehen. Wenn wir die Ansichten eines anderen billigen, stellen wir also eine Übereinstimmung mit unseren eigenen fest. Was wir bei uns selbst beobachten, machen wir zum Maßstab der Beurteilung anderer. Auch die Verhältnismäßigkeit von Affekten beurteilen wir: Wenn jemand wegen einer Nichtigkeit heult und jammert, nehmen wir ihm das übel, weil das Verhältnis zwischen Ursache und Reaktion in unseren Augen falsch ist.

Affektlehre

Unsere Erwartungen an das Mitgefühl eines anderen verändern sich mit der persönlichen Nähe zu ihm: Ist er eine gänzlich fremde Person, werden wir wenig Anteilnahme erwarten und ihn auch nicht in alle Details einweihen. Ist er ein guter Freund, erwarten wir große Anteilnahme und sind entsprechend mitteilsam. Ist der andere ein völlig unbeteiligter, unparteiischer Zuschauer, wird er versuchen, bei unseren Affekten "mitzugehen", und wir werden versuchen, ihm dies zu ermöglichen. Affekte sind dann schicklich, wenn sie weder über- noch untertrieben sind, also der Zuschauer ohne Probleme Sympathien empfinden kann. Folgende Arten von Affekten gibt es:

  1. Affekte, die ihren Ursprung im Körper haben: Wer seinem Hunger, Schmerz oder gar dem Sexualtrieb offen Ausdruck verleiht, wird meist als unschicklich gelten. Körperlicher Schmerz wird selten nachempfunden, weil er nur dann wirklich lebhaft gefühlt werden kann, wenn er tatsächlich besteht.
  2. Affekte, die der Einbildungskraft entstammen: Hierzu gehört z. B. das Gefühl des Verliebtseins, das wir als unbeteiligte Zuschauer nicht nachempfinden können, weshalb uns die meist überbordenden Gefühlsäußerungen der Verliebten seltsam und übertrieben vorkommen.
  3. Unsoziale Affekte: Wut, Zorn oder Vergeltungsgefühl erregen normalerweise unsere Verachtung, nicht jedoch, wenn wir die Ursachen kennen. Dann sympathisieren wir mit demjenigen, der beschimpft oder beleidigt wurde und können seine Rachsucht nachempfinden - wenn auch in geringerer Heftigkeit.
  4. Soziale Affekte: Regungen wie Güte und Menschlichkeit lassen uns ungeteilte Sympathie empfinden, und zwar sowohl für den Wohltäter als auch für denjenigen, dem das Mitleid zuteil wird.
  5. Egoistische Affekte: Zu ihnen gehören Kummer oder Freude, woran wir nie so viel Anteil nehmen wie an den übrigen Affekten. Starkes Leid betrifft uns mehr als vergleichsweise geringer Kummer; Freude teilen wir, weil sie auch bei uns positive Gefühle erzeugt.

Verdienst und Schuld

Wenn wir Zeugen einer guten Tat sind, die einem Menschen durch einen anderen widerfährt, stimmen wir dann automatisch und in jedem Fall in das Lob des Wohltäters ein? Nein, das tun wir in der Regel nur dann, wenn er seine Tat aus Gründen getan hat, die uns richtig und schicklich erscheinen. Nur dann hat der Wohltäter eine Belohnung in Form der Anerkennung verdient. Ebenso verhält es sich mit dem Wunsch eines Menschen nach Vergeltung: Solange wir annehmen können, dass sein Widersacher ihn aus Gründen geschädigt hat, die wir verurteilen, können wir Sympathie mit seinem Wunsch nach Rache empfinden und geben dem Widersacher die Schuld. Billigen wir dagegen das Verhalten des Widersachers, so können wir das Rachegefühl des Geschädigten nicht nachvollziehen. Wohltätigkeit ist eine Tugend, die immer aus schicklichen Motiven hervorgeht und deshalb stets einen Verdienst darstellt. Umgekehrt darf die Abwesenheit von Wohltätigkeit, also ihr Nicht-Gewähren, keinesfalls zu Vergeltungsgefühlen führen, weil diese ungerechtfertigt wären.

Gerechtigkeit

Unschicklich und strafbar ist das Abweichen von der Gerechtigkeit, also das direkt begangene Unrecht. Der Straftäter kann sich sicher sein, dass nicht nur der direkt Geschädigte, sondern auch alle anderen seine Tat missbilligen und u. U. Gewalt anwenden werden, um ihn zu bestrafen. Wer sein eigenes Glück über das anderer stellt - leider haben Menschen trotz ihrer Fähigkeit zur Sympathie diesen Hang - und einen anderen seiner Güter beraubt, wird von jedem unparteiischen Zuschauer verurteilt. Die Gesellschaft baut darauf, dass gemeinsame Regeln der Gerechtigkeit eingehalten werden. Gesellschaften, in denen alle Individuen durch Liebe verbunden sind, sind lebensfähig. Gesellschaften, in denen zwar keine Liebe, aber Achtung und das Gefühl von Nützlichkeit füreinander herrscht, sind ebenfalls lebensfähig. Solche aber, in denen jeder den anderen schädigen will, sind zum Untergang verdammt. Gerechtigkeit ist der Stützpfeiler jeder Gesellschaft.

Der unparteiische Zuschauer

Wie beurteilen wir unser eigenes Verhalten und unsere eigenen Gefühle? Man kann annehmen, dass dies genau so geschieht wie bei der Beurteilung von anderen Personen, nur in umgekehrter Richtung. Statt uns in andere Personen einzufühlen, ihren Standpunkt einzunehmen, um ihre Affekte zu verstehen, nehmen wir im Geiste die Rolle eines gerechten und unparteiischen Zuschauers ein, um unser eigenes Verhalten aus Sicht des anderen zu beurteilen. Genauso wie uns die Bemerkungen anderer in Bezug auf unser Äußeres relevant sind, verhält es sich auch mit der moralischen Beurteilung. Der unparteiische Zuschauer ist unser Gewissen, der Schiedsrichter über Moral und Anstand. Ohne ihn würden wir uns selbst für den wichtigsten Menschen auf Erden halten. Mit ihm jedoch wird uns klargemacht, dass wir nur einer unter vielen sind. Solche Perspektivenwechsel gelingen natürlich nur innerhalb einer Gesellschaft: Wenn ein Mensch ohne andere Menschen aufwüchse, könnte er keine anderen Sichtweisen einnehmen.

Lob und Tadel

Wir wünschen uns nichts so sehr wie gelobt zu werden und versuchen Tadel um jeden Preis zu vermeiden. Allerdings muss das Lob mit Lobenswürdigkeit verbunden sein, damit wir es auch genießen können. Wenn wir vermuten, dass wir ohne wirklichen Grund gelobt werden, erscheint dieses Lob falsch und schal, es sei denn wir neigen zu sehr großer Eitelkeit. Lob kann uns nie so sehr erfreuen, wie uns Tadel niederdrückt. Tadel wirkt immer schwerer als eine positive Verstärkung durch Lob. Künstler werden von der negativen Kritik viel stärker in Mitleidenschaft gezogen als etwa Mathematiker: Erstere brauchen die Zustimmung des Publikums, Letztere nicht. So wurde Isaac Newton lange Jahre nicht weiter beachtet, aber er blieb ruhig und gelassen, hatte er doch Gewissheit darüber, dass seine mathematischen Forschungen richtig waren.

Nützlichkeit

Schönheit und Nützlichkeit sind eins: Wenn wir feststellen, dass eine Maschine ihren Zweck hervorragend erfüllt, erscheint sie uns auch als schön. Wir sehnen uns nach Nützlichkeit, weil sie uns Bequemlichkeit ermöglicht. Wir erträumen uns, reich zu werden und in Palästen zu wohnen. Der Wunsch nach Bequemlichkeit ist es, der uns dazu motiviert, unser Land zu bestellen, Erfindungen zu machen und das Staatswesen zu verfeinern. Der Grundherr strebt nach immer mehr Boden und einer immer größeren Ernte. Er wird Mittel und Wege finden, um die Erträge zu maximieren. Und obschon er aus egoistischen Motiven handelt, kann er doch nicht so viel verbrauchen, wie er produziert. Deshalb führt sein Egoismus dazu, dass auch andere ernährt werden, dass der Reichtum geteilt wird, dass Fortschritte und Verbesserungen allen zugute kommen. Verantwortlich hierfür ist eine "unsichtbare Hand", die dafür sorgt, dass die anfänglich ungerechte Verteilung von Gütern nachträglich zum Wohle breiter Bevölkerungsschichten verwendet wird. Auch moralisches Verhalten wie Gerechtigkeit oder Edelmut sind nützlich.

„Mag man den Menschen für noch so egoistisch halten, es liegen doch offenbar gewisse Prinzipien in seiner Natur, die ihn dazu bestimmen, an dem Schicksal anderer Anteil zu nehmen, und die ihm selbst die Glückseligkeit dieser anderen zum Bedürfnis machen, obgleich er keinen anderen Vorteil daraus zieht, als das Vergnügen, Zeuge davon zu sein.“ (S. 1)

Zugleich wird unser Verständnis von der Schicklichkeit durch Gewohnheit und Moden beeinflusst: Sind wir beispielsweise an eine bestimmte Kleidung gewöhnt, erscheint sie uns schicklich, auch wenn ein Außenstehender sie als lächerlich oder unschicklich betrachten könnte. So kommt es, dass in verschiedenen Ländern und zu verschiedenen Zeiten unterschiedliche Dinge als nützlich und schicklich angesehen werden.

Wen nennen wir tugendhaft?

Diese Frage lässt sich leicht in zwei Einzelfragen aufspalten: Welche Tugenden nützen dem Einzelnen und welche haben Einfluss auf die Glückseligkeit anderer Menschen? Zu den Ersteren gehört die Tugend, alles Erdenkliche zu tun, um seinen eigenen Körper zu erhalten, zu pflegen, ihm Lust zu bereiten und der Unlust aus dem Weg zu gehen. Diese Tugend heißt Klugheit und wird uns von Kindesbeinen an beigebracht. Dazu gehört auch, dafür zu sorgen, dass man in der Achtung der Mitmenschen aufsteigt und so den gebührenden Rang einnehmen kann. In Bezug auf andere Menschen kann ein Individuum zwei Wege wählen: Es kann den anderen schaden oder nützen. Schaden ist in den Augen eines unparteiischen Zuschauers nur aus einem Grund statthaft: aus Vergeltungsgefühl, weil der andere den Handelnden geschädigt hat. Das Naturrecht, aus dem das staatliche Strafrecht abgeleitet ist, gebietet uns, solche Taten zu sühnen.

„Das Wort ‚Sympathie’ kann (...) dazu verwendet werden, um unser Mitgefühl mit jeder Art von Affekten zu bezeichnen.“ (S. 4)

Die Tugend der Gerechtigkeit hält uns davon ab, die Glückseligkeit unserer Mitmenschen zu verletzen, die Tugend der Wohltätigkeit bringt uns sogar dazu, diese zu mehren. Komplettiert werden diese beiden durch die Tugend der Selbstbeherrschung. Sie hält uns davon ab, in größenwahnsinnige Prahlerei zu verfallen, unserem Zorn freien Lauf zu lassen oder der Genusssucht in einem solchen Maß zu frönen, dass andere es als unschicklich ansehen müssten. Wer für seine Ideale einsteht und selbst unter Androhung von Gewalt oder Folter nicht davon abrückt, verdient unseren größten Respekt. Die Fähigkeit, so etwas mit Gelassenheit zu überstehen, wie beispielsweise Sokrates, löst Bewunderung aus.

„Die Ansichten anderer billigen oder missbilligen, bedeutet also (...) nichts anderes als deren Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung mit unseren eigenen bemerken.“ (S. 16)

Bei der Beurteilung von Menschen und ihren Handlungen nehmen wir den Platz eines unparteiischen Zuschauers ein: Wir billigen die Handlungen des Klugen, weil wir seine Motive nachempfinden können, und wir billigen die Handlungen des Gerechten, weil wir die Dankbarkeit im Auge seiner Mitmenschen wahrnehmen können.

Zum Text

Aufbau und Stil

Adam Smith hat sein Buch in sieben Teile gegliedert. Der erste führt die wichtige Kategorie der Sympathie ein und macht den Leser nebenbei mit verschiedenen Affekten und der Konstruktion des "unparteiischen Zuschauers" vertraut. Im zweiten und dritten Teil werden verschiedene Arten von Verdienst und Schuld sowie die Mechanismen der Selbstbeurteilung behandelt. Im vierten Teil geht es um die Nützlichkeit, im fünften um den Einfluss von Bräuchen und Moden auf das moralische Empfinden. Der sechste Teil dient der Bestimmung eines tugendhaften Menschen. Im siebten Teil schließlich versucht sich Smith an einer kleinen Geschichte der Moralphilosophie, in der er einige seiner ideengeschichtlichen Vorgänger vorstellt und bewertet. Aus Aussagen von Smiths Schülern geht hervor, dass er weite Teile der Theorie der ethischen Gefühle (manchmal auch einfach Theorie genannt) an seinen Vorlesungsskripten ausgerichtet hat. Das hat vermutlich dazu geführt, dass das Buch relativ unsystematisch geraten ist und einerseits voller ermüdender Wiederholungen steckt, andererseits die zentralen Aussagen geschickt versteckt. Der lebendige, anschauliche Stil und die vielen Beispiele rühren vermutlich daher, dass das Werk eine Niederschrift mündlicher Erläuterungen ist. Wer sich also einen Reim auf die Anordnung der Kapitel machen kann, wird Smiths Schreibstil durchaus als angenehm, wenn auch als für den heutigen Geschmack etwas altertümlich empfinden.

Interpretationsansätze

  • In der Theorie der ethischen Gefühle propagiert Adam Smith die Sympathie, das Mit- und Einfühlen in andere Menschen. In seinem späteren Werk Der Wohlstand der Nationen ist es dann plötzlich das Eigeninteresse, auf das sich seine Theorie stützt. Wie passt das zusammen? Dieser scheinbare Widerspruch ist in der Forschung als "Adam-Smith-Problem" lange diskutiert worden.
  • Manche Kritiker meinen, es sei zwischen den beiden Werken zu einem Umschwung in Smiths Denken gekommen; andere sehen die Bücher als einander ergänzend an: Das Eigeninteresse ist demnach für Smith eine zentrale Kategorie, jedoch immer innerhalb eines ethischen Rahmens, welcher durch die Sympathie bestimmt wird.
  • In der Theorie der ethischen Gefühle taucht bereits die "unsichtbare Hand" auf, die im späteren nationalökonomischen Werk eine steile Karriere machen sollte: Smith beschreibt hier wie dort das Eigeninteresse des Menschen, das durch die Marktkräfte - unbeabsichtigt - zu einer solchen Verteilung der Güter führt, dass diese auch denjenigen zugute kommen, die nicht zur besitzenden Klasse gehören. Eine Theorie, der im Laufe der Zeit von zahlreichen Ökonomen widersprochen wurde.
  • Smith bezieht sich in mehreren Punkten auf seinen Philosophenfreund David Hume. Das tut er jeweils in Umschreibungen ("ein geistreicher und sympathischer Philosoph"), ohne jedoch den Namen direkt zu nennen. Besonders deutlich wird dies im Kapitel über die Nützlichkeit, ein Thema, das Hume besonders am Herzen lag.
  • Eine mögliche physikalische Erklärung für Sympathie hat in den letzten Jahrzehnten die Neurobiologie gefunden. Es handelt sich dabei um die so genannten Spiegelneuronen: Nervenzellen im Gehirn, die bei der bloßen Betrachtung eines Vorgangs die gleichen Potenziale auslösen, als würde der Betrachter den Vorgang selbst ausführen.

Historischer Hintergrund

Die Geschichte der Ethik von der Antike bis zu Smith

Die Ethik als philosophische Disziplin ist schon so alt wie die Philosophie selbst. Der Begriff leitet sich vom griechischen Wort "ethos" ab, was so viel wie Gewohnheit, Sitte oder Brauch bedeutet. Die Ethik ist eine "Soll-Wissenschaft": Sie kümmert sich um die Richtlinien, an denen sich menschliches Handeln orientiert. Dabei hat sie meist einen normativen Charakter.

Für die antiken Philosophen Sokrates und Platon stand die Mustergültigkeit des verantwortungsvollen Lebens im Vordergrund: Für sie war Tugend ein lebbares Ideal. Allerdings muss der tugendhafte Mensch zunächst das Gute erkennen und es dann um seiner selbst willen verwirklichen, auch wenn es für ihn Nachteile mit sich bringt. Platons vier Kardinaltugenden lauten: Weisheit, Tapferkeit, Besonnenheit und Gerechtigkeit. Aristoteles war erheblich praktischer: Seine Ethik schloss er aus den Sitten und Gebräuchen des Volkes, er etablierte sozusagen eine "Ethik von unten". Der griechische Philosoph Epiktet und der Römer Seneca gehörten zu den Vertretern der Stoa, die die Machtlosigkeit des Menschen angesichts der Naturgesetze betonten. Aufgrund seiner begrenzten Handlungsfähigkeit solle der Mensch - statt etwa nach Macht zu streben - alle Leidenschaften in sich abtöten und gelassen, "stoisch" sein Leben führen. Die Scholastiker des Mittelalters, wie etwa Thomas von Aquin, stellten die Ethik in den Dienst der christlichen Lehre und versuchten das moralische Handeln als Nachfolge Jesu Christi zu deuten.

In der Neuzeit wurde die Ethik wieder von der christlichen Lehre getrennt und bezog sich fortan auf ein überzeitliches Naturrecht. Die Aufklärung im 17. und 18. Jahrhundert stellte die Ethik in den Dienst der Vernunft, um die primitiven Seiten des Menschen in Zaum zu halten, so besonders bei Thomas Hobbes. Eher gefühlsbetont waren die Gewissens- oder Gefühlsethiker, unter ihnen David Hume und Adam Smith.

Entstehung

Ähnlich wie Teile des später veröffentlichten Wohlstands der Nationen geht auch Smiths moralphilosophisches Hauptwerk Theorie der ethischen Gefühle auf seine Vorlesungen an der Universität Glasgow zurück. 1751 wurde er dort zum Professor für Logik berufen, weitaus interessanter erschien ihm jedoch die Stelle seines einstigen, von ihm über alle Maßen geschätzten Lehrers Francis Hutcheson. 1752 wurde Smith tatsächlich Professor für Moralphilosophie. Seine Vorlesungen beinhalteten vier Teile: Natürliche Theologie, Ethik im engeren Sinn, Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftspolitik. Letztere wurde im Wohlstand der Nationen verarbeitet, der zweite Themenkomplex in der Theorie der ethischen Gefühle. Smith stützte sich auf die Gedanken seines Lehrers Hutcheson, aber auch auf die Werke von John Locke und seinem Freund David Hume. Einflüsse der antiken Philosophen, insbesondere der Stoiker, lassen sich ebenfalls nachweisen. Die Theorie der ethischen Gefühle erschien 1759 in London. Smith nutzte die öffentliche Kritik und eigene Einsichten, um das Buch immer wieder zu bearbeiten. Mehrere neue Auflagen erschienen in den Jahren 1761-1789. Die sechste Auflage wurde von Smith besonders gründlich überarbeitet. Er erlebte ihr Erscheinen noch, bevor er im Juli 1790 starb.

Wirkungsgeschichte

Smiths erstes großes Werk wurde gleich so etwas wie ein Bestseller. Die Startauflage war binnen weniger Wochen verkauft. David Hume lobte das Buch und berichtete in einem humorvollen Brief an den Autor, welche Lords, Bischöfe und Herzöge das Werk erstanden hätten. Der spätere Staatskanzler Charles Townshend war so entzückt, dass er Smith gerne als Lehrer seines Stiefsohnes, des Herzogs von Buccleuch, engagiert hätte - was vier Jahre später tatsächlich geschah. Der Philosoph Edmund Burke lobte Smith im Annual Register, und auch in der Monthly Review erschien eine wohlwollende Besprechung. Der Rezensent schloss mit dem Satz: "Mit einem Wort - ohne Parteilichkeit gegenüber dem Autor - er ist einer der elegantesten und anziehendsten Schriftsteller auf dem Gebiet der Ethik, die wir kennen."

1764 kam die erste französische Übersetzung heraus und erntete ebenfalls den Beifall der gebildeten Schichten. Vielen Lesern der Originalausgabe war das Buch so lieb, dass sie es sich nicht nehmen ließen, eigene Übersetzungsversuche zu wagen. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts erschienen immerhin deren drei in Frankreich. Die Wirkungsgeschichte in Deutschland verlief ebenfalls mehr als günstig. Gotthold Ephraim Lessing kannte das Buch und auch Immanuel Kant wurde von ihm inspiriert. Selbst wenn sich die Forschung nicht einig ist, scheinen doch Teile der kritischen Schriften Kants auf die Theorie der ethischen Gefühle zurückzugehen. Insbesondere der "kategorische Imperativ" mache deutliche Anleihen bei Smiths "unparteiischem Zuschauer", heißt es. In einem Brief eines ehemaligen Schülers an Kant ist davon die Rede, dass "der Engländer Smith" Kants Liebling sei. Dieser Hinweis stammt aus einem Jahr, in dem Der Wohlstand der Nationen noch nicht publiziert war, sodass er sich vermutlich auf die Theorie bezieht. Der weit reichende Einfluss des späteren Werks führte dann jedoch auch dazu, dass Smiths Erstlingswerk weitgehend in der Versenkung verschwand. Immerhin war Der Wohlstand der Nationen der Beginn einer neuen Entwicklung, während die Theorie eher den vorläufigen Höhepunkt eines jahrhundertealten Diskurses darstellte.

Über den Autor

Adam Smith wird am 5. Juni 1723 in der Ortschaft Kirkcaldy in Schottland als Sohn eines Juristen getauft, das Geburtsdatum ist nicht bekannt. Am College von Glasgow belegt er u. a. das Fach Moralphilosophie, in dem er von Francis Hutcheson unterrichtet wird. Hutchesons Lehren verbinden die Ideen der Philosophen John Locke und David Hume und haben großen Einfluss auf Smiths eigene Philosophie. Nach dem Studium in Oxford und Glasgow und einer Zeit der Lehrtätigkeit wird Smith 1751 zum Professor für Logik und ein Jahr später zum Professor für Moralphilosophie ernannt. Während dieser Zeit hat er engen Kontakt zu David Hume (ebenfalls ein Schotte), dessen ethische und wirtschaftliche Ideen ihn nachhaltig beeinflussen. Smiths erste große Veröffentlichung ist The Theory of Moral Sentiments (Theorie der ethischen Gefühle, 1759), in der er seine ethischen Lehren aus der Universität schriftlich niederlegt. 1763 verlässt Smith Glasgow, um als Privatlehrer eines jungen Herzogs auf eine dreijährige Bildungsreise durch Frankreich und die Schweiz zu gehen. Aus seinen Begegnungen mit den französischen Physiokraten Turgot und Quesnay schöpft Smith die Idee zu seinem ökonomischen Hauptwerk An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations (Der Wohlstand der Nationen), das er aber erst 1776 fertig stellt und veröffentlicht. 1778 wird Smith zum Zollkontrolleur in Edinburgh ernannt, wo er am 17. Juli 1790 stirbt. Kurz vor seinem Tod lässt er durch Freunde alle seine unfertigen Schriften vernichten.

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