Man soll sich Thomas Piketty als optimistischen Menschen vorstellen. Darauf besteht der „Kartograf der Ungleichheit“, wie ihn die Zeit nannte, gleich zu Beginn seines weltumspannenden, 1300 Seiten starken Werkes – der Fortsetzung von Das Kapital im 21. Jahrhundert. Denn trotz Klepto-Kapitalismus, linker Bildungsgewinnler und identitärer Irrwege hofft der französische Starökonom ungebrochen auf eine baldige Umkehr. Entsprechend liefert Piketty neben einer beeindruckenden Analyse auch durchdachte Lösungsvorschläge.
Ungleichheit ist nicht naturgegeben, sondern wird von Menschen gemacht und gerechtfertigt.
Ungleichheit bereitet uns Unbehagen. Deshalb suchen wir nach Rechtfertigungen für sie. Eine beliebte Erzählung lautet, dass im modernen Kapitalismus Ungleichheit die Folge unterschiedlicher Verdienste, Fähigkeiten und Talente sei. Kurz gesagt: Arme sind selbst schuld. Doch wie tragfähig sind diese und andere Geschichten? Und was sind ihre Vorgeschichten? Jede Rechtfertigung von Ungleichheit ist sozial konstruiert. Sie lässt sich deshalb de- und rekonstruieren.
Tatsächlich hat die Menschheit in der jüngsten Vergangenheit enorme Fortschritte gemacht. Wir leben länger, sind gesünder, wohlgenährter und gebildeter denn je. Doch während die Sterblichkeit von Kindern unter einem Jahr in den reichen Ländern bei 0,1 Prozent liegt, erreicht sie in den ärmsten Ländern Afrikas knapp 10 Prozent. Nichts in der Geschichte der Sklaverei, des Kolonialismus, der Industrialisierung und zweier Weltkriege deutet darauf hin, dass extreme Ungleichheit jemals ein Motor des Fortschritts war. Das Gegenteil ist der Fall: Der Fortschritt befördert Ungleichheit.
Die Französische Revolution nahm den...
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