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König Lear

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König Lear

dtv,

15 Minuten Lesezeit
10 Take-aways
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Was ist drin?

Über die Schmerzgrenze: Zwei böse Töchter treiben König Lear in den Wahnsinn, und nicht nur sie sind am Ende tot.


Literatur­klassiker

  • Tragödie
  • Elisabethanische Ära

Worum es geht

Die Urgewalt des Bösen

König Lear ist von allen Tragödien Shakespeares die grausamste – so entsetzlich sind die dargestellten Ereignisse, dass das Stück mehr als 150 Jahre lang lediglich in Softversionen gespielt wurde. Nicht nur, dass jemandem auf offener Szene die Augen ausgedrückt werden: Shakespeare gewährt dem Zuschauer auch keine Pause, keine einleuchtende Erklärung und keinen Trost in der sprachgewaltigen Darstellung eines übermächtigen Schmerzes, der König Lear erst den Verstand und schließlich das Leben kostet – und nicht nur ihn. Bei alledem geht es nicht so sehr um psychologisch glaubwürdige Motive, sondern vielmehr um das Böse als Urgewalt, als fatale Fehleinrichtung der Welt. Wenn die Übeltäter sich schließlich in ihren Intrigen verheddern, bringen sie auch alle Guten zu Fall. Der Wahnsinn gewährt hierbei tiefere Einblicke ins menschliche Dasein als die Vernunft, und der Mensch ist da am menschlichsten, wo er wie der König erkennt, dass er nichts als ein Tier auf zwei Beinen ist.

Take-aways

  • König Lear gilt als Shakespeares grausamste und am schwersten zu spielende Tragödie.
  • Inhalt: Der alte König Lear hat sein Reich an die falschen Töchter abgegeben – bald trachten sie ihm nach dem Leben, worüber Lear wahnsinnig wird. Die verstoßene jüngste Tochter Cordelia will ihn retten, fällt aber selbst Intrigen zum Opfer. Aus Schmerz über ihren Tod stirbt Lear – wie auch die meisten anderen Figuren.
  • Das Drama entstand zwischen 1603 und 1605, in der gleichen Schaffensperiode wie Othello und Macbeth.
  • 1606 wurde es vor König Jakob I. uraufgeführt.
  • Der Stoff geht auf eine alte englische Sage zurück.
  • Ein wichtiges Motiv ist die Doppeldeutigkeit des Wahnsinns: In seinem schmerzverursachten Wahn sieht Lear zugleich so klar wie noch nie.
  • In einer Parallelhandlung, der Tragödie um Gloucester, wird das Schicksal Lears gespiegelt und ins Allgemeine gehoben.
  • Lange Zeit wurde nicht der Originaltext gespielt, weil er als kaum zu verkraften galt.
  • Moderne Inszenierungen betonen vor allem die Absurdität des menschlichen Daseins und stehen in einer Verwandtschaft zu Beckett.
  • Zitat: „Was Fliegen bösen Buben sind, sind wir / Den Göttern. Sie töten uns zum Spaß.“

Zusammenfassung

Ein König verteilt sein Reich

Der König von Britannien, Lear, ist alt geworden und will die Regierungsverantwortung abgeben. Dazu hat er das Reich gedrittelt, um jeder seiner drei Töchter samt Ehemann einen Teil zu geben. Regan ist mit dem Herzog von Cornwall vermählt, Goneril mit dem Herzog von Albany. Nur die Jüngste, Cordelia, ist noch nicht verheiratet. Der König von Frankreich und der Herzog von Burgund haben um ihre Hand angehalten. Nun, da alle in Lears Palast versammelt sind, soll Cordelia ihre Wahl verkünden. Zuerst aber fragt der König seine Töchter danach, wie sehr sie ihn lieben – die Antwort soll maßgeblich sein für seine Großzügigkeit. Goneril und Regan beschwören prompt wortreich ihre Vaterliebe. Lears Lieblingstochter Cordelia liebt ihren Vater auch, aber sie weigert sich, zu behaupten, dass nur diese Liebe Platz in ihrem Herzen habe. Sie will nicht heucheln und antwortet, ihre Liebe entspreche genau dem passenden Maß. Sollte sie heiraten, würde sie schließlich auch ihren Gatten lieben. Lear wird wütend und entzieht Cordelia nicht nur ihr Reichsdrittel, sondern verstößt sie gleich für immer. Lears Vertrauter, der Graf von Kent, versucht, zugunsten Cordelias einzugreifen – da verbannt Lear auch ihn. Anschließend stellt er den Herrschern von Frankreich und Burgund die Frage, wer unter den veränderten Bedingungen – ganz ohne Mitgift – Cordelia noch heiraten möchte. Der Herzog von Burgund zieht sich zurück, der König von Frankreich aber liebt Cordelia wirklich, und so wird sie seine Königin. Lear gibt seine Macht an die anderen beiden Töchter ab; seine einzigen Bedingungen sind, dass er den Königstitel behält und abwechselnd je einen Monat bei Goneril und Regan wohnen kann, samt hundert Rittern.

Intrige eines Unehelichen

Edmund, der uneheliche Sohn des Grafen von Gloucester, hadert mit seiner benachteiligten Stellung, während dem legitimen Sohn Edgar, seinem Halbbruder, alle Türen offenstehen. Durch auffälliges Versteckthalten eines Briefes macht Edmund seinen Vater erst recht auf das Schriftstück aufmerksam, das angeblich Edgar geschrieben habe – in Wirklichkeit war er es selbst. Der Brief enthält einen Aufruf zum gemeinsamen Vatermord. Indem Edmund vorgibt, an der Echtheit des Briefes zu zweifeln, und seinen Halbbruder in Schutz nimmt, untermauert er beim Vater den bösen Verdacht. Edmund schlägt Gloucester vor, sich Gewissheit zu verschaffen, indem er sich aus einem Versteck ein Gespräch zwischen den Brüdern anhört.

„Ich liebe Euer Hoheit / Nach meiner Schuldigkeit; nicht mehr, nicht minder.“ (Cordelia zu Lear, S. 15)

Edmund macht Edgar weis, der Vater sitze einer Verleumdung gegen ihn auf, und beschwört ihn, sich vorerst vom Grafen fernzuhalten. Als Gloucester sich nähert, fädelt er einen Scheinkampf mit Edgar ein, sagt ihm dann, er solle schnell fliehen, und verletzt sich selbst am Arm. Als der Vater erscheint, blutet er und sagt, er habe im Kampf mit dem Bruder den Vatermord abgewendet, Edgar sei daraufhin feige geflohen. Gloucester nimmt dies als Beweis und setzt eine Belohnung auf Edgars Ergreifung aus. Er will ihn enterben und statt seiner Edmund als Erben einsetzen. Als Edgar erfährt, dass er Freiwild ist, beschließt er, sich als wahnsinniger Bettler zu tarnen, um so der Verfolgung zu entgehen.

Undankbare Töchter

Unterdessen kommt es zu Reibereien zwischen dem Personal von Goneril, bei der Lear den ersten Monat wohnt, und Lears eigenen Leuten. Goneril wirft dem Vater vor, ihren Hofherrn wegen Respektlosigkeit geschlagen zu haben. Sie fühlt sich vom Aufenthalt des Königs und seiner Ritter belästigt und hält ihre Bediensteten weiterhin zu respektlosem Verhalten an. Sie verlangt, dass Lear seinen Hofstaat verkleinert. Der Vater reagiert erbost, verflucht Goneril und reist ab zu Regan, bei der er größere Herzlichkeit erwartet. Erstmals bereut er, Cordelia verstoßen zu haben, und fürchtet um seinen Verstand.

„Was mir Geburtsrecht wehrt, schafft mein Verstand: / Recht jedes Mittel, wird’s zum Zweck verwandt.“ (Edmund, S. 43)

Kent verkleidet sich, verstellt seine Stimme und bietet sich Lear als Diener an, da er ihm helfen möchte. Zunächst gerät er auf einem Botengang vor Gloucesters Schloss mit Gonerils Haushofmeister Oswald aneinander. Kent beschimpft ihn, weil er auf Gonerils Geheiß gegen Lear intrigiert. Der Herzog von Cornwall und Regan, die bei Gloucester zu Besuch sind, lassen Kent in den Block legen – ein Affront gegen den König. Die beiden Schwestern haben sich abgesprochen, ihren Vater kurzhalten zu wollen. Als Lear ebenfalls zu Gloucesters Schloss kommt und sich bei Regan über Goneril beschwert, stellt sie sich auf die Seite ihrer Schwester. Schließlich bittet Lear seine Tochter sogar auf Knien um Unterkunft. Goneril kommt hinzu und beschimpft ihren Vater als alt und schwachsinnig. Die Schwestern versuchen, dem Vater seine hundert Ritter zu kürzen, bis sie sich schließlich darauf verständigen, dass er im Grunde nicht einen einzigen benötige. Lear gerät außer sich vor Zorn über diese Undankbarkeit. Er verlässt das Schloss. Gloucester will ihn aufhalten, denn ein schlimmer Sturm zieht auf, aber Goneril und Regan hindern ihn daran.

Lear wird wahnsinnig

Während des heftigen nächtlichen Sturms irrt Lear in der Heide umher, wahnsinnig geworden vor Schmerz und Wut auf seine Töchter. Sein Narr begleitet ihn. Kent sucht ihn und findet ihn schließlich. Aus Briefen von Cordelia weiß er, dass Frankreich ein Heer nach Britannien geschickt hat, worauf er einen Boten nach Dover, wo das Heer sich aufhalten soll, entsendet hat. Dort soll dieser berichten, wie schlimm es dem König in der Heimat ergeht, und um Hilfe bitten.

„Blas, Wind, dass platzt die Backe! Tobe! Blas! / Ihr Katarakte, Hurrikane, spuckt, / Bis ihr den Kirchturmspitz ersäuft, den Hahn ertränkt! / Ihr schwefligen, hirnschnellen Feuerblitze, / Vortrupp des Donnerkeils, der Eichen bricht, / Sengt mir mein Weißhaar!“ (Lear, S. 129)

Gloucester bedauert die Vorgänge um Lear. Er vertraut Edmund einen Brief an, den er erhalten hat und der die Ankunft des französischen Heeres meldet. Er will zum König halten, obwohl der Herzog von Cornwall ihm das bei Todesandrohung verboten hat. Edmund kommt dieses Wissen sehr gelegen: Der Untergang des Vaters bedeutet für ihn den erträumten Aufstieg. So verrät er Gloucester, indem er den Brief dem Herzog weitergibt. Dieser befiehlt Edmund, seinen Vater auszuliefern, und macht ihn zum neuen Grafen von Gloucester.

„Hat einer nur ein ganz klein bisschen Hirn, / Mit Hey, Ho, bei Regen und Wind, / Muss fügsam er sein seinem Schicksalsgestirn. / Denn der Regen, der regnet jedweden Tag.“ (Narr, S. 133 f.)

Gloucester ist unterdessen in den nächtlichen Sturm geeilt, um Lear zu suchen. Er findet ihn mit seinem Narren und Kent in einem Schuppen. Zufällig ist dort auch der verkleidete Edgar. Er spielt überzeugend den Wahnsinnigen, sein Vater erkennt ihn nicht. Lear, voller Mitleid, glaubt, dass Edgar vom gleichen Schicksal so weit getrieben worden sei, dass auch ihn zwei Töchter in den Wahn getrieben hätten. Der Wahnsinnige unterhält sich angeregt mit dem Scheinwahnsinnigen. Lear empfindet jetzt erstmals Mitleid mit den Armen, die, ohne Haus und in Lumpen gekleidet, solchen Stürmen schutzlos ausgeliefert sind. Er erkennt die wahre Natur des Menschen: ein nacktes Tier auf zwei Beinen, und reißt sich deswegen die Kleider vom Leib.

„(...) der unaufgeschmückte Mensch ist nicht mehr als so ein armes, nacktes, zweigebeintes Tier (...)“ (Lear, S. 145)

Gloucester bringt alle zu einem Bauernhaus. Auch dort, im Trockenen, lässt Lears Wahnsinn nicht nach. Er tut, als würde er über seine Töchter zu Gericht sitzen. Edgar fällt es vor Mitleid schwer, in seiner Rolle zu bleiben. Gloucester, der noch einmal draußen war, kommt mit der Neuigkeit zurück, dass die Schwestern ihren Vater umbringen wollen. Er veranlasst, dass man Lear sofort nach Dover bringt, wo das französische Heer sein soll.

Vater und Sohn unerkannt vereint

Kurz darauf wird Gloucester vor seinem eigenen Schloss von den Leuten Cornwalls gefasst. Dieser drückt ihm mit dem Fuß ein Auge aus. Ein Diener schreitet ein und attackiert Cornwall mit dem Degen, wird aber von Regan mit dem Schwert getötet. Nun drückt Cornwall Gloucester auch das zweite Auge aus. Blind und blutend erfährt der Graf, dass Edmund ihn verraten hat. Schlagartig begreift er, dass er dem falschen Sohn geglaubt und Edgar Unrecht getan hat. Cornwall, selbst verwundet, setzt Gloucester vor die Tür seines eigenen Schlosses. Diener verbinden dessen Wunden und bringen ihn zu Edgar, dem scheinwahnsinnigen Bettler. Er soll den Blinden nach Dover führen. Edgar ist erschüttert über das Schicksal seines Vaters, aber es gelingt ihm, in seiner Rolle zu bleiben. Gloucester möchte, dass Edgar ihn zu einer bestimmten Klippe bei Dover führt. Dort will er sich umbringen. Auf einem Feld in Meeresnähe gibt Edgar vor, die Klippe sei nun erreicht. Gloucester stürzt sich vornüber – und fällt zu Boden. Edgar tut so, als wäre er ein anderer, der den Hinabgestürzten wie durch ein Wunder lebend findet. Seine Absicht ist, durch das Vorspielen dieses Wunders die Verzweiflung des Vaters zu mildern. Sein Plan geht auf: Gloucester will sein Schicksal jetzt tragen. Auf dem Feld treffen die beiden den wahnsinnigen Lear. In einzelnen lichten Momenten begreift er, was geschehen ist, aber aus Scham will er Cordelia nicht treffen. Diese ist tief betroffen von seinem Schicksal und dem Verhalten der Schwestern. Sie lässt ihren Vater suchen.

Edmund und die Schwestern

Goneril ist zu ihrem Mann, dem Herzog von Albany, gereist, um ihm von der Ankunft der Franzosen zu berichten. Edmund hat sie begleitet und unterwegs ein Liebesverhältnis mit ihr begonnen. Goneril sinniert darüber, ihren Gatten zu beseitigen und dann Edmund zu heiraten. Vorerst gibt sie ihm ein Liebespfand und schickt ihn zurück zu ihrem Schwager Cornwall, dessen Heer er führen soll. Ihr Mann indessen tritt ihr verändert entgegen: Er ist über das Verhalten der Schwestern ihrem Vater gegenüber entsetzt und schimpft sie teuflisch, während Goneril ihn feige nennt. Da kommt ein Bote und meldet den Tod Cornwalls, er ist an den Folgen der Attacke des Dieners gestorben. Goneril befürchtet, dass Edmund ihrer verwitweten Schwester gefallen könnte – womit sie Recht hat. Eifersüchtiger Argwohn baut sich zwischen den Schwestern auf.

„Ich habe keinen Weg und brauch drum keine Augen; / Gestolpert bin ich, als ich sah.“ (Gloucester, S. 173)

Gonerils Haushofmeister Oswald erscheint auf dem Feld bei Dover, hocherfreut, Gloucester anzutreffen, auf dessen Tod Goneril einen Preis ausgeschrieben hat. Edgar geht jedoch dazwischen und tötet Oswald. Dieser hat einen Liebesbrief Gonerils an Edmund bei sich, in dem sie ihn bittet, ihren Mann in der bevorstehenden Schlacht zu töten, und zwar so, dass es nicht wie Mord aussehe. Edgar beschließt, dem bedrohten Albany den Brief zu geben.

„Was Fliegen bösen Buben sind, sind wir / Den Göttern. Sie töten uns zum Spaß.“ (Gloucester, S. 175)

Das britische Heer ist inzwischen bis Dover vorgerückt. Im Heerlager fragt Regan Edmund, ob er ein Verhältnis mit ihrer Schwester habe. Er lügt und verneint. Zwischen den beiden Schwestern will er sich erst nach der Schlacht entscheiden. Edgar gibt Albany kurz vor dem Kampf den verräterischen Brief.

„Der König fiel in Wahn: Wie starr mein plumper Geist, / Dass ich so steh und hab bewusstes Fühlen / Von meinem großen Leid! Besser ich wär irr: / Mein Denken wär getrennt von meinem Schmerz, / Und Leid verlör durch falsche Fantasien / Das Wissen um sich selbst.“ (Gloucester, S. 221)

Cordelia ist jetzt im französischen Heerlager bei Lear, der unter ärztlicher Aufsicht lange schläft. Als er aufwacht, erkennt er seine Tochter glücklich und ungläubig, erfasst aber die Umstände nicht ganz. Währenddessen rücken die englischen Truppen unter Edmunds Führung vor.

Eine Schlacht und viele Tote

Es kommt zur Schlacht, in der Frankreich von England unter Edmunds Führung geschlagen wird; Lear und Cordelia werden gefangen genommen. Lear ist selig, wieder mit Cordelia vereint zu sein, selbst wenn es im Kerker ist. Unter den Siegern entsteht ein Streit um Edmunds Stellung. Albany weigert sich, ihn als gleichrangig zu behandeln. Regan deutet an, dass sie ihn durch eine Heirat in den gleichen Rang heben möchte. Albany, der jetzt über das Verhältnis zwischen seiner Frau Goneril und Edmund informiert ist, verhaftet Edmund wegen Hochverrats. Da klagt Regan über Übelkeit – Goneril deutet in einer Bemerkung an, dass sie ihr Gift gegeben hat.

„Den beiden Schwestern schwur ich meine Liebe; / Jede misstraut der andern, wie Gebissene / Der Natter. Welche nehm ich? Beide? Eine? / Ja, oder keine?“ (Edmund, S. 235 f.)

Edgar tritt auf, vorerst ohne seinen Namen zu nennen, und bestätigt, dass Edmund ein Verräter sei. Die beiden kämpfen mit dem Schwert; Edmund geht getroffen zu Boden. Nun gesteht er, dass alles, was ihm vorgeworfen werde, wahr sei. Jetzt erst nennt Edgar seinen Namen. Er erzählt, dass er auch seinem Vater, dem er Blindenführer und Lebensretter war, erst kurz zuvor seine Identität offenbart hat – den Ansturm der Gefühle zwischen Freude und Scham hat Gloucester nicht überlebt.

„Was! Wieder trübes Grübeln? Aushalten muss der Mensch / Sein Abgehn aus der Welt wie seine Ankunft: / Reif sein ist alles.“ (Edgar zu Gloucester, S. 239)

Plötzlich wird die Nachricht verkündet, dass Goneril sich erdolcht hat – nach dem Geständnis, ihre Schwester vergiftet zu haben. Edmund liegt ebenfalls im Sterben und möchte erstmals Gutes tun: Er lässt schnell zum Kerker schicken, wo Lear und Cordelia gefangen sind, um den Tötungsbefehl, den er erteilt hat, zu widerrufen: Cordelia sollte erhängt werden und es sollte aussehen, als hätte sie Selbstmord begangen. Doch da kommt Lear mit der toten Cordelia in den Armen: Es ist zu spät. Zwar hat er ihren Henker erdolcht, aber er konnte sie nicht mehr retten. Edmunds Tod wird gemeldet, und kurz darauf stirbt Lear aus Verzweiflung über Cordelias Tod. Albany legt das Reich Britannien in die Hände von Kent und Edgar. Kent allerdings ist sicher, dass er Lear bald in den Tod folgen wird.

Zum Text

Aufbau und Stil

König Lear ist eine Tragödie in fünf Akten, verfasst in einer Mischung aus Prosa und Versen. Mehrere Merkmale machen das Werk unter Shakespeares Tragödien einzigartig, auch im Vergleich mit den zeitlich benachbarten Dramen Othello und Macbeth: Der Figur des Narren etwa, der die Funktion hat, dem König den Spiegel seiner Narrenweisheit vorzuhalten, kommt eine größere, gewichtigere und textlich umfangreichere Rolle zu als in den anderen Stücken. Und nur der Lear weist mit der Gloucester-Tragödie eine Parallelhandlung zum Hauptstrang auf. Das Drama ist nicht so stringent wie andere Shakespeare-Stücke: Viele Szenenwechsel und eine Fülle von Figuren erzeugen den Eindruck einer dramatischen Auflösung. Es geht Schlag auf Schlag, Grausamkeiten folgen auf gnadenlose Schreckensnachrichten. Das Übermaß der Gefühle entlädt sich in machtvollen Sprachbildern. In den Dialogen zwischen Lear, Edgar und dem Narren gibt es aber auch komische Passagen, in denen sich Weisheit und Witz mit Wahnsinn mischen.

Interpretationsansätze

  • Misst man den Titelhelden Lear mit realistischen Maßstäben, erscheint sein Verhalten kindisch und naiv – welcher König verschenkt schon sein Reich nach töchterlichen Schmeicheleien? Aber Lear ist eine mysteriöse Instanz, er agiert nicht rational. Sein folgenschwerster Irrtum ist, dass er das Königtum von der Macht trennen und sie aufteilen will. Die Macht gerät in Missbrauch und die Welt aus den Fugen – in diesem Chaos muss Lear untergehen.
  • Die Figuren irren durch eine absurde Welt irrationaler Grausamkeit, in der weder die Bösen noch die Guten letztlich etwas ausrichten können: Beide gehen gleichermaßen zugrunde. Äußeres Sinnbild dieser aufgelösten Ordnung ist der schreckliche Sturm, der Lears inneren Aufruhr und die Verwirrung seines Geistes widerspiegelt.
  • Der Wahnsinn ist doppeldeutig: Lears Verwirrung als Folge seines Schmerzes lässt ihn zugleich klarer sehen als jemals zuvor. Er ist aufs nackte Menschsein reduziert, empfindet erstmals Mitleid mit anderen und erkennt die Absurdität des menschlichen Strebens vor der Begrenztheit des Daseins.
  • Lears Schicksal ist nicht nur ein individuelles Drama, sondern symbolisiert den Lebens- und Weltenlauf, der sich jeder Sinngebung entzieht. Darin liegt aber auch die Chance zur Komik: Mehrfach wird die Welt als Narrenbühne bezeichnet, und aus der närrischen Weltsicht, aus der Annahme des Sinnlosen, lässt sich ein gewisser Trost gewinnen.
  • Die Tragödie um Gloucester spiegelt jene um Lear und unterstreicht deren Aussage. Wie Lear den heuchlerischen Töchtern Glauben schenkt, so fällt Gloucester auf seinen illegitimen Sohn Edmund herein. Lears Verblendung parallelisiert die tatsächliche grausame Blendung Gloucesters. Beide werden vom verstoßenen Kind – Cordelia bzw. Edgar – gerettet, und beide sterben vor Schmerz über dessen unverschuldetes Leid.

Historischer Hintergrund

Das Ende des Elisabethanischen Zeitalters

Als William Shakespeare König Lear verfasste, saß seit Kurzem Jakob I. auf dem englischen Thron, und eine bedeutende Ära hatte ihr Ende gefunden: die Regentschaft von Königin Elisabeth I. Sie hatte das Königreich 45 Jahre lang regiert, von 1558 bis 1603. Während dieser Zeit erlebte England einen beeindruckenden politischen und wirtschaftlichen Aufschwung. Das Land löste Spanien als stärkste Seefahrernation ab und wurde zur europäischen Großmacht. Zum nationalen Selbstbewusstsein trug auch der wachsende materielle Wohlstand des Bürgertums bei. London war eine lebendige und intellektuell neugierige Stadt mit rund 200 000 Einwohnern und Elisabeth eine große Förderin von Kunst und Schauspiel: Unter ihrer Herrschaft wurden die Spielstätten zu Erlebnisorten für breite Bevölkerungsschichten. Es kam zu einem regelrechten Theaterboom, begleitet von einem künstlerisch fruchtbaren Wettbewerb unter professionellen Schauspielertruppen.

Als Elisabeth 1603 kinderlos starb, wurde Maria Stuarts Sohn Jakob König von England – König von Schottland war er schon ein Jahr nach seiner Geburt im Jahr 1566. Auch er war geistig interessiert: Er gab eine Bibelübersetzung in Auftrag und ließ sich Shakespeares Stücke bei Hof vorspielen. Seine Regentschaft in England galt aber als schwierig. Als Vertreter eines gottgegebenen Königtums hatte er Probleme mit der parlamentarischen Mitbestimmung und wusste doch eine größere Eskalation zu verhindern. 1605 wurde die so genannte Pulververschwörung gerade noch entdeckt und damit ein Anschlag auf König und Parlament in letzter Minute verhindert.

Entstehung

König Lear entstand frühestens 1603, vermutlich aber Ende 1604 oder Anfang 1605. Der dem Stück zugrunde liegende Stoff ist alt; aufgeschrieben wurde er erstmals um 1136 in der Historia Regum Britanniae des Geoffrey von Monmouth. Shakespeare kannte die Legende von König Lear in mehreren späteren Fassungen, darunter die Chronicles (1577) von Raphael Holinshed, das Epos The Faerie Queene (1590) von Edmund Spenser sowie das anonyme Drama The True Chronicle History of King Leir, das 1605 gedruckt, aber schon 1594 gespielt wurde. Die älteren Texte konzentrieren sich auf das Schicksal Cordelias, die sich in diesen Versionen im Kerker das Leben nimmt. Nur das Drama des unbekannten Dichters endet glücklich: Dort siegen die Franzosen in der Schlacht, und Lear wird von Cordelia wieder ins Königsamt eingesetzt. Neu hinzugefügt hat Shakespeare die Parallelhandlung um Gloucester.

Am 26. Dezember 1606 wurde König Lear in Whitehall vor König Jakob I. aufgeführt; erstmals gedruckt wurde die Tragödie 1608. Die Fassung in der ersten Shakespeare-Gesamtausgabe von 1623 ist um 200 Zeilen kürzer.

Wirkungsgeschichte

Wie lange König Lear im Lauf des 17. Jahrhunderts noch gespielt wurde, ist unklar. Seit der Stuart-Restauration ab 1660 jedenfalls lag das gewaltsame Stück außerhalb des Zeitgeschmacks, der sich mehr an klassizistische Mäßigung nach französischem Vorbild hielt. Erfolg hatte König Lear erst wieder in einer Bearbeitung von Nahum Tate 1681, und zwar in einer grundlegend veränderten Version: Tate strich die Figur des Narren, setzte am Ende Lear als König wieder ein und erfand eine Liebesgeschichte zwischen Cordelia und Edgar mit Happy End. So oder ähnlich geglättet, wurde das Stück mehr als 150 Jahre lang erfolgreich gespielt. Der Kritiker Samuel Johnson war der Meinung, dass der Tod Cordelias zwar lebensnah, aber für den Zuschauer kaum zu ertragen sei. Man solle dem menschlichen Bedürfnis nach Gerechtigkeit folgen. Erst ab 1834 wurde wieder Shakespeares kompletter Originaltext zur Aufführung gebracht. Seitdem wird König Lear regelmäßig gespielt, wenn auch seltener als andere Shakespeare-Stücke: Die Tragödie gilt als besondere Herausforderung, an der auch die besten Schauspieler und Regisseure scheitern können.

In Deutschland verdammte 1865 der Westfälische Merkur das Stück „im Namen des guten Geschmacks“, weil es vom Wahnsinn diktiert sei. Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts setzte sich die Tragödie dann auch in Deutschland durch. In neueren Inszenierungen, etwa durch Peter Brook 1963, wird häufig gerade das Irrationale und Absurd-Apokalyptische des Stücks – in Verwandtschaft zu Samuel Beckett – betont.

König Lear wurde mehrfach verfilmt, u. a. vom japanischen Regisseur Akira Kurosawa. Sein Film Ran (1985) versetzt das Geschehen ins Japan des 16. Jahrhunderts, wobei einige Aspekte den veränderten Umständen angepasst werden, z. B. werden bei ihm aus drei Töchtern drei Söhne.

Über den Autor

William Shakespeare kann ohne Übertreibung als der berühmteste und wichtigste Dramatiker der Weltliteratur bezeichnet werden. Er hat insgesamt 38 Theaterstücke und 154 Sonette verfasst. Shakespeare wird am 26. April 1564 in Stratford-upon-Avon getauft; sein genaues Geburtsdatum ist nicht bekannt. Er ist der Sohn des Handschuhmachers und Bürgermeisters John Shakespeare. Seine Mutter Mary Arden entstammt einer wohlhabenden Familie aus dem römisch-katholischen Landadel. 1582 heiratet er die acht Jahre ältere Anne Hathaway, Tochter eines Gutsbesitzers, mit der er drei Kinder zeugt: Susanna sowie die Zwillinge Hamnet und Judith. Um 1590 übersiedelt Shakespeare nach London, wo er sich innerhalb kurzer Zeit als Schauspieler und Bühnenautor einen Namen macht. Ab 1594 ist er Mitglied der Theatertruppe Lord Chamberlain’s Men, den späteren King’s Men, ab 1597 Teilhaber des Globe Theatre, dessen runde Form einem griechischen Amphitheater nachempfunden ist, sowie ab 1608 des Blackfriars Theatre. 1597 erwirbt er ein Anwesen in Stratford und zieht sich vermutlich ab 1613 vom Theaterleben zurück. Er stirbt am 23. April 1616. Über Shakespeares Leben gibt es nur wenige Dokumente, weshalb sich seine Biografie lediglich bruchstückhaft nachzeichnen lässt. Immer wieder sind Vermutungen in die Welt gesetzt worden, wonach sein Werk oder Teile davon in Wahrheit aus anderer Feder stammen. Als Urheber wurden zum Beispiel der Philosoph und Staatsmann Francis Bacon, der Dramatiker Christopher Marlowe oder sogar Königin Elisabeth I. genannt. Einen schlagenden Beweis für solche Hypothesen vermochte allerdings niemand je zu erbringen. Heutige Forscher gehen mehrheitlich davon aus, dass Shakespeare der authentische und einzige Urheber seines literarischen Werkes ist.

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    L. Z. vor 8 Jahren
    Die Kurzfassung hat mir gut gefallen. Weiß nicht, ob ich die Geduld beim Originaltext aufgebracht hätte. Die Handlung ist wohl sehr verschachtelt.