Georges Bizet
Carmen
Oper in vier Akten
Reclam, 2010
Was ist drin?
Die wohl beliebteste Oper der Welt: eine Liebesgeschichte ohne Happy End.
- Oper
- Naturalismus
Worum es geht
Liebe, Freiheit und Tod
Carmen ist unbestritten Georges Bizets Meisterwerk, geschaffen in seinem 36. Lebensjahr, das zugleich sein Todesjahr war. Aber diese Oper machte ihn unsterblich. Auf der Grundlage der gleichnamigen Novelle von Prosper Mérimée entstand ein schockierend realistisches Spiel um Liebe und Macht. Die attraktive Zigeunerin Carmen, eine umschwärmte, selbstbewusste Frau, trifft in Sevilla in dem Soldaten Don José einen Mann, der ihr rettungslos verfällt, sie durch seine Liebe aber auch einengt. Im Konflikt zwischen ihrer Freiheit und dieser Liebe entscheidet sie sich für die Freiheit – mit tödlichen Konsequenzen. Die im Milieu von Soldaten, Arbeiterinnen, Schmugglern und Zigeunern angesiedelte Oper mit einer skandalösen Frauenfigur im Mittelpunkt brachte 1875 ganz neue soziale Schichten auf die Musikbühne – und fiel wohl auch deswegen anfangs durch. Doch von diesem wenig ermunternden Start erholte sich das Werk schnell und wurde, nicht zuletzt dank seiner überragenden musikalischen Qualität, zur meistgespielten Oper der Welt.
Take-aways
- Carmen, die letzte Oper des musikalischen Wunderkinds Georges Bizet, machte den Komponisten unsterblich.
- Die melodienreiche Carmen, schockierend realistisch und modern, fiel anfangs beim Publikum durch, wurde dann aber schnell ein anhaltender Welterfolg.
- Die Protagonisten gehören, im Operngenre absolut neu, zur Unterschicht (Arbeiterinnen, Soldaten) oder gar zu den gesellschaftlichen Außenseitern (Zigeuner).
- Die betörend schöne Zigeunerin Carmen weiß um ihre Wirkung auf Männer, genießt ihre Freiheit und will sich durch die Liebe nicht einengen lassen.
- Wie viele andere ist auch der einfache, unerfahrene Sergeant Don José von Carmen hingerissen.
- In der von Wein und Tanz aufgepeitschten Stimmung einer Schenke verdreht Carmen ihm endgültig den Kopf.
- Zugleich macht der selbstbewusste Torero Escamillo einen starken Eindruck auf sie.
- Carmen zuliebe desertiert Don José und entscheidet sich für das freie, wilde Leben der Schmuggler; er bindet sich auf Leben und Tod an Carmen.
- Als Don José und Escamillo sich als Rivalen um Carmens Gunst erkennen, zücken sie die Messer. Doch der Torero verschiebt die Auseinandersetzung auf den Tag seines nächsten Stierkampfs.
- Carmen erscheint an Escamillos Arm zum Stierkampf. Da Don José sie nicht mehr zurückgewinnen kann, ersticht er sie in rasender Eifersucht.
- Nach eingehender Vorbereitung des Librettos schrieb der bereits schwer kranke Bizet die Partitur in nur drei Monaten.
- Mit ihrem tragischen Ende und ihrem sozialen und psychologischen Realismus lässt Carmen das traditionelle Genre der Opéra comique weit hinter sich.
Zusammenfassung
1. Akt: Ein Mann zwischen zwei Frauen
Man ist mitten in Spanien, das ist unverkennbar: Lebhafte, stark rhythmische Blasmusik und Triangeln des Orchestervorspiels verbreiten die feierliche Atmosphäre einer Fiesta, der Toreromarsch klingt an und als drittes Thema in den dunklen Streichern das tremolierende Schicksalsmotiv der Carmen. Die Szene: ein vor Hitze flirrender Platz in Sevilla, auf der einen Seite eine Tabakfabrik und ihr gegenüber die Wache der Dragoner-Gendarmerie. Der Dragoner-Chor und ihr Sergeant Moralès (Bariton) beobachten das geschäftige Durcheinander auf dem Platz. Eine junge Frau fällt ihnen besonders auf: Micaëla (Sopran), die nach Sergeant Don José (Tenor) sucht, der aber erst bei der nächsten Wachablösung kommen soll. Micaëla verschwindet wieder. Nach einem Trompetensignal aus der Ferne nähert sich die Wachablösung. Gassenjungen tanzen zur Piccoloflöte heran, dagegengestellt ist das Trompetenmotiv. Die Gassenjungen parodieren im Chor das militärische Ritual der Wachablösung. Die beiden Wachzüge nehmen einander gegenüber Aufstellung. Moralès unterrichtet Don José von der jungen Frau, die nach ihm gefragt hat. Dann erfolgt die Wachablösung, wiederum szenisch parodiert und musikalisch begleitet vom Chor der Jungen.
„Zusammen mit der aufziehenden Wache treffen wir ein, da sind wir ...“ (Gassenjungen, S. 21 f.)
Leutnant Zuniga (Bass) erkundigt sich bei Don José nach den Frauen in der gegenüberliegenden Zigarettenfabrik, ob sie jung und hübsch sind. Da ertönt die Pausenglocke des Betriebs. Junge Männer schlendern heran, die auf die Arbeiterinnen warten. Diese erscheinen sogleich und vergleichen in einem walzerleichten Lied den Zigarettenrauch, der sich in Luft auflöst, mit den Liebesbeteuerungen junger Männer. Ein abrupter Akkord kündigt den Auftritt Carmens (Mezzosopran) an. Sie wird von den jungen Männern sofort umringt und gefragt, welchen von ihnen sie erhören will. Don José tritt aus der Wache und lauscht aufmerksam Carmens Habanera „L’amour est un oiseau rebelle“: „Die Liebe ist ein widerspenstiger Vogel“, der sich nicht leicht zähmen lässt und sich keinem Gesetz unterwirft. Die jungen Männer betteln im Chor um Carmens Aufmerksamkeit. Doch sie wendet sich stumm Don José zu. Aus dem Orchester erklingt wie als Zwischenspiel Carmens Schicksalsmotiv. Dann wiederholen die Arbeiterinnen in spöttischem Ton den Anfang von Carmens Habanera.
„Die Liebe ist ein widerspenstiger Vogel, den keiner zähmen kann, und man ruft ihn vergebens, wenn es ihm nicht zu kommen beliebt.“ (Carmen, S. 35)
Wieder erklingt die Pausenglocke, die jungen Frauen verlassen den Platz. Don José hebt leicht verärgert eine Blüte auf, die Carmen geschickt genau vor ihm auf den Boden hat fallen lassen. Er war der Einzige, der sich nicht um ihre Aufmerksamkeit bemüht hat. Micaëla geht auf ihn zu und überbringt ihm einen Brief aus seinem Heimatdorf, ein wenig Geld und einen Versöhnungskuss von seiner Mutter. Zu innigster Begleitmusik gibt sie weiter, was die liebende Mutter ihr zu sagen aufgetragen hat. Don José erinnert sich seinerseits versonnen an seine Jugend. Daraus entwickelt sich ein langes Duett zwischen den beiden. Don José liest in dem Brief, dass seine Mutter ihm nahelegt, Micaëla zu heiraten. Er nimmt die Melodie von Micaëla auf, schickt diese aber nur mit Grüßen an seine Mutter wieder nach Hause. Immerhin ist er froh darüber, dass sie rechtzeitig aufgetaucht ist, bevor er sich in den Bann der Zigeunerin Carmen hat ziehen lassen.
2. Akt: Eine Frau zwischen zwei Männern
In der Fabrik bricht plötzlich ein Tumult aus. Die Arbeiterinnen berichten aufgeregt von einem Streit zwischen Carmen und Manuela. Leutnant Zuniga schickt Don José mit zwei Soldaten in die Fabrik. Er bringt Carmen heraus, die Manuela mit einem Messer die Wange geritzt hat. Dazu befragt, trällert Carmen nur spöttisch vor sich hin. Zuniga weist Don José an, die Zigeunerin zu fesseln und abzuführen. Sie beklagt sich, die Fesseln seien zu eng, und bittet Don José flüsternd, sie entwischen zu lassen. Obwohl er sie abweist, ist sich Carmen ihrer betörenden Wirkung auf ihn sicher. Scheinbar absichtslos entwickelt sie aus ihrem Trällern ein andalusisch klingendes Lied im Walzertakt, das davon erzählt, wie sie sich sonntags draußen am Wall von Sevilla mit Tanz, Wein und Freunden die Zeit vertreibt und nur noch auf einen Kavalier wartet, der ihr dabei Gesellschaft leistet. Die Streicher spielen dazu eine reine Begleitmusik, die an eine Gitarre erinnert. Don José fordert Carmen zum Schweigen auf, doch er ist bereits in ihren Bann geschlagen. Im Orchester dominiert zunehmend das Walzerthema, gespielt von lockenden Holzbläsern und zart streichelnden Violinen. Carmen und Don José verabreden sich draußen am Wall zu Tanz, Wein und Kavaliersfreuden – denn die hat Carmen ihm in Aussicht gestellt. Der Soldat lockert ihr die Fesseln. Da erscheint Zuniga mit dem Haftbefehl. Carmen lässt noch einmal ihre Habanera anklingen und nach einem vorgetäuschten Stoß gegen Don José flieht sie. // // Einen Monat später geht die Handlung genau dort weiter, wo Carmen und Don José sich verabredet haben: in der Schenke von Lillas Pastia (Sprechrolle) vor den Toren Sevillas. Zu dem Rendezvous ist es seinerzeit nicht gekommen, da Don José für seine „Unachtsamkeit“ mit einem Monat Haft bestraft wurde. Heute befindet sich Carmen gemeinsam mit ihren Zigeunerfreundinnen Mercédès (Sopran) und Frasquita (Sopran) und in Gesellschaft von ein paar anderen Mädchen in der Schenke, auch Leutnant Zuniga und einige seiner Dragoner-Kameraden sind dort. Nur mit wenigen Instrumenten piano gespielt, erklingt zunächst eine Marschmusik, dann ein rhythmisches Zigeunertanzlied. Zu dessen Melodie beginnt Carmen verhalten zu singen und steigert sich dann in einen fast ekstatischen Musikrausch. Am Schluss tanzen die Frauen dazu. Lillas Pastia möchte die Offiziere aus seiner Schenke hinauskomplimentieren. Zuniga lädt die Frauen ins Theater ein, doch diese lehnen dankend ab, Carmen unter dem Vorwand, dass Don José wegen ihr bestraft wurde. Zuniga erwidert, seit heute sei Don José wieder frei. Carmen zuckt nur die Schultern.
„Meine Mutter sehe ich ... ja, ich sehe mein Dorf wieder! O Erinnerungen an früher, süße Erinnerungen an die Heimat!“ (Don José, S. 43)
Ein Fackelzug nähert sich. Man feiert den Torero Escamillo (Bariton oder Bass). Zuniga lädt den Stierkämpfer und seine Freunde in die Schenke ein. Escamillo bedankt sich mit einem Couplet und preist den Mut der Stierkämpfer in der Arena wie den Soldatenmut auf dem Schlachtfeld: „Toréador, en garde“ („Torero, auf in den Kampf“). Alle stimmen im Chor ein und wiederholen den Refrain: Der höchste Preis des siegreichen Torero seien die feurigen Blicke der Geliebten. Der Wirt drängt die Soldaten und Stierkämpfer erneut zum Aufbruch. Escamillo will sich mit Carmen zu einem Stelldichein verabreden. Sie lässt offen, ob sie kommen wird. Unter den Klängen des Toreromarsches ziehen alle Männer ab. Zwei Schmuggler, Dancaïro (Tenor oder Bariton) und Remendado (Tenor), betreten die Schenke. Sie wollen in der Nacht Schmuggelware an Land bringen und bitten die Frauen um Unterstützung. Mercédès und Frasquita sagen zu, Carmen lehnt ab: Sie habe an dem Abend noch etwas Besseres vor – sie sei verliebt. Das wird von den übrigen mit ungläubigem Staunen quittiert.
„Schneide mich in Stücke, verbrenne mich, ich sage dir nichts (...). Ich trotze allem, dem Feuer, dem Eisen und dem Himmel selbst.“ (Carmen zu Zuniga, S. 59)
Aus der Ferne hört man, wie sich Don José mit einem fröhlichen Marschlied nähert. Dancaïro fragt Carmen flüsternd, ob der Soldat vielleicht für das Schmugglerunternehmen zu gewinnen sei. Don José tritt herein und wiederholt sein Lied ohne Musikbegleitung. Um ihn eifersüchtig zu machen, erwähnt Carmen, sie habe längst für Leutnant Zuniga getanzt. Doch dann tanzt sie für Don José allein und dieser sieht ihr hingerissen dabei zu. Carmen begleitet sich selbst mit rasselnden Kastagnetten. Da ertönt schon das Signal zum Zapfenstreich. Pflichtbewusst will Don José der Aufforderung Folge leisten, doch Carmen verhöhnt ihn deswegen. Die Zapfenstreichfanfaren erklingen gegen das Rasseln von Carmens Kastagnetten. Sie hat, so viel macht sie klar, nicht extra für ihn getanzt, damit er nun davonläuft. Don José antwortet mit einem glühenden Liebesgeständnis: Ihre Blume habe er stets bei sich getragen, auch wenn sie schon längst verwelkt sei. Zu Beginn dieser langsam gesungenen Arie klingt tremolierend – wie seine flammende Liebe – das Schicksalsmotiv Carmens auf. Die Zigeunerin glaubt ihm nicht und meint, wenn er sie wirklich liebte, würde er sich seinen Anteil an der Schmugglerbeute schnappen und mit ihr ein freies, wildes Leben in der Einsamkeit der Berge führen, statt sich herumkommandieren zu lassen. Die Orchesterbegleitung spielt in einem galoppierenden Rhythmus, und am Schluss vereinigen sich die Stimmen der beiden. Aber Don José bringt es nicht über sich, zu desertieren. Nach einem kurzen, lauten Akkord reißt er sich abrupt los. Carmen will ihn davonjagen, er kommt bis zur Tür – da klopft es.
„An den Stadtmauern von Sevilla bei meinem Freund Lillas Pastia werde ich die Seguidilla tanzen und Manzanilla trinken!“ (Carmen, S. 67)
Zuniga erscheint zum Stelldichein mit Carmen, trifft sie aber nun mit dem Sergeanten an, statt mit einem Leutnant wie ihm. Er ist empört. Don José will nicht weichen. Das Orchester spielt aufgewühlt und laut. Carmen kann eine Schlägerei gerade noch verhindern. Das unverhoffte Auftauchen Zunigas durchkreuzt die Pläne der Schmuggler, darum sperren sie ihn vorübergehend in den Keller. Zuniga leistet keinen Widerstand, droht Don José aber mit Vergeltung. Carmen gewinnt ihn nun für die Seite der Schmuggler, und alle preisen deren freies, ungebundenes Leben.
3. Akt: Zwei Frauen und zwei Männer
Die Atmosphäre im Schmugglerlager ist sehr friedlich. Zur Einleitung trägt die Flöte ein ruhiges Thema vor, das dann stimmungsvoll von den Streichern aufgenommen wird. Carmen und Don José beteiligen sich am nächtlichen Treiben der Schmuggler. Nicht weit vom Lager liegt das Heimatdorf des desertierten Soldaten. Carmen spottet, Don José hänge am Rockzipfel seiner Mutter, und sie könne es sich auch wieder anders überlegen mit ihm. Don José ist so eifersüchtig, dass er imstande wäre, sie zu töten, falls sie ihn verließe. Mercédès und Frasquita vertreiben sich die Zeit damit, aus den Karten ihr Schicksal zu lesen. Carmen tritt hinzu. Sie deckt für sich die Karten auf: „Karo, Pik ... der Tod!“ Das Orchester unterbricht die bis jetzt friedvolle Stimmung durch einen kurzen, heftigen Akkord. Untermalt von einer Trauermarschmusik sieht Carmen ihr eigenes und Don Josés Schicksal voraus: Erst wird sie, dann er sterben.
„Die Zigeuner spielten besessen mit voller Kraft auf ihren Instrumenten, und diese prächtige Klangentladung verhexte die Zigeunerinnen!“ (Carmen, S. 75)
Die Schmuggler haben drei Zöllner gesichtet. Die Frauen versprechen, sie abzulenken, sie freuen sich auf ihren „Fronteinsatz“ und entfernen sich zu einem heiteren Marsch. Micaëla erscheint mit einem Bergführer (Sprechrolle), der sie an diesem wilden, einsamen Ort zurücklässt. Sie ist voller Angst und Sorge um Don José, den sie liebt. Nun muss sie ihn in der Gesellschaft der Schmuggler entehrt und dazu von dem „Teufelsweib“ Carmen umgarnt sehen. Als sie ihn entdeckt, versteckt sie sich hinter einem Felsen.
„Torero, auf in den Kampf, (...) und denk daran, ja denk beim Kampf daran, dass ein schwarzes Aug’ dir zusieht und dass die Liebe dich erwartet.“ (Escamillo, S. 85)
Plötzlich fällt ein Schuss. Aus der Dunkelheit taucht der Torero Escamillo auf. Don José heißt ihn arglos willkommen. Escamillo plaudert drauflos, er sei auf der Suche nach seiner Zigeunergeliebten, und verspottet deren „Soldatengalan“. Schnell erkennen die beiden einander als Rivalen und fordern sich zum Messerzweikampf heraus. Das gesamte Orchester begleitet die Auseinandersetzung mit kurzen, schrillen Akkorden. Carmen und Dancaïro trennen die beiden. Der beinahe unterlegene Escamillo fordert alle Umstehenden auf, zu seinem nächsten Stierkampf nach Sevilla zu kommen. Er entfernt sich langsam zu dem nur von einem Cello gespielten Toreromarsch, einem schwachen Echo seiner früheren Triumphe.
„Die Blüte, die du mir zugeworfen hattest, ist mir in meinem Gefängnis geblieben; verwelkt und trocken bewahrte diese Blüte stets ihren süßen Duft (...)“ (Don José zu Carmen, S. 121)
Für einen Streit zwischen Carmen und Don José bleibt keine Zeit, der Schmugglerhauptmann Dancaïro drängt zum Aufbruch. Da entdeckt man Micaëla in ihrem Versteck. Sie erinnert Don José an seine Mutter und bittet ihn heimzukehren. Carmen hält das auch für das Richtige, da Don José nicht zum Schmuggler tauge. In seiner Ehre angegriffen und eifersüchtig auf Escamillo, bindet Don José in einer Gefühlsaufwallung sein Schicksal auf Leben und Tod an Carmen. Nur um sich mit der sterbenden Mutter zu versöhnen, trennt er sich noch einmal kurz von ihr.
4. Akt: Die Karten lügen nicht
Rhythmische Musik mit spanischer Färbung durch Tamburine, Kastagnetten, gezupfte Streicher und Gitarren untermalt die festliche Atmosphäre vor der Stierkampfarena. Die Menge versorgt sich mit Fächern, Erfrischungen und Zigaretten. In einer langen Chorszene marschieren die Banderilleros, Picadores und endlich die Toreros ein, untermalt vom Toreromarsch und begleitet von den Hochrufen des Chores. Escamillo verspricht Carmen, die ihn strahlend begleitet, sie werde heute stolz sein können auf ihn. Sie erwidert, dass sie nur ihn liebt. Frasquita rät Carmen, lieber fortzugehen, weil Don José irgendwo in der Menge stecke. Doch Carmen fürchtet sich nicht vor dem Soldaten. Unmittelbar darauf stehen die beiden einander gegenüber.
„Ich sprach, dass ich furchtlos mich fühle, ich sagte, ach, dass ich für mich einstehe, aber vergebens spiele ich die Tapfere, im Grunde meines Herzens sterbe ich vor Schrecken ...“ (Micaëla, S. 157)
Don José bittet sie immer wieder, an seiner Seite weit weg ein neues Leben zu beginnen. Doch Carmen liebt ihn nicht mehr und beharrt auf der Freiheit ihrer Entschlüsse. Aus der Arena ertönen unterdessen Chor und Fanfaren: Der Stier ist getroffen. Don José droht Carmen, sie zu erstechen, falls sie ihm nicht folge. Unter Hochrufen aus der Arena gibt Carmen Don José seinen Ring zurück. Als von drinnen das triumphale „Torero, auf in den Kampf“ erschallt, ersticht Don José seine Geliebte. Das Orchester spielt immer stärker werdend das tremolierende Schicksalsmotiv Carmens. Nachdem der Toreromarsch verklungen ist und die Zuschauer aus Arena auf den Vorplatz strömen, lässt Don José sich widerstandslos festnehmen.
Zum Text
Aufbau und Stil
Die Oper Carmen ist in vier Akte gegliedert, sie wird aber auch als Dreiakter gegeben, wobei dann der letzte Akt in zwei Bilder aufgeteilt wird. Zu jedem Akt gibt es eine kurze Orchestereinleitung, die einige musikalische Themen der Oper vorwegnimmt. Eine Besonderheit der Carmen sind die gesprochenen Dialoge, die dramaturgisch und inhaltlich wichtige Passagen enthalten und den Sängern einiges an darstellerischem Können abverlangen. Für die deutsche Erstaufführung waren diese Passagen teilweise in Rezitative (Sprechgesänge) verwandelt worden, eine Praxis, die später wieder aufgegeben wurde. Carmen ist übrigens eine der wenigen ganz großen Opern, die auf Französisch gesungen werden. Obwohl Georges Bizet Spanien nie besucht hat, ist das „Andalusische“ in Carmen musikalisch von Anfang an überaus präsent. Bizet war mit dem spanischen Volkslied und der Musik der andalusischen Zigeuner vertraut und hat sie auf souveräne Weise nachgeschaffen und sich anverwandelt. Die Melodie zu Carmens berühmter Habanera („L’amour est un oiseau rebelle“ – „Die Liebe ist ein widerspenstiger Vogel“) stammt von dem südamerikanischen Komponisten Sebastián Iradier, der auch das Lied La Paloma komponiert hat. Die Instrumentierung mit Tamburinen, Kastagnetten und Triangeln ermöglicht ebenfalls die Erzeugung eines Spanien- und Zigeunerkolorits. Das Orchester hat in Carmen mehr als nur eine Begleitfunktion und charakterisiert eigenständig und sehr nuanciert Personen und ihre augenblicklichen Gefühle und Stimmungen sowie, je nach Situation, Feurigkeit, Lässigkeit und Leidenschaftlichkeit des Südens.
Interpretationsansätze
- Vom Genre her beginnt Carmen wie eine Operette und entwickelt sich im weiteren Verlauf immer stärker zu einer tragischen Oper. Bizet vollzieht damit innerhalb seines Werks einen Bruch mit der Opéra comique, der er bis dahin verpflichtet war und die auch für das französische Repertoire des 19. Jahrhunderts repräsentativ war.
- Bizet brachte in Carmen erstmals niedere Gesellschaftsschichten wie Schmuggler, Soldaten und Zigeuner als Hauptfiguren auf die Opernbühne. Die Zeitgenossen empfanden solche Charaktere als „Gesindel“ und lehnten die Oper darum zunächst ab. Diese Reaktion spricht für den Realismus des Werks.
- Auf noch skandalösere Weise realistisch ist die Hauptfigur selbst: Carmen ist eine Frau voller Leidenschaften und Launen, die nur das tut, was sie will. Sich ihrer Attraktivität voll bewusst, spielt sie mit der Liebe und den Männern – bis zur letzten Konsequenz. Weiblichen Rollenklischees entsprechend kann sie nur Hure und Hexe sein. Das dem Bild der Hure entgegengesetzte weibliche Rollenklischee der Heiligen wird in der Oper von Micaëla verkörpert.
- Männliche Hauptfigur ist der schwache, lebensunerfahrene Don José, der fortwährend nur nach Bindungen sucht: Pflichtbewusst folgt er als Soldat dem Ruf des Zapfenstreichs, als Sohn dem der Mutter und von Leidenschaft überwältigt dem der starken Femme fatale.
- Der Grundkonflikt der Oper ist kein bloßes Spiel, wer in der Liebe wen abbekommt. Es geht um das Machtverhältnis zwischen einer starken Frau und den Männern. Carmen lässt sich nie treiben, sondern handelt in Kenntnis ihres Schicksals stets in vollem Bewusstsein. Letztlich läuft dieser Machtkampf auf nackte, brutale Gewalt hinaus.
Historischer Hintergrund
Die Tradition der Opéra comique
Eine Opéra comique muss nicht notwendigerweise komisch sein. Die Bezeichnung hat sich als Gattungsbegriff vor allem in Abgrenzung zur Tragédie lyrique gebildet, der erhabenen Hofoper, die im Frankreich des 18. Jahrhunderts dem Adel vorbehalten war. In jener Zeit bestand die Opéra comique aus eher biederen Unterhaltungsstücken für das Bürgertum und galt sogar als Jahrmarktsangelegenheit mit schmissigen Gesangsnummern und reichlich Tanzeinlagen – vom Anspruch her etwa vergleichbar mit heutigen Musicals. Dieser Vergleich lässt sich auch hinsichtlich des Inhalts ziehen: Wie beim Musical waren die Stoffe eher sentimental und nicht unbedingt komödienhaft.
Für Komödiantisches war die italienische Opera buffa aus der Tradition der Commedia dell’arte bekannt. Sie glänzte oft durch ein höheres künstlerisches Niveau. Selbst Mozarts Zauberflöte enthält typisch komödiantische Buffo-Elemente, vor allem in der Figur des Papageno. Diese „anspruchsvolle Unterhaltung“ beeinflusste nun im 19. Jahrhundert die Opéra comique. Ein bekanntes Beispiel ist Hoffmanns Erzählungen (1881) von Jacques Offenbach. Im deutschen Raum entsprachen dieser Gattung ungefähr die Opern von Albert Lortzing (Zar und Zimmermann, 1837). Man versuchte in dieser Zeit auch, den missverständlichen Begriff „Opéra comique“ durch „Drame lyrique“ zu ersetzen. Im Deutschen wird dies alles von dem weiteren Begriff „Oper“ erfasst.
Aus der Tragédie lyrique mit ihren historisch-mythologischen Stoffen und ihrem fünfaktigen Aufbau entwickelte sich in Frankreich die Grand opéra, vertreten vor allem durch den deutsch-französischen Komponisten Giacomo Meyerbeer (Die Hugenotten, 1836). Letztlich flossen beide Formen mehr und mehr zusammen, so auch bei Bizet: Seine Carmen beginnt wie eine Opéra comique, endet aber tragisch.
Entstehung
Seit dem Sommer 1872 erarbeiteten die erfahrenen Theaterschriftsteller und Librettisten Henri Meilhac und Ludovic Halévy für Bizet das Libretto der Oper auf der literarischen Grundlage der Erzählung Carmen (1845) von Prosper Mérimée, einer der bedeutendsten französischen Novellen des 19. Jahrhunderts. Die Handlung des Librettos stimmt im Wesentlichen mit Mérimées Novelle überein; der szenische Ablauf wurde für die Oper lediglich etwas gestrafft. (In der Novelle leben Carmen und Don José erst gemeinsam eine Weile in den Bergen, bevor die Zigeunerin den ihr hörigen Don José zu verhöhnen beginnt.) Bizet hat am Libretto mitgewirkt, die Arbeit daran zog sich bis Anfang 1874 hin. Dann begann er mit der Komposition, die er aber wegen verschiedener Umstände mehrmals unterbrechen musste. Unter anderem war er eine Zeit lang schwer krank. Den größten Teil der umfangreichen Partitur schrieb er dann in nur drei Monaten nieder.
Wirkungsgeschichte
Bereits die Voraufführung der Carmen vor einem geladenen Publikum aus Künstlern, Kritikern und Gästen war eine herbe Enttäuschung für Bizet. Als Musiker und sinfonischer Komponist bereits seit seiner Jugend erfolgreich, war ihm für alle seine bisherigen, eher heiteren Bühnenwerke der wirkliche Durchbruch versagt geblieben. An die Carmen hatte er hohe Erwartungen geknüpft. Doch bei der Vorpremiere wie bei der Uraufführung wurde der Beifall von Akt zu Akt spärlicher, am Schluss gar eisig. Man war befremdet vom Realismus der Oper, vom „asozialen“ Zigeunermilieu; Derartiges hatte noch niemand auf eine Opernbühne zu bringen gewagt. Auch das unverhohlen Verführerische der Hauptfigur, in moderner Terminologie ein „Vamp“, wurde als anstößig verurteilt, genauso wie das Fehlen eines Happy Ends.
Nach dem missglückten Start wollten die Librettisten der Geschichte einen guten Ausgang geben, doch das wurde von den Sängern verhindert. Die Einschätzung des Werks änderte sich schnell. Die erste Aufführungsserie brachte es auf respektable 49 Wiederholungen. Bizet, der drei Monate nach der Uraufführung starb, erlebte das zu seinem Glück noch mit. Den definitiven Durchbruch brachte dem Werk die triumphale deutsche Erstaufführung in Wien im Jahr 1875. Friedrich Nietzsche erlebte eine Aufführung in Turin und war begeistert. Er stellte Bizets Stil fortan haushoch über den Richard Wagners.
Carmen gilt heute als die weltweit meistgespielte und beim Publikum beliebteste Oper überhaupt und in Frankreich außerdem als die französische Nationaloper. Eine moderne Adaption des Stoffes im Milieu der afroamerikanischen Bevölkerung Nordamerikas schuf Otto Preminger mit seinem Film Carmen Jones (1954). In neuerer Zeit entstand eine Filmversion der Oper von Carlos Saura (1983), die ein regelrechtes Flamenco-Fieber auslöste.
Über den Autor
Georges Bizet zeichnet sich von Jugend an durch seine musische Begabung aus. Er wird am 25. Oktober 1838 in Paris in eine sehr musikalische Familie geboren. Sein Vater ist ein renommierter Gesangslehrer, seine Mutter ist Pianistin. Die Eltern sorgen für eine gründliche Ausbildung am Konservatorium, die Bizet mit Preisen und Auszeichnungen absolviert. Zu seinen Lehrern zählen die bedeutenden französischen Komponisten Charles Gounod und Jacques Halévy, dessen Tochter Bizet später heiraten wird. Gounods Opernschaffen wird zum Vorbild für Georges Bizet. 1857 gewinnt er den bedeutenden Rompreis, eine Auszeichnung, die mit einem Stipendium und einem Romaufenthalt verbunden ist. Die drei Jahre in Italien ermöglichen es ihm, seine musikalischen Studien zu vertiefen. Der junge Musiker ist ein gefeierter Pianist, seine Konzertkompositionen sind erfolgreich. Bizets Opern hingegen finden nur wenig Anerkennung. Les pêcheurs de perles (Die Perlenfischer, 1863) ist die erste große Oper des erst 24-jährigen Künstlers. Sie spielt in Indien und wird auch heute noch gelegentlich aufgeführt. Die Kritik wirft Bizet eine zu große Nähe zu Wagner vor. Trotz seiner jungen Jahre ist der Komponist, vermutlich aufgrund eines rheumatischen Leidens, bereits chronisch krank. Nach seiner Teilnahme am Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 beginnt Bizet 1872 mit der Arbeit an Carmen. Am Tag der Uraufführung, dem 3. März 1875, wird er zum Ritter der Ehrenlegion geschlagen. Doch zu früh gefreut: Carmen wird vom Premierenpublikum als skandalös beurteilt und zunächst abgelehnt. Bizet empfindet die Uraufführung als schwarzen Tag. Zu seinem Glück entwickelt sich die Oper dann doch noch relativ schnell zu einem großen Erfolg. Er stirbt nur drei Monate später, erst 36-jährig, am 3. Juni 1875 an den Folgen einer Blutvergiftung in Paris. Der Trauerfeier und der Beisetzung auf dem berühmten Pariser Friedhof Père-Lachaise wohnen Tausende von Menschen bei.Henri Meilhac (1831–1897) und Ludovic Halévy (1833–1908) verfassen zusammen eine ganze Reihe von Theaterlustspielen sowie Libretti für Operetten und Opern bekannter Komponisten. Dazu zählen Die schöne Helena von Jacques Offenbach und Manon von Jules Massenet sowie das Libretto zu Carmen.
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